Montag, 4. Februar 2013

Ist Stuttgart`s Grüner Gemeinderat Michael Kienzle nun für oder gegen Stuttgart 21?

Die Grünen haben sich mit dem Anspruch in den Stuttgarter Gemeindrat wählen lassen, dass sie die große Partei sind, die dem Projekt Stuttgart 21 ablehnend gegenübersteht. Der Mindestanspruch der Stuttgarter Grünen jedoch ist, Stuttgart 21 wenigstens kritisch zu begleiten.

Ob die Grünen im Stuttgarter Gemeinderat insgesamt, insbesondere aber das Mitglied im Umwelt- und Technik-Ausschuss sowie Aufsichtsratsmitglied der SSB Dr. Michael Kienzle diesem Mindestanspruch noch gerecht werden und wird, darf bezweifelt werden.

Das kurze Statement, das Michael Kienzle jetzt auf fluegel.tv zu seinem Abstimmungsverhalten in Sachen U12-Tunnel neben der Heilbronner Straße und U12-Führung durch das A1-Gebiet abgegeben hat, spricht jedenfalls Bände. Dieses Statement könnte ein CDU-Mitglied abgegeben haben.


Nun ist Michael Kienzle kein Verkehrs-Fachmann. Michael Kienzle ist gemäß den Angaben auf der Internetseite der Stuttgarter Grünen Literaturwissenschaftler. Darf er somit überhaupt im Umwelt- und Technik-Ausschuss des Gemeinderats sitzen? Darf er Mitglied des SSB-Aufsichtsrats sein und als solcher über äußerst komplizierte technische Sachverhalte mit dreistelligen Millioneninvestitionen entscheiden?

Ein Politiker muss kein Fachmann sein
Die Antwort lautet ja. Ein Politiker muss kein Fachmann sein. Ein Politiker kann Entscheidungen treffen, ohne ein Experte auf dem Gebiet zu sein, über das er Entscheidungen trifft. Eine Diskussion über das vorhandene oder fehlende Expertenwissen von Michael Kienzle auf dem Gebiet des Verkehrswesens, des öffentlichen Verkehrs und des Eisenbahnwesens lenkt eigentlich auch vom Thema ab.

Und das Thema ist, dass augenscheinlich die Grünen auf die Strategie der SSB hereingefallen sind, die ein Durchboxen von Stuttgart 21 mit Hilfe von hunderte Millionen Euro schwerer Stadtbahntunnelninvestitionen auf ihrer Agenda hat.

Die Haltestelle Budapester Platz ist unnötig wie ein Kropf
Möglicherweise hat Michael Kienzle gar nicht verstanden, was er mit seinem Abstimmungsverhalten, mit seinem Ja zum exzessiven SSB-Tunnelbau ausgelöst hat. Da sollen tatsächlich insgesamt 120 Millionen Euro in die Hand genommen werden, damit die Stadtbahn eine neue Haltestelle, die Haltestelle Budapester Platz, bedienen kann. Diese Haltestelle wird, würde sie gebaut werden, den Eingang ins Guiness-Buch der Rekorde als teuerste Stadtbahnhaltestelle aller Zeiten finden. Aber das ist noch nicht alles. Wird Stuttgart 21 wie erwartet bald gestoppt und nicht gebaut, ist die Haltestelle Budapester Platz unnötig wie ein Kropf. Für die Bedienung des A1-Gebiets jedenfalls braucht man die Haltestelle nicht.

Die neue Bibliothek mit großem Publikumsverkehr auf dem A1-Gebiet ist nur 100 Meter von der bestehenden Haltestelle Türlenstraße entfernt. Das im Bau befindliche ECE-Einkaufszentrum grenzt unmittelbar an die Haltestelle Türlenstraße an. Kein Punkt im A1-Gebiet und in den angrenzenden Bestandsgebieten ist weiter als 300 Meter von den bestehenden Haltestellen Türlenstraße, Pragfriedhof und Milchof entfernt. Zudem würde nach einer Inbetriebnahme der Haltestelle Budapester Platz die bestehende und bei den Anwohnern der angrenzenden Wohngebiete sehr beliebte Haltestelle Pragfriedhof stillgelegt werden. Denn die U15 fährt später von Stammheim auf direktem Wege über die Heilbronner Straße in die Innenstadt. Und die U12 würde dann über die Haltestelle Budapester Platz fahren.

In Dijon baut man für 120 Mio Euro 8 Kilometer Straßenbahn mit 15 Haltestellen
Was könnten andere Städte, die nicht vom Stuttgart 21-Virus befallen sind, mit 120 Millionen Euro bei ihren Verkehrsnetzen nicht alles anstellen! Ich habe mir als Beispiel mal die Zahlen der französischen Stadt Dijon herausgesucht, die in den letzten Jahren eine neue Straßenbahn mit einer aktuellen Streckenlänge von 19 Kilometern gebaut hat. Ohne das rollende Material hat die Straßenbahn von Dijon 280 Mio Euro gekostet. Da ist alles enthalten einschließlich der Leitungsverlegungen, der Planungskosten, der Haltestellen, der Straßenumgestaltung usw. Für 120 Mio Euro würde man also in Dijon eine über 8 Kilometer lange neue Straßenbahnstrecke mit 15 neuen Haltestellen bauen. Was würde dadurch an CO2 eingespart! Was würde dadurch an Pkw-Fahrten und Busfahrten einschließlich hunderter cancerogener Stoffe (Reifenabrieb, Kupplungsabrieb usw.) vermieden! In Stuttgart verlegt man für 120 Mio Euro lieber einen Tunnel mit Null komma Null Nutzen für die Bevölkerung.

