Immer wieder hört man Politiker, wie sie ihr neu erworbenes bahnverkehrliches Wissen zum Besten geben. Dazu gehört auch die Rechtfertigung der Neubaustrecke (NBS) Wendlingen-Ulm mit dem Argument, dass der ICE-Verkehr und der Güterverkehr keinesfalls auf denselben Gleisen abgewickelt werden dürfen und deshalb getrennt werden müssten.
Alle verkehrstechnischen Prinzipien müssen für den jeweiligen Anwendungsfall überprüft werden. Nehmen wir einmal ein Beispiel, das Verkehrsmittel U-Bahn. Weltstädte wie London, Paris oder Madrid könnten ohne ihre großen und hervorragend ausgebauten U-Bahnsysteme nicht existieren. Auch für Städte, die eine ganze Größenordnung kleiner sind, wie zum Beispiel München oder Stockholm, mag eine U-Bahn ein gutes und passendes Verkehrsmittel sein. Im Gegensatz dazu ist eine klassische U-Bahn für Städte wie z.B. Reutlingen oder Karlsruhe oder auch Stuttgart nicht das passende Verkehrsmittel. Das für eine U-Bahn erforderliche Verkehrsaufkommen wäre dort nicht vorhanden. Und es könnte aus Kostengründen allenfalls ein Rumpfnetz aus einer oder zwei U-Bahnlinien entstehen.
Für eine Bahntrasse, die ausschließlich vom schnellen ICE-Verkehr genutzt wird, lassen sich zwei Bedingungen formulieren:
- Es müssen ausreichend ICE-Züge fahren, damit die Strecke ausgelastet ist und sich rechnet.
- Und es muss für den Güterverkehr eine vollwertige Alternative vorhanden sein, entweder im Verlauf der alten Strecke (Bestandsstrecke) oder in der Form einer eigenen Güterverkehrstrasse.
Beide Bedingungen sind bei der NBS Wendlingen-Ulm nicht gegeben.
Die NBS Wendlingen-Ulm ist mit den geplanten zwei ICE-Zügen pro Stunde und Richtung (plus einige zusätzliche ICE pro Tag, die nicht im Taktsystem integriert sind) nicht einmal ansatzweise ausgelastet. Mit den ICE-Zügen allein ist der Nutzen-Kosten-Faktor der NBS Wendlingen-Ulm weit unter eins, die Kosten der Strecke übersteigen somit den Nutzen. Die Strecke kann nicht gebaut werden. Auch der spätere Betrieb der NBS wäre nicht finanzierbar. Die Instandhaltungskosten könnten durch den ICE-Verkehr allein nicht bezahlt werden.
Nun haben sich die Protagonisten der NBS Wendlingen-Ulm zwei Tricks einfallen lassen, damit die Strecke doch gebaut werden kann. Der eine Trick, die Erfindung von Leichtgüterzügen, wurde bereits vielfach diskutiert. Der andere Trick jedoch, dargestellt in diesem Blog im Post vom 24.04.2012, scheint kaum irgend jemanden aufzuregen. Dabei ist dieser zweite Trick für die Lebensfähigkeit der NBS von substanzieller Bedeutung. Hierbei geht es darum, dass das Land Baden-Württemberg sich nicht nur am Bau, sondern auch am späteren Betrieb der NBS mit Riesensummen beteiligt. Denn ein Drittel aller auf der NBS verkehrenden Züge werden vom Land zu bestellende Regionalzüge sein.
Diese Regionalzüge bestellt und bezahlt das Land nicht etwa aus besonderer Zuneigung zu den Menschen in Oberschwaben, am Bodensee und im Allgäu, um diesen Menschen eine schnellere Verbindung nach Stuttgart mit Regionalverkehrs-Fahrpreisen zu ermöglichen. Der Hauptzweck dieser vom Land zu bestellenden Regionalzüge ist es, der Bahn über die für die Regionalzüge zu entrichtenden exorbitant hohen Trassenpreise Geld für die Instandhaltung der NBS in die Kasse zu spülen. Viel mehr noch als die Phantom-Leichtgüterzüge, die angeblich nachts auf der Strecke verkehren sollen (ein entsprechendes Beispiel für andere Neubaustrecken gibt es nicht), sind somit die vom Land zu bestellenden Regionalzüge eine unabdingbare Voraussetzung, damit überhaupt jemand an einen ersten Spatenstich, an einen Bau und an einen späteren Betrieb der NBS denken kann.
