Samstag, 18. Januar 2020

Das Hin und Her bei den Doppelstockzügen zeigt die Kapazitätsprobleme von Stuttgart 21

Bei der Erörterungsverhandlung zum Abstellbahnhof Untertürkheim des Projekts Stuttgart 21 hat der Vertreter des baden-württembergischen Verkehrsministeriums, Gerd Hickmann, angekündigt, dass das Land Baden-Württemberg auf verschiedenen Regionalverkehrsstrecken im Raum Stuttgart wieder Doppelstockzüge einsetzen will.

Diese Ankündigung wie auch das mehrmalige Hin und Her beim Einsatz von Doppelstockzügen ist ein Hinweis auf Kapazitätsprobleme beim Projekt Stuttgart 21.

In der Bundesrepublik Deutschland gab es in der Zeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Wiedervereinigung keine Doppelstockzüge. Man kannte solche Züge allenfalls von Reisen nach Frankreich, aber auch von der DDR. Nach der Wiedervereinigung wurden unter anderem auch in Baden-Württemberg Doppelstockzüge eingeführt. Der frühere Landesverkehrsminister Hermann Schaufler nannte die Doppelstockzüge ein Geschenk der Wiedervereinigung. Er bezog sich dabei darauf, dass ohne die Vorleistungen der DDR ein Doppelstockeinsatz in Baden-Württemberg wohl nicht stattgefunden hätte. Die Doppelstockzüge gehörten in der Tat zu den ganz wenigen Dingen der DDR, die für Gesamtdeutschland übernommen worden sind. Ansonsten war die Wiedervereinigung ja eher eine Einbahnstraße von West nach Ost.


Die Wendungen beim Einsatz von Doppelstockzügen
Im Zusammenhang mit der Ausschreibung von Nahverkehrsleistungen in Baden-Württemberg gegen Ende der Zehnerjahre dieses Jahrhunderts gab es eine zweite Wendung. Doppelstockzüge schienen nun wieder eine Sache von gestern zu sein. Die neu ausgeschriebenen Verkehrsleistungen sahen keine Doppelstockzüge mehr vor. Auf Strecken, die bisher mit Doppelstockzügen bedient wurden (z.B. IRE Stuttgart-Karlsruhe) kamen wieder einstöckige Züge zum Einsatz.

Die dritte Wendung beim Sachverhalt der Doppelstockzüge hat jetzt Gert Hickmann vollzogen, indem er ankündigte, dass das Land in absehbarer Zeit ca. 200 Doppelstockzüge bestellen wird und die jetzt im Einsatz stehenden einstöckigen Züge dann aus dem Stuttgarter Raum wieder abgezogen und in fernere Landesteile überstellt würden.

Nun sind Doppelstockzüge stets auch mit verschiedenen Nachteilen behaftet. Dies erklärt zum Teil die zweite Wendung in BaWü in Sachen Doppelstockzüge und lässt den Beobachter angesichts der jetzt angekündigten dritten Wendung sprachlos zurück.

Doppelstockzüge haben nicht wenige Nachteile 
So sind die lokbespannten Doppelstockzüge relativ schwer. Dadurch haben diese Züge relativ kleine Beschleunigungwerte. Die Zahl der Wagen pro Zug ist auf fünf begrenzt. Die Innenräume sind relativ eng und unbequem. Die Kopffreiheit ist teilweise problematisch. Im Zug muss man zum Teil Treppen steigen.

Der gravierendste Nachteil ist jedoch das schlechte Verhältnis der Zahl der Sitz- und Stehplätze zur Zahl der Türen. Das führt zu einem relativ langen Fahrgastwechsel. Das wiederum war auch der Hauptgrund, weshalb während der Vorplanungen zu Stuttgart 21 davon ausgegangen wurde, dass bei einer Eröffnung von Stuttgart 21 Doppelstockzüge nicht mehr fahren werden.

