Mittwoch, 29. April 2020

Ausbau der S-Bahn in der Region Stuttgart im Schatten von Stuttgart 21

Der für die Stuttgarter S-Bahn zuständige Verband Region Stuttgart hat ein größeres Investitionspaket für die Stuttgarter S-Bahn beschlossen. Wir sehen uns heute hier in diesem Blog die einzelnen Komponenten des Investitionspakets näher an und stellen jeweils Verbindungen zu Stuttgart 21 her.

Es wird sich herausstellen, dass das Projekt Stuttgart 21 viele der jetzt geplanten Investitionen in die S-Bahn verzögert hat. Zudem geht der Verband Region Stuttgart bei der Stuttgarter S-Bahn wegen Stuttgart 21 eine ungewisse Wette auf die Zukunft ein.

Vierte S-Bahnlinie durch den Hasenbergtunnel nach S-Vaihingen
Der Verband Region Stuttgart möchte eine vierte S-Bahnlinie durch den Hasenbergtunnel nach S-Vaihingen führen. Hierfür kommt eine der drei jetzt beim S-Bahnhaltepunkt Schwabstraße wendenden S-Bahnlinien in Frage.

Diese Maßnahme hätte seit Jahrzehnten bereits durchgeführt werden können. Für diese Maßnahme sind lediglich der Kauf zusätzlicher S-Bahnzüge sowie ggf. ein etwas engerer Signalabstand im Hasenbergtunnel erforderlich. Es ist zu vermuten, dass diese Maßnahme wegen Stuttgart 21 und den damit verbundenen Aufwendungen bisher nicht durchgeführt werden konnte. Das ETCS-Signalsystem benötigt man für diese Maßnahme nicht.


Weitere S-Bahnlinie nach Böblingen und Ehningen
Die durch den Hasenbergtunnel fahrende vierte S-Bahnlinie soll nach Böblingen und mit Endstation Ehningen verlängert werden.

Hier stellt sich jetzt die Frage, warum diese Linie nicht bis zum S-Bahnhaltepunkt Herrenberg verlängert wird. Der Grund ist das fehlende dritte Gleis zwischen Böblingen und Herrenberg. Dieses fehlende Gleis führt ja auch dazu, dass heute alle zwei Stunden eine Taktlücke im 15-Minuten-Takt der S-Bahn zwischen Böblingen und Herrenberg besteht. Diese Taktlücke entsteht wegen des zweistündlich verkehrenden Fernzugs.

Die Taktlücke wird durch die geplanten Maßnahmen für die Stuttgarter S-Bahn nicht beseitigt werden. Dazu benötigt es das dritte Gleis zwischen Böblingen und Herrenberg.

Diese Maßnahme des dritten Gleises sowie auch eine zusätzliche S-Bahnlinie zwischen Schwabstraße und Herrenberg hätte man ohne Stuttgart 21 bereits seit Jahrzehnten in Angriff nehmen können. Das ETCS-Signalsystem benötigt man für diese Maßnahme nicht.

Verlängerung der S-Bahn nach Nürtingen
Die Stadt Nürtingen soll an das S-Bahnnetz angeschlossen werden, indem die Züge der S-Bahn im Bahnhof Wendlingen getrennt bzw. zusammengekuppelt werden. Der eine Teil der Züge fährt wie bisher nach Kirchheim unter Teck. Der andere Teil fährt neu nach Nürtingen.

Auch diese Maßnahme hätte man bereits seit Jahrzehnten angehen können. Und auch hier ist es wahrscheinlich, dass Stuttgart 21 diese Maßnahme verzögert hat. Der Verband Region Stuttgart ist ja auch bei Stuttgart 21 finanziell gefragt.

Zusätzliche S-Bahn zwischen Leonberg und Feuerbach
Es soll eine Verstärker-S-Bahn zwischen Leonberg und S-Feuerbach fahren. Auch diese Maßnahme hätte man bereits vor Jahren in die Wege leiten können. Sie hat technisch nichts mit Stuttgart 21 und dem Sicherungssystem ETCS zu tun. Sie hat allenfalls finanziell etwas mit Stuttgart 21 zu tun. Denn auch der Verband Region Stuttgart kann jeden Euro nur einmal ausgeben.

Neue europäische Signal- und Sicherungstechnik ETCS für die Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn
Das gesamte S-Bahnetz einschließlich der Stammstrecke soll auf die neue europäische Signal- und Sicherungstechnik ETCS umgestellt werden. Hiervon erhofft sich der Verband Region Stuttgart, dass auf der Stammstrecke die Züge in einem noch dichteren Takt verkehren können.

