Freitag, 9. November 2018

Kombibahnhöfe und Durchmesserlinien im Städtequartett Frankfurt/München/Stuttgart/Zürich

Der Beschluss der Bundesregierung, den Ausbau des Bahnknotens Frankfurt/Main einschließlich einer unterirdisch verlaufenden Durchmesserlinie für den Fernverkehr zu forcieren, lässt auch das Projekt Stuttgart 21 in neuem Licht dastehen.

Deshalb sehen wir uns heute hier in diesem Blog erneut das Städtequartett Frankfurt/München/Stuttgart/Zürich und die dort verfolgten Lösungsansätze beim Ausbau der jeweiligen Bahnknoten näher an.

Zunächst mal ist festzuhalten, dass die Entwicklung der Bahnknoten in allen vier Städten des Städtequartetts bis in die Neunziger Jahre ähnlich verlief. Der Hauptbahnhof ist in allen vier Städten als Kopfbahnhof ausgebildet. In allen vier Städten wurden Durchmesserlinien für die S-Bahn eingerichtet. Die Hauptbahnhöfe aller vier Städte waren somit bereits ab den Neunziger Jahren Kombibahnhöfe mit einem oberirdischen Kopfbahnhof und einem unterirdischen Durchgangsbahnhof.

Mit der Präsentation des Projekts Stuttgart 21 ging die Entwicklung in den Städten des Städtequartetts auseinander. Dazu gleich mehr. Fangen wir aber bei der Detailbetrachtung zunächst mal mit Zürich an.


Zürich
Zürich hat vor wenigen Jahren seine Durchmesserlinie eröffnet. Eigentlich handelt es sich hier bereits um die zweite Durchmesserlinie. Denn die erste Durchmesserlinie = erste Stammstrecke für die S-Bahn wurde bereits in den Neunziger Jahren in Betrieb genommen.

Die (zweite) Züricher Durchmesserlinie ist perfekt auf die spezifischen Verhältnisse des Zürcher Bahnverkehrs abgestimmt.

Es gab beim Fernverkehr in Zürich die Situation, dass die Gleise des Kopfbahnhofs nicht mehr ganz ausreichten. Zudem gab es die Notwendigkeit, zur Förderung eines Taktknotens im Rahmen des integralen Taktfahrplans in der Ostschweiz (Sankt Gallen) die Fahrzeit der Fernzüge des Ost-West-Verkehrs durch den Bahnknoten Zürich hindurch um ca. 7 Minuten zu beschleunigen. Beide Forderungen wurden durch die Durchmesserlinie erfüllt. Allerdings rechnete sich die Durchmesserlinie alleine für die Bedürfnisse des Fernverkehrs nicht.

Bei der S-Bahn in Zürich gab es die Situation, dass drei S-Bahnlinien (die Linien des linken Zürichseeufers) aus Kapazitätsgründen und aus Gründen der Gleisgeometrie nicht in die erste Stammstrecke der S-Bahn einfahren konnten. Die Züge dieser Linien endeten weiterhin im Kopfbahnhof. Für diese Linien war eine zweite Stammstrecke erforderlich. Allerdings rechnete sich die Durchmesserlinie alleine für die Befürfnisse der S-Bahn nicht.

Erst als sich der Kanton Zürich (zuständig für die S-Bahn) und der Bund bzw. die SBB (zuständig für die Fernzüge) zusammensetzten, schlug die Geburtsstunde der Durchmesserlinie. Man vereinbarte, dass die Durchmesserlinie sowohl für die Fernzüge als auch für die S-Bahn gebaut werden sollte. Damit rechnete sich die Durchmesserlinie.

Gleiches wäre in den drei deutschen Städten des Städtequartetts nicht möglich. Denn die dort betriebenen S-Bahnen können bzw. sollen nicht auf den Gleisen des Fernverkehrs fahren. In der Schweiz ist dies anders. Die S-Bahnen sind dort ein integraler Bestandteil des Gesamtbahnsystems.

München
München baut zur Zeit die zweite Stammstrecke für die S-Bahn, somit also die zweite Durchmesserlinie.

Die zweite Stammstrecke für die S-Bahn scheint eine für München maßgeschneiderte Lösung zu sein. Der Großteil der München anfahrenden Fernzüge endet in München. Es gibt nur wenige durchgebundene Fernzüge. Eine Durchmesserlinie für den Fernverkehr würde sich also in München überhaupt nicht rechnen. Eine Durchmesserlinie, die für die S-Bahn und den Fernverkehr zuständig ist, scheidet wegen der Unverträglichkeit dieser beiden Verkehrsarten aus.

Es ist also sinnvoll, eine weitere Durchmesserlinie nur für die S-Bahn zu bauen. Das ist auch deshalb sinnvoll, weil diese zweite Durchmesserlinie für die S-Bahn sofort sehr stark belastet sein wird. Denn diese zweite Durchmesserlinie wird nicht nur Neuverkehre aufnehmen, sondern auch einen Teil der S-Bahnzüge von der überlasteten ersten Stammstrecke abziehen.

