Stuttgart hat mit dem Projekt Stuttgart 21 ein massives Problem. Vielleicht gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma, wenn man einige Entwicklungen in Stuttgart und in Zürich der vergangenen Jahrzehnte miteinander vergleicht und die Lehren daraus zieht.
Gerade mal 160 Kilometer Luftlinie sind die beiden Städte Stuttgart und Zürich voneinander entfernt. Und von ihrer Größe und Struktur her kann man die beiden Städte durchaus miteinander vergleichen. Zwar ist Stuttgart mit fast 600.000 Einwohnern größer als Zürich mit fast 400.000 Einwohnern. Und auch die Region Stuttgart weist mehr Einwohner auf als die Region Zürich (2,6 Mio. zu 1,4 Mio). Jedoch machen Zürich und seine Region das spielend wieder wett. Zum Beispiel ist Zürich nach den international anerkannten Kriterien eine Weltstadt, Stuttgart nicht. Und in städtebaulicher Hinsicht macht Zürich mit seiner großen Altstadt und seinen prächtigen Gebäuden einen wesentlich imposanteren Eindruck als Stuttgart. Nicht zu vergessen der Flughafen Zürich, der Verbindungen in alle Welt anbietet und mehr als doppelt so groß ist wie der Stuttgarter Flughafen.
Was einen Vergleich zwischen Stuttgart und Zürich jedoch besonders reizvoll macht, sind die unterschiedlichen politischen Systeme in Deutschland und in der Schweiz. So haben die Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz wesentlich mehr zu sagen als in Deutschland. Und das gilt nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in regionaler und lokaler Hinsicht. Und das ist dann auch die Hauptfrage. Hat die Mitwirkung der Bürger in Zürich zu einer anderen städtebaulichen und verkehrlichen Entwicklung geführt als dies in Stuttgart der Fall war, wo sich die Bürgerinnen und Bürger erst mit den aufkommenden Protesten gegen Stuttgart 21 stärker einmischen? Hätte ein Projekt wie Stuttgart 21 auch in Zürich aufs lokalpolitische Tablett kommen können? Das wollen wir in diesem Post und in den folgenden beiden Posts einmal näher betrachten.
Aber ich will ein wenig den Spielverderber machen und die Antwort auf die gestellte Frage nach Stuttgart 21 in Zürich (mithin also Zürich 21) gleich am Anfang beantworten. Nein, so lautet die Antwort. Die Analyse der Entwicklung der letzten Jahrzehnte in Zürich zeigt ganz klar, dass die Bürgerinnen und Bürger von Zürich einem 21er- Projekt nicht den Hauch einer Chance gegeben hätten.
Zweiter Weltkrieg
So, und jetzt fangen wir an. Zunächst muss man kurz den Zweiten Weltkrieg erwähnen. Denn hier wurde eine wichtige Grundlage gelegt für die zukünftig unterschiedliche Entwicklung in den beiden Städten. Stuttgart wurde im Zweiten Weltkrieg zu einem großen Teil zerstört und anschließend mehr schlecht als recht wiederaufgebaut. Zürich wurde Gott sei Dank nicht zerstört. Wegen eines Irrtums der Alliierten fielen leider auch auf Zürich einige Bomben. Jedoch ist dies nicht mit der Bombardierung der deutschen Städte vergleichbar. Die großartige historische Bausubstanz blieb in Zürich erhalten und wurde in der Folge mit teilweise großem Aufwand restauriert.
U-Strab und Tieftram
In den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden wegen des zunehmenden Verkehrs in vielen deutschen Städten Pläne zur Untertunnelung der Straßenbahn gefertigt. Auch in Stuttgart gab es diese Planungen, die in der Folge dann auch langsam in die Realisierung gingen. Als erste Haltestelle wurde im Jahr 1966 die U-Haltestelle Charlottenplatz eröffnet. Auch in Zürich hat die Verwaltung entsprechende Pläne vorgelegt. Dort nannte man sie Tieftram (in der Schweiz sagt man: das Tram). In der obligatorischen Volksabstimmung wurde das Tieftram in Zürich von der Bevölkerung abgelehnt. Die Menschen wollten nicht, dass die Straßenbahn unter die Erde kommt, um oben Platz für Stadtautobahnen zu schaffen.
U-Bahn
Ende der Sechziger/Anfang der Siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts gab es in Stuttgart Pläne für eine klassische U-Bahn mit Stromschiene und vollständig vom Autoverkehr getrenntem Bahnkörper. Stolz präsentierten die Vorstände der Stuttgarter Straßenbahnen bereits erste Fahrzeugmodelle. Im Jahr 1975 wurde endgültig klar, dass sich Stuttgart eine klassische U-Bahn finanziell nicht würde leisten können. Das U-Bahnsystem für Stuttgart war Geschichte. An seine Stelle trat das Stadtbahnsystem, ein flexibles System zwischen Straßenbahn und U-Bahn. Auch die Politik und die Verwaltung in Zürich planten, nachdem der Schock über die verlorengegangene Volksabstimmung beim Tieftram verdaut war, den nächsten großen Wurf. Es wurde eine gemeinsame Vorlage für ein S-Bahnsystem für den Kanton Zürich und eine U-Bahn für die Stadt Zürich erarbeitet. In der obligatorischen Volksabstimmung wurde diese Vorlage im Jahr 1973 haushoch abgelehnt. Damit brachten die Bürgerinnen und Bürger der Politik und der Verwaltung erneut eine schwere Schlappe bei. Mit Sonder-Straßenbahnzügen und schwingenden Fahnen feierten Tausende Menschen den Sieg in den Straßen von Zürich. Schnell wurde klar, dass die Ablehnung weniger dem S-Bahnprojekt als vielmehr alleine der U-Bahn gegolten hat.
Mit der zweiten Abstimmungsniederlage war für die Politik und die Verwaltung das Thema der Tieferlegung des Tram endgültig vom Tisch. In den folgenden Jahren wurde ein beispielhaftes, einige hundert Millionen Franken schweres Investitionsprogramm für das Tram aufgelegt, das das Tram in der ganzen Stadt gegenüber dem Autoverkehr bevorrechtigte. Dieses Programm wurde von der Bevölkerung in den entsprechenden Abstimmungen gutgeheißen. Das Programm war in den kommenden Jahren so erfolgreich, dass sich Fachbesucher aus aller Welt in Zürich förmlich die Klinke in die Hand gaben. Und noch heute ist der sogenannte Modal Split (der Anteil der Benutzer des öffentlichen Verkehrs im Vergleich zum Autoverkehr) in Zürich wesentlich höher als zum Beispiel in Stuttgart - trotz der hunderte von Millionen Euro teuren Tunnels für die Stadtbahn in Stuttgart).
Im nächsten Post geht es weiter mit dem Vergleich der Verkehrs- und Städtebaugeschichte von Stuttgart und Zürich. Dann kommt das Thema S-Bahn an die Reihe.
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