Samstag, 12. Februar 2022

Gerichtsurteil zu den Mehrkosten von Stuttgart 21 wird mit Spannung erwartet

Das Stuttgarter Verwaltungsgericht hat bestätigt, dass noch im laufenden Jahr 2022 die Verhandlung über eine Klage der Bahn gegen die Projektpartner von Stuttgart 21 in Sachen Mehrkostenübernahme stattfinden soll. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird im Laufe des Jahres 2022 auch bereits ein Urteil in der Sache gesprochen werden.

Das Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts in Sachen Mehrkostenstreit bei Stuttgart 21 wird mit Spannung erwartet. Denn die Materie ist hochkomplex. Einfache Antworten gibt es nicht. Jedenfalls ist die Sache bei weitem nicht so eindeutig, wie es verschiedene Statements der Bahn, des Landes BW, des Bundes und der Landeshauptstadt Stuttgart uns glauben machen wollen.

Das versuchen wir mal in aller Kürze aufzuzeichnen. Fangen wir mit dem Land BW an.

 

Das Land BW ist aus der Mehrkostenübernahme in Sachen Stuttgart 21 nicht heraus
Das Land BW äußert sich oft und regelmäßig in Sachen Mehrkostenübernahme bei Stuttgart 21 so, dass das Land nicht bereit ist, Mehrkosten über die im Bau- und Finanzierungsvertrag genannten Summen zu übernehmen. Denn Stuttgart 21 sei kein Projekt des Landes, sondern ein eigenwirtschaftliches Projekt der Bahn. Die gemäß Vertrag zu Stuttgart 21 vom Land gewährten Mittel seien bereits freiwillig.
 
Hierzu gilt es zunächst mal anzumerken, dass das Statement des Landes falsch ist. Denn das Land hat bereits Mehrkosten über die im Vertrag genannten Summen zu Stuttgart 21 übernommen. Das Land bezahlt die Große Wendlinger Kurve vollständig. Das Land hat den Regionalbahnhof S-Vaihingen vollständig finanziert. Das Land will sogar ein drittes Gleis beim Flughafen für die Gäubahn finanzieren, ein Projekt, von dem wir nach wie vor hoffen dürfen, dass es niemals gebaut wird. Diese Maßnahmen sind alles Reparaturmaßnahmen zu Stuttgart 21, ohne die das Projekt noch weniger funktionieren würde als nach wie vor zu erwarten ist.
 
In der Hauptsache war und ist sich das Land BW jedoch stets bewusst, dass die Bahn das Projekt Stuttgart 21 nur deshalb und nur dann betreibt und umsetzt, weil und wenn es für die Bahn sich eigenwirtschaftlich rechnet. Das wusste auch der frühere MP Oettinger. Deshalb hat er der Bahn riesige Summen des Landes für Stuttgart 21 versprochen und zudem der Bahn auch noch einen fürstlich entlohnten Finanzierungsvertrag für Regionalverkehrsleistungen zuerkannt. Damit war und ist dem Land bewusst, dass Entwicklungen wie z.B. Kostenexplosionen, die das Projekt unwirtschaftlich werden lassen, nur mit weiteren Zuschüssen in entsprechender Höhe seitens des Landes begegnet werden können, und nur  mit weiteren Zuschüssen des Landes ein Baustopp abgewendet werden kann.
 
Also: Das Land ist in Sachen Mehrkostenübernahme bei Stuttgart 21 keineswegs aus dem Schneider.
 
Die Landeshauptstadt Stuttgart redet sich mit der städtebaulichen Chance von Stuttgart 21 um Kopf und Kragen
Kommen wir jetzt zur Landeshauptstadt Stuttgart. OB Frank Nopper hat in einem Interview mit dem SWR-Fernsehen betont, dass er in Sachen Kostenübernahme bei Stuttgart 21 mit dem Landesverkehrsminister Winfried Hermann einer Meinung sei. Eine weitere Kostenübernahme durch die Landeshauptstadt Stuttgart über die im Vertrag genannten Summen hinaus werde es nicht geben. Stuttgart 21 sei ein Projekt der Bahn AG.
 
Im gleichen Interview schildert Nopper die mit Stuttgart 21 angeblich verbundenen städtebaulichen Entwicklungsmöglichkeiten in den schönsten Farben. Dies sei nach der Hamburger Hafencity die zweitgrößte städtebauliche Entwicklungsmaßnahme in Deutschland.
 
Zunächst einmal wäre kurz einzuflechten, dass sich Stuttgart 21 bisher nicht gerade als städtebaulicher Booster erwiesen hat. In Stuttgart werden weniger Wohnungen gebaut als in vielen vergleichbaren Städten. In vielen Städten, die ihren Hauptbahnhof an der Obefläche belassen, sind größere städtebauliche Entwicklungsprojekte im Gang als in Stuttgart. Es besteht der Verdacht, dass sich Stuttgart 21 mehr als städtebaulicher Hemmschuh denn als städtebauliche Rakete erweist.
 
