Sonntag, 4. September 2011

Stuttgart 21 baut Zulaufengpass zum Hauptbahnhof nicht aus

Im letzten Post ging es um die Zufahrt Zuffenhausen des Bahnknotens Stuttgart. Die derzeit bekannten Varianten für einen Ausbau des Bahnknotens Stuttgart wurden daraufhin abgeklopft, was sie für die wichtige Zufahrt Zuffenhausen vorschlagen. Hierbei wurde klar, dass das Projekt Stuttgart 21 keine Verbesserungen für die Zufahrt Zuffenhausen bringt, weder in Bezug auf die Erhöhung der Kapazität dieser Zufahrt noch in Bezug auf eine Weiterführung der Schnellfahrstrecke von Mannheim bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof. Alle anderen Ausbauvarianten des Bahnknotens Stuttgart sehen für die Zufahrt Zuffenhausen bessere Lösungen als Stuttgart 21 vor.



In diesem Post wollen wir noch näher darauf eingehen, was Stuttgart 21 eigentlich mit den Zufahrten zum Bahnknoten Stuttgart macht bzw. was dieses Projekt nicht macht. Als Grundlage für die nachfolgenden Überlegungen gibt es hier ein paar neue Zahlen. Wie hoch sind die Zufahrten des Fern- und Regionalverkehrs zum Stuttgarter Hauptbahnhof heute tatsächlich belastet? Hierzu habe ich die Abfahrtstafel des Stuttgarter Hauptbahnhofs durchgesehen. Berücksichtigt wurden alle Züge, die werktags verkehren. Nicht berücksichtigt sind die Züge, die nur am Wochenende verkehren, sowie die Züge, die nur an einem oder zwei Tagen in der Woche verkehren und die Züge, die z.B. nur während der Sommerferien verkehren. Alle in der Abfahrtstafel aufgeführten Züge habe ich auf die Zufahrten zum Stuttgarter Hauptbahnhof umgelegt. Damit ergibt sich für die einzelnen Zufahrten zum Stuttgarter Hauptbahnhof die folgende Belastung (vom Hauptbahnhof abfahrende Züge pro Tag):

(1) Schnellfahrstrecke nach Vaihingen/Enz: 85 abfahrende Züge/Tag und Gleis
(2) Strecke nach Ludwigsburg: 65 abfahrende Züge/Tag und Gleis
(3) Zufahrt Zuffenhausen = Summe aus (1) und (2): 150 abfahrende Züge/Tag und Gleis
(4) Zufahrt Gäubahn: 25 abfahrende Züge/Tag und Gleis
(5) Strecke nach Waiblingen: 55 abfahrende Züge/Tag und Gleis
(6) Strecke nach Plochingen (Gleise der Fernbahn)*: 78 abfahrende Züge/Tag und Gleis
(7) Strecke nach Plochingen (Gleise der S-Bahn)*: 28 abfahrende Züge/Tag und Gleis (ohne S-Bahn)
(8) Zufahrt Bad Cannstatt = Summe aus (5) und (6): 133 abfahrende Züge/Tag und Gleis

* die Regionalexpresszüge nach Tübingen fahren zwischen dem Stuttgarter Hauptbahnhof und Plochingen auf den Gleisen der S-Bahn. Deshalb werden diese Züge bei der Zufahrt Bad Cannstatt des Fern- und Regionalverkehrs nicht mitgezählt.

Aus der Aufstellung geht hervor, dass die beiden Gleise der Zufahrt Zuffenhausen mit 150 Zügen / Tag und Gleis die höchstbelasteten Gleise des Bahnknotens Stuttgart sind (ohne S-Bahn). Ihnen folgen die beiden Gleise der Zufahrt Bad Cannstatt mit 133 Zügen / Tag und Gleis.

Würde man diese Zahlen einem Fachmann vorlegen, der nicht aus Stuttgart oder Deutschland stammt und der sich bisher nicht mit der Eisenbahn in Stuttgart beschäftigt hat, mit der Bitte, Vorschläge für einen Ausbau des Bahnknotens Stuttgart zu formulieren, würde dieser Fachmann mit großer Wahrscheinlichkeit als erste Ausbaustufe einen Ausbau der Zufahrt Zuffenhausen vorschlagen.

Was aber macht Stuttgart 21 mit den Zufahrten zum Bahnknoten Stuttgart? Die höchstbelastete Zufahrt, der maßgebende Engpass des Bahnknotens Stuttgart, die Zufahrt Zuffenhausen wird in keinster Weise ausgebaut. Für die Zufahrt Zuffenhausen stehen weiterhin nur zwei Gleise zur Verfügung, wobei im Störungsfall nicht einmal mehr auf die beiden bisher parallelen Gleise der S-Bahn ausgewichen werden kann. 