Der Aufsichtsrat der SSB sollte dem Unternehmen besser auf die Finger sehen
Der Aufsichtsrat der SSB sollte dem Unternehmen einfach mal besser auf die Finger sehen. Im Vorfeld der Volksabstimmung des Landes zu Stuttgart 21 behauptete die SSB in Stuttgart-Münster und in Stuttgart-Mühlhausen, dass die U12 nicht gebaut werden würde, wenn Stuttgart 21 gestoppt wird. Jetzt soll genau das Gegenteil exekutiert werden. Die 120 Millionen Euro für den neuen Stadtbahntunnel neben der Heilbronner Straße und durch das A1-Gebiet sollen auch dann ausgegeben werden, wenn Stuttgart 21 nicht kommt.

In diesen Äußerungen und Verhaltensweisen der SSB steckt zunächst einmal ein eklatanter Widerspruch. Weit gravierender ist jedoch, dass beide Vorgehensweisen für sich genommen grundlegend falsch sind. Die seinerzeitige Drohung mit einer Stornierung der U12 war genauso falsch wie die jetzt geplante Beibehaltung der Führung der U12 durch das A1-Gebiet. Wenn Stuttgart 21 nicht kommt, fährt die U12 über die Bestandsstrecke in der Friedhofstraße mit der Haltestelle Pragfriedhof. Das kostet vielleicht 0,5 Mio Euro im Gegensatz zu den 120 Mio Euro, die jetzt geplant sind. 

Jetzt ist umgehend ein Baumoratorium auszusprechen 
Ist das Kind jetzt endgültig in den Brunnen gefallen? Nein, der Aufsichtsrat der SSB kann noch das Schlimmste verhindern. Zunächst einmal muss der Aufsichtsrat ein Moratorium zum Tunnelbau neben der Heilbronner Straße und im A1-Gebiet aussprechen. Mit den Maßnahmen darf nicht begonnen werden, solange das Projekt Stuttgart 21 nicht sicher finanziert und solange die Planung des Projekts nicht in trockenen Tüchern ist. Sobald Stuttgart 21 gestoppt ist, muss die Tunnelplanung endgültig ad acta gelegt werden.

Hier sind jetzt auch die Juristen zu Stuttgart 21 gefragt. Beim Aufsichtsrat der SSB gibt es m.E. in Bezug auf die U12 dieselbe Situation wie beim Aufsichtsrat der DB in Bezug auf Stuttgart 21. Es ist jetzt zu klären, inwieweit der Aufsichtsrat der SSB für eine Fehlinvestition von 120 Mio Euro haftbar zu machen ist.   

Die U12 kann auch ohne Stuttgart 21 erfolgreich sein
Die U12 fährt auch ohne Stuttgart 21. Sie fährt dann jedoch bis auf weiteres über die Friedhofstraße mit der Haltestelle Pragfriedhof. Die Führung der U12 über die Friedhofstraße braucht jedoch nicht von Dauer sein. Über 50 Jahren nach dem Lambert-Feuchtinger-Gutachten, das den Tunnelbau für die Stadtbahn und den heutigen Zustand der Stadtbahn in Stuttgart festgelegt hat, ist es jetzt an der Zeit, dass OB Fritz Kuhn ein neues, wegweisendes Gutachten über die Zukunft des städtischen Schienennahverkehrs für die nächsten fünfzig Jahre in Auftrag gibt.

Dieses Gutachten muss dann die vorhandenen Defizite und viele neue Themen aufarbeiten, z.B. die fehlende dritte Stammstrecke der Stuttgarter Stadtbahn, die Wiedereinführung der (Niederflur)Straßenbahn, städtebauliche Gesichtspunkte, der Beitrag der Straßenbahn zur Urbanität, die Beseitigung der störenden Tunnelrampen in der Innenstadt mit einer Arrondierung des Tunnelsystems in der Innenstadt, die schlechte Umsteigesituation im Bestandsnetz sowohl im Hinblick auf die Haltestellenbauwerke als auch im Hinblick auf den Fahrplan und vieles andere mehr. Als Folge dieses Gutachtens wird dann die U12 später mal möglicherweise als Niederflurstraßenbahn über die Nordbahnhofstraße in eine dritte Stammstrecke einfahren. Dann wird man sich nur noch mit einem Schaudern an die unnötigen Dinosaurier-Stadtbahn-Tunnelpläne des Jahres 2013 erinnern.                          

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