Mittwoch, 24. Juli 2019

Zielfahrplan 2030+ des Deutschland-Takts bestätigt Unfahrbarkeit der Gäubahnführung über den Stuttgarter Flughafen

Die beim Projekt Stuttgart 21 geplante Führung der Gäubahn über den Stuttgarter Flughafen ist unfahrbar. Das wurde hier in diesem Blog vielfach dargelegt.

Die These der Unfahrbarkeit der Gäubahnführung über den Stuttgarter Flughafen gründete sich hierbei auf Plausibilitätsbetrachtungen. Nun liegt mit dem Zielfahrplan 2030+ des Deutschland-Takts (Erster Gutachterentwurf für Baden-Württemberg, Stand 09.10.2018, veröffentlicht auf deutschland-takt.de) ein konkreter Fahrplanentwurf vor. Dieser Fahrplanentwurf soll für den Abschnitt von Stuttgart-Rohr bis zum Flughafen heute näher betrachtet werden.

Die Plausibilitätsbetrachtung
Die Plausibiliätsbetrachtung der Fahrbahrkeit der Gäubahnführung über den Flughafen kann eine genaue Fahrplananalyse nicht ersetzen. Sie steht jedoch vor einer genauen Fahrplananalyse und bietet bereits wichtige Hinweise für die nachfolgende Fahrplananalyse.

Im Rahmen der Plausibilitätsbetrachtung wurde hier in diesem Blog die Führung der Gäubahn über den Flughafen vielfach als unfahrbar eingestuft. Das gründet sich auf die Vielzahl der unmittelbar aufeinanderfolgenden Engstellen im Streckenverlauf sowie auf den Umstand, dass die Gäubahn von Herrenberg über S-Rohr zum Flughafen sich gleich in zwei unmittelbar angrenzende, unterschiedliche Taktsysteme der S-Bahn einpassen muss. Vergleiche mit anderen Strecken in Deutschland brachten zudem das Ergebnis, dass eine derartige Aufeinanderfolge von Engstellen sowie die erforderliche Einpassung in gleich zwei unterschiedliche S-Bahn-Taktsysteme nirgendwo in Deutschland vorhanden ist.


Nochmal kurz zusammengefasst die Engstellen für die Gäubahn zwischen Herrenberg und dem Stuttgarter Flughafen:
  • Mischbetrieb S-Bahn/Regionalzüge/Fernzüge zwischen Herrenberg und S-Rohr
  • Mischbetrieb S-Bahn/Regionalzüge/Fernzüge zwischen S-Rohr und Flughafen
  • Gleich zwei hintereinanderfolgende Mischbetriebsstrecken mit unterschiedlicher Taktung der S-Bahn
  • Höhengleiche Ausfädelung der Gäubahn Richtung Böblingen von der S-Bahnstrecke Rohr-Flughafen bei S-Rohr
  • Begegnungsverbot (betrieblich eingleisige Strecke) von S-Rohr bis Flughafen zwischen Fernzügen und Regionalzügen als Folge der Ausnahmegenehmigung des Bundesverkehrsministers
  • Höhengleiche Gleiskreuzung zwischen der S-Bahn Richtung Hauptbahnhof und der Gäubahn Richtung Hauptbahnhof beim Flughafen
  • Eingleisiger Flughafenbahnhof für die Gäubahn

Das Fahrplanangebot für die Gäubahn im Zielfahrplan 2030+
Für die Gäubahn sind vier Züge pro Stunde und Richtung vorgesehen. Drei davon fahren über den Flughafen. Einer fährt nach Stuttgart-Vaihingen. Das sind die vier Züge pro Stunde und Richtung:
  • IC Stuttgart-Zürich und zurück (über Flughafen)
  • Regionalzug Stuttgart-Villingen und zurück (über Flughafen)
  • Regionalzug Stuttgart-Freudenstadt und zurück (über Flughafen)
  • Regionalzug Stuttgart-Horb und zurück (ab/bis Vaihingen)
Erste Engstelle: Betrieblich eingleisige Strecke (Begegnungsverbot) zwischen Flughafen und Rohr für Regional- und Fernzüge als Folge der Ausnahmegenehmigung des Bundesverkehrsministeriums
Die Ausnahmegenehmigung des Bundesverkehrsministeriums für den Mischbetrieb auf der Flughafen-S-Bahn spricht die folgenden Auflage aus:  

"Es ist sicherzustellen, dass bei einem unvorhergesehenen Halt eines Zuges unverzüglich andere Züge in diesem Bereich durch Notruf angehalten werden sowie der zuständige Fahrdienstleiter verständigt wird und dieser beide Streckengleise sperrt. Dies gilt unabhängig davon, ob unbefugt eine Außentür geöffnet oder eine Tür-Notentriegelung betätigt wird."

