In diesem Tatort spielten widrige Verkehrsverhältnisse mit Mega-Staus in Stuttgart eine wichtige Rolle. Damit weiß jetzt die Republik einmal mehr, was für eine Außenseiterstadt sich im Südwesten Deutschlands befindet.
Die höchste Feinstaub- und Stickstoffoxidbelastung, die größten und häufigsten Staus, öffentliche Verkehrsmittel mit einigen strukturellen Fehlern, sowie die größte Auseinandersetzung um ein Verkehrsprojekt in der Nachkriegszeit in Deutschland (Stuttgart 21) - das und noch einiges andere verbinden inzwischen viele Menschen in Deutschland mit Stuttgart.
Das ist keine Werbung für diese Stadt. Stuttgart hat sogar das Potenzial, den guten Ruf Deutschlands als Ganzes in Mitleidenschaft zu ziehen. Unsere Gesetze geben dies zwar nicht her. Aber eigentlich wäre es jetzt an der Zeit, dass Stuttgart für eine Übergangszeit von vielleicht zwanzig Jahren unter Sonderverwaltung des Bundes gestellt wird.
Die Außenseiterrolle von Stuttgart bei verkehrlichen Fragen hat meiner Ansicht nach nichts mit Ideologie oder mit Parteipolitik zu tun. Vielmehr handelt es sich hier um eine Provinzposse, verursacht durch die Dominanz einer relativ kleinen Gruppe, die die Richtung der Verkehrspolitik in Stuttgart hinter den Kulissen über Jahrzehnte hinweg bestimmen konnte.
Hier noch einmal die wesentlichen Fehler und Defizite beim Stuttgarter Verkehrswesen:
Das Straßenverkehrsnetz der Landeshauptstadt Stuttgart ist vollkommen falsch strukturiert und steht auf dem Kopf. Es fehlen der Mittlere Ring fast vollständig und der Außenring zur Hälfte. Zwei Bundesstraßen führen mitten in die Stuttgarter Innenstadt und in den windarmen Stuttgarter Talkessel hinein. Die Radialstraßen sind überdimensioniert. Ebenso überdimensioniert ist der City-Ring. Es gibt viel zu viele Stellplätze in Tiefgaragen und in Parkhäusern im Stuttgarter Talkessel.
Die Stuttgarter S-Bahn ist ebenfalls schlecht strukturiert. Im Gegensatz zu fast allen anderen S-Bahnsystemen verbindet die Stuttgarter S-Bahn die beiden Hauptzufahrten zum Stuttgarter Hauptbahnhof (Bad Cannstatt und Zuffenhausen) nicht direkt miteinander. Statt dessen werden diese beiden Hauptzufahrten jeweils mit einer schwachen Zufahrt (Gäubahn) verbunden. Das führt zu einem wenig wirtschaftlichen und nicht ausreichend leistungsfähigen Betrieb. Zudem muss deswegen die Hälfte aller S-Bahnzüge mitten in der Stammstrecke beim Haltepunkt Schwabstraße enden und wenden.
Die Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn hätte von Bad Cannstatt über den Hauptbahnhof nach Feuerbach und Zuffenhausen verlaufen müssen. Einen Abzweig in Richtung Universität, Vaihingen und Böblingen/Flughafen hätte man trotzdem einrichten können.
Die Stuttgarter Stadtbahn ist nicht ausreichend leistungsfähig und attraktiv. Das hat seinen Grund vor allem darin, dass es im Kern des Stadtbahnnetzes nur zwei Stammstrecken und damit mindestens eine Stammstrecke zu wenig gibt. Das leitet sich daraus ab, dass alle anderen Netze in den vergleichbaren deutschen Großstädten über drei und mehr Stammstrecken verfügen sowie daraus, dass die Stuttgarter Stadtbahn zur Zeit nicht in der Lage ist, wesentlich mehr Verkehr zu übernehmen (dichtere Takte, mehr Züge, mehr Linien). Eine dritte Stammstrecke für die Stadtbahn ist unabdingbar.
Das Projekt Stuttgart 21 setzt die Außenseiterrolle Stuttgarts bei verkehrlichen Dingen nahtlos fort. Der Regionalverkehr in der Metropolregion Stuttgart wird mit Stuttgart 21 von den Füßen auf den Kopf gestellt. Der Regionalverkehr muss so strukturiert sein, dass die aus allen Richtungen zum Stuttgarter Hauptbahnhof fahrenden Züge dort enden, wenden und wieder zurückfahren. Das ergibt sich aus dem extrem hohen Anteil an Ziel- und Quellverkehr im Stuttgarter Hauptbahnhof sowie dem hohen Anteil an Umsteigern zu den Fernzügen, zur S-Bahn, zur Stadtbahn und zu den Linienbussen. Bei Stuttgart 21 wird der Regionalverkehr im Stuttgarter Hauptbahnhof durchgebunden. Das hat negative Auswirkungen auf die Pünktlichkeit der Züge, auf den Freiheitsgrad bei der Festlegung der Fahrtenlagen (Stichworte Anschlüsse und Umsteigen) und bringt nur einer einstelligen Prozentzahl an Fahrgästen möglicherweise leichte Vorteile.
Der Stuttgart 21-Tiefbahnhof weist relativ schmale Bahnsteige, wenig Gleise und eine weit über den deutschen Normen liegende Gleisneigung auf. Auch beim Stuttgart 21-Tiefbahnhof leidet Stuttgart somit unter einer deutschland- und sogar europaweiten Außenseiterrolle.
