Die bis zu drei Jahre dauernden Unterbrechungen und Umleitungen von Stadtbahnlinien als Folge des Baus von Stuttgart 21 haben die SSB in Erklärungsnot gebracht. Im vorangegangenen Post in diesem Blog haben wir gesehen, dass die Doppelrolle von SSB-Vorstand Arnold (einerseits Vorstand der SSB, andererseits einer der größten Akteure im Umfeld des Projekts Stuttgart 21) für zusätzliche Probleme sorgt. Denn die SSB kann in der Sache des Umbaus der U-Haltestelle Staatsgalerie als Folge von Stuttgart 21 sowie der damit verbundenen Erschwernisse für den Stadtbahnbetrieb und für die Fahrgäste der Stadtbahn nicht so unbefangen und neutral auftreten, wie das bei diesem Thema eigentlich erforderlich wäre.
Die SSB steht beim Thema Staatsgalerie sowie generell in Sachen Stuttgart 21 mit dem Rücken zur Wand. Wie anders ist es zu erklären, dass in der Wochenzeitung "Stuttgarter Wochenblatt" vom 21.05.2014 ein außergewöhnlich großer Artikel erscheint mit der Überschrift "Neue Haltestelle Staatsgalerie"? In diesem Artikel wird noch einmal ausführlich das wiederholt, was SSB-Vorstand Arnold in seiner Pressemitteilung vom 16.04.2014 bereits gesagt hat. Augenscheinlich sind die SSB und die hinter ihr stehenden politschen Kreise im Vorfeld der Kommunalwahlen in Stuttgart aufgeregt - auch vor dem Hintergrund, dass das Thema der Stadtbahn-Unterbrechungen als Folge des Neubaus der Haltestelle Staatsgalerie am Wahlsonntag im Zusammenhang mit den gerade laufenden beiden Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21 verstärkt thematisiert werden soll.
Im heutigen Post in diesem Blog gehen wir erneut auf die Pressemitteilung von SSB-Vorstand Arnold vom 16.04.2014 ein. Heute geht es um die vermeintlichen Vorteile, die die SSB dem Umbau der Haltestelle Staatsgalerie zuschreibt. Die SSB scheint hierbei eine Strategie zu verfolgen, dass sich für Stuttgart 21 und für die neue Haltestelle Staatsgalerie jede Erschwernis lohnt - und sei sie von jahrelanger Dauer und betreffe sie täglich Tausende Fahrgäste.
SSB-Vorstand Arnold nennt in seiner Pressemitteilung vom 16.04.2014 zwei Vorteile der neuen Haltestelle Staatsgalerie. Einmal sei die neue Haltestelle nach oben offen. Zum anderen sei die neue Haltestelle direkt an den Stuttgart 21-Tiefbahnhof angebunden.
Das erste Argument, das laut SSB für einen Umbau der Haltestelle Staatsgalerie spricht, ist also, dass die neue Haltestelle keine eigentliche U-Haltestelle mehr ist, sondern nach oben offen ist. Dieses Argument ist an Dreistigkeit kaum mehr zu überbieten. Da ist SSB-Vorstand Arnold auf der einen Seite einer der Haupt-Propagandeure für Stuttgart 21, also dafür, dass der Stuttgarter Hauptbahnhof unter die Erde kommt, mit allen damit verbundenen Problemen des Brandschutzes, der Zugänglichkeit, der Barrierefreiheit, der Leistungsfähigkeit und der Nutzung durch Wettbewerber der Bahn. Auf der anderen Seite feiert man es als einen Erfolg, dass die Stadtbahn-Haltestelle Staatsgalerie bei Stuttgart 21 nach oben offen ist. Die Stuttgarter Bevölkerung wird sich doch hoffentlich nicht so für dumm verkaufen lassen!
Als zweites Argument für die neue Haltestelle Staatsgalerie wird angeführt, dass diese Haltestelle bei Stuttgart 21 direkt mit dem Hauptbahnhof verbunden ist und dass somit auch die Stadtbahnlinien U1, U2 und U4 einen direkten Anschluss an den Hauptbahnhof haben. Dieses Argument erweist sich bei näherer Betrachtung als sehr schwach. Zwar trifft es zu, dass man von den Bahnsteigen der umgebauten Haltestelle Staatsgalerie direkt zu den Bahnsteigen des Stuttgart 21-Hauptbahnhofs gelangen kann. Die Wege für die Fahrgäste werden dadurch jedoch gegenüber dem heutigen Zustand kaum kürzer.
Die Wege für die Fahrgäste werden kaum kürzer werden
Fangen wir mal mit der S-Bahn an. Die Mehrzahl der Fahrgäste, die von der Stadtbahn umsteigt, will ja auf die S-Bahn umsteigen. In Bezug auf das Umsteigen zur S-Bahn ergeben sich mit der umgebauten Haltestelle Staatsgalerie keine Vorteile. Die S-Bahn ist genauso weit von der umgebauten Haltestelle Staatsgalerie entfernt wie dies heute der Fall ist.