Diese Auflage kann nur dann vollständig erfüllt werden, wenn sowohl fahrplanmäßig als auch außerfahrplanmäßig eine Zugsbegegnung von Fern- und Regionalzügen zwischen S-Rohr und dem Flughafen ausgeschlossen wird. Es läuft somit auf eine in betrieblicher Hinsicht eingleisige Strecke für die Regional- und Fernzüge zwischen S-Rohr und dem Flughafen hinaus.

Trotzdem begegnen sich im Zielfahrplan 2030+ des Deutschland-Takts der IC Stuttgart-Zürich und der IC Zürich-Stuttgart zwischen Oberaichen und Leinfelden.

Der Regionalzug Richtung Freudenstadt und der Regionalzug von Villingen begegnen sich zwischen Echterdingen und dem Flughafen. Ebenso begegnen sich der Regionalzug nach Villingen und der Regionalzug von Freudenstadt zwischen Echterdingen und dem Flughafen.

Zweite Engstelle: Höhengleiche Gleiskreuzung zwischen der S-Bahn vom Flughafen Richtung Vaihingen und der Gäubahn von Böblingen Richtung Hauptbahnhof beim Flughafenbahnhof
Um zum neuen dritten Gleis des Flughafenbahnhofs zu kommen, muss die Gäubahn aus Richtung Böblingen das Gleis der S-Bahn vom Flughafenbahnhof nach Vaihingen höhengleich kreuzen.

Dies sind die Abfahrtszeiten der S-Bahn Richtung Vaihingen beim Flughafenbahnhof: Minuten 08, 18, 38 und 48.

Dies sind die Ankunftszeiten der Gäubahn aus Richtung Böblingen im Flughafenbahnhof: Minuten 03, 16 und 46.

Damit liegen zwischen der Ankunft der Gäubahn zur Minute 16 im Flughafenbahnhof (= Auflösung der Fahrstraße) und der Abfahrt der S-Bahn Richtung Vaihingen (= Freigabe der Fahrstraße) nur 2 Minuten. Dasselbe gilt für die Ankunft der Gäubahn zur Minute 46 und der Abfahrt der S-Bahn zur Minute 48.

Dies wird bei der geringsten Verspätung der Gäubahnzüge zu Folgeverspätungen für die S-Bahn führen und widerspricht dem Grundsatz, dass zwischen Zügen, die dasselbe Gleis benutzen, eine Bruttozeitlücke von 3 Minuten liegen sollte.

Dritte Engstelle: Gleich zwei hintereinanderfolgende Mischbetriebsstrecken mit unterschiedlicher Taktung der S-Bahn
Bereits eine einzige Mischbetriebsstrecke S-Bahn/Regionalbahn/Fernbahn führt vielfach zu betrieblichen Erschwernissen in der Form von Fahrzeitverlängerungen und Folgeverspätungen.

Der Umstand, dass die Gäubahn zwischen Herrenberg und dem Flughafen sich gleich in zwei Mischbetriebsstrecken mit unterschiedlicher Taktung der S-Bahn einfügen muss, verschärft die Verspätungssituation. Verlässt die Gäubahn die erste Mischbetriebsstrecke bereits mit Verspätung, behindert sich zwangsläufig die S-Bahn im Verlauf der zweiten Mischbetriebsstrecke, weil sie dort dann der Fahrplantrasse der S-Bahn zu nahe kommt oder diese sogar belegt. Dadurch kommt es für diese S-Bahn zu Verspätungen oder man hält die Gäubahn vor der Einfahrt in die zweite Mischbetriebsstrecke an, was wiederum zu großen Verspätungen für die Gäubahn führt.  

