Donnerstag, 20. Februar 2020

Hamburger Bahnpläne versus Stuttgart 21

Das Projekt Stuttgart 21 ist der Außenseiter unter den Verkehrsprojekten in Europa, sowohl was das Zustandekommen als auch was den Inhalt betrifft.

Umso wichtiger ist es in diesem Kontext, immer wieder die Bahnpläne anderer Regionen in Europa zu betrachten und sie den Stuttgarter Verhältnissen gegenüberzustellen. Im heutigen Post in diesem Blog geht es um die Bahnpläne in Hamburg.

Die Hamburger S-Bahn
Die Hamburger S-Bahn hat zwei Stammstrecken. Bereits im Jahr 1979 wurde in Hamburg die zweite Stammstrecke für die S-Bahn eröffnet. Seitdem hat das Hamburger S-Bahnnetz eine große Kapazität. Zudem ist das Verkehrsaufkommen auf beiden Seiten der beiden Stammstrecken in etwa gleich groß. Das garantiert einen hocheffektiven, wirtschaftlichen Betrieb.

Die Stuttgarter S-Bahn
In Stuttgart gibt es nach wie vor nur eine Stammstrecke für die S-Bahn. Schlimmer noch ist, dass das Verkehrsaufkommen auf beiden Seiten der Stammstrecke extrem ungleichmäßig verteilt ist. Das führt dazu, dass die Hälfte aller Züge der Stuttgarter S-Bahn am westlichen Ende der Stammstrecke enden und wenden müssen. Weitere Züge enden in Stuttgart-Vaihingen.


Die fehlende zweite Stammstrecke für die Stuttgarter S-Bahn sowie die ungünstige Struktur des Stuttgarter S-Bahnnetzes sind auch auf das Projekt Stuttgart 21 zurückzuführen. Dieses Projekt hat Planungen für eine zweite Stammstrecke nun schon mehrere Jahrzehnte blockiert und wird eine solche Stammstrecke auch baulich zukünftig fast unmöglich machen.

Die Hamburger U-Bahn
Zur Zeit verfügt die Hamburger U-Bahn über drei Stammstecken. Das ist immerhin eine Stammstrecke mehr als bei der Stuttgarter Stadtbahn. In Hamburg soll im Jahr 2021 Baubeginn für die neue U5 sein, eine zwanzig Kilometer lange neue U-Bahnlinie, die fahrerlos und mit Bahnsteigtüren verkehren soll. Die neue U5 soll zunächst einmal viele Stadtteile Hamburgs an das U-Bahnnetz anschließen, die zur Zeit noch keinen Anschluss an die Stadtbahn haben.

Genauso wichtig ist jedoch, dass die U5 in der Hamburger Innenstadt eine eigene, neue Stammstrecke bekommen soll. Das ist dann die vierte Stammstrecke für die Hamburger U-Bahn. In Hamburg ist der Begriff der Stammstrecke sowie die leistungsbestimmenden Eigenschaften der Zahl der Stammstrecken sehr wohl bekannt - wie auch in vielen anderen Regionen Europas.

Die Stuttgarter Stadtbahn
Als einziges städtisches Schienenverkehrssystem unter den vergleichbaren Städten in Deutschland hat die Stuttgarter Stadtbahn nur zwei Stammstrecken. Das schränkt die Kapazität der Stadtbahn massiv ein und macht es unmöglich, dass die Stadtbahn die prognostizierten Verkehrszuwächse aufnehmen kann.

Bisher gibt es zumindest in der Öffentlichkeit keinerlei Planungen für eine dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn. Wenn man dies mit anderen Regionen in Europa vergleicht, bekommt man den Eindruck, dass man in Stuttgart in einer Parallelwelt lebt. Während in anderen Regionen Europas die Politiker und die Exektive genau wissen, was eine Stammstrecke ist und dass zusätzliche Stammstrecken erforderlich sind, scheint man in Stuttgart diesbezüglich im Tal der Ahnungslosen zu sein. Auch hier spielt das Projekt Stuttgart 21 eine Rolle, indem es die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht und für andere Dinge keinen Raum lässt.

