Was geschieht mit der Stadtbahnlinie U12, wenn das Projekt Stuttgart 21 gestoppt wird? Ist diese Stadtbahnlinie dann hinfällig, wie es die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) immer wieder suggeriert hat? Ist dann der über 100 Millionen Euro teure Neubau des Stadtbahntunnels unter der Heilbronner Straße und der Abzweig ins A1-Gebiet trotzdem erforderlich, wie es die SSB in den letzten Tagen in einem verzweifelten Versuch propagiert hat, um die Stuttgart 21-Planungen zu retten?
Wir versuchen jetzt, diesem schwierigen und auf den ersten Blick nicht leicht zu durchschauenden Thema auf den Grund zu gehen, indem wir Schritt für Schritt vorgehen.
Neubau des Stadtbahntunnels neben der Heilbronner Straße und Stilllegung des bestehenden Tunnels
Wenn Stuttgart 21 gestoppt wird, ist es nicht erforderlich, den bestehenden Stadtbahntunnel unter der Heilbronner Straße stillzulegen und einen neuen Tunnel zu bauen. Tunnel werden normalerweise für eine Dauer von 100 Jahren gebaut. Der Tunnel unter der Heilbronner Straße wurde im Jahr 1976 eröffnet.
Der Tunnel unter der Heilbronner Straße ist nicht überdurchschnittlich baufällig oder instandhaltungsbedürftig. Der Tunnel wurde in der Monoblock-Bauweise erstellt. Im Gegensatz dazu sind die in der sogenannten Deckelbauweise erstellten Tunnel eine förmliche Zeitbombe im Hinblick auf zukünftige Instandhaltungskosten. Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Münchner Verkehrsgesellschaft, Herbert König, erklärte vor ca. zwei Jahren, dass die Instandhaltung der in der Deckelbauweise erstellten Tunnel der Münchner U-Bahn in den kommenden 10 bis 20 Jahren Milliardensummen verschlingen wird. Er hielt es sogar für erforderlich, dass allein wegen der Instandhaltung der in der Deckelbauweise erstellten Tunnel die Fahrpreise bei der Münchner U-Bahn erhöht werden müssen.
In Stuttgart hat man diesbezügliche Berechnungen noch nicht vernommen. Viele Tunnel der Stuttgarter Stadtbahn sind jedoch in der Deckelbauweise erstellt, z.B. in Sillenbuch, in Feuerbach, in Weilimdorf, in Zuffenhausen, unter dem Rotebühlplatz, unter dem Arnulf-Klett-Platz, in Degerloch. Aber halten wir fest: Der Tunnel unter der Heilbronner Straße ist jedenfalls nicht baufällig.
Muss für die Führung der U12 durch das A1-Gebiet der Tunnel unter der Heilbronner Straße unbedingt neu gebaut werden?
Nein. Die U12 kann auch - örtlich eng begrenzt - im Tunnelbereich, der der Haltestelle Türlenstraße benachbart ist, aus dem bestehenden Tunnel der Heilbronner Straße ausgeschleift werden. Das ist bautechnisch möglicherweise etwas schwieriger als der komplette Neubau des Tunnels unter der Heilbronner Straße. Jedoch kostet es wesentlich weniger - und das ist maßgebend.
Warum ist die Führung der U12 durch das A1-Gebiet ohne Stuttgart 21 nicht sinnvoll?
Die vorletzte Fragestellung ist jedoch aus einem anderen Grund obsolet. Ohne Stuttgart 21 braucht man über eine Ausschleifung der U12 aus dem Tunnel unter der Heilbronner Straße gar nicht nachzudenken. Denn die Führung der U12 durch das A1-Gebiet ist dann nicht sinnvoll.
Es gibt im Verlauf der geplanten Führung der U12 durch das A1-Gebiet nur eine neue Haltestelle, die Haltestelle Budapester Platz. Diese Haltestelle bringt keine Vorteile gegenüber dem bestehenden Zustand zur Erschließung des A1-Gebiets. Für die Erschließung des A1-Gebiets gibt es aber bereits eine Haltestelle. Das ist die Haltestelle Türlenstraße (sie wurde vor wenigen Wochen umbenannt).