Vierte Engstelle: Eingleisiger Bahnhof für die Gäubahn am Flughafen
Der Zielfahrplan 2030+ des Deutschlandtakts gibt die folgenden Zeiten vor:
Ankunft der Gäubahnzüge von Böblingen: Minuten 03, 16, 46
Abfahrt der Gäubahnzüge nach Stuttgart-Hauptbahnhof: Minuten 05, 18, 48
Ankunft der Gäubahnzüge von Stuttgart-Hauptbahnhof: Minuten 12, 42, 52
Abfahrt der Gäubahnzüge nach Böblingen: Minuten 14, 44, 54

Sehen wir uns den Ablauf mal beispielhaft für den Zeitbereich von Minute 14 bis Minute 20 genauer an:
1. Zur Minute 14 muss die Fahrstraße für die Gäubahn vom Flughafenbahnhof in Richtung S-Rohr geschaltet sein.
2. Nehmen wir mal an, der Zug der Gäubahn ist pünktlich und fährt zur Minute 14 tatsächlich am Flughafenbahnhof ab.
3. Die Fahrstraße direkt beim Flughafenbahnhof kann dann zur Minute 15 aufgelöst werden.
4. Es kann dann eine Fahrstraße für den Zug der Gäubahn von Böblingen zum Flughafenbahnhof geschaltet werden. Diese Fahrstraße ist dann ca. zur Minute 15 und ca. 20 Sekunden geschaltet.
5. Um eine freie Fahrt ohne Abbremsen und ohne Halt auf der freien Strecke für den Zug von Böblingen zu garantieren, muss der Zug von Böblingen zum Zeitpunkt der Schaltung seiner Fahrstraße beim Flughafenbahnhof nach ca. ein bis zwei Kilometer vom eingleisigen Flughafenbahnhof entfernt sein.
6. Der Zug aus Böblingen kann also ca. zur Minute 18 bis 20 in den Flughafenbahnhof einfahren. Gemäß dem Zielfahrplan 2030+ des Deutschlandtakts ist der Zug aus Böblingen jedoch zur Minute 16 bereits im Flughafenbahnhof.

Man sieht an diesem Beispiel somit (und es gibt hier weitere gleichgeartete Beispiele), dass die ganze Sache viel zu eng getaktet ist. Das ist in der Praxis nicht fahrbar und führt zu regelmäßigen Verspätungen, die dann wiederum Folgeverspätungen nach sich ziehen. 

Fünfte Engstelle: Höhengleiche Ausfädelung der Gäubahn Richtung Böblingen aus der S-Bahnstrecke Rohr-Flughafen bei S-Rohr
Die Gleisgeometrie ist so, dass die Gäubahn vom Flughafen nach Böblingen und die S-Bahn von S-Rohr zum Flughafen ein kurzes Gleisstück gemeinsam haben (eingleisiger Zweirichtungsbetrieb).

Dies sind die Abfahrtszeiten der S-Bahn in Rohr: Minuten 02, 11, 32, 41. Hierbei fällt auf, dass die heutigen Abfahrtszeiten der S-Bahn zu den Minuten 12 und 42 bereits um eine Minute vorgezogen wurden. Der heutige 10/20-Minuten-Stottertakt der S-Bahn zum Flughafen verschlechtert sich also weiter und wird zum 9/21-Minuten-Stottertakt.

Das sind die Ankunftszeiten der Gäubahn vom Flughafen bei der Rohrer Kurve: Minuten 19, 49 und 59. Die Gäubahn verlässt den Bereich der Rohrer Kurve ca. eine Minute später zu den Minuten 20, 50 und 00. 

Bereits zwei Minuten nach dem Verlassen des Bereichs der Rohrer Kurve des fahrplanmäßigen Zuges der Gäubahn muss die Fahrstraße für die S-Bahn, die zur Minute 02 in Rohr abfährt, frei sein. Das ist ein zu enger Abstand und führt dazu, dass bei der geringsten Verspätung der Gäubahn die S-Bahn ebenfalls verspätet wird. 

Sechste Engstelle: Mischbetrieb S-Bahn/Fernbahn/Regionalbahn zwischen S-Rohr und dem Flughafen
Kennzeichnend für diesen Mischbetrieb ist, dass auch in das Zehn-Minuten-Intervall der S-Bahn jeweils ein Zug der Gäubahn gepresst werden soll. Das gibt es bisher im Bereich der Stuttgarter S-Bahn nicht. Die bestehenden Mischbetriebe (z.B. Waiblingen-Backnang, Waiblingen-Schorndorf, Bad Cannstatt-Plochingen oder Rohr-Herrenberg) sind dadurch gekennzeichnet, dass die S-Bahn jeweils im 15 Minuten-Takt fährt. Dort passt mit Ach und Krach jeweils noch ein Regionalzug zwischen die beiden S-Bahnen.

