Donnerstag, 26. September 2019

Die Versuche der Gesichtswahrung in Sachen Stuttgarter Schnellbuslinie X1 erinnern an Stuttgart 21

In ihrer Internetausgabe vom 24.09.2019 berichtet die Stuttgarter Zeitung von Fahrgastbeschwerden über Fahrtausfälle auf der Buslinie 77 im Filderbereich. 

Es gäbe hierzu auch eine Antwort von der zuständigen Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB), so berichtet die Zeitung. Letztendlich läuft es darauf hinaus, dass wegen Personalmangels im Allgemeinen und wegen Krankmeldungen sowie Urlauben im Besonderen immer mal wieder Busse ausfallen müssen.

Auf den ersten Blick ist diese Erklärung nachvollziehbar. Es ist bekannt, dass gerade bei den Busfahrern und Busfahrerinnen ein eklatanter Personalmangel herrscht - nicht nur bei der SSB.

Auf den zweiten Blick wird man jedoch stutzig. Fährt denn nicht seit vielen Monaten nun die Schnellbuslinie X1 zwischen der Stuttgarter Innenstadt und Bad Cannstatt alle fünf Minuten mit fast leeren Bussen durch die Gegend? Hierbei sind geschätzt ca. 10 Busse gleichzeitig mit den erforderlichen Fahrerinnen und Fahrern im Einsatz. Sogar während der Schulferien und während der Zeiten außerhalb des Berufsverkehrs fahren die Busse der X1 unentwegt ihre Runden.


Die Pfingstferienkatastrophe im Stuttgarter Westen
Kommen wir zunächst mal noch zu einem anderen Beispiel. Während der vergangenen Pfingstferien wurde die wichtigste Stadtbahnstrecke im Stuttgarter Westen für die Dauer von zwei Wochen gesperrt. Die Strecke musste grunderneuert werden.

Diese Strecke wird - auch während der Schulferien - von drei Stadtbahnlinien befahren. Das entspricht 18 Zügen pro Stunde und Richtung. Es wurde während der Streckensperrung ein Busersatzverkehr eingerichtet - mit einem Bus alle 10 Minuten. Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Berücksicht man, dass ein Gelenkbus wesentlich weniger Fahrgäste aufnehmen kann als ein Stadtbahnzug, haben wir es hier mit einer Reduzierung der Kapazität (z.B. Zahl der Sitzplätze) um den Faktor sechs zu tun. Aus Platzmangel sei nicht näher darauf eingegangen, dass der Ersatzbus die Strecke nur in einer Richtung befuhr und auch die Anschlüsse zur Stadtbahn nicht funktionierten.

Während also im Stuttgarter Westen und im Stadtbezirk Botnang für die Dauer von zwei Wochen Tausende von Fahrgästen wegen viel zu wenigen Ersatzbussen auf dem Trockenen saßen, waren für die Schnellbuslinie X1 im gleichen Zeitraum weiterhin genügend Fahrzeuge und Fahrerinnen/Fahrer vorhanden.

Es geht vor allem um Ideologie, Rechthaberei und Versuche der Gesichtswahrung
Die Beispiele von den Fildern und aus dem Stuttgarter Westen zeigen, dass es im Stuttgarter Nahverkehr augenscheinlich nicht mehr prioritär um die Fahrgäste geht. Es geht vielmehr um Ideologie, Rechthaberei und Versuche der Gesichtswahrung. Dabei ist es nur wenig wahrscheinlich, dass die Fachleute der SSB einen Weiterbetrieb der Buslinie X1 befürworten. Da scheinen andere Kräfte dahinterzustecken.

Diesmal scheinen es die Grünen zu sein. Bei Stuttgart 21 war es ja die CDU, die im Wesentlichen diese Sache verbockt hat und sich bis heute standhaft weigert, dass auch nur kleinere Änderungen und Anpassungen bei diesem jahrzehntealten und aus der Zeit gefallenen Projekt vorgenommen werden.

Nehmen die Grünen jetzt die frühere Rolle der CDU ein?
Bei der fehlgeschlagenen Expressbuslinie X1 scheinen jetzt die Grünen die Rolle der CDU eingenommen zu haben. Das scheint bis in höchste Ämter zu gehen.  Zu nennen sind hier der Grüne Stuttgarter OB sowie das Grün geführte Landesverkehrsministerium.