Die Einrichtungen mit hoher Publikumsfrequenz auf dem A1-Gebiet (Bibliothek, ECE-Einkaufszentrum) sind nur 100 Meter von der Haltestelle Türlenstraße entfernt bzw. sie grenzen unmittelbar an die Haltestelle Türlenstraße. Alle Punkte des A1-Gebiets und der angrenzenden Bestandsgebiete sind maximal 300 Meter von den bestehenden Haltestellen Türlenstraße, Pragfriedhof und Milchhof entfernt.
Die Unsinnigkeit der Haltestelle Budapester Platz zeigt sich auch, wenn man sich in den potenziellen zukünftigen Fahrgast versetzt. Ein Fahrgast, der vom A1-Gebiet zum Beispiel zu den Haltestellen Hauptbahnhof, Schlossplatz oder Charlottenplatz fahren will, hätte dann die Auswahl zwischen den beiden Haltestellen Türlenstraße und Budapester Platz. Der Fahrgast wird aber fast immer zur Haltestelle Türlenstraße gehen. Von dort fahren vier Linien ab. Bei der Haltestelle Budapester Platz fährt nur eine Linie ab und der Fahrgast muss dort mit einer Wartezeit von 10 bzw. 15 Minuten rechnen.
Die Sinnhaftigkeit einer Haltestelle Budapester Platz ergibt sich ausschließlich in der Erschließung eines vollbebauten A2-Gebiets (Gleisvorfeld). Das ist jedoch ohne Stuttgart 21 nicht vorhanden und selbst bei einem Bau von Stuttgart 21 wäre das A2-Gebiet frühestens in den Jahren 2030 bis 2040 einigermaßen bebaut.
Zudem gibt es keinen Grund, die beliebte Haltestelle Pragfriedhof stillzulegen. Selbstverständlich muss die Haltestelle Pragfriedhof für den Einsatz der für die U12 geplanten langen Züge um ca. 30 Meter verlängert werden. Das ist möglich und es ist im Vergleich zu den geplanten Tunnelinvestitionen Peanuts. Und hier passt dieser Ausdruck tatsächlich.
Ist der kreuzungsfreie Anschluss der U12 an die Trasse in der Heilbronner Straße erforderlich?
Bei einer Führung über die Friedhofstraße und über die Haltestelle Pragfriedhof wird die U12 nicht kreuzungsfrei an die Trasse in der Heilbronner Straße angeschlossen. Bei einem Tunnelneubau wäre der kreuzungsfreie Anschluss da. Allein aus diesem Grund rechtfertigt sich der Tunnelneubau mit Kosten von über 100 Millionen Euro jedoch in keinster Weise. Im Süden der Innenstadt, bei der Haltestelle Olgaeck, gibt es dieselbe Situation, dass eine Stadtbahnlinie höhengleich an die Hauptstrecke angeschlossen wird. Dort sind dieselben Zugzahlen vorhanden und dort funktioniert dies genauso wie es bei der Friedhofstraße funktonieren wird.
Warum ist es unabhängig von Stuttgart 21 nicht sinnvoll, die U12 an den Tunnel unter der Heilbronner Straße anzuschließen?
Der Anschluss der vom Nordbahnhof kommenden Stadtbahn an den Tunnel unter der Heilbronner Straße ist unabhängig vom Bau oder Nicht-Bau von Stuttgart 21 nicht sinnvoll. Denn dieser Anschluss zementiert für alle Zeiten die ungünstige Struktur des Stuttgarter Stadtbahnnetzes mit nur zwei Stammstrecken und der damit verbundenen Überlastung des Netzes und der Unmöglichkeit, dringend benötigte Taktverdichtungen vorzunehmen. Diese ungünstige Struktur des Stuttgarter Stadtbahnnetzes ist deutschlandweit unter den vergleichbaren Städten einmalig.
