Freitag, 8. Dezember 2023

Brüttener Tunnel in der Schweiz versus Gäubahn-Pfaffensteigtunnel - Ergebnis eindeutig

Zwei Tunnelprojekte mit ähnlicher Länge und Ausgestaltung. Aber was für Unterschiede! 

Heute vergleichen wir hier in diesem Blog den Brüttener Tunnel im Kanton Zürich mit dem Gäubahn-Pfaffensteigtunnel in der Region Stuttgart. 

Brüttener Tunnel
Der knapp neun Kilometer lange Brüttener Tunnel im Osten des Kantons Zürich soll die Fahrzeiten zwischen Zürich und Winterthur (- Ostschweiz) verkürzen sowie vor allem die Kapazität der Bahnstrecke Zürich - Winterthur massiv erhöhen.  
 
Gäubahn-Pfaffensteigtunnel
Der 11,2 Kilometer lange Gäubahn-Pfaffensteigtunnel soll die Gäubahn über den Stuttgarter Flughafen zum Hauptbahnhof führen. Gegenüber der Bestandsstrecke, die als Verbindung zum Hauptbahnhof aufgegeben werden soll, gibt es jedoch keine Kapazitätssteigerung und nur ganz wenig Fahrzeitgewinn. Der Gäubahn-Pfaffensteigtunnel ist der möglicherweise längste Eisenbahntunnel Deutschlands*.

*Es gibt inzwischen internationale Projekte wie Dresden - Prag, die noch längere Tunnel aufweisen.
 
Die Züge pro Stunde
Der Pfaffensteigtunnel wird nur von maximal drei Zügen pro Stunde und Richtung befahren werden. Ein weiterer Zug pro Stunde und Richtung der Gäubahn würde möglicherweise ohne Befahren des Pfaffensteigtunnels nach S-Vaihingen fahren. Güterverkehr wird es nicht geben. Wir haben beim Pfaffensteigtunnel somit sechs Züge pro Stunde und 114 Züge pro Tag (Betriebszeit angenommen 19 Stunden). Das ist für den längsten Eisenbahntunnel Deutschlands sehr wenig. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Mittelknappheit sowie in Anbetracht zahlreicher wichtigerer Tunnelbauprojekte in Deutschland steht somit hinter dem Bau des Pfaffensteigtunnels ein großes Fragezeichen. 

Die Kapazität der Strecke Zürich - Winterthur steigt mit Inbetriebnahme des Brüttener Tunnels von heute 670 Züge auf zukünftig 900 Züge pro Tag. Der Brüttener Tunnel ermöglicht somit 230 zusätzliche Züge pro Tag von Zürich in die Ostschweiz und zurück (S-Bahn, Regionalzüge, Fernzüge). Das ist wichtig, um den Viertelstundentakt bei wichtigen Linien einführen zu können. Der Brüttener Tunnel soll darüber hinaus jedoch die vollkommen überlastete Bestandsstrecke entlasten, indem er Züge von der Bestandsstrecke übernimmt. Somit wird der Brüttener Tunnel von 900 geteilt durch zwei gleich 450 Zügen pro Tag befahren werden. Bei einer täglichen Betriebszeit von 19 Stunden sind dies 23,7 Züge pro Stunde sowie 11,8 Züge pro Stunde und Richtung

Ganz kurzer Vergleich mit dem Feuerbacher Tunnel von Stuttgart 21
Wir haben hier in diesem Blog ja den Engpass Feuerbacher Tunnel von Stuttgart 21 vielfach thematisiert. Der Brüttener Tunnel bestätigt diese Kritik einmal mehr.
 
Konkret: Der Nordzulauf zum Stuttgarter Hauptbahnhof ist für 40 Prozent der Nachfrage nach Bahnverkehrsleistungen (ohne S-Bahn) zum/vom Bahnknoten Stuttgart zuständig. Der Nordzulauf weist heute nur zwei Gleise auf. Eine zweigleisige Bahnstrecke zu einem großen Bahnknotenpunkt leistet nirgendwo mehr als 12 - 13 Züge pro Stunde und Richtung. Der Nordzulauf ist bereits heute mit bis zu 13 Zügen pro Stunde und Richtung ausgelastet. Stuttgart 21 sieht für den Nordzulauf keine zusätzlichen Gleise vor, sondern legt die beiden Gleise lediglich in den Feuerbacher Tunnel. Stuttgart 21 sieht aber im Feuerbacher Tunnel teilweise mehr als 13 Züge pro Stunde und Richtung vor. Der Brüttener Tunnel mit seinen 12 Zügen pro Stunde und Richtung bestätigt einmal mehr, dass der Feuerbacher Tunnel ein großes, eines von vielen, Problemen von Stuttgart 21 ist.   
 
Die Politik
Der Pfaffensteigtunnel ist kein normales, über viele Jahre gereiftes Projekt eines Bedarfsplans, sondern ein Stuttgart 21-Reparaturprojekt und ein Gesichtswahrungsprojekt, nachdem sich herausgestellt hat, dass die ursprüngliche Planung einer Führung der Gäubahn über die Gleise der Flughafen-S-Bahn nicht umsetzbar ist.
 