Hingegen wird die Zufahrt Bad Cannstatt geradezu aufgebläht. Denn die Stuttgart 21 - Zufahrt vom Flughafen ist ja nichts anderes als die Erweiterung der bisherigen Zufahrt Bad Cannstatt. Genauso verhält es sich mit der Stuttgart 21 - Zufahrt von Untertürkheim über Wangen sowie mit der Stuttgart 21 - Zufahrt von Bad Cannstatt unter dem Kriegsberg hindurch. Die bisherige zweigleisige Zufahrt Bad Cannstatt wird also bei Stuttgart 21 auf sechs Gleise verdreifacht.

Was für eine Ausbau-Asymmetrie! Die höchstbelastete Zufahrt zum Bahnknoten Stuttgart wird nicht ausgebaut. Die an zweiter Stelle stehende Zufahrt zum Bahnknoten Stuttgart wird kapaziätsmäßig verdreifacht. (Über die Zufahrt Flughafen kommen bei Stuttgart 21 auch die Züge der Gäubahn. Die Zahl dieser Züge ist jedoch vergleichsweise gering und ändert nichts an der grundlegenden Feststellung der Ausbau-Asymmetrie).

Versuchen wir einmal einen Vergleich mit dem Ausbau einer Autobahn. Eine vierspurige Autobahn soll auf sechs Spuren ausgebaut werden. Dies wird so gemacht. Jedoch wird ausgerechnet der Abschnitt der Autobahn zwischen den zwei Anschlussstellen, der am höchsten belastet ist, nicht ausgebaut. Somit nutzt auch der sechsspurige Ausbau der anderen Abschnitte der Autobahn nichts. Denn der maßgebende Engpass bleibt ja bestehen.

Hintergrund des Ausbau-Missverhältnisses bei Stuttgart 21 sind politische Vorgaben. Dazu gehören die Anbindung des Flughafens an den Fernverkehr und die Räumung des Gleisvorfeldes des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Beide politischen Vorgaben sind grundlegend falsch. Dies wurde nicht nur in diesem Blog bereits zur Genüge analysiert.

Wegen falscher politischer Vorgaben haben wir somit bei Stuttgart 21 das Paradoxon, dass eine milliardenschwere Investition nicht zu einer Verbesserung und Steigerung des Bahnverkehrs führt, sondern im Gegenteil einen für ganz Deutschland bedeutsamen Kapazitätsenpass für die nächsten 100 Jahre schafft. Der Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann (CDU) bezeichnete Stuttgart 21 in einer von ihm beantragten Bundestagsdebatte als Projekt von deutschlandweiter Bedeutung. Das ist dieses Projekt in der Tat. Allerdings genau andersherum als Kaufmann meint. Würde Stuttgart 21 verwirklicht, würde nicht nur die Mobilitätszukunft von Stuttgart schwer beeinträchtigt. Auch in nationaler Hinsicht könnte man dann die Pläne für eine Steigerung des Bahnverkehrs ad acta legen.

Und dass der sogenannte Stresstest für Stuttgart 21 unter diesen Randbedingungen nicht gelingen kann, liegt auf der Hand, ganz zu schweigen von der ursprünglich versprochenen Verdoppelung der Kapazität des Bahnknotens Stuttgart durch Stuttgart 21. Bahnvorstand Kefer begründete in einem Interview die seiner Ansicht nach gute Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 mit dem sogenannten Tunnelring, also den beiden Zufahrten von Untertürkheim über Wangen und von Bad Cannstatt durch den Kriegsberg. Jetzt dürfte aber klar sein, dass diese Begründung ins Leere läuft. Denn der Tunnelring und generell der Ausbau der Zufahrt Bad Cannstatt bringt keinen Kapazitätsgewinn, solange die höchstbelastete und für die Gesamtleistungsfähigkeit maßgebende Zufahrt Zuffenhausen durch Stuttgart 21 nicht nur nicht ausgebaut, sondern betrieblich sogar noch eingeschränkt wird. 

Aber ein Ausbau der Zufahrt Zuffenhausen ist bei Stuttgart 21 finanziell nicht drin. Denn dieses auf Immobiliengeschäften basierende und durch eine fragwürdige Mischfinanzierung geprägte Projekt steht bereits ohne den Ausbau der Zufahrt Zuffenhausen finanziell auf der Kippe. Nach dem Aus für Stuttgart 21 muss ein Ausbauprojekt für den Bahnknoten Stuttgart entwickelt werden, das mit einzelnen, in sich geschlossenen Ausbauschritten arbeitet und das die größten Engpässe als erstes in Angriff nimmt. Mit den Ausbauvarianten K 21, SK2.2 (Kombilösung SMA), KL 21 (Kombilösung VIEREGG RÖSSLER) und einigen anderen Varianten stehen diese Ausbauprojekte bereits in den Startlöchern.                       

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