Gehen wir dann zu den Regionalzügen. Diese Züge nehmen den Platz zwei hinter der S-Bahn ein, was die Umsteiger von der Stadtbahn betrifft. Hier gibt es jetzt einen interessanten Sachverhalt. Trotz des direkten Zugangs von der Haltestelle Staatsgalerie zu den Bahnsteigen des Stuttgart 21-Bahnhofs wird der Umsteigeweg von der Stadtbahn zu den Regionalzügen ab der Haltestelle Staatsgalerie nur ganz wenig kürzer als dies heute der Fall ist. Die Bahnsteige des Stuttgart 21-Hauptbahnhofs sind 400 Meter lang. Die Regionalzüge sind i.A. nur 200 Meter lang. Die Regionalzüge werden innerhalb des Stuttgart 21-Hauptbahnhofs nicht bei der Haltestelle Staatsgalerie halten, sondern am anderen Ende der Bahnsteige zwischen der S-Bahn und der früheren Straße "Am Schlossgarten". Denn in diesem Bereich der Bahnsteige befinden sich die Hauptzugänge zum Hauptbahnhof.
Fahrgäste, die von der Stadtbahn-Haltestelle Staatsgalerie in einen Regionalzug umsteigen wollen, müssen also ca. 250 Meter zu Fuß gehen (mindestens Meter Umsteigeweg von Bahnsteig zu Bahnsteig und 200 Meter entlang des Bahnsteigs im Hauptbahnhof). Und dann sind diese Fahrgäste erst an der Spitze des Regionalzugs.
Lediglich für die ganz wenigen Fahrgäste, die bei der Haltestelle Staatsgalerie auf einen 400 Meter langen Fernzug umsteigen wollen, ergeben sich leichte Vorteile - allerdings auch nur dann, wenn sie eine Platzkarte in demjenigen Teil des Fernzugs erhalten haben, der in der Nähe der Haltestelle Staatsgalerie hält.
Der modernisierte Kopfbahnhof bringt auch beim Umsteigen große Verbesserungen
Zu berücksichtigen ist hier auch, dass das Umsteigen von der Haltestelle Staatsgalerie in die Züge bei einem modernisierten Kopfbahnhofs keineswegs so weit ist wie man das vielleicht auf den ersten Blick glaubt. Bei einem modernisierten Kopfbahnhof wird die Bahnsteigunterführung im ersten Drittelspunkt der Bahnsteige neu gebaut und bis zur ehemaligen Straße "Am Schlossgarten" verlängert. Von dort gäbe es einen neuen Weg auf gerader Linie durch den Schlossgarten zur bestehenden U-Haltestelle Staatsgalerie. Von Gleis 16 wäre man somit 300 Meter bis zur Haltestelle Staatsgalerie unterwegs.
Diese Entfernung sollte man auch mal in Relation setzen zu den Umsteigeentfernungen, wie sie heute im S-Bahn-, Stadtbahn- und Bahnsystem teilweise bestehen und in alle Zukunft bestehen bleiben werden. So beträgt der längstmögliche Umsteigeweg bei der S-Bahn-/Stadtbahnhaltestelle Stadtmitte/Rotebühlplatz 210 + 100 + 100 = 410 Meter. Auch wenn man bei Stuttgart 21 von der S-Bahn in die Fernbahn umsteigen will, hat man im ungünstigsten Fall eine Entfernung von über 400 Metern zurückzulegen.
Wie auch immer man es sieht: Die Investition von über 200 Millionen Euro für den Neubau der Haltestelle Staatsgalerie und den Neubau des Stadtbahntunnels bei der Heilbronner Straße ist durch nichts zu rechtfertigen. Für die Stadtbahn gibt es durch diese 200 Mio Euro-Investition keine Verbesserungen. Und das diese Investition erfordernde Projekt Stuttgart 21 bringt unter dem Strich eine Verschlechterung für den Bahnverkehr in Stuttgart und in Baden-Württemberg. Es ist zu prüfen, ob der Neubau der Haltestelle Staatsgalerie und der Neubau des Stadtbahntunnels bei der Heilbronner Straße eine Veruntreuung von Steuergeldern ist. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dies irgendwann mal noch justiziabel werden wird.
Kommen wir jetzt aber zu den Vorteilen eines modernisierten Kopfbahnhofs. Die Entscheidung für einen modernisierten Kopfbahnhof würde mit anderen Entscheidungen einhergehen, die die deutschlandweite Sonderrolle (man kann auch sagen: Außerseiterrolle) Stuttgarts in verkehrlicher Hinsicht beenden. So haben wir in diesem Blog bereits vielfach festgestellt, dass die Stuttgarter Stadtbahn als Einzige unter den vergleichbaren U-Bahn-, Stadtbahn- und Straßenbahnsystemen der deutschen Großstädte nur zwei Stammstrecken hat.
