Montag, 28. Mai 2012

21er-Projekte: Frankfurt und München lehnen ab, in Stuttgart jubeln die Politiker

Große Teile der Politik in Stuttgart und in Baden-Württemberg wollen mit Stuttgart 21 ein Projekt durchziehen, das es in dieser Form nirgendwo sonst in Europa gibt und das in allen anderen Städten abgelehnt worden ist. Das schreit förmlich nach einem Erkärungsversuch. Denn der bloße Zufall kann es nicht sein, dass bestimmte Teile von Politik und Bevölkerung in Stuttgart einem Projekt hinterherrennen, das anderswo nie die Chance auf Verwirklichung hätte.



Ursache Parteien?
Wenn es darum geht, nach den Ursachen für Stuttgart 21 zu suchen, werden zur Zeit zuallererst bestimmte politische Parteien gehandelt. Da wird zum Beispiel die baden-württembergische CDU gebrandmarkt, weil sie völlig unkritisch einem Prestigeprojekt hinterherrennt und die Umsetzung dieses Prestigeprojekts ohne nachgewiesenen Nutzen als Instrument im parteipolitischen Spiel benutzt. Da wird auch an der baden-württembergischen SPD Kritik geübt, weil sie in ihrer ständigen Sucht nach Anerkennung nichts besseres zu tun hat, als sich an den Karren der CDU zu hängen und mit denen bei S21 gemeinsame Sache zu machen. In der letzten Zeit geraten auch die Grünen immer mehr in die Kritik, weil sie augenscheinlich nicht alles, was möglich ist, gegen S21 unternehmen und ansonsten den Eindruck erwecken, dass sie ihren Widerstand gegen S21 dem Wunsch nach dem Regieren unterordnen.

All dies mag im Einzelnen zutreffen. Jedoch ist es keine hinreichende Erklärung für Stuttgart 21. Schließlich hat Frankfurt/Main unter der CDU-Oberbürgermeisterin Petra Rot das Projekt Frankfurt 21 abgelehnt. Und es war ein FDP-Minister der hessischen Landesregierung (Posch), der F21 den Laufpass gegeben hat. In München hat der SPD-Oberbürgermeister Christian Ude dem Projekt München 21 die rote Karte gezeigt und mit ihm die CSU-Landesregierung in Bayern. Und es gibt ja in Europa zahlreiche Großstädte mit Kopfbahnhöfen und mit den unterschiedlichsten Politikern auf kommunaler und staatlicher Ebene. Keiner dieser Städte ist es bisher eingefallen, ihren Kopfbahnhof stillzulegen. Allenfalls wird hier und da über eine zusätzliche Durchmesserlinie nachgedacht.     

Ursache Politiker?
Sind dann vielleicht die Politiker als Personengruppe verantwortlich für Stuttgart 21? Es gibt ja viele Untersuchungen darüber, dass heutzutage ein ganz bestimmter Menschentyp bevorzugt in die Politik strebt und dass dieser Menschentyp mit der durchschnittlichen Bevölkerung nicht mehr unbedingt in allen Punkten übereinstimmt. Auch ist es längst nicht mehr ausgemacht, dass die Politiker die Eliten der Gesellschaft darstellen und intelligenter sind als die "normale" Bevölkerung. Aber auch dieser Ansatz führt wohl nicht weiter. Denn was in Stuttgart und in Baden-Württemberg für Politiker gilt, mag in ganz Europa inzwischen so sein.   

Ursache Oettinger und Schuster?
Ist dann der Umstand, dass das 21er-Projekt in Stuttgart auf so fruchtbaren Boden fiel, einzelnen wenigen, ganz bestimmten Politikern zu verdanken, zum Beispiel dem früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger oder dem immer noch amtierenden Stuttgarter Oberbürgermeister Schuster? Diese beiden Reizfiguren fordern ja immer wieder heraus, dass man sich an ihnen kritisch oder satirisch abarbeitet.

Eine Werbung für Schwaben und für das Schwäbische war und ist Oettinger ja nun nicht unbedingt. Auch wenn er schwäbelt. Man hat oft Mühe, sein Schnellsprech-Genuschel zu verstehen. Und dann hat sich ja auch gezeigt, dass Oettingers Englisch eine Zumutung ist. Trotzdem glaubt er wohl, dass er gut Englisch sprechen kann. Denn sonst hätte er die eine oder andere Rede ja nicht in Englisch gehalten (auf youtube vielfach verfügbar, zum Beispiel hier http://www.youtube.com/watch?v=icOO7Ut1P4Y  .) Was für ein Beispiel für die Selbstüberschätzung eines Politikers!

Aber im Zusammenhang mit Stuttgart 21 ist eine andere Handlung von Oettinger von Bedeutung, seine berühmt-berüchtigte Filbinger-Rede. Bei der Trauerfeier für den verstorbenen ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger in Freiburg versuchte Oettinger, Filbinger als Widerstandkämpfer im Dritten Reich darzustellen. Dabei musste Filbinger bekanntlich vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktreten, als bekannt wurde, dass er als Marinerichter im Zweiten Weltkrieg fragwürdige Todesurteile gefällt hatte.

Dieser Faux-pas Oettingers war so schwerwiegend, dass sein Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten ganz nahe war. Auch die Bundes-CDU war alles andere als erfreut. Man gab später Oettinger noch eine Chance. Nach einer Schamfrist lobte man ihn dann trotzdem nach Brüssel weg. Um sein Image nach der Filbinger-Rede wieder aufzupolieren, benötigte Oettinger auf Teufel komm raus einen politischen Erfolg. Diesen sah er in Stuttgart 21 vor sich liegen. Mit einem Geschenk des Landes über 950 Millionen Euro für die eigentlich ausschließlich vom Bund zu finanzierende Neubaustrecke Wendlingen-Ulm sowie mit weiteren Geldgeschenken zu Stuttgart 21 reiste er nach Berlin und erreichte schließlich, dass Bund und Bahn die Verträge zu einem Projekt, das eigentlich nicht gewollt war, unterschrieben. Ein ganzes Bundesland muss somit für den faux-pas eines Politikers büßen!

