Freitag, 2. März 2018

Ausbau der S-Bahn in der Region Stuttgart kommt wegen Stuttgart 21 mit dreißigjähriger Verspätung

Der für die Stuttgarter S-Bahn zuständige Verband Region Stuttgart hat vor kurzem beschlossen, den durchgehenden 15-Minuten-Takt auf allen S-Bahnlinien in den kommenden Jahren einzuführen. Gemäß einem Zeitungsbericht beschäftigt sich der Verband Region Stuttgart jetzt auch zunehmend mit den streckenseitigen Ausbauten, die für die durchgehende Einführung des 15-Minuten-Takts auf allen Linien erforderlich werden.

All dies hätte bereits vor 30 Jahren angestoßen und beschlossen werden müssen. Das Projekt Stuttgart 21, hinter dem der Verband Region Stuttgart wie kaum eine andere Institution stand und wohl immer noch steht, hat die notwendigen Ausbauten des S-Bahnnetzes jedoch um ca. 30 Jahre verschoben.

Der Verband Region Stuttgart hat sein Engagement für Stuttgart 21 vor der Bevölkerung auch immer wieder damit zu rechtfertigen versucht, dass das Projekt Stuttgart 21 auch für die S-Bahn Verbesserungen bringe und die S-Bahn ein Stück weit entlaste. Das stimmt - höflich ausgedrückt - fast gar nicht. Im Post vom 30.01.2018 in diesem Blog wurde gezeigt, dass das Projekt Stuttgart 21 nur vier einzelne Verbesserungen für die S-Bahn bringt. Dem stehen aber neun Verschlechterungen gegenüber.

Besser spät als nie - so könnte man mit etwas Galgenhumor das plötzliche Problembewusstsein des Verbands Region Stuttgart in Bezug auf die Stuttgarter S-Bahn und die Erkennntis notwendiger Investitionen bezeichnen.


Beispiel: Taktlücken bei der S-Bahn im Verlauf der Strecke Böblingen-Herrenberg
Immer wieder wurde hier in diesem Blog das Problem der Taktlücken bei der S-Bahnlinie S1 zwischen Böblingen und Herrenberg angesprochen. Die S1 fährt im Berufsverkehr im 15-Minuten-Takt. Weil sich die S1 und einige Fernzüge der Gäubahn jedoch in die Quere kommen, gibt es im Berufsverkehr immer wieder Taktlücken von 30 Minuten zwischen Böblingen und Herrenberg.

Solche einzelnen Taktlücken sind für den Fahrgast mit das Schlimmste, was sich der Betreiber eines Verkehrsmittels ausdenken kann. Denn diese Taktlücken entwerten den gesamten 15-Minuten-Takt. Der Fahrgast muss bei der Ankunft am Bahnhof stets damit rechnen, dass er anstatt maximal 15 Minuten doch 30 Minuten bis zur Ankunft des Zuges warten muss. Damit wird sich der Fahrgast im Zweifel jedoch für das Auto entscheiden.

Das dritte Gleis zwischen Böblingen und Herrenberg wird jetzt vielleicht doch noch salonfähig
Wie oft wurde hier in diesem Blog der Bau des dritten Gleises zwischen Böblingen und Herrenberg gefordert, um dadurch nicht nur die Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit des Betriebs der S-Bahn und der Gäubahn zu verbessern, sondern auch den durchgehenden 15-Minuten-Takt der S1 sicherzustellen.

Ein anonymer Kommentator hat einmal zu einem der diesbezüglichen Artikel in diesem Blog angemerkt, dass die Forderung nach einem dritten Gleis doch die Eingleisigkeit für die Gäubahn zwischen Böblingen und Herrenberg bedeute und dass dies keinesfall hinzunehmen sei.

Leider hat dieser anonyme Kommentator keine Ahnung vom Betrieb einer dreigleisigen Strecke. Keineswegs bedeutet dies für die Gäubahn die Eingleisigkeit. Vielmehr gibt es eine flexible Gleiszuteilung. Die Züge der Gäubahn in Richtung Herrenberg können sowohl auf dem rechten als auch auf dem mittleren Gleis fahren. Dasselbe gilt für die Züge der Gäubahn Richtung Stuttgart.

In München scheint man die Vorteile eines dreigleisigen Betriebs besser zu kennen. So hat der bayerische Staatsminister Joachim Herrmann für die S-Bahn- und Fernbahnstrecke nach Geltendorf den dreigleisigen Ausbau vorgeschlagen.

Die S-Bahn könnte schon längst über Kirchheim/Teck nach Bad Boll und Göppingen fahren
Auch die Wiederinbetriebnahme der stillgelegten Bahnstrecken von Göppingen nach Bad Boll und von Kirchheim/Teck nach Weilheim/Teck sowie der Lückenschluss zwischen Weilheim/Teck und Bad Boll wird jetzt zunehmend gefordert.

Hätte es das Projekt Stuttgart 21 nicht gegeben, hätte man bereits in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem Bau einer Express-S-Bahn vom bestehenden Flughafenbahnhof entlang der Autobahn A8 nach Wendlingen und weiter nach Plochingen, sowie nach Nürtingen und weiter nach Reutlingen, sowie nach Kirchheim/Teck und weiter nach Weilheim/Teck-Bad Boll-Göppingen beginnen können.

Leider kam es nicht soweit. Mit Stuttgart 21 stehen wir auch 30 Jahre später beim Flughafen immer noch vor einem Gleis-Scherbenhaufen.

