Am Tag der Präsentation des sogenannten Stresstests im Rahmen der sogenannten Schlichtung zu Stuttgart 21 im Jahr 2011 stellten Heiner Geißler und die Schweizer Beratungsfirma SMA die Kombilösung als Variante für den Ausbau des Bahnknotens Stuttgart vor. Werner Stohler, Alt-CEO der Firma SMA, bezeichnete hierbei die Kombilösung als dreimal so gut wie Stuttgart 21.
Etwas merkwürdig und für mich bis heute nicht nachvollziehbar ist, dass die Firma SMA damals als Alternative zu Stuttgart 21 nicht eine Ausbaulösung für den Bahnknoten Stuttgart präsentiert hat, die sich an das Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie anlehnt. War es Schweizer Bescheidenheit, die die Firma SMA davon abhielt, die Zürcher Ausbaulösung für Stuttgart vorzuschlagen? Wir wissen es nicht. Als Stuttgarter brauche ich mir diese mögliche Bescheidenheit jedoch nicht aufzuerlegen. Es gilt somit jetzt nachzuholen, was im Jahr 2011 versäumt wurde. Wir wollen nachfolgend die Kombilösung von Heiner Geißler/SMA mit einem Ausbau des Bahnknotens Stuttgart nach dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie vergleichen.
Und für Schnellleser soll das Ergebnis des Vergleichs vorweggenommen werden:
1. Es bleibt dabei: Die Kombilösung ist dreimal besser als Stuttgart 21.
2. Ein Ausbau des Bahnknotens Stuttgart nach dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie ist jedoch noch einmal dreimal besser als die Kombilösung.
Fangen wir jetzt mit dem Vergleich an. Beginnen wir erst mal mit einer ganz wichtigen Gemeinsamkeit von Kombilösung und Durchmesserlinie.
Kombilösung und Durchmesserlinie bringen jeweils eine zusätzliche Doppelspur für den Bahnknoten Stuttgart
Sowohl die Kombilösung als auch ein Ausbau des Bahnknotens Stuttgart gemäß dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie bringen eine bedeutende Steigerung der Kapazität des Bahnknotens Stuttgart, indem sie eine zusätzliche Doppelspur durch den Bahnknoten Stuttgart führen und darüber hinaus auch noch zusätzliche Bahnhofskapazitäten schaffen.
Bei der Kombilösung beginnt die zusätzliche Doppelspur im Norden bei der Zusammenführung der Zufahrten von Ludwigsburg und von Vaihingen/Enz, setzt sich fort über S-Feuerbach, den Feuerbacher Tunnel (von Stuttgart 21 übernommen), den viergleisigen Tiefbahnhof (teilweise von Stuttgart 21 übernommen), den Fildertunnel (von Stuttgart 21 übernommen) und die Strecke vom Flughafen nach Wendlingen (ebenfalls von Stuttgart 21 übernommen).
Bei der Ausbauvariante gemäß dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie beginnt die zusätzliche Doppelspur im Norden ebenfalls bei der Zusammenführung der Zufahrten von Ludwigsburg und von Vaihingen/Enz. Sie setzt sich dann fort bis S-Feuerbach. Dort beginnt der Durchmessertunnel mit einem Verlauf unter dem Killesberg, unter der Grünen Fuge, unter der Feuerbacher Heide, unter der Straße "Im Kräherwald", unter dem Kräherwald, unter der Hegelstraße, unter dem Hegelplatz und unter der Kriegsbergstraße. Daran schließt sich der viergleisige Durchmesserbahnhof an, der unter dem Karoline-Kaulla-Weg liegt. Als nächstes Element kommt eine Tunnelrampe im Bereich des Gleisvorfelds des Kopfbahnhofs. Dann folgen das 5. und 6. Gleis der Zufahrt Bad Cannstatt.