Im für solche Dinge maßgebenden Nahverkehrsplan, Ausgabe 2016, für die Landeshauptstadt Stuttgart ist jedenfalls keine Rede von einer dritten Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn. Das Landesverkehrsministerium hat bei der Verabschiedung dieses Nahverkehrsplans sehr wohl angemerkt, dass es auffällig ist, dass dieser Plan keine richtigen kapazitätssteigernden Maßnahmen im Kern des Stuttgarter Stadtbahnnetzes vorsieht. Das Landesverkehrsministerium hat es jedoch anscheinend unterlassen, eine diesbezügliche Überarbeitung des Nahverkehrsplans zu fordern.

Der Bahnhof Hamburg-Altona
Der Bahnhof Hamburg-Altona soll neugebaut und verlegt werden. Hier wurden verschiedentlich Parallelen zu Stuttgart 21 gezogen. Das gefällt mir überhaupt nicht. Denn durch solche Vergleiche wird die Singularität von Stuttgart 21 verwischt. Selbstverständlich kann man über die Sinnhaftigkeit des neuen Bahnhofs Hamburg-Altona streiten. Es handelt sich hier jedoch nicht um den wichtigsten Bahnhof in Hamburg. Das ist der Hamburger Hauptbahnhof. 

Der Vergleicht hinkt sicherlich ein wenig. Aber Hamburg Altona ist so etwas ähnliches wie Stuttgart-Bad Cannstatt. Heute hat Stuttgart Bad Cannstatt acht Gleise, davon zwei für die S-Bahn. Interessanterweise soll der neue Bahnhof Altona ebenfalls acht Gleise, davon zwei für die S-Bahn bekommen. Beim Projekt Stuttgart 21 soll jedoch die Gleiszahl in Bad Cannstatt reduziert werden.

Der Bahnhof Hamburg-Hauptbahnhof
Dies ist der wichtigste Bahnhof in Hamburg. Der Bahnhof hat acht Gleise für den Fern- und Regionalverkehr und vier Gleise für die S-Bahn. Unbestritten gilt der Hamburger Hauptbahnhof als extrem überlastet. Ebenfalls unbestritten ist, dass der Hamburger Hauptbahnhof ausgebaut werden muss.

Vor einigen Monaten wurde ein Ausbauvorschlag präsentiert, der zwei zusätzliche Gleise für den Fern- und Regionalverkehr vorsieht. Das soll dadurch erreicht werden, dass die S-Bahn, die zur Zeit noch zwei Gleise in der eigentlichen Bahnhofshalle beansprucht, einen zusätzlichen Tunnel neben dem Hauptbahnhof erhält. Damit können die beiden heutigen S-Bahngleise in der Bahnsteighalle dem Fern- und Regionalverkehr zugeschlagen werden.

Obwohl auch dieser Ausbau eine Menge Geld kostet (Bahnausbauten in den Städten sind immer kostspielig), wurden die Pläne einhellig begrüßt. Eine nennenswerte Widerstandsbewegung wie bei Stuttgart 21 gibt es nicht. Das aber ist kein Wunder. Denn die Menschen spüren, wenn die hinter einem Projekt stehenden Motive ehrlich sind und wenn es sich um einen tatsächlichen Ausbau ohne Wenn und Aber handelt.

Stuttgart 21 ist kein Bahnausbau ohne Wenn und Aber
Die Reduzierung der Bahnhofsgleise von 16 auf 8, der Nicht-Ausbau der wichtigen Zufahrt Zuffenhausen sowie die zahlreichen neuen Engstellen an der Peripherie von Stuttgart 21 machen Stuttgart 21 zu einem Projekt, das alles mögliche ist, aber nicht ein Bahnausbau ohne Wenn und Aber. Das spüren die Menschen.

Zusätzliche Gleise wie in Hamburg können beim Stuttgart 21-Tiefbahnhof nicht gebaut werden. Es müssen deshalb jetzt die Weichen für einen ergänzenden Kopfbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof gestellt werden. Dieser Kopfbahnhof ermöglicht es, auch einige andere Defizite von Stuttgart 21 zu beseitigen. Denn dadurch wird das fünfte und sechste Gleis der Zufahrt Zuffenhausen möglich. Dadurch wird auch die direkte Führung der Gäubahn über die Panoramastrecke zum Kopfbahnhof möglich, ohne die wohl nicht fahrbare Mischverkehrsstrecken-Aneinanderreihung Herrenberg-Rohrer Kurve-Flughafen-Fildertunnel.     

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