Wie ein Tsunami ist in den vergangenen Monaten das Thema Integraler Taktfahrplan bzw. Deutschlandtakt über das Projekt Stuttgart 21 geschwapt.
Der Deutschlandtakt bzw. der integrale Taktfahrplan nach Schweizer Vorbild ist mit Stuttgart 21 nicht zu machen - so der Tenor der fast ungezählten Wortmeldungen und Gutachten. So ganz glücklich bin ich mit dem Thema Deutschlandtakt nicht. Denn es wird hier der Eindruck erweckt, als ob Stuttgart 21 nur im Bezug auf den Deutschlandtakt ungeeignet und schlecht geplant ist. Stuttgart 21 war jedoch bereits vor der Diskussion um den Deutschlandtakt ein Projekt von gestern sowie ein Außenseiterprojekt auf europäischer Ebene - ungeeignet, die Anforderungen des Bahnverkehrs von heute und der Zukunft zu erfüllen.
Im heutigen Post in diesem Blog soll der integrale Taktfahrplan bzw. Deutschlandtakt im Zusammenhang mit Stuttgart 21 noch einmal gestreift werden. Das Ergebnis dieser Betrachtung wird die Empfehlung sein, zunächst mal an Stelle des Deutschlandtakts den Baden-Württemberg-Takt mit dem Stuttgarter Hauptbahnhof als zentralem Rendez-Vous und Umsteigeknoten einzurichten und hierfür einen zusätzlichen acht- bis zehngleisigen Kopfbahnhof zu bauen bzw. zu erhalten.
Es gibt bisher keinen Beweis dafür, dass der Integrale Taktfahrplan nach Schweizer Vorbild auch in einem so großen Flächenland wie Deutschland funktioniert. Die Fläche Deutschlands beträgt immerhin das ca. 8,7 fache der Fläche der Schweiz. In Deutschland gibt es weitlaufende Fernzüge, die zum Teil bis zu 1.000 Kilometer unterwegs sind und über einen halben Tag für ihre Fahrt benötigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Fernzüge im Verlauf ihres Fahrwegs Störungen und Verspätungen ausgesetzt sind, ist wesentlich größer als die Wahrscheinlichkeit für Verspätungen von Regionalzügen oder von Zügen im Schweizer Eisenbahnnetz.
Was nutzt insofern der in der Theorie bestgeplante Deutschlandtakt, wenn dann in der Praxis z.B. die Hälfte aller Rendez-Vous in den Knotenbahnhöfen wegen eines verspäteten Fernzugs gestört sind und platzen?
Es dauert Jahrzehnte bis zur Einrichtung des Deutschlandtakts
Ein weiterer gewichtiger Punkt beim Deutschlandtakt ist die lange Zeit, die die Einrichtung eines solchen Systems benötigen wird. In der Schweiz wird ein Vielfaches der Summe pro Kopf der Bevölkerung in die Eisenbahn investiert gegenüber den Werten in Deutschland. Trotzdem ist es auch in der Schweiz noch nicht gelungen, den Integralen Taktfahrplan flächendeckend einzuführen.
Beim Integralen Taktfahrplan sind große Investitionen in die Knotenpunkte erforderlich (Zahl der Bahnsteigkanten, Zahl der Zulaufgleise). Fast noch größere Investitionen sind jedoch in die Strecken zwischen den Knotenpunkten erforderlich, um die sogenannten Kantenzeiten zu erreichen. Diese Kantenzeiten sind erforderlich, damit sich die Züge aus Richtung und Gegenrichtung jeweils in den Knotenpunktsbahnhöfen begegnen.
Trotz jahrzehntelanger Investitionen ist z.B. der Bahnhof St. Gallen in der Ostschweiz immer noch kein richtiger Vollknoten im Rahmen des Integralen Taktfahrplans. Die Fahrzeit zwischen Zürich und St. Gallen beträgt immer noch ca. 60 Minuten oder etwas darüber. Sie muss aber ca. 56 Minuten betragen. St. Gallen kann erst dann ein richtiger Vollknoten werden, wenn der 10 Kilometer lange Brüttener Tunnel beim Züricher Flughafen fertiggestellt worden ist. Noch schlimmer sieht es bei Luzern aus. Hier ist zunächst mal die Fertigstellung des 20 Kilometer langen Zimmerbergtunnels sowie auch der neuen Durchmesserlinie beim Bahnhof Luzern erforderlich.
Die Einrichtung eines Vollknotens im Rahmen des Deutschlandtakts beim Stuttgarter Hauptbahnhof hängt davon ab, ob es gelingt, die Fahrzeit auf der Strecke Mannheim-Stuttgart auf die Kantenzeit von 28 Minuten zu drücken. Heute beträgt die Fahrzeit ca. 37 oder mehr Minuten. Da wäre also eine beachtliche Fahrzeitverkürzung erforderlich, die z.B. durch eine Neutrassierung zwischen Möglingen und dem Stuttgarter Hauptbahnhof alleine nicht eingefahren werden könnte. Eine Erhöhung der Streckenhöchstgeschwindigkeit von heute 260 km/h auf z.B. 300 km/h ist m.E. unwahrscheinlich. Denn die Strecke verfügt zum größeren Teil nicht über eine feste Fahrbahn und - noch wichtiger - sie verfügt nicht über getrennte Tunnelröhren für die beiden Fahrtrichtungen. Die Aufsichtsbehörde wird wohl kaum zustimmen, dass sich zwei ICE mit jeweils 300 km/h in einem Tunnel begegnen.