Jetzt aber zur Kostenfrage. Es ist nicht die Aufgabe der Bahn, städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen zu finanzieren. Gerade jetzt im Umfeld des Klimawandels steht  an erster Stelle der Agenda, dass die Bahn ihre knappen Mittel in zusätzliche Gleise steckt und nicht in bahnfremde Maßnahmen. Wenn OB Nopper die städtebaulichen Entwicklungsmöglichkeiten bei Stuttgart 21 an die erste Stelle setzt, wäre dem zu entgegnen, dass dies nicht die Aufgabe der Bahn ist. Von daher wäre eine Übernahme aller Mehrkosten bei Stuttgart 21 durch die Landeshauptstadt Stuttgart angebracht. Damit wäre Stuttgart pleite und der Haushalt der Stadt würde zukünftig vom Regierungspräsidium Stuttgart festgesetzt.
 
Die Bahn hätte das Projekt bereits früh stoppen müssen
Der frühere Bahnchef Grube wird immer wieder zitiert, dass die Bahn mit dem heutigen Wissen das Projekt Stuttgart 21 nicht umgesetzt hätte. Ähnliches soll auch der heutige Bahnvorstand Lutz gesagt haben. Mit einem Verweis darauf ist die Bahn allerdings nicht außen vor, wenn es um die Übernahme von Mehrkosten beim Projekt Stuttgart 21 geht.
 
Denn von allen Projektpartnern ist es die Bahn, die die größte fachliche Expertise zu Stuttgart 21 sowie zum Eisenbahnwesen aufweist. Von daher wäre es die Pflicht der Bahn gewesen, die anderen Projektpartner über Unstimmigkeiten und Fehlentwicklungen bei Stuttgart 21 in Kenntnis zu setzen und einen Abbruch oder wenigstens eine maßgebliche Änderung des Projekts Stuttgart 21 zu veranlassen.
 
Beispiele dafür sind der Deutschlandtakt sowie die angestrebte Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030. Dafür und für viele andere Dinge ist das Projekt Stuttgart 21 nicht geeignet.
 
Weil eine Initiative der Bahn zum Stopp von Stuttgart 21 bzw. wenigstens eine wesentliche Änderung des Projekts nicht wahrnehmbar war, ist es möglich, dass auch die Bahn die Mehrkosten beim Projekt wird tragen müssen.    
 
Der Bund ist Eigentümer der Bahn und kann sich nicht so einfach aus der Sache herausreden
Der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium Michael Theurer stellte vor wenigen Tagen in einem Interview fest, dass Stuttgart 21 kein Projekt des Bedarfsplans der Schienenwege des Bundes ist.
 
Das entspricht der bisherigen Argumentationslinie des Bundes und ist höchst aufschlussreich. Das bedeutet nämlich konkret, dass die für den Ausbau des Bahnknotens Stuttgart zuständige staatliche Instution an Stuttgart 21 kein Interesse hat und dieses Projekt niemals begonnen hätte. Das veranlasste dann ja bekanntlich das Land BW unter MP Oettinger, eine Finanzierung von Stuttgart 21 auf vollkommen ungewöhnlichem Wege einzuleiten. Damit aber begann alles Übel. Niemals hätte man so etwas machen dürfen.
 
Gleichwohl ist der Bund bei den Mehrkosten für Stuttgart 21 nicht außen vor. Denn die Bahn gehört zu 100 Prozent dem Bund. Jederzeit hätten die Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat der Bahn das Projekt stoppen können. Die Vertreter der Arbeitnehmerseite passen sich bei solchen Fällen üblicherweise dem Bund an. Der Bund hat das Projekt aber nicht gestoppt. Eine Übernahme der Mehrkosten durch den Bund rückt damit in den Bereich des Möglichen.
 
Fazit
Keiner der Projektpartner von Stuttgart 21 kann sich sicher sein, vor Gericht nicht zu einer Übernahme eines Teils der Kosten oder sogar aller Mehrkosten verdonnert zu werden. Deshalb wäre es nach wie vor besser, die Projektpartner zögen die Klage vor Gericht zurück und einigten sich außergerichtlich. Das müsste aber unabdingbar verbunden sein mit einer Einigung über Änderungen beim Ausbau des Bahnknotens Stuttgart, die die zukünftigen Anforderungen berücksichtigen.
 
Das bedeutet konkret: 
Mehr Zulaufgleise, indem das 5. und 6. Gleis der Zufahrt Zuffenhausen gebaut werden und die Panoramastrecke der Gäubahn in Betrieb bleibt.
 
Mehr Bahnsteiggleise, indem beim Hauptbahnhof ein Ergänzungsbahnhof gebaut wird.
 
Gibt es mindestens einen Politiker bzw. eine Politikerin mit Fachwissen, Charisma und Durchsetzungsvermögen, der bzw. die auf diesem Weg voranschreiten kann?        

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.