Die S-Bahnsysteme sind in vielen Regionen das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs. Sehen wir uns einmal einige Meldungen an, die in den vergangenen Wochen und Monaten zu den S-Bahnsystemen in Frankfurt/Main, München, Stuttgart und Zürich die Runde gemacht haben.
In München wird im Herbst 2013 der 150. S-Bahn-Haltepunkt (Puchham) in Betrieb genommen. Die zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn wird die Leistungsfähigkeit des S-Bahnsystems signifikant erhöhen.
In Frankfurt/Main sind mit der nordmainischen S-Bahn, der Regionaltangente West und der Regionaltangente Ost weitere leistungssteigernde Investitionen in Vorbereitung.
In Zürich wird im Jahr 2014 die erste Stufe der neuen Durchmesserlinie eröffnet. Sie ist gleichzeitig die zweite Stammstrecke der S-Bahn und bringt dem S-Bahnsystem eine lang herbeigesehnte Leistungssteigerung. Das freilich reicht für die S-Bahn Zürich in Zukunft nicht aus. Deshalb ist bereits ein weiteres Bauprogramm in der konkreten Planung, das den viergleisigen Ausbau des Bahnhofs Stadelhofen, den neuen Brüttener Tunnel zwischen Flughafen und Winterthur, den neuen Chestenbergtunnel, den neuen Honorettunnel und den zweiten Abschnitt des Zimmerberg-Basistunnels beinhaltet.
In Stuttgart ist die S-Bahn aus dem Takt gekommen. Wegen vorbereitender Arbeiten für Stuttgart 21 und wegen mängelbehafteter neuer Fahrzeuge nehmen die Verspätungen und die Ausfälle von Zügen markant zu.
Wie lassen sich diese Meldungen nun miteinander verknüpfen? Sehen wir uns der Vollständigkeit halber noch einmal die wichtigsten Daten zu den vier S-Bahnnetzen an.
S-Bahn München
149 Haltepunkte
442 km Netzlänge
780.000 Fahrgäste pro Werktag
2,6 Mio Fahrgäste im Einzugsbereich
S-Bahn Frankfurt / Main
111 Haltepunkte
303 km Netzlänge
370.000 Fahrgäste pro Werktag
3,4 Mio Fahrgäste im Einzugsbereich
S-Bahn Zürich
171 Haltepunkte
380 km Netzlänge
394.000 Fahrgäste pro Werktag
1,6 Mio Fahrgäste im Einzugsbereich
S-Bahn Stuttgart
83 Haltepunkte
215 km Netzlänge
340.000 Fahrgäste pro Werktag
2,7 Mio Fahrgäste im Einzugsbereich
Zunächst kann man an Hand dieser Daten festhalten, dass die Stuttgarter S-Bahn von jeher den anderen S-Bahnnetzen unterlegen ist und hinterherhinkt. Das Tragische ist nun jedoch, dass sowohl das Projekt Stuttgart 21 als auch der aktuelle Aufgabenträger der Stuttgarter S-Bahn, der Verband Region Stuttgart, diese Unterlegenheit der Stuttgarter S-Bahn weiter verschlimmern.
Sehen wir uns zuerst Stuttgart 21 an. Als Folge der Arbeiten zu Stuttgart 21 wird die S-Bahn demnächst im Störungsfall nicht mehr im Kopfbahnhof enden und wenden können. Das wird sich schwer auf die Betriebsfähigkeit im Störungsfall auswirken. Würde Stuttgart 21 irgendwann einmal fertig werden, wäre die S-Bahn an vielen Stellen negativ betroffen, zum Beispiel zwischen S-Rohr und dem Flughafen und zwischen dem Hauptbahnhof und Bad Cannstatt bzw. Nordbahnhof. Nicht zuletzt hat Stuttgart 21, das ja seit ungefähr dem Jahr 1994 in der Region Stuttgart herumgeistert, den Ausbau und die Modernisierung der S-Bahn nun schon seit 20 Jahren unterbunden bzw. markant verlangsamt.
Kommen wir nun zum Verband Region Stuttgart. Es gibt den Verband Region Stuttgart seit dem Jahr 1994, zufällig (?) demselben Jahr, in dem die Stuttgart 21-Pläne publik gemacht worden sind. Die wichtigste Aufgabe, die die Landesregierung von BW dem Verband Region Stuttgart zugeteilt hat, ist die Zuständigkeit für die S-Bahn. Man kann sogar sagen, dass dies die einzige Aufgabe des Verbands von Belang ist. Im Grunde genommen beinhaltet diese Aufgabenzuteilung ein Stück Ironie. Denn der Verband Region Stuttgart ist eigentlich ein Autofahrerverband. Er wird ganz klar von Parteien und Politikern dominiert, die selten eine S-Bahn von innen sehen und die in erster Linie das Auto benutzen. Kaum überraschend dürfte vor diesem Hintergrund sein, dass das Projekt Stuttgart 21 eines seiner wichtigsten Befürworterzentren beim Verband Region Stuttgart hat.
Nun kann man die Geschichte der Stuttgarter S-Bahn in zwei Phasen einteilen. Die erste Phase ist diejenige Phase, in der das Land BW direkt für die S-Bahn zuständig war. Diese Phase beginnt im Jahr 1972 (dem Baubeginn für die S-Bahn) und geht bis zum Jahr 1994. Mithin ist diese Phase also 22 Jahre lang. Die zweite Phase beginnt im Jahr 1994 und geht bis heute. In dieser Phase ist nicht mehr das Land, sondern der Verband Region Stuttgart für die S-Bahn zuständig. Diese Phase ist somit bisher 19 Jahre lang.
Sehen wir uns einmal an, was in den beiden Phasen für die S-Bahn geleistet worden ist. Während der ersten Phase (Land BW) wurden alle Tunnelstrecken für die S-Bahn gebaut (Innenstadt, Hasenberg, Flughafen, Bernhausen). Zudem wurde die Stammstrecke der S-Bahn in Betrieb genommen, sowie die Strecken nach Plochingen, nach Schorndorf, nach Backnang, nach Marbach, nach Bietigheim, nach Weil der Stadt, nach Böblingen und zum Flughafen.
Demgegenüber nimmt sich die Bilanz der Phase 2 bescheiden aus. Die Phase 2 ist mit bisher 19 Jahren nur wenig kürzer als die Phase 1, die ja nicht ab dem Inbetriebnahmejahr 1978, sondern ab 1972 zählt. Während der Phase 2, in der Zuständigkeit des Verbands Region Stuttgart, wurde nur das zweite Gleis zwischen Renningen und Malmsheim gelegt und die oberirdisch verlaufenden Anschlussstrecken Plochingen-Kirchheim, Marbach-Backnang und Böblingen-Renningen in Betrieb genommen. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Zuständigkeit des Verbands Region Stuttgart für die S-Bahn keineswegs als Glücksfall - höflich ausgedrückt.
Fazit
Die Stuttgarter S-Bahn war von jeher den S-Bahnnetzen in anderen Regionen unterlegen, eben typisch schwäbisch bescheiden. Der Wechsel der Zuständigkeit für die S-Bahn vom Land zum Verband Region Stuttgart hat diese Rückständigkeit der Stuttgarter S-Bahn noch verschlimmert. Und das Projekt Stuttgart 21 würde die S-Bahn vollends ins Abseits führen. Der Großraum Stuttgart wird damit europaweit ein Beispiel dafür sein, wie eine auf den Autoverkehr fokusierte Region ein S-Bahnnetz an die Wand fährt.
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