Stuttgart 21 bringt dagegen nur eine ganz kleine bzw. - je nach Interpretation - gar keine Kapazitätssteigerung für den Bahnknoten Stuttgart. Das liegt in erster Linie daran, dass Stuttgart 21 keine zusätzliche Doppelspur für den Bahnknoten Stuttgart im Gepäck hat. Voraussetzung für eine zusätzliche Doppelspur wäre das 5. und 6. Gleis für die Zufahrt Zuffenhausen, über die immerhin ca. 40 Prozent der Züge den Stuttgarter Hauptbahnhof erreichen. Und komme mir bitte niemand mit der P-Option von Stuttgart 21. Wer die P-Option argumentativ beim Leistungsthema des Bahnknotens Stuttgart verwendet, soll bitte auch die Kosten der P-Option berücksichtigen. Bei der Nutzen-Kosten-Betrachtung für den Bahnknoten Stuttgart hätte man in diesem Fall dem Aufsichtsrat der Bahn auch die Kosten der P-Option (mehrere hundert Mio. Euro zusätzlich) vorlegen müssen. Dann aber hätte der Aufsichtsrat gar nicht mehr anders gekonnt, als Stuttgart 21 bereits im Jahr 2013 zu stoppen. Davon abgesehen gibt es auch begründete Zweifel, ob die P-Option mit ihrer Einmündung in den Cannstatter Tunnel sowie dem nach wie vor nur achtgleisigen Hauptbahnhof überhaupt als vollständige Doppelspur gewertet werden darf. Somit gilt: Die P-Option ist nicht Bestandteil von Stuttgart 21. Denn sie wurde dem Aufsichtsrat in der Kostenaufstellung nicht genannt. Es bleibt somit dabei: Stuttgart 21 baut die wichtige Zufahrt Zuffenhausen nicht aus, bietet somit keine zusätzliche Doppelspur für den Bahnknoten Stuttgart und damit auch praktisch keine Leistungssteigerung.
Die Anbindung des Flughafens
Der Fildertunnel, der die Fernzüge vom im Talkessel gelegenen Hauptbahnhof hinauf auf die Filderhochfläche und in die Nähe des Flughafens führt, ist nicht nur Bestandteil von Stuttgart 21, sondern auch der Kombilösung. Damit gelingt es der Kombilösung nicht, sich vollständig vom Stuttgart 21-Irrtum zu lösen. Denn der ICE hat oben auf der Filderhochfläche nichts zu suchen.
Es gibt für den ICE keine Notwendigkeit, am Stuttgarter Flughafen anzuhalten. Es gibt für den ICE auch keine Erfordernis, in der Region Stuttgart gleich an zwei Bahnhöfen zum Fahrgastwechsel anzuhalten. Ein zweimaliges Anhalten des ICE in jeder Großstadt in Deutschland würde das ICE-System ad Absurdum führen. Zudem gibt es keine Notwendigkeit, den ICE vom Stuttgarter Talkessel bzw. vom Neckartal aus auf die Filderhochfläche hinaufzujagen, nur um ihn gleich anschließend wieder ins Neckartal bzw. in den Stuttgarter Talkessel hinabzubefördern.
Der Ausbau des Bahnknotens Stuttgart nach dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie verzichtet konsequenterweise auf den Fildertunnel. Der ICE muss keine verlorenen Höhenmeter bewältigen, sondern bleibt im Neckartal. Die Anbindung des Flughafens dagegen ist eine der vornehmsten und passendsten Aufgaben für die Stuttgarter S-Bahn. Hierzu gibt es im Rahmen des etappierbaren Ausbaus des Bahnknotens Stuttgart die Module einer Express-S-Bahn von der bestehenden Station Flughafen-Terminal nach Wendlingen und Plochingen, einer Express-S-Bahn von der Station Flughafen-Terminal direkt nach Kirchheim/Teck, einer Express-S-Bahn von der Station Flughafen-Terminal nach Nürtingen sowie einer Express-S-Bahn von der Station Flughafen-Terminal über S-Vaihingen zum Hauptbahnhof.
Die Förderung der Stuttgarter S-Bahn
Die S-Bahn der Region Stuttgart weist im Vergleich mit den S-Bahnen der direkten Wettbewerberregionen München, Frankfurt/Main und Zürich ganz schlechte Werte auf. Das Streckennetz der Stuttgarter S-Bahn ist auffallend klein. Mit der Stuttgarter S-Bahn fahren signifikant weniger Menschen als mit den S-Bahnen der Wettbewerberregionen. In Bezug auf eine Entlastung der Stammstrecke und eine Behebung der Stammstreckenprobleme gibt es im regionalen Vergleich in der Region Stuttgart die wenigsten Ideen, bzw. drastischer ausgedrückt: Man ist diesbezüglich in Stuttgart ratlos.
Jeder Ausbau des Bahnknotens Stuttgart muss sich deshalb daran messen lassen, inwieweit er die Probleme der Stuttgarter S-Bahn beheben kann und die Stuttgarter S-Bahn wenigstens ein Stück weit auf das Niveau der S-Bahnen in den Wettbewerberregionen bringen kann.
Diesbezüglich hat die Kombilösung nur wenig zu bieten. Bei der Kombilösung kann die Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn allenfalls ein Stück weit von denjenigen Fahrgästen entlastet werden, die vom Hauptbahnhof zum Flughafen fahren wollen. Das sind aber möglicherweise weniger Fahrgäste als man auf den ersten Blick denken könnte.