Halten wir also als Zwischenergebnis fest:
Es ist keineswegs sicher, dass der Deutschlandtakt praxistauglich ist. Zudem kann der Stuttgarter Hauptbahnhof über Jahrzehnte hinweg kein Vollknoten im Rahmen eines Integralen Taktfahrplans sein.
Was aber bleibt jetzt vom Integralen Taktfahrplan übrig?
Eine ganze Menge. Es kann durchaus sinnvoll sein, den Integralen Taktfahrplan zunächst mal auf dem Gebiet von Baden-Württemberg für die schnellen und langsamen Regionalzüge - somit also ein Baden-Württemberg-Takt - einzurichten. Das scheint realistisch zu sein. Denn die Fläche Baden-Württembergs ist ungefähr gleich groß wie die Fläche der Schweiz.
Einer der wichtigsten - wenn nicht der wichtigste - Knotenpunkt eines solchen Baden-Württemberg-Takts für die schnellen und langsamen Regionalzüge ist bzw. sollte der Stuttgarter Hauptbahnhof sein.
16 Bahnsteigkanten sind im Stuttgarter Hauptbahnhof alleine für die Regionalzüge erforderlich
Welche Regionalzüge nehmen im Stuttgarter Hauptbahnhof am Rendez-Vous im Rahmen eines Integralen Taktfahrplans teil?
1. IRE von/nach Aalen
2. MEX von/nach Aalen
3. IRE von/nach Schwäbisch Hall
4. MEX von/nach Schwäbisch Hall
5. IRE von/nach Heilbronn
6. MEX von/nach Heilbronn
7. IRE von/nach Karlsruhe-Pforzheim
8. MEX von/nach Pforzheim
9. IRE von/nach Ulm-Göppingen
10. MEX von/nach Geislingen an der Steige
11. IRE von/nach Ulm-Flughafen
12. IRE von/nach Tübingen-Flughafen
13. MEX von/nach Tübingen-Plochingen
14. IRE von/nach Konstanz
15. MEX von/nach Horb
16. MEX von/nach Nagold-Calw
Damit werden beim Stuttgarter Hauptbahnhof 16 Bahnsteigkanten zur vollen und zur halben Stunde für das Rendez-Vous der Regionalzüge im Rahmen des Integralen Taktfahrplans benötigt. Dazu kommen dann noch die Fernzüge, die zwar nicht direkt am Rendez-Vous der Regionalzüge teilnehmen, jedoch auch irgendwann einmal den Bahnhof anfahren müssen. Dazu kommen auch noch neue Angebote der S-Bahn, die nicht in den Stammstreckentunnel passen.
Es ist ein weiterer Bahnhofsteil erforderlich
Damit haben wir ein weiteres Zwischenergebnis: Der Stuttgart 21-Tiefbahnhof mit seinen acht Bahnsteigkanten reicht für das zukünftige Zugangebot hinten und vorne nicht. Es ist ein weiterer Bahnhofsteil erforderlich.
Die Doppelbelegung von Bahnsteiggleisen im Stuttgart 21-Tiefbahnhof ist möglicherweise keine Lösung des Problems. Es ist bisher nicht bekannt, ob die Aufsichtsbehörde das Nachfahren von Zügen in ein Bahnsteiggleis mit Gefällle überhaupt genehmigen wird. Selbst wenn eine Genehmigung vorläge, wäre mit einer fahrzeitverlängernden Langsamfahrt des nachfahrenden Zuges zu rechnen.
Anders als in Ulm, wo dies heute häufig praktiziert wird, ist es wegen des Gefälles auch nicht möglich, dass die Züge im Stuttgart 21-Tiefbahnhof wenden und bei Doppelbelegung in entgegengesetzte Richtungen ausfahren.
Zudem stimmt bei einem Rendez-Vous im Rahmen des Integralen Taktfahrplans die Reihenfolge der beiden Züge an einem Bahnsteiggleis nicht. Beim Rendez-Vous fährt der schnellere der beiden Züge als letzter ein und als erster wieder aus. Die Reihenfolge am Bahnsteig ist aber im Stuttgart 21-Tiefbahnhof so, dass der langsamere der beiden Züge an erster Stelle steht und der schnellere an zweiter Stelle. Bei der Ausführt müsste der schnellere Zug somit den ersten Zug überholen, was aber selbstverständlich nicht funktioniert.
Zudem sind Doppelbelegungen auch dann unmöglich, wenn die Regionlzüge wegen der stärkeren Nachfrage länger als 200 Meter werden.
Kommen wir jetzt zum Endergebnis
Die acht Gleise des Stuttgarter 21-Tiefbahnhofs reichen bei weitem nicht aus, um auch nur einen reduzierten Baden-Württemberg-Takt mit Regionalzügen zu fahren. Es ist zusätzlich zum Tiefbahnhof ein Kopfbahnhof erforderlich. Anders als dies in den letzten Wochen auch von der Landesregierung immer wieder verlautet ist, reichen aber zwei oder vier Gleise im Kopfbahnhof ebenfalls bei weitem nicht aus. Es ist ein acht bis zehngleisiger Kopfbahnhof zusätzlich zum Tiefbahnhof erforderlich. Und selbst das steht unter dem Vorbehalt der Prüfung, ob genügend Platz für die Fernzüge ist und ob genügend Platz für zusätzliche Angebote bei der S-Bahn ist.
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