Beim zweiten Blick auf die Sache stößt man auf Merkwürdigkeiten. Alle anderen Metropolen in Europa gehen beim Ausbau ihrer Schnellbahnsysteme einen anderen Weg. Sie verdichten nicht die Taktfolge auf den Stammstrecken. Statt dessen streben sie zusätzliche Gleise an. Warum die Region Stuttgart auch bei der Stammstrecke für die S-Bahn der europäische Außenseiter sein will, wurde bisher nicht schlüssig beantwortet.

Sehen wir uns mal kurz die S-Bahn München an. Ein ganz wesentlicher Grund für den Bau der Zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn ist die Entlastung der Ersten Stammstrecke. Im Verlauf der Ersten Stammstrecke soll die Zahl der Züge pro Stunde und Richtung von heute 30 auf zukünftig 20 vermindert werden. Davon erhofft man sich eine größere Regelmäßigkeit und Pünktlichkeit sowie auch eine Beschleunigung der Züge.

Auch bei der Hamburger S-Bahn, die ja als eine der wenigen in Deutschland bereits zwei Stammstrecken besitzt, wird jede Stammstrecke maximal im Dreiminutentakt befahren. Es wird jetzt sogar der Bau einer weiteren Stammstrecke für die Hamburger S-Bahn ins Auge gefasst, weil die Gleise der über den Haltepunkt Dammtor führenden S-Bahn-Stammstrecke zukünftig zusätzlich für den Regional- und Fernverkehr zur Verfügung stehen sollen.

Warum ist Stuttgart auch in Bezug auf die S-Bahn-Stammstrecke der europäische Außenseiter?
Die Region Stuttgart ist in verkehrlicher Hinsicht der Außenseiter in Europa. 
  • Es gibt bei der Stuttgarter Stadtbahn nur zwei Stammstrecken.
  • Die Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn verbindet die beiden Hauptzufahrten nicht direkt miteinander, weshalb die Hälfte der S-Bahnzüge in der Stammstrecke durch eine riesige Tunnelschleife wenden muss.
  • Der Umbau ("Ausbau") des Bahnknotens Stuttgart wird in Form eines Alles-oder-Nichts-Projekts durchgeführt (Stuttgart 21).
  • Es gibt im Straßennetz eine Überbetonung der Radialstraßen und keinen Mittleren Ring oder Außenring.
Warum also spielt Stuttgart seine Außenseiterrolle jetzt konsequent weiter - auch in Bezug auf die verkehrliche Konfiguration der S-Bahn-Stammstrecke?

Auch hier wird man bei Stuttgart 21 fündig. Wir haben bei diesem Projekt ja das Phänomen, dass die im Rahmen der Stuttgart 21-Propaganda versprochenen Parameter ("Verdoppelung der Leistungsfähigkeit" usw.) nicht eingehalten werden können. Seit Jahren versucht man nun fieberhaft, durch Nachrüstungen doch noch ein wenig an die damaligen Versprechungen heranzukommen. Zum Beispiel:
  • Es gibt einen zusätzlichen Regionalbahnhof Vaihingen, weil die Führung aller Züge der Gäubahn über den Flughafen nicht funktioniert.
  • Es gibt ein drittes Gleis für die Gäubahn beim Flughafenbahnhof.
  • Es gibt ein zweites Gleis bei der Wendlinger Kurve.
  • Es gibt ein fünftes und sechstes Gleis für die Zufahrt Zuffenhausen.
  • Anstatt wie ursprünglich geplant einstöckige Züge sollen jetzt im Reginalverkehr Doppelstockzüge zum Einsatz kommen.
  • Noch nicht beschlossen, aber zu erwarten ist die Aufgabe der Führung der Gäubahn über den Flughafen und statt dessen ihre Führung über die Panoramastrecke zu einem ergänzenden Kopfbahnhof.
  • Stuttgart soll der erste digitale Schienenknoten in Deutschland werden (ETCS).
Eine ungewisse Wette auf die Zukunft
Und genau dieser letzte Punkt betrifft auch die S-Bahn, die jetzt zwangläufig ebenfalls auf ETCS umgerüstet werden muss -  auch wenn es bessere Alternativen gäbe und auch wenn alle europäischen Metropolen etwas anderes machen.

Diese Einführung von ETCS für den gesamten Bahnknoten Stuttgart einschließlich der S-Bahn ist auch eine ganz ungewisse Wette auf die Zukunft. Denn jetzt ist das Alles-oder-Nichts-Projekt Stuttgart 21 auch noch von einem Versuch, von einem Prototyp abhängig. Dann mal viel Glück. Den Inbetriebnahmetermin 2025 kann man unter diesen Randbedingungen wohl bald korrigieren.    

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