Während des Sach- und Faktenchecks unter Heiner Geißler waren die Nachteile der Doppelstockzüge bekannt 
Gert Hickmann selbst hat sich vor einigen Jahren dieser Thematik angenommen. Während des Sach- und Faktenchecks zu Stuttgart 21 unter Heiner Geißler war Gert Hickmann als Gegner von Stuttgart 21 anwesend. Gert Hickmann spielte während des Sach- und Faktenchecks einen Film vor, der den Fahrgastwechsel bei einem IRE im Stuttgarter Hauptbahnhof zeigt. In diesem über vier Minuten dauernden, eindrucksvollen Film wurde die These der Stuttgart 21-Befürworter widerlegt, dass die Züge im Stuttgart 21-Tiefbahnhof nur eine Haltezeit von zwei Minuten haben werden.

Tatsächlich dauerte der Fahrgastwechsel beim IRE, der im Film gezeigt wurde, über vier Minuten. Es stiegen zahlreiche Fahrgäste aus und wieder ein. Es waren auch Fahrgäste mit Koffern, mit Kinderwagen und mit Fahrrädern darunter. Das alles dauerte seine Zeit - eben über vier Minuten.

Stuttgart 21 befindet sich hier in einer Zwickmühle. Eigentlich sollen die Züge im nur achtgleisigen Hauptbahnhof nur ganz kurz halten, was Doppelstockzüge eher ausschließt. Andererseits werden jetzt anscheinend doch Doppelstockzüge gebraucht, um die prognostizierten Fahrgastzahlen handeln zu können.

Stuttgart 21 ist der Außenseiter in Europa
Beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa war es stets so, dass neu zu eröffende Verkehrsbauwerke zunächst mal größere Kapazitätsreserven aufwiesen und erst im Laufe mehrerer bzw. vieler Jahre diese Bauwerke an ihre Kapazitätsgrenzen gekommen sind. Das galt für neue Autobahnen ebenso wie für neue Flughäfen, für neue Hochgeschwindigkeitsbahnstrecken ebenso für neue Wasserstraßen, für neue U-Bahnstrecken ebenso wie für neue S-Bahnen.

Stuttgart 21 ist hier ganz anders. Es ist ein eigentlicher Außenseiter in Europa. Denn dieses Projekt wird bereits bei der Eröffnung an der Kapazitätsgrenze angekommen sein bzw. diese bereits überschritten haben. Dies aber ist auch nur konsequent, denn einmalig in Europa vollzog sich der Urknall von Stuttgart 21 nicht wegen des Bestrebens einer massiven Leistungssteigerung des Bahnknotens Stuttgart, sondern wegen der Aussicht auf freie Grundstücke.

Von der mangelnden Kapazität von Stuttgart 21 zeugen der Eiertanz in Sachen Doppelstockzüge, aber auch die jetzt bereits fest eingeplanten Doppelbelegungen im Bahnhof. Solche Doppelbelegungen sind eigentlich eine Sache, die bei einem Neubau vermieden werden sollte und die bei einigen Bestandsbauten nur deshalb eingerichtet ist, weil es gar nicht mehr anders geht. Wer aber mal mitgemacht hat, mit welch langsamer Geschwindigkeit und mit welchem Zeitaufwand sich die Züge in einen doppelbelegten Gleisabschnitt hineinbewegen, wird die Doppelbelegung ablehnen.

Fazit
Die jetzt angekündigte dritte Wendung in Sachen Doppelstockzüge ist ein Indiz für die Überlastung von Stuttgart 21 gleich von Beginn an. Man kann aus heutiger Sicht sich jedoch erst mal zurücklehnen und die Entwicklung weiter beobachten. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden wir doch noch einen ergänzenden Kopfbahnhof sowie das fünfte und sechste Gleis der Zufahrt Zuffenhausen sowie die Beibehaltung der Panoramastrecke der Gäubahn bekommen.

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