Sonntag, 21. Juli 2013

Nach dem Stopp von Stuttgart 21 muss der etappierbare Ausbau des Bahnknotens Stuttgart beginnen

Es gibt in Europa hunderte Ausbauvorhaben beim Bahnverkehr, seien es Ausbauvorhaben bei den Bahnhöfen oder bei den Strecken. Stuttgart 21 steht unter all diesen Ausbauvorhaben einzig da. Nirgendwo sonst wird wie beim Projekt Stuttgart 21 eine funktionierende Bahninfrastruktur vollständig stillgelegt und durch einen teuren Engpass ersetzt. 

Dies wird früher oder später allgemein erkannt werden. Die Folge dieser Erkenntnis wird der Stopp von Stuttgart 21 sein. Wieviel Geld beim Stopp von Stuttgart 21 bereits verbrannt sein wird, ist eher nebensächlich. Denn ein Weiterbau und eine Fertigstellung von Stuttgart 21 würden jedenfalls wesentlich mehr Geld verbrennen als der Stopp des Projekts zu irgendeinem Zeitpunkt.

Beim Stopp von Stuttgart 21 stellt sich sofort die Frage nach der weiteren Vorgehensweise beim Ausbau des Bahnknotens Stuttgart. Die Antwort auf diese Frage ist nicht allzu schwierig. Sie lautet nämlich, dass der Ausbau des Bahnknotens Stuttgart genauso vonstatten gehen soll wie dies bei den anderen hunderten Ausbauvorhaben beim Bahnverkehr in Europa der Fall ist. 

Dazu gehört zum Beispiel die Etappierbarkeit, das heißt, dass der Ausbau in vielen kleinen Stufen vonstatten gehen muss. Dazu gehört auch, dass der Ausbau tatsächlich ein Ausbau ist, dass also die Leistungsfähigkeit des Bahnnetzes entscheidend erhöht wird und dass die Bahn gegenüber der Konkurrenz vor allem auf der Straße attraktiver wird. Und schließlich muss der Ausbau des Bahnknotens Stuttgart die gesamte Palette des Bahnverkehrs umfassen. Das sind nicht nur der Fernverkehr und der Hochgeschwindigkeitsverkehr, sondern auch und gerade der Regionalverkehr, der S-Bahnverkehr und der Güterverkehr.

Das wären dann einige der Prämissen für den Ausbau des Bahnknotens Stuttgart. Über diese genannten Prämissen sowie über weitere Prämissen muss selbstverständlich eine breite Diskussion geführt werden. Das hat ja bei Stuttgart 21 gefehlt. Da wurden die Prämissen hinter den Kulissen festgelegt und in einem Überraschungscoup im Jahr 1994 präsentiert. Zudem sind die hinter Stuttgart 21 stehenden Prämissen größtenteils falsch. Nennen wir nur mal die Prämisse der Fernverkehrsanbindung des Stuttgarter Flughafens. Es gibt kaum etwas Überflüssigeres als diesen Fernverkehrsanschluss.

Jetzt gilt es noch, einige der zukünftigen Ausbaustufen des Bahnknotens Stuttgart zu nennen. Es ist für eine Diskussion stets von Vorteil, wenn man bereits eine Vorlage hat, an der man sich abarbeiten kann.

1. Fünftes und Sechstes Gleis von Bad Cannstatt zum Hauptbahnhof
An dieser Ausbaumaßnahme kommen wir wohl nicht vorbei. Es gibt bereits heute während der Berufsverkehrszeit Engpässe zwischen Bad Cannstatt und dem Hauptbahnhof. Nimmt der Bahnverkehr wie gewünscht in den kommenden 50 Jahren um mindestens die Hälfte zu, hätten wir in der Zufahrt Bad Cannstatt den Kollaps. 

Es gibt jedoch noch einen zweiten wichtigen Grund für das fünfte und sechste Gleis. Die vorhandenen vier Gleise einschließlich der vorhandenen Neckarbrücke und des vorhandenen Rosensteintunnels müssen irgendwann innerhalb der kommenden 20 bis 30 Jahre einer Gereralsanierung unterzogen werden. Dies geht nur, wenn für die Dauer von ein bis zwei Jahren jeweils zwei der vier Gleise gesperrt werden. Bevor die Sperrung beginnt, müssen das fünfte und sechste Gleis in Betrieb sein.

Das fünfte und das sechste Gleis werden nördlich der vier bestehenden Gleise geführt werden. Die Brücke über den Neckar und die unterirdische Querung des Rosensteinparks werden in etwa so verlaufen wie bei Stuttgart 21.

2. Express-S-Bahn vom Flughafen nach Wendlingen
Die Stuttgart 21-Strecke vom Flughafen nach Wendlingen ist der einzige Abschnitt dieses Vorhabens, der weitgehend oberirdisch verläuft. Es gilt nun, sich dies zunutze zu machen, indem der Stuttgart 21-Abschnitt vom Flughafen nach Wendlingen in die Pläne für den etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart einbezogen wird.