Es wäre jetzt allerhöchste Zeit für die Grünen einzugestehen, dass auch ihnen Fehler unterlaufen. Als eine Geste des guten Willens wäre zu beschließen, dass die Expressbuslinie X1 ab sofort während der Schulferien nicht mehr fährt, ebenso außerhalb der Berufsverkehrszeiten. Somit verbliebe zunächst mal für die Schnellbuslinie X1 eine Betriebszeit von 6 Uhr bis 9 Uhr und von 15:30 Uhr bis 18:30 an Werktagen mit Schulunterricht.

Bei der Verkehrspolitik in Stuttgart gilt es jetzt, sich ehrlich zu machen 
Dann muss das ganze Thema jedoch auch vom Grundsatz her angegangen werden. Hier gilt es, sich ehrlich zu machen und die Fehler der ÖPNV-Politik der vergangenen Jahrzehnte in Stuttgart einzugestehen.

Es ist ja in der Tat merkwürdig, dass trotz jahrzehntelangem Ausbau der Stadtbahn und trotz Milliarden Euro an Geldern und Zuschüssen von Bund und Land jetzt die Stadtbahn augenscheinlich nicht mehr in der Lage ist, alle Fahrgäste im Verlauf ihrer Streckenachsen zu befördern, so dass die Idee aufkam, die Schnellbuslinie X1 einzurichten. Dabei entsteht hier ein verheerender Eindruck, indem suggeriert wird, dass ein Bus schneller, komfortabler und billiger sei als die Stadtbahn. Niemals darf dieser Eindruck aufkommen, dass eine Buslinie im Zentrum einer Großstadt besser ist als die mit Milliarden geförderte Stadtbahn. Anscheinend gelingt es nicht, die Menschen hier "mitzunehmen". Die Fahrgäste lassen die Buslinie X1 links liegen und fahren lieber mit den vollen Stadtbahn- und S-Bahnzügen. 

Das ist die Ursache allen Übels
Die Ursache allen Übels darf nicht verschwiegen, sondern muss genannt werden. Die Stuttgarter Stadtbahn hat nur zwei Stammstrecken. Das ist weniger als bei allen anderen U-Bahnen, Stadtbahnen und Straßenbahnen in den vergleichbaren Großstädten Deutschlands. Das ist die Hauptursache für die mangelnde Kapazität und Flexibilität der Stuttgarter Stadtbahn.

Wenn man die Ursache allen Übels erkannt hat, gilt es, das Problem anzupacken. Stuttgart braucht eine dritte Stammstrecke für die Stadtbahn. Von selbst kommt diese dritte Stammstrecke nicht. Das muss angestoßen werden. Hier ist in erster Linie der Stuttgarter OB gefordert, unterstützt vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg.

Man kann die dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn auch nicht von der Stange kaufen. Da ist ein umfangreicher Prozess erforderlich, um die beste Lösung zu finden. Da gilt es zuerst, die Systemfrage zu klären (Dritte Stammstrecke als Hochflurstadtbahn oder als Niederflurstraßenbahn oder als fahrerlose U-Bahn mit Bahnsteigtüren oder sogar eine Mischung davon). Dann muss die Streckenführung der dritten Stammstrecke bestimmt werden. Dann müssen die bestehenden Streckenäste der Stadtbahn auf alle drei Stammstrecken aufgeteilt werden.

In finanzieller Hinsicht sollte diese Sache nicht scheitern. Stuttgart selbst ist überdurchschnittlich finanzstark. Und der Bund wird in den kommenden Jahren viele zusätzliche Millionen Euro an Zuschüssen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz bereithalten. München, Frankfurt/Main, Düsseldorf, Hamburg und andere Städte stehen bereits in den Startlöchern, um riesige Projekte mit Bundesförderung für ihre U-Bahn bzw. Stadtbahn umzusetzen. Will Stuttgart da abseits stehen und erneut den Außenseiter in verkehrlichen Dingen unter den Großstädten Deutschlands spielen?

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