Das sieht man auch daran, dass der Pfaffensteigtunnel quasi ein Seiteneinsteiger in die Bedarfspläne des Bundes ist und viele andere wichtigere Projekte dort schon wesentlich länger zu finden sind. Geht es nach der Propaganda, soll nun der Pfaffensteigtunnel all diese anderen, viel älteren und wichtigeren Projekte überholen und früher als diese in Bau gehen und eröffnet werden. Es ist kaum wahrscheinlich, dass die Politik mit dieser Trickserei durchkommt. Zudem würde ein eigentlicher Baubeschluss für diesen Tunnel erst mit einer neuen Regierung in der folgenden Legislatur erfolgen können. Die neuesten Änderungen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind hier noch gar nicht berücksichtigt.
 
Die Zeitskala beim Brüttener Tunnel entspricht dagegen dem, was bei sonst allen Tunnels dieser Größenordnung in Deutschland und der Schweiz zu erwarten ist. Die Idee zum Tunnel stammt aus den 80er Jahren. Ein eigentlicher Baubeschluss erfolgte im Jahr 2019. Der Tunnel wurde in das Ausbauprogramm bis 2035 eingeordnet (in der Schweiz gibt es Ausbauprogramme für die Bahn, die jeweils 15 Jahre umfassen). Nach heutiger Planung ist die Fertigstellung des Tunnels bis Ende 2035 vorgesehen. Zwischen der Idee und der Inbetriebnahme des Tunnels vergehen somit ca. 50 Jahre. Das sind Zeiträume, wie sie auch bei langen Tunnels in Deutschland bekannt sind. Umso befremdlicher und realitätsferner erscheint hier der Pfaffensteigtunnel mit einem Zeitraum zwischen Idee (Bilgertunnel) und der anvisierten Inbetriebnahme 2032 von ca. 12 Jahren.
 
Integraler Taktfahrplan / Deutschlandtakt
Der Brüttener Tunnel ist enorm wichtig, um den Integralen Taktfahrplan auch in die Ostschweiz bringen zu können. Hierzu ist eine Fahrzeit von Zürich nach St. Gallen von weniger als einer Stunde erforderlich. Die entscheidenden Minuten Fahrzeitersparnis dazu bringt der Brüttener Tunnel. 

Auch beim Pfaffensteigtunnel wird immer wieder das Zauberwort Deutschlandtakt (= Integraler Taktfahrplan) verwendet. Das soll wohl die Kritik zum Verstummen bringen. Denn der Deutschlandtakt ist doch etwas Gutes. 

Bei genauerem Hinsehen ist der Pfaffensteigtunnel für den Deutschlandtakt jedoch nicht erforderlich. Hierbei muss man von einem Endzustand ausgehen, der eine Fahrzeit Mannheim-Stuttgart von knapp unter 30 Minuten beinhaltet. Damit kommen die Züge der Magistrale Mannheim - Stuttgart - München zu den Minuten 28 und 58 im Stuttgarter Hauptbahnhof an und fahren zu den Minuten 32 und 02 wieder ab (Mindestaufenthaltszeit 4 Minuten). Alle anderen Züge - auch die der Gäubahn - gruppieren sich darum herum. Sie kommen früher an und fahren später ab als die Züge der Magistrale. Bei einer Fahrzeit Stuttgart - Böblingen von 21 Minuten über die Bestandsstrecke kommen die Züge der Gäubahn zu den Minuten 52 und 22 im Stuttgarter Hauptbahnhof an und fahren dort zu den Minuten 08 und 38 ab. Das ermöglicht dann auch noch einen 00/30er Knoten in Böblingen. Zudem sind die Umsteigezeiten im Stuttgarter Hauptbahnhof (Stuttgart 21-Durchgangsbahnhof und Ergänzungsbahnhof) dann bestens.
 
Sind die Klagen von DUH und LNV gegen die Kappung der Gäubahn doch viel aussichtsreicher als vermutet?
Der aktuelle Aktionismus rund um den Pfaffensteigtunnel kann auch darauf hindeuten, dass in den Amtsstuben sehr wohl mit der Möglichkeit einer erfolgreichen Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und des Landesnaturschutzverbands (LNV) gegen eine Kappung der Gäubahn ab 2025 gerechnet wird. Dem sollen wohl jetzt die Planungsaktivitäten und der - kaum realistische - Inbetriebnahmezeitpunkt 2032 des Pfaffensteigtunnels entgegengesetzt werden.
 
Hoffen wir, dass der Pfaffensteigtunnel - wenn nicht bereits durch die großen bevorstehenden Änderungen als  Folge des Verfassungsgerichtsurteils - durch erfolgreiche Klagen der DUH und des LNV bald in das Archiv der gescheiterten Großprojekte befördert wird.


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