Freitag, 28. Juni 2019

Ein zusätzlicher Kopfbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof ist nicht nur wegen des integralen Taktfahrplans erforderlich

Im Zusammenhang mit den Planungen für einen integralen Taktfahrplan in Deutschland (Deutschlandtakt) nach Schweizer Vorbild hat die Diskussion um einen zusätzlichen Kopfbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof Fahrt aufgenommen.

Ein zusätzlicher sechs- bis achtgleisiger Kopfbahnhof neben dem im Bau befindlichen achtgleisigen Durchgangsbahnhof und neben dem im Betrieb befindlichen zweigleisigen S-Bahnhaltepunkt ist jedoch beim Stuttgarter Hauptbahnhof unabhängig vom integralen Taktfahrplan erforderlich. Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis beim Stuttgarter Hauptbahnhof ein Vollknoten im Rahmen eines integralen Taktfahrplans eingerichtet werden kann. Das soll im folgenden Post in diesem Blog näher betrachtet werden. Der integrale Taktfahrplan ist somit nicht oder wenigstens nicht alleine bestimmend, wenn es um die Notwendigkeit eines zusätzlichen Kopfbahnhofs geht. 

Das sind die erstrangigen Gründe, die den Bau eines sechs- bis achtgleisigen Kopfbahnhofs zusätzlich zum achtgleisigen Tiefbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof erforderlich machen:
  • Die Überlastung der Zufahrt Zuffenhausen
  • Die Unfahrbarkeit der Gäubahnführung über den Flughafen
  • Die Überlastung der Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn

Kommen wir nun zu diesen drei Punkten im Einzelnen:


Die Überlastung der Zufahrt Zuffenhausen
Die Zufahrt Zuffenhausen hat beim Projekt Stuttgart 21 bisher nur zwei Gleise für den Fern- und Regionalverkehr. Dabei ist diese Zufahrt eine der beiden Hauptzufahrten zum Stuttgarter Hauptbahnhof. Betrachtet man nur den Fernverkehr, ist die Zufahrt Zuffenhausen für über die Hälfte aller Fernzüge ab/bis Stuttgart Hauptbahnhof zuständig. Das ist durch die geographische Lage Stuttgarts innerhalb von Deutschland begründet. Über die Hälfte aller Fernverkehrsziele ab Stuttgart befinden sich nördlich, nordöstlich und nordwestlich von Stuttgart und sind somit über die Zufahrt Zuffenhausen angebunden.

Berücksichtigt man alle Züge - also Fern- und Regionalzüge - hat die Zufahrt Zuffenhausen einen Anteil von ca. 40 Prozent an der Nachfrage nach Bahnverkehrsleistungen ab/bis Stuttgart Hauptbahnhof (ohne S-Bahn). Es gibt keinen anderen großen Bahnknoten in Deutschland, bei dem eine einzige zweigleisige Zufahrt einen so hohen Anteil an der Gesamtverkehrsleistung hat, wie das beim Stuttgarter Hauptbahnhof mit der Zufahrt Zuffenhausen der Fall ist. 

Eine zweigleisige Zufahrt zu einem großen Bahnknoten, die im Mischbetrieb von Fern- und Regionalzügen befahren wird, hat eine Leistungsgrenze von 12 bis 13 Zügen pro Stunde und Gleis. Das wurde bei der Planung von Stuttgart 21 auch so berücksichtigt. In den ergänzenden betrieblichen Untersuchungen des VWI vom 19.02.1997 fahren beim A-Fall in der geraden Stunde 12 Züge ab dem Stuttgarter Hauptbahnhof über die Zufahrt Zuffenhausen. In der ungeraden Stunde sind es 10 Züge. Im aktuellen Fahrplan fahren zwischen 16 Uhr und 17 Uhr bereits 14 Züge ab dem Stuttgarter Hauptbahnhof über die Zufahrt Zuffenhausen, zwischen 17 und 18 Uhr sind es 12 Züge. Es fahren über die Zufahrt Zuffenhausen also heute bereits so viele Züge wie für Stuttgart 21 geplant waren.

Es gibt deutschlandweit keine zweigleisige Zufahrt zu einem großen Bahnknoten mit Mischbetrieb, die von mehr als 12 bis 13 Zügen pro Stunde und Gleis befahren wird. Damit ist klar: Die Zufahrt Zuffenhausen ist bereits heute an der Belastungsgrenze angelangt. Zukünftige Verkehrsleistungen, die zudem sauber getaktet sein sollten, kann die Zufahrt Zuffenhausen nicht mehr aufnehmen.