Selbstverständlich geht mit der Modernisierung des Kopfbahnhofs auch die Schaffung einer dritten Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn einher. Und diese dritte Stammstrecke verläuft als Niederflurstraßenbahn in der Achse der bisherigen Straße "Am Schlossgarten" - mit Zulaufstrecken in einer ersten Ausbaustufe aus Richtung Hackstraße, aus Richtung Nordbahnhofstraße, aus Richtung Eugensplatz und aus Richtung Kriegsbergstraße. Diese dritte Stammstrecke hat zudem eine Haltestelle genau dort, wo die Fußgängerunterführung unter den Bahnsteigen des Kopfbahnhofs auf die Straße "Am Schlossgarten" trifft. Somit ist der modernisierte Kopfbahnhof aus allen möglichen Richtungen und von allen möglichen Stadtbahnlinien mit nur wenigen Metern Umsteigeweg erreichbar - auch wenn die Bahnsteige nicht direkt an die Haltestelle Staatsgalerie anschließen.
Ist der SSB Stuttgart 21 willkommen, weil sie damit ihre möglicherweise maroden Tunnel umbauen kann?
Nun gibt es immer wieder Gerüchte, dass der SSB das Projekt Stuttgart 21 deshalb sehr gelegen kommt, weil so die möglicherweise maroden Tunnelanlagen der Stadtbahn auf Kosten der öffentlichen Hand saniert werden können. Ob dies so zutrifft, kann ich nicht sagen. Träfe es zu, wäre eine solche Verbindung gleichwohl voller Umgereimtheiten.
Es gibt bei den Tunnelbauten zwei zeitliche Richtwerte. Nach 40 Jahren, so der erste Richtwert, kommt ein Tunnel in den Zustand, dass er generalsaniert werden muss. Die Lebensdauer eines Tunnels wird mit 100 Jahren angesetzt. Die U-Haltestelle Staatsgalerie wurde im Jahr 1972 eröffnet. Der Tunnel unter der Heilbronner Straße wurde im Jahr 1976 in Betrieb genommen. Somit wären für diese Bauwerke die ersten 40 Jahre verstrichen.
Jedoch gilt dies nicht nur für die beiden genannten Tunnel, sondern auch für viele andere Tunnel und U-Haltestellen, z.B. U-Haltestelle Marienplatz, Friedrichsbau, Charlottenplatz und viele andere mehr. Gäbe es also dieses Problem der Tunnelalterung tatsächlich in größerem Ausmaß, wäre Stuttgart 21 für die SSB nur eine kleine Hilfe. Und es wäre zudem zynisch, wenn man für die Sanierung der Stadtbahntunnel ausgerechnet ein Projekt zu Hilfe nimmt, das seinerseits aus 60 Kilometern Tunnel besteht und somit von den kommenden Generationen ebenfalls mit riesigem Aufwand generalsaniert werden müsste - wobei in einem solchen Fall Stuttgart dann vom Bahnverkehr nicht nur teilweise, sondern wohl ganz abgehängt wäre.
Eine dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn ist auch im Hinblick auf die zukünftigen Tunnelsanierungen sinnvoll
In diesem Zusammenhang kommen wir jetzt noch einmal auf die dritte Stammstrecke der Stuttgarter Stadtbahn zu sprechen. Es war in der Tat ein großer Fehler, dass die SSB in den vergangenen Jahrzehnten sich so auf Stuttgart 21 fokusiert hat, anstatt das Hauptaugenmerk auf die Schaffung einer dritten Stammstrecke für die Stadtbahn zu richten. Diese dritte Stammstrecke hat ja nicht nur im Normalbetrieb große Vorteile, indem sie zum Beispiel die beiden bestehenden Stammstrecken der Stadtbahn entlastet und damit einen tatsächlichen Kapazitätszuwachs im Stadtbahnsystem (z.B. 7,5-Minuten-Takt auf allen Linien) ermöglicht.
Diese dritte Stammstrecke wird sich bei späteren Generalsanierungen von Tunnelanlagen der Stadtbahn auch noch als unentbehrlich herausstellen. Denn wenn in einigen Jahren mal ganze Tunnel und U-Haltestellen zeitweise gesperrt werden müssen, wird man froh sein, dass es als teilweisen Ersatz eine oberirdisch verlaufende dritte Stammstrecke der Stadtbahn in Stuttgart gibt.
Auch die Parteien im Stuttgarter Gemeinderat sind gefordert, jetzt endlich mal Farbe zu bekennen, wohin der Verkehrsdampfer in Stuttgart in den kommenden Jahrzehnten steuern soll. Nur darauf zu warten, bis von der SSB oder von der Stadtverwaltung irgendein Vorschlag kommt, ist zu wenig. So kann es zum Beispiel sinnvoll sein, dass der neue Gemeinderat einen international renommierten Gutachter beauftragt (bzw. mehrere Gutachter), um Vorschläge für die Entwicklung des Stuttgarter Stadtbahnnetzes in den kommenden Jahrzehnten zu erarbeiten (Stichwort zum Beispiel "dritte Stammstrecke"). Das Gleiche gilt für Vorschläge zur Entwicklung des Autoverkehrs in den kommenden Jahrzehnten (Stichwort zum Beispiel "Mittlerer Ring").
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