40 Prozent der Nachfrage nach Bahnverkehrsleistungen zum Bahnknoten Stuttgart sollen bei Stuttgart 21 über eine nur zweigleisige Zufahrt abgewickelt werden (Zufahrt Zuffenhausen) - eine einmalige Konstellation in Deutschland.
Beim mittelprächtigen Stuttgarter Flughafen spielt Stuttgart 21 mit dem neuen eingleisigen Flughafenbahnhof der Gäubahn, mit dem neuen in großer Tiefenlage liegenden Flughafenbahnhof der Strecke Stuttgart-Ulm einschließlich Anschlusstunnels, mit dem 180 Grad-Tunnel der Gäubahn um den Langwieser See, mit dem bestehenden Bahnhof der S-Bahn, der auch für Regionalzüge zugänglich werden soll sowie mit der Schnellfahrstrecke entlang der A8 ein Eisenbahn-Ballett auf, das weltweit seinesgleichen sucht und das gleichwohl weniger leistungsfähig ist als die viel klarer strukturierten Bahnanschlüsse anderer Flughäfen.
Hätte das Projekt Stuttgart 21 aus einer zweiten Stammstrecke für die S-Bahn sowie aus einer neuen Durchmesserlinie für die Fernzüge bestanden, wäre alles in Ordnung gewesen. So wie Stuttgart 21 heute strukturiert ist, reitet es Stuttgart noch tiefer in die Verkehrsmisere hinein.
Es sei noch einmal gesagt: Die Verkehrsmisere in Stuttgart und die Außenseiterrolle Stuttgarts bei verkehrlichen Dingen taugt nicht zur ideologischen und parteipolitischen Auseinandersetzung.
Jetzt müssen alle an einem Strang ziehen
Statt dessen ist jetzt ein Zusammenrücken aller relevanten Kräfte und eine gemeinsame politische Kraftanstrengung gefragt. In den kommenden 20 Jahren muss es gelingen, Stuttgart aus einer Außenseiterrolle in verkehrlichen Dingen herauszuführen.
Beim Kapitel Straßenverkehr heißt dies:
- Bau des Mittleren Rings (B10 Pragsattel-Großmarkt, Filderaufstiegstunnel Großmarkt-Degerloch, Nordumfahrung Möhringen im Tunnel, Ausbau der Ostumfahrung Vaihingen, Ausbau der Kräherwaldstraße / Stresemannstraße)
- Vollendung des Außenrings (Nord-Ost-Ring, neue Schurwaldquerung vom Knoten B14/B29 bis Esslingen-Sirnau, neuer Filderaufstieg von Esslingen-Sirnau zur Anschlusstelle Esslingen der A8)
- Stufenweiser Rückbau vieler Radialstraßen wie z.B. Cannstatter Straße, Heilbronner Straße, Rotenwaldstraße, Leonberger Straße
- Rückbau des Cityrings und Reduzierung der Stellplätze im Stuttgarter Talkessel
Beim Kapitel Stadtbahn heißt dies:
- Bau der dritten Stammstrecke der Stadtbahn mit anschließender Taktverdichtung auf allen Linien
Beim Kapitel S-Bahn ist wegen Stuttgart 21 ein Bau der eigentlich notwendigen zweiten Stammstrecke der S-Bahn nicht mehr möglich. Umso mehr muss jetzt das Projekt Stuttgart 21 so verändert werden, dass es wenigstens ansatzweise die Funktion einer zweiten Stammstrecke für die S-Bahn mit übernehmen kann.
Beim Projekt Stuttgart 21 müssen umgehend die folgenden Veränderungen in die Wege geleitet werden:
- Bau zweier zusätzlicher Gleise für die Zufahrt Zuffenhausen
- Erhalt/Modernisierung eines ca. 10gleisigen Kopfbahnhofs, in den die Mehrzahl der Regionalzüge einfahren
- Drastische Verkleinerung und Vereinfachung des Gleisvorfelds des Stuttgarter Kopfbahnhofs im Rahmen der Instandhaltungsmaßnahmen einschließlich des Wegfalls aller Überwerfungsbauwerke und drastischer Verkleinerung der Brücke über die Wolframstraße
- Verzicht auf die Rohrer Kurve, die Umrüstung der Strecke Rohr-Flughafen auf Mischbetrieb, den Flughafenbahnhof der Gäubahn und den 180 Grad-Tunnel der Gäubahn um den Langwieser See
- Bau des Regionalbahnhofs S-Vaihingen
- Führung der Gäubahn weiterhin über die Panoramastrecke zum Kopfbahnhof
- Verzicht auf den Flughafenbahnhof in Tieflage für die Strecke Stuttgart-Ulm/Tübingen und Bau eines Bahnhofs direkt an der Autobahn A8
Wenn alle Beteiligten angesichts der Dringlichkeit der Sache wenigstens beim Thema Verkehrswesen in Stuttgart in den kommenden Jahren an einem Strang ziehen gibt es die Chance, dass der Tatort der ARD in einigen Jahren vielleicht sogar die Landeshauptstadt Stuttgart loben wird.
Was im gegenteiligen Fall passieren wird, mag man sich nicht ausmalen. Jedenfalls müsste einem in diesem Fall die kommende Generation leid tun, der man dann den Müll aller Stuttgarter Verkehrsprobleme ungelöst vor die Haustüre kippen würde.
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