Ein Ausbau des Bahnknotens Stuttgart gemäß dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie bringt hingegen einen Quantensprung für die Stuttgarter S-Bahn. Das betrifft zunächst einmal die neuen Express-S-Bahnlinien vom Flughafen nach Wendlingen-Plochingen, nach Kirchheim/Teck, nach Nürtingen und nach Vaihingen-Hauptbahnhof. Diese neuen Verbindungen werden die Stammstrecke der S-Bahn bereits maßgeblich entlasten, indem eine Vielzahl von Fahrten, die bisher über die Stammstrecke geführt haben, nun über die Fildern verlaufen.
Noch wesentlich bedeutender jedoch ist, dass die Durchmesserlinie ein Stück weit selbst auch eine zweite Stammstrecke für die Stuttgarter S-Bahn ist. Denn außer für die durchzubindenden Fernlinien wird die Durchmesserlinie auch für einige Express-S-Bahnlinien zur Verfügung stehen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Eisenbahn in der Region Stuttgart (seit 1845) wird es mit der Durchmesserlinie eine direkte Verbindung im Verlauf der wichtigsten Bahnstrecke Württembergs von Plochingen über Esslingen, Bad Cannstatt, Hauptbahnhof, Zuffenhausen, Ludwigsburg nach Bietigheim geben.
Denkbar sind zum Beispiel Express-S-Bahnlinien von Kirchheim/Teck nach Heilbronn sowie von Göppingen nach Vaihingen/Enz. Diese S-Bahnlinien fahren zwischen Kirchheim/Teck und Plochingen bzw. zwischen Göppingen und Plochingen sowie zwischen Bietigheim und Heilbronn sowie Bietigheim und Vaihingen/Enz alle Bahnhöfe an. Zwischen Plochingen und Bietigheim verkehren sie als Express-S-Bahn über die Durchmesserlinie.
Durch diese beiden im Rahmen der Durchmesserlinie möglich werdenden Express-S-Bahnlinen (es sind darüber hinaus weitere Linien denkbar) wird die Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn maßgeblich entlastet. Die Stuttgarter S-Bahn wird gestärkt und für zusätzliche Fahrgäste attraktiv. Die Stuttgarter S-Bahn erreicht ein Stück weit das Niveau der S-Bahnen in den Wettbewerberregionen.
Die Durchbindungsmöglichkeiten
Bei der Kombilösung können die Fernzüge der Relation von Ulm über die NBS und den Bahnknoten Stuttgart weiter in Richtung Karlsruhe/Mannheim/Heidelberg ohne Fahrtrichtungsänderung durchgebunden werden. Die Kombilösung ist damit aber nicht ausgelastet. Deshalb müssten auch einige Regionalzüge (z.B. Tübingen-Stuttgart-Heilbronn) in Stuttgart durchgebunden werden und über die Tunnelstrecke der Kombilösung fahren.
Bei einem etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart nach dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie gibt es bei der Durchbindung von Zügen wesentlich mehr Gestaltungsspielraum. Es können praktisch alle durchlaufenden Fernzüge ohne Fahrtrichtungswechsel durchgebunden werden, auch die Fernzüge von der Filstalbahn und die Fernzüge von Nürnberg nach Karlsruhe.
Darüber hinaus können die bereits genannten Express-S-Bahnlinien durchgebunden werden, so dass die Durchmesserlinie auch die Funktion einer zweiten Stammstrecke für die Stuttgarter S-Bahn hat. Eine Notwendigkeit zum zwangsweisen Durchbinden von Regionalzügen gibt es bei der Durchmesserlinie nicht. Alle Regionalzüge können weiterhin im Kopfbahnhof enden, wenden und wieder zurückfahren.
Die Tunnellängen
Die Kombilösung weist bereits bedeutend weniger Tunnelstrecken auf als Stuttgart 21. Die Tunnellänge von Stuttgart 21 beläuft sich auf über 60 Kilometer. Bei der Kombilösung werden der Feuerbacher Tunnel, der Tunnel für den Tiefbahnhof und der Fildertunnel benötigt. Das ergibt eine Tunnellänge von 2 x 3,2 km und 2 x 9,4 km = 25,2 km (ohne Tiefbahnhof und ohne neuen Flughafenbahnhof).
Der Durchmessertunnel bei einem Ausbau nach dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie ist ca. 2 x 6 km lang (ohne Durchmesserbahnhof). Dazu zählen wir gerne noch den dritten Rosensteintunnel dazu (ca. 600 Meter). Das ergibt eine Tunnellänge von 12,6 km. Somit ist ein Ausbau des Bahnknotens Stuttgart nach dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie nicht nur hochwirksam, sondern wegen der vergleichweise kleinen Tunnellänge auch noch kostengünstiger.