Auch beim Thema einer vollwertigen Alternative für den Güterverkehr besteht bei der NBS Wendlingen-Ulm Fehlanzeige. Die NBS ist wegen der großen Steigungen für den Güterverkehr ungeeignet. Die (bisher nicht existierenden) Leichtgüterzüge könnten allenfalls nachts auf der Strecke verkehren. Denn tagsüber würden die mehr als doppelt so schnell fahrenden ICE sehr schnell auf die Güterzüge auffahren (Ausweichgleise im Verlauf der NBS gibt es nicht). Aber auch nachts wird wohl kaum ein Leichtgüterzug auf der NBS fahren. Denn nachts könnte man auch - wesentlich preisgünstiger - mit Leichtgüterzügen über die Bestandsstrecke und die Geislinger Steige fahren. Und nachts wird die NBS vielfach von den Instandhaltungs-Leuten in Beschlag genommen und ist dann für ein paar Stunden gesperrt.
Auch die Bestandsstrecke durch das Filstal und über die Geislinger Steige ist für herkömmliche Güterzüge nur bedingt geeignet. Das hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass dort immer weniger Güterzüge gefahren sind. Herkömmliche Güterzüge benötigen für die Geislinger Steige eine zweite Lok. Man könnte die zweite Lok vermeiden, wenn man mit sehr kurzen Güterzügen (Leichtgüterzügen) fährt. Dies findet augenscheinlich aber nicht statt. Also zeigt dies einmal mehr die Fragwürdigkeit und das Phantomhafte der Leichtgüterzüge.
Auch der französische TGV kann nicht als Referenz für die grundsätzliche Trennung von Hochgeschwindigkeits- und Güterverkehr bei der Bahn herhalten. Bisher wurden in Frankreich vor allem TGV-Strecken gebaut, die von Paris wegführen und die im Verlauf hoch belasteter Korridore liegen. Die Züge folgen sich hier teilweise im Abstand von fünf bis zehn Minuten. Jetzt jedoch, wenn es an den Bau von voraussichtlich weniger ausgelasteten Strecken geht, wendet sich das Blatt. So soll die jetzt in Bau gehende Strecke für den TGV am Mittelmeer zwischen Montpellier und den Pyrenäen (Grenze zu Spanien) auch für den Güterverkehr zugelassen. werden. Der TGV allein würde die Strecke nicht auslasten. Und der Schienengüterverkehr soll in Richtung Iberische Halbinsel massiv gesteigert werden - was für eine vernünftige Lösung. Unter anderem soll es eine mit EU-Geldern finanzierte Güter- und Personenverkehrstrasse rund um die Iberische Halbinsel geben, die mehr als 30 Seehäfen anbinden wird.
Auch die Deutsche Bahn ist dabei zu lernen. So können die Güterzüge im Verlauf der bereits viergleisig ausgebauten Abschnitte der Rheintalbahn sowohl auf den beiden Gleisen des ICE als auch auf den beiden Gleisen der Regional- und S-Bahnen fahren. Und beim Katzenbergtunnel in Südbaden, der noch im Jahr 2012 eröffnet werden wird, hat die Bahn ihr Betriebskonzept geändert. Ursprünglich sollten nur schnelle ICE durch den Katzenbergtunnel fahren. Die Güterzüge sollten auf der Bestandstrasse durch die Ortschaften fahren. Nach massiven Beschwerden von Anwohnern sollen jetzt auch so viele Güterzüge wie möglich durch den Katzenbergtunnel geschleust werden. Der Tunnel ist für Güterzüge vollumfänglich geeignet. Denn er besteht aus zwei Röhren und weist keine nennenswerten Steigungen auf.
Fazit:
Das Prinzig der Trennung von ICE- und Güterverkehr ist beim Bahnkorridor Stuttgart-Ulm nicht anwendbar. Die geplante NBS Wendlingen-Ulm ist deshalb umgehend zu stornieren. Statt dessen gilt es, einen viergleisigen, in Etappen umsetzbaren Ausbau der Bahnstrecke Stuttgart-Ulm voranzutreiben. Dieser Ausbau soll sowohl dem ICE, als auch dem Güterverkehr, als auch dem Regionalverkehr und dem S-Bahnverkehr dienen. Gleichzeitig sollen die Anwohner entlang der Strecke vom (Güterzug)lärm entlastet werden.
PS:
Der heute auf der Albhochfläche bei Dornstadt zelebrierte Baubeginn für die NBS Wendlingen-Ulm macht diese noch lange nicht unumkehrbar. Denn es ist unerheblich, ob die wegen des 6-spurigen Ausbaus der A8 erforderlichen neuen Brücken noch um ein Joch für die NBS erweitert werden. Im Vergleich zu den Kosten der NBS für Bau und Betrieb und dem Schaden, der dadurch beim Bahnnetz angerichtet wird, sind die Kosten für ein paar zusätzliche Brückenjoche Peanuts.
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