Kommen wir noch zu Schuster. Ein Finanzbeamter ist unterhaltsamer und hat mehr Charisma als dieser Oberbürgermeister. Was für ein Gegensatz etwa zu Frankfurt/Main und München. Da regieren und regierten in den vergangenen Jahren und fast Jahrzehnten Oberbürgermeister(innen) mit Charisma, die in der ganzen Welt bekannt sind. Petra Rot und Christian Ude haben ihren Städten viel gegeben. Was hat Stuttgart schon von Schuster? Da kann er noch so oft zu den Immobilienmessen nach Cannes oder München reisen, München und Frankfurt haben die Nase vorn, sind schon da, selbst wenn die OB`s zu Hause bleiben.

Und dann das Gesprech bei den Volksfesteröffnungen. Rede kann man da ja kaum sagen. Eine Schuster-Rede zum Volksfest eignet sich allenfalls als Rezept für von Schlaflosigkeit geplagte Menschen. Schuster fehlt das Charisma, der Esprit, der Witz, um eine gute Volksfestrede zusammenzubekommen. Eine gute Volksfestrede würde auf die Geschichte der Schwaben, auf ihren Charakter, ihren Witz, ihre Stärken und Schwächen und auf die Geschichte des Volksfests eingehen. Und sie würde die oberste Aufgabe der Politik als Leitschnur tragen, nämlich die Menschen zu versöhnen und ihnen einen Weg zu weisen.

Aber all das kann Schuster ja nicht. Um die peinliche Leere zu füllen, hat er in den Volksfestreden der letzten Jahre auf die größte und in der ganzen Welt bekannte Bürgerbewegung eingehauen, die Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21. Der Hälfte der Bürger von Stuttgart erklärt er kurzerhand den Krieg. Erbärmlich! Widerlich! Zum Schämen!

Jetzt haben wir uns mit zwei schwäbischen Politikern beschäftigt, ohne die es Stuttgart 21 wohl nicht geben würde. Aber auch hier stellt sich die Frage: Sind diese Politiker letztendlich ursächlich für Stuttgart 21? Auch hier würde ich sagen: Sie sind es nicht. Denn solche oder ähnliche Figuren gibt es auch anderswo in Europa, auch wenn man das aus Stuttgarter Sicht nicht immer so mitbekommt.

Liegt die Ursache in einem Jahrhundertversagen bei Verkehr, Städtebau und Architektur in Stuttgart? 
Die Frage nach den Ursachen für Stuttgart 21 ist somit immer noch unbeantwortet. Aber ich glaube, dass jetzt klar ist, in welcher Richtung diese Ursachen zu suchen sind. Es muss irgendetwas Stuttgart-Spezifisches sein, etwas, das in Stuttgart anders ist bzw. anders gelaufen ist als anderswo.

Wenn man sich auf diese Fährte einlässt, könnte man allerdings schnell zu einem konkreten Ergebnis kommen. Was den Städtebau, die Architektur und die Verkehrsplanung betrifft, stellt Stuttgart seit dem Zweiten Weltkrieg einen Sonderfall unter den deutschen, ja europäischen Großstädten dar. Keine andere Großstadt hat sich so sehr von der Urbanität entfernt wie Stuttgart, in keiner anderen Großstadt gibt es so wenig gute Architketur zu sehen wie in Stuttgart. Und in keiner anderen Großstadt steht die Straßenverkehrsplanung so sehr auf dem Kopf wie in Stuttgart.

Nun ist die Mehrzahl der Politiker im Gemeinderat und im Landesparlament weder Architekt, noch Verkehrsplaner noch Stadtplaner. Deshalb können die meisten Politiker diese besondere Stuttgarter Situation, diese besondere Stuttgarter Misere auch nicht richtig artikulieren, nicht in ihre Kompenten zerlegen. Die Bevölkerung kann das inzwischen besser. Auch daraus speist sich ja die heute so verbreitete Politikverdrossenheit. Aber ein Gefühl dafür, dass in Stuttgart einige Dinge nicht richtig laufen, haben die meisten Politiker schon, ein dumpfes Unbehagen, dass es so ist. Und in dieses Unbehagen, in diese Unzufriedenheit platzte Stuttgart 21. Ein wenig Lobbyarbeit reichte aus. Vielen kam darauf ob der städtebaulichen, architektonischen und verkehrlichen Zustände in Stuttgart das 21er-Projekt wie ein Heilsbringer vor. Und schon waren die ersten unumkehrbaren Verträge unterschrieben.

Das also ist der besondere Nährboden, auf den das 21er-Projekt in Stuttgart fiel, ein Nährboden, der in dieser Form in München und Frankfurt und in anderen europäischen Städten nicht vorhanden war. Und dieser Nährboden hat erst in zweiter Linie etwas mit bestimmten Parteien, den Politikern als Solchen oder mit einzelnen Politikern hier in Stuttgart und in Baden-Württemberg zu tun.

Im nächsten Post in diesem Blog machen wir einmal das, was die meisten Politiker nicht machen können oder wollen. Wir benennen ganz konkret die großen Stuttgarter Defizite in Verkehrsplanung, Stadtplanung und Architektur. Nur wenn man diese Defizite kennt, kann man einen Plan für die Zukunft entwickeln, für die Zukunft nach dem Stopp von Stuttgart 21.    
                          
    

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