Die Strecke von Bad Cannstatt nach Plochingen
Zum Bahnknoten Stuttgart gehört auch die Strecke von Bad Cannstatt nach Plochingen. Die Kombilösung entlastet diese Strecke und ergänzt sie um eine weitere Doppelspur im Rahmen der Strecke vom Hauptbahnhof über den Fildertunnel nach Wendlingen.
Die Durchmesserlinie nach dem Zürcher Vorbild ändert in Bezug auf die Strecke von Bad Cannstatt nach Plochingen zunächst einmal nichts. Die Strecke wird allenfalls indirekt entlastet, indem Fahrgäste anstatt über das Neckartal über die neue Filderstrecke mit der Express-S-Bahn fahren. Jedoch ist diese Strecke heute noch nicht ausgelastet. Im Rahmen eines etappierbaren Ausbaus des Bahnknotens Stuttgart stellt sich somit die Frage des Ausbaus der Strecke von Bad Cannstatt nach Plochingen heute noch nicht. Andererseits gibt es im Rahmen des etappierbaren Ausbaus des Bahnknotens Stuttgart selbstverständlich zu gegebener Zeit die Möglichkeit, ein Ausbaumodul für die Strecke Bad Cannstatt - Plochingen umzusetzen. Über die Art dieses Moduls wird aber hier und heute noch nicht entschieden. Die NBS wird im Rahmen des etappierbaren Ausbaus des Bahnknotens Stuttgart von Aichelberg aus nicht nach Wendlingen, sondern direkt zum Bahnknoten Plochingen geführt.
Die Etappierbarkeit des Ausbaus
Stuttgart 21 ist ja der Prototyp eines nicht etappierbaren Projekts, eines Alles-oder-Nichts-Projekts, wie es in dieser Form in Europa ohne Beispiel dasteht. Bei solchen Projekten besteht die Gefahr des Entstehens einer riesigen Bauruine sowie des kostenintensiven jahrelangen Brachliegens bereits fertiggestellter Bauabschnitte.
Bei der Kombilösung können die neuen Tunnels und der neue Durchgangsbahnhof ebenfalls nur gemeinsam in Betrieb genommen werden. Eine Etappierbarkeit ergibt sich jedoch dahingehend, dass nach einer Inbetriebnahme der neuen Tunnelstrecken die Sanierung des Kopfbahnhofs und dessen Gleisvorfeld relativ einfach vonstatten gehen kann.
Bei einem Ausbau des Bahnknotens Stuttgart nach dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie ergeben sich vielfältige Etappierungsmöglichkeiten. Zunächst könnte das 5. und 6. Gleis von Bad Cannstatt zum Hauptbahnhof gebaut und in Betrieb genommen werden. Dann könnte der viergleisige Durchmesserbahnhof zunächst als Kopfbahnhof in Betrieb genommen werden. In einer weiteren Stufe erfogt dann die Durchbindung mittels Durchmesserlinie. Die Express-S-Bahnlinien, die den Stuttgarter Flughafen bedienen sollen, sind ebenfalls separate, eigenständige Ausbaumodule.
Auch bei der späteren Sanierung des Kopfbahnhofs und dessen Gleisvorfeld ergeben sich bei der Durchmesserlinie begeisternde Perspektiven. Da die Durchmesserlinie den gesamten Durchbindungsbedarf im Stuttgarter Hauptbahnhof abdeckt, wird es im Kopfbahnhof nur noch Züge geben, die dort enden, wenden und wieder zurückfahren. Das aber hat gravierende Auswirkungen auf das Gleisvorfeld des Kopfbahnhofs. Bei der in den Dreißiger Jahren voraussichtlich erforderlich werdenden Generalsanierung des Gleisvorfelds des Kopfbahnhofs kann das Gleisvorfeld drastisch vereinfacht werden. Auf die Überwerfungsbauwerke (Tunnelgebirge) kann verzichtet werden. Die heute noch vorhandene Führung von Strecken auf Bahndämmen kann aufgegeben werden. Das wiederum hat gravierende Auswirkungen auf die Stadtplanung. Das Gleisvorfeld des Kopfbahnhofs wird zukünftig wesentlich weniger Fläche beanspruchen als heute und auch optisch weniger in Erscheinung treten. Die Parkfläche kann bedeutend vergrößert werden, ohne dass der Mittlere Schlossgarten in Anspruch genommen werden muss.
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