Es sind somit für die Zufahrt Zuffenhausen zwei zusätzliche Gleise erforderlich, die aber nicht in den Stuttgart 21-Tiefbahnhof führen können, sondern die in einen Kopfbahnhof führen müssen. Der achtgleisige Stuttgart 21-Tiefbahnhof könnte die über die zwei zusätzlichen Gleise der Zufahrt Zuffenhausen kommenden Züge nicht mehr aufnehmen.

Die Unfahrbarkeit der Gäubahnführung über den Flughafen
Die geplante Gäubahnführung über den Flughafen zeichnet sich durch eine ungewöhnlich hohe Zahl an Engstellen aus, die zudem unmittelbar aneinander anschließen. Auch hier wird man deutschlandweit keinen zweiten Fall in dieser Form und Schwere finden.

Besonders gravierend ist, dass die Gäubahn bei einer Führung über den Flughafen sich gleich mit zwei S-Bahnstrecken die Gleise streitig machen muss und sich damit gleich in zwei vollkommen unterschiedliche Taktfolgen der S-Bahn einfügen muss (S1 Herrenberg-Rohr sowie S2/S3 Rohr-Flughafen). Das alleine führt in den meisten Fällen bereits zur Unfahrbarkeit.

Es kommen bei einer Führung der Gäubahn über den Flughafen jedoch zusätzlich zu diesen beiden Engstellen vom Typ Mischbetrieb noch weitere Engstellen hinzu. Das sind die Einfädelung in den Fildertunnel, der eingleisige Flughafenbahnhof, eine höhengleiche Gleiskreuzung zwischen der S-Bahn und der Gäubahn beim Flughafenbahnhof sowie ein Quasi-Begegnungsverbot zwischen zwei Regional- und Fernzügen im Verlauf der Strecke zwischen Rohr und Flughafen als Folge der Ausnahmegenehmigung des Bundesverkehrsministers.

Die Führung der Gäubahn über den Flughafen dürfte also nicht nur einfach, sondern sogar mehrfach unfahrbar sein. Eine eigenständige Führung der Gäubahn zum Stuttgarter Hauptbahnhof ist somit erforderlich. Hier kann bis auf weiteres nur die bestehende Panoramastrecke in Frage kommen. Eine tangentiale Führung der Panoramastrecke über ein Nordkreuz nach Bad Cannstatt ist unpraktikabel. Von Wert ist die Gäubahn für die Fahrgäste nur, wenn sie an den Stuttgarter Hauptbahnhof mit seinen fast unzähligen Umsteigemöglichkeiten angebunden wird. Auch für diesen Zweck ist der sechs- bis achtgleisige Kopfbahnhof erforderlich.

Die Überlastung der Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn
Die Fahrplanstabilität der Stuttgarter S-Bahn (Pünktlichkeit, Regelmäßigkeit) ist zur Zeit nicht zufriedenstellend. Eine Grund dafür ist die Überlastung der Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn.

Eine Entlastung der Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn ist somit erforderlich. Vorbild ist einmal mehr München, wo die Erste Stammstrecke der S-Bahn nach der Inbetriebnahme der Zweiten Stammstrecke ebenfalls entlastet werden soll. Anstatt zusätzliche Züge auf die Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn zu packen, sind also einzelne Züge sogar von der Stammstrecke wegzunehmen, ca. 4 pro Stunde. Zusätzliche S-Bahn-Angebote in der Zukunft können ebenfalls nicht in die Stammstrecke einfahren.

Eine zweite Stammstrecke für die Stuttgarter S-Bahn ist auf absehbare Zeit nicht in Sicht. Solange dies so ist, muss der sechs- bis achtgleisige Kopfbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof die Funktion einer zweiten Stammstrecke übernehmen, indem vier Züge pro Stunde des aktuellen Angebots aus der ersten und einzigen Stammstrecke herausgenommen und in den Kopfbahnhof geleitet werden. Zusätzliche S-Bahnangebote wie z. B. eine Express-S-Bahn von Nagold-Calw-Weil der Stadt-Leonberg oder eine S-Bahn von Nürtingen-Plochingen sind ebenfalls in den Kopfbahnhof zu führen.    

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