Beim 10 Minuten-Takt wird es jedoch eng. Konkret verlässt die S-Bahn den Flughafen zu den Minuten 08 und 18 (10 Minuten-Intervall des Stottertakts) sowie zu den Minuten 38 und 48. Der Regionalzug nach Villingen verlässt den Bahnhof Flughafen zur Minute 14. Der Regionalzug nach Freudenstadt verlässt den Bahnhof Flughafen zur Minute 44.

Der Regionalzug nach Villingen fährt somit 6 Minuten hinter der S-Bahn auf die Mischbetriebsstrecke. Die S-Bahn, die zur Minute 08 beim Flughafen abfährt, erreicht S-Rohr zur Minute 17. Der Regionalzug nach Villingen fährt zur Minute 14 beim Flughafen ab. Seine Fahrzeit bis nach Böblingen beträgt 10 Minuten. Bis zur Rohrer Kurve setzen wir die Hälfte an, somit 5 Minuten. Der Regionalzug nach Villingen erreicht somit die Rohrer Kurve zur Minute 19. Das ist nur zwei Minuten nachdem die S-Bahn den Haltepunkt S-Rohr erreicht hat und damit in einem zu dichten Abstand zur S-Bahn. Die kleinste Verzögerung der S-Bahn führt dazu, dass der Regionalzug auf der Strecke anhalten muss. Das kann man übrigens bereits heute ausgiebig miterleben, wenn man mit dem Regionalzug von Stuttgart nach Freudenstadt fährt. Dieser Regionalzug muss oft zwischen Böblingen und Herrenberg bummeln, weil die vorausfahrende S1 Verspätung hat.

Die S-Bahn, die zur Minute 38 beim Flughafen abfährt, erreicht S-Rohr zur Minute 47. Der Regionalzug nach Freudenstadt fährt zur Minute 44 beim Flughafen ab. Seine Fahrzeit bis Böblingen beträgt 10 Minuten. Bis zur Rohrer Kurve setzen wir die Hälfte an, somit 5 Minuten. Der Regionalzug nach Freudenstadt erreicht somit die Rohrer Kurve zur Minute 49. Das ist nur zwei Minuten nachdem die S-Bahn den Haltepunkt S-Rohr erreicht hat und damit ebenfalls zu knapp.

Aus Platzgründen kann die Gegenrichtung nicht mehr ausführlich dargestellt werden. Es verhält sich hier aber ähnlich wie bei der dargestellten Richtung. 

Fazit
Die in diesem Blog bereits vielfach vorgestellte Plausibilitätsbetrachtung zur Fahrbarkeit der Gäubahnführung über den Stuttgarter Flughafen wird durch eine genauere Fahrplanbetrachtung des Zielfahrplans 2030+ des Deutschlandtakts bestätigt.

Die Führung der Gäubahn über den Flughafen ist nicht fahrbar. Sie ist einerseits gar nicht fahrbar, wie der Punkt der Zugsbegegnungen trotz betrieblich eingleisiger Strecke für die Regional- und Fernzüge zeigt.

Sie ist jedoch darüber hinaus auch viel zu eng getaktet - viel enger, als dies bei allen anderen Bahnstrecken in Deutschland der Fall ist. Die Führung der Gäubahn über den Flughafen erweist sich somit als ein Verspätungsvulkan, dessen ausgespiehene Verspätungsasche sich über das Bahnnetz der gesamten Region Stuttgart legt und dort zu einem Fahrplanchaos bei S-Bahn, Regionalbahn und Fernbahn führen wird.

Jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Die Gäubahn muss dauerhaft über die bestehende Panoramastrecke und über einen Regionalbahnhof Stuttgart-Vaihingen an einen Kopfbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof angebunden werden. Diese Änderung von Stuttgart 21 und Anpassung des über 30 Jahre alten Projekts an geänderte verkehrliche und politische Rahmenbedingungen ist jetzt noch machbar, weil mit den Arbeiten zur Führung der Gäubahn über den Flughafen noch nicht begonnen worden ist.

Ob als Kopfbahnhof einfach ein Teil des bestehenden Kopfbahnhofs beim Stuttgarter Hauptbahnhof verwendet wird oder ob ein neuer Kopfbahnhof - möglicherweise im Tunnel - gebaut wird, ist zunächst mal sekundär und hängt von anderen Randbedingungen wie z.B. den verfügbaren Mitteln ab.          

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