Stuttgart benötigt dringend eine dritte Stammstrecke für die Stadtbahn. Diese dritte Stammstrecke wird es dann auch ermöglichen, den Einstieg in die zeitgemäße Niederflurtechnik zu finden. Die in der Straße "Am Schlossgarten" verlaufende dritte Stammstrecke wird alle diejenigen Streckenäste des Bestands aufnehmen, die heute straßenbahnähnlich gebaut sind. Das sind die Äste aus der Nordbahnhofstraße, der Hackstraße, vom Eugensplatz und vom Hölderlinplatz. Zusammen mit der dritten Stammstrecke wird es dann auch Neubaustrecken für die Straßenbahn geben. Dazu gehören eine Ringstraßenbahn im Verlauf des City-Rings und die vor ihrer Stilllegung enorm wichtig gewesene Straßenbahnstrecke über die Rotebühlstraße zum Westbahnhof.
50 Jahre nach dem Beginn der Tunnelarbeiten für die Stadtbahn ist es an der Zeit, erneut ein großes Gutachten über die Zukunft des städtischen Schienenverkehrs in Stuttgart einzuholen. Dieses Gutachten sollte aus Gründen der Neutralität von einem nicht ortsansässigen Gutachter gefertigt werden. Der neue Stuttgarter OB Fritz Kuhn sollte diesbezüglich ein Zeichen setzen und wichtige Weichenstellungen für den Schienenverkehr in Stuttgart in den nächsten 50 Jahren tätigen.
Was geschieht mit den bereits fertiggestellten Tunnelröhren unter der neuen Bibliothek im A1-Gebiet?
Mit dem Bau der neuen Bibliothek hat man auf einer Länge von ca. 100 Metern bereits Tunnelröhren für die U12 gebaut. Das wird niemand kritisieren. Es gab damals keine andere Wahl, weil man damals noch nicht wusste, wie es mit Stuttgart 21 weitergehen wird. Diese Tunnelröhren werden nicht mehr gebraucht. Vielleicht kann man in ihnen Champignons züchten. Allein wegen dieser kurzen Tunnelröhren jetzt noch einmal über 100 Millionen Euro in die Hand zu nehmen, rechtfertigt sich jedenfalls nicht. Man wirft schlechtem Geld kein gutes Geld hinterher.
Neben der Bibliothek hat man bereits eine Tunnelrampe gebaut. Diese Rampe ist bei Gelegenheit rückzubauen. Es gibt wenige hundert Meter entfernt in der Heilbronner Straße bereits eine sehr lange Tunnelrampe für die Stadtbahn. Wir brauchen diese hässlichen Tunnelrampen nicht an jeder Ecke. Man könnte selbstverständlich einwenden, dass die Bebauung des A1-Gebiets so hässlich ist, dass es da auf eine hässliche Tunnelrampe mehr oder weniger nicht mehr ankommt. Aber vielleicht gibt es ja bald eine Generation von Architekten und Stadtplanern, die die Ästhektik des Städtebaus wieder in den Vordergrund stellt. Man sollte die Hoffnung nicht aufgeben.
Fazit
Der geplante neue Tunnel neben der Heilbronner Straße und der Abzweig ins A1-Gebiet dürfen nicht gebaut werden, wenn Stuttgart 21 gestoppt wird. Und bis eine Entscheidung über den Stopp von Stuttgart 21 gefallen ist, darf auf keinen Fall mit den Bauarbeiten begonnen werden.
Dies ist nicht nur eine Angelegenheit der zuständigen parlamentarischen Gremien. Dies betrifft auch das Verkehrsministerium Baden-Württemberg als Zuwendungsgeber. Es besteht die Vermutung, dass der Abzweig ins A1-Gebiet und die Haltestelle Budapester Platz unwirtschaftlich sind, selbst bei einem Bau von Stuttgart 21. Dem Verkehrsministerium wäre somit anzuraten, die Zuwendungen zu überprüfen und ggf. zurückzuziehen.
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