Frankfurt/Main
Für Frankfurt/Main ist nun eine zweite Durchmesserlinie geplant, die nur den Fernzügen dienen soll. Diese Lösung scheint für die spezifische Frankfurter Situation maßgeschneidert zu sein.

Frankfurt/Main ist wohl der Bahnknoten Deutschlands mit den meisten Fernzügen. Dazu trägt nicht zuletzt auch die zentrale Lage Frankfurts in Deutschland bei. Eine Durchmesserlinie nur für die Fernzüge scheint sich also in Frankfurt zu rechnen und scheint sehr wohl ausgelastet zu sein. Man bedenke hierzu, dass bereits heute wegen Überlastung des Frankfurter Hauptbahnhofs verschiedene Fernverkehrslinien nur noch im Südbahnhof oder im Flughafenbahnhof anhalten. Zumindest die Fernzüge, die nur noch im Südbahnhof anhalten, kann man mit der neuen Durchmesserlinie wieder zum Hauptbahnhof zurückholen.

Maßgebend für die Frankfurter Lösung ist auch, dass die Fernzüge in Frankfurt einen überdurchschnittlich langen Umweg fahren müssen, um den Hauptbahnhof anzubinden sowie dass es im Gleisvorfeld des Frankfurter Hauptbahnhofs nur vergleichweise wenig höhenfreie Gleiskreuzungen gibt.

Stuttgart und das Projekt Stuttgart 21
Drei der vier Städte des Städtequartetts bauen also eine zweite Durchmesserlinie bzw. haben bereits eine solche gebaut.

In Stuttgart wird zur Zeit das Projekt Stuttgart 21 umgesetzt. Dieses Projekt ist ganz anders als die Ausbauprojekte in den anderen Städten des Städtequartetts. Der Kopfbahnhof bleibt nicht erhalten - wie dies bei den anderen drei Städten der Fall ist - sondern entfällt vollständig.

Ist Stuttgart 21 das für Stuttgart maßgeschneiderte Ausbauprojekt?

Ich glaube nein.

Weiter oben wurde für Zürich, München und Frankfurt/Main die jeweilige spezifische Bahnbetriebssituation geschildert, die dann zur jeweiligen Ausbaulösung geführt hat. Was ist die spezifische Bahnbetriebssituation in Stuttgart?

Beim Fernverkehr kann man in Stuttgart keine Besonderheiten nennen. Es gibt nicht so viele Fernverkehrszüge wie in Zürich und Frankfurt/Main. Es sind aber mehr Fernverkehrszüge durchgebunden als in München.

Bei der Stuttgarter S-Bahn gibt es zur Zeit keinen ähnlich großen Bedarf für eine zweite Stammstrecke wie das bei den S-Bahnen in Zürich und München der Fall ist.

Der Regionalverkehr könnte jedoch eine Besonderheit des Stuttgarter Bahnknotens sein. Der Stuttgarter Bahnknoten dürfte innerhalb des Städtequartetts der Bahnknoten mit dem stärksten Regionalverkehr sein. Das leitet sich direkt aus der Siedlungsstruktur ab und hat eine Entsprechung im Straßennetz. Im Vergleich innerhalb des Städtequartetts hat die Region Stuttgart zwar das kleinste Autobahnnetz, jedoch das größte Netz an autobahnähnlich ausgebauten Bundesstraßen (die sogenannten gelben Autobahnen).

Was aber ist das maßgeschneiderte Ausbauprojekt für einen Bahnknoten mit einem starken Regionalverkehr? M.E. ist dies eine Stärkung des Kopfbahnhofs. Denn es ist unter dem Strich für die Mehrzahl der Fahrgäste günstiger, die Regionalzüge fahren in den Kopfbahnhof ein und stellen gute Anschlüsse in alle Fernverkehrs- und Regionalverkehrsrichtungen her, als dass die Regionalzüge durchgebunden sind.

Einige Regionalzüge - konkreter einige schnelle Regionalzüge - könnte man gleichwohl durchbinden, zusammen mit den durchzubindenden Fernzügen.

Hierfür erscheint eine Durchmesserlinie, bestehend aus dem Feuerbacher Tunnel, einem viergleisigen Tiefbahnhof beim Hauptbahnhof und dem Untertürkheimer Tunnel am geeignetsten zu sein. Das ist jedoch die Planung, wie sie vor dem Projekt Stuttgart 21 bestanden hat. Schade, dass sie nicht umgesetzt worden ist.

Fazit
Stuttgart schert mit dem Projekt Stuttgart 21 aus dem Städtequartett Frankfurt/München/Stuttgart/Zürich aus, indem es keine maßgeschneiderte Lösung für die Probleme seines Bahnknotens umsetzt. Alle anderen Städte setzen Lösungen um, die passgenau auf die jeweiligen Probleme und Randbedingungen abgestimmt sind.

Das wird noch Folgen haben dergestalt, dass die Region Stuttgart beim Modal Split gegenüber den anderen Regionen zurückfallen wird. Zudem wird man in Stuttgart kostspielige Ergänzungen von Stuttgart 21 vornehmen müssen, die ursprünglich nicht geplant waren. 
             

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