Der Verband Region Stuttgart muss aufpassen, dass er jetzt nicht in ein falsches Fahrwasser kommt
Der Verband Region Stuttgart überlegt sich auch Ausbauten im Verlauf derjenigen Strecken, auf denen die S-Bahn heute grundsätzlich nur im Halbstundentakt verkehrt (Plochingen-Kirchheim/Teck, Renningen-Böblingen, Marbach-Backnang). 

Das ist "nice to have". Es bleibt jedoch festzuhalten, dass eine Schnittstelle zwischen dem 15-Minuten-Takt und einem größeren Takt irgendwo im VVS-Netz stattfinden muss. Es ist keineswegs zwangsläufig so, dass alle S-Bahnstrecken im 15-Minuten-Takt betrieben werden müssen, vor allem auch unter dem Gesichtspunkt, dass die hierfür erforderlichen Investitionen vielleicht doch anderswo dringender gebraucht werden. 

Der Verband Region Stuttgart muss auf einen ausgewogenen Ausbau bei den Streckenzweigen und bei der Stammstrecke achten
Insbesondere muss der Verband Region Stuttgart darauf achten, dass nicht nur irgendwelche Streckenzweige weit weg von Stuttgart ausgebaut werden, sondern dass auch der Kern des Netzes, somit also die Stammstrecke(n) den erforderlichen Ausbau erfährt/erfahren.

Ein Negativbeispiel befindet sich ja direkt  vor der Haustür des Verbands Region Stuttgart. Das ist die Stuttgarter Stadtbahn (siehe den Post vom 17.02.2018 in diesem Blog). Die Stuttgarter Stadtbahn verfügt leider nicht über ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Streckenzweigen und den Stammstrecken. Als einziges unter den vergleichbaren Großstädten Deutschlands hat das städtische Schienenverkehrssystem in Stuttgart nur zwei Stammstrecken und damit mindestens eine Stammstrecke zu wenig. Der Quotient zwischen der Zahl der Streckenzweige und der Zahl der Stammstrecken ist bei der Stuttgarter Stadtbahn mit der Zahl neun so groß wie bei keinem anderen städtischen Schienenverkehrssystem in Deutschland und in Europa. Das führt zu mangelnder Leistungsfähigkeit des Netzes, zu Verspätungen und Unregelmäßigkeiten.

Daran sollte sich der Verband Region Stuttgart ein negatives Beispiel nehmen.      

Als Zwischenlösung ist eine zweigleisige S-Bahnstrecke in den Stuttgarter Kopfbahnhof einzurichten
Zusammen mit der Einführung des durchgehenden 15-Minuten-Takts bei der S-Bahn und zusammen mit den Ausbauten bei den Streckenzweigen muss auch bei der Stammstrecke etwas getan werden. (siehe auch den Post vom 30.01.2018 in diesem Blog)

Wir haben bereits heute eine Situation, dass während des 15-Minuten-Takts die Stammstrecke der S-Bahn immer wieder überlastet ist. Dann kommt es zu Staus vor der Einfahrt in die Stammstrecke. Dann muss immer mal wieder ein Zug aus der Stammstrecke herausgenommen werden und zum Hauptbahnhof (Kopfbahnhof) geführt werden.

Mit dem durchgehenden 15-Minuten-Takt verschlimmert sich diese Situation noch. Dann fehlen die heute noch vorhandenen Erholungszeiten tagsüber zwischen den Zeitbereichen mit 15-Minuten-Takt. Die Stammstrecke kann den durchgehenden 15-Minuten-Takt nicht mit zufriedenstellender Betriebsqualität abwickeln.

Es ist deshalb erforderlich, die Taktfolge im Verlauf der Stammstrecke auf 3 Minuten zu vergrößern und hierzu eine der sechs Linien (z.B. die S 6) aus der Stammstrecke herauszunehmen und in den Kopfbahnhof fahren zu lassen. Hierzu muss bei der Bahn darauf hingewirkt werden, dass die heute baustellenbedingt teilweise gesperrten Gleise 1 und 2 des Kopfbahnhofs wieder in Betrieb genommen werden. Hierzu muss auch eine zweigleisige Strecke für die S-Bahn vom Nordbahnhof in den Kopfbahnhof erhalten bleiben. 

Zu einem späteren Zeitpunkt wird der Kopfbahnhof für die S6 unterirdisch angelegt und zu einem noch späteren Zeitpunkt zu einer Durchmesserlinie und zweiten Stammstrecke erweitert.  

Tangentiale Lösungen eignen sich nur als Übungsbeispiel für Studenten, wie man es nicht machen soll 
Tangentiale Lösungen (z.B. Vaihingen-Gäubahn-Zuffenhausen, oder z.B. Bad Cannstatt-Nordbahnhof-Vaihingen) sind keine geeigneten Lösungen der Stuttgarter S-Bahnproblematik.

Tangentiale Linien, die nicht über die Innenstadt und den Hauptknotenpunkt Hauptbahnhof fahren, sind nicht genügend ausgelastet. Sie ziehen andererseits wertvolle Resourcen von den wichtigen Radiallinien ab. Nicht umsonst hat man in München nach jahrzehntelanger Diskussion entschieden, die zweite Stammstrecke der S-Bahn nicht als tangentiale Verbindung (z.B. über die Südumfahrung) sondern als radiale Strecke über den Hauptbahnhof und die Innenstadt zu führen.      
    

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