Das Stuttgarter S-Bahnnetz wird um eine siebte Linie ergänzt, nennen wir sie S7. Dies ist eine Express-S-Bahn, die nur an den folgenden Bahnhöfen hält: Kopfbahnhof, S-Vaihingen, Flughafen, Wendlingen und Plochingen. Diese S-Bahn hat die folgenden Aufgaben:
  • Entlastung der Stammstrecke der S-Bahn
  • Anbindung des Flughafens auf schnellstmöglichem Weg an vier Bahnknoten
  • Ermöglichung des 10-Minuten-Takts vom Flughafen zum Hauptbahnhof (zusammen mit den beiden bereits zum Flughafen fahrenden S-Bahnlinien)
  • Entlastung der Autobahn A8
  • Bessere Auslastung des bestehenden, nicht ausgelasteten S-Bahnhofs Flughafens, wodurch der Bau eines zweiten, teuren und unbequemen Flughafenbahnhofs überflüssig wird
  • Erweiterung des Stuttgarter S-Bahnnetzes, des kleinsten unter den S-Bahnnetzen vergleichbarer Regionen

3. Weiterer Ausbau der S-Bahn
Das Stuttgarter S-Bahnnetz muss weiter ausgebaut werden, um das Niveau der S-Bahnnetze anderer Regionen zu erreichen. Zum Beispiel haben die wichtigen Städte Nürtingen, Göppingen, Geislingen und Vaihingen/Enz in der Region Stuttgart bisher keinen S-Bahnanschluss. Der weitere Ausbau läuft auch unter den Punkten 4 und 5.

4. Ausbau des Schienengüterverkehrs im Korridor Stuttgart-Ulm
Dies heißt konkret:
Es muss das europaweite Hinderniss Geislinger Steige für den Güterverkehr durch einen Umfahrungstunnel beseitigt werden.
Es muss zwischen Plochingen und Göppingen das dritte und vierte Gleis in der Form von Ortsumfahrungen mit Tunnels eingerichtet werden. Dies dient auch der S-Bahn, dem Personenfernverkehr und nicht zuletzt den lärmgeplagten Bürgern.
Der Bau der nicht güterverkehrstauglichen und unwirtschaftlichen NBS Wendlingen-Ulm ist umgehend zu stoppen.

5. Durchmesserlinie nach dem Vorbild von Zürich
Die gewünschte Verkehrszunahme beim Bahnverkehr um mindestens die Hälfte in den kommenden 50 Jahren bedeutet ganz klar, dass der Stuttgarter Kopfbahnhof mit seinen 16 Gleisen nicht mehr ausreichend sein wird. Auch hier gilt jedoch: Es wird nichts Bestehendes abgerissen, sondern es wird etwas Ergänzendes gebaut.

In den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat Stuttgart die Zürcher Fußgängerpassage "Shop-Ville" kopiert (Klett-Passage). Nun ist es erneut an der Zeit, dass in Stuttgart ein Zürcher Vorbild kopiert wird. Das ist die Durchmesserlinie.

Zunächst kurz der Verlauf der Stuttgarter Durchmesserlinie: Von Bad Cannstatt kommend tauchen die Züge im Gleisvorfeld des Kopfbahnhofs ab. Dann kommt die viergleisige Station der Durchmesserlinie. Sie liegt unter dem heutigen Karoline-Kaulla-Weg. Diese Station wird zumindest teilweise nach oben geöffnet sein. Dadurch erledigen sich alle Brand- und Rauchprobleme.

Von der neuen Station verläuft die Durchmesserlinie in einem großen Bogen im Tunnel unter der Kriegsbergstraße, unter dem Hegelplatz, unter der Hegelstraße, unterquert die Dillmannstraße, die Hauptmannsreute, die Lenzhalde und die Einmündung Am Bismarckturm/Anzengruberstraße. Danach verläuft sie unter dem Höhenpark Killesberg und mündet beim Feuerbacher Bahnhof in die Bestandstrasse.

Der Tunnel für diese Durchmesserlinie ist 5,4 Kilometer lang. Das ist dann doch etwas anderes als die 30 Kilometer Tunnel für Stuttgart 21. Diese Durchmesserlinie bildet gleichzeitig das fünfte und sechste Gleis in der Zufahrt Zuffenhausen, eine Komponente, die man bei Stuttgart 21 vergeblich sucht. 

Die neue Durchmesserlinie wird vom Fernverkehr der Relationen München-Frankfurt/Main und München-Paris genutzt. Wie beim Vorbild in Zürich wird die neue Durchmesserlinie jedoch auch von der S-Bahn genutzt. Es gibt dann die neue Express-S-Bahnlinie S8 von Geislingen über Göppingen, Plochingen, Esslingen, Bad Cannstatt, Durchmesserbahnhof, Zuffenhausen, Ludwigsburg, Bietigheim-Bissingen nach Heilbronn. Diese gemeinsame Nutzung der Durchmesserlinie vom Fernverkehr und von der S-Bahn rechtfertigt dann auch eine Mischfinanzierung - wie beim Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie.

Es gibt schließlich noch eine weitere Ausbaustufe. Über eine unterirdische Abzweigung unter der Dillmannstraße wird die Gäubahn an die Durchmesserlinie angebunden. Von S-Vaihingen kommend fährt die Gäubahn am nördlichen Ende der Zamenhofstraße in den Tunnel ein und erreicht unter dem Kräherwald hindurch in einem großen Bogen die Verzweigung Dillmannstraße. Dadurch wird es möglich, eine weitere Express-S-Bahn S9 einzurichten. Sie führt von Nürtingen über Flughafen, Vaihingen, Durchmesserbahnhof, Bad Cannstatt, Waiblingen, Schorndorf nach Schwäbisch Gmünd. Der Einschnitt für das Tunnelportal bei der Zamenhofstraße existiert übrigens bereits. In den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts hatte man dort schon einmal vor, einen Tunnel zu bauen.                      
   

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