Donnerstag, 31. August 2017

Die Varianten der Kombilösung für den Bahnknoten Stuttgart

Bei der Kombilösung für den Bahnknoten Stuttgart - einer Kombination aus oberirdischem Kopfbahnhof und unterirdischem Durchgangsbahnhof für den Stuttgarter Hauptbahnhof - gibt es verschiedene Varianten. 

Wir wollen im heutigen Post in diesem Blog näher betrachten, warum eine Kombilösung für den Bahnknoten Stuttgart unabdingbar ist. Dann wollen wir die verschiedenen Varianten der Kombilösung näher betrachten. Hierbei soll klar werden, welche Variante der Kombilösung mit Projektstand Stuttgart 21 vom Herbst 2017 noch am Sinnvollsten umsetzbar ist.

Warum bedarf es der Migration des Projekts Stuttgart 21 hin zur Kombilösung?


Das Problem der Zufahrt Zuffenhausen
Die Zufahrt Zuffenhausen zum Stuttgarter Hauptbahnhof verfügt beim Projekt Stuttgart 21 für den Fernverkehr und den Regionalverkehr (ohne S-Bahn) nur über zwei Gleise. Das ist entschieden zu wenig.

Über die Zufahrt Zuffenhausen werden ca. 40 Prozent der Nachfrage nach Bahnverkehrsleistungen zum und vom Bahnknoten Stuttgart abgewickelt. Es gibt in Deutschland und in Europa keinen großen Bahnknoten, bei dem 40 Prozent des gesamten Verkehrs über eine nur zweigleisige Zufahrt laufen.

Beim Fernverkehr werden sogar mehr als 50 Prozent der Nachfrage über die Zufahrt Zuffenhausen abgewickelt. Das liegt nicht etwa daran, dass der bestehende Bahnknoten Stuttgart nordlastig ist. Das hängt vielmehr mit der geographischen Lage Stuttgarts innerhalb von Deutschland zusammen, die sich auch mit Stuttgart 21 nicht ändern wird.

Die beiden Gleise der Zufahrt Zuffenhausen sind zudem Mischverkehrsgleise. Dort fahren ICE, IC, TGV, IRE und ME-Züge. Mischverkehrszufahrten haben eine weit kleinere Leistungsfähigkeit als Zufahrten, die nur von einer Zugkategorie befahren werden. Die Leistungsfähigkeit einer zweigleisigen Zufahrt Zuffenhausen ist unter diesen Randbedingungen maximal 12 Züge pro Stunde und Gleis. Es gibt zudem in Deutschland keine Zufahrt zu einem großen Bahnknoten, die mehr als diese 12 Züge pro Stunde und Gleis aufweist. Bereits heute fahren im Berufsverkehr 12 bis 13 Züge pro Stunde und Gleis über die Zufahrt Zuffenhausen.

Die zukünftige Zugzahl bei der Zufahrt Zuffenhausen dürfte bei 20 und mehr Zügen pro Stunde und Richtung liegen. Zugrundegelegt sind hierbei schnelle Regionalzugdienste von Stuttgart nach Karlsruhe, nach Bruchsal und nach Heilbronn sowie Metropolexpresszugdienste von Stuttgart nach Heilbronn, nach Pforzheim, nach Bretten und nach Calw. Dazu kommen Fernzüge der Bahn und von Wettbewerbern.

Als Lehre aus dem Rastatt-Desaster kommt als weiteres Argument hinzu, dass zwei Gleise der Zufahrt Zuffenhausen durch den Feuerbacher Tunnel bei Störungen und Unterbrechnungen nicht ausreichend sind. Es braucht zwei weitere, oberirdisch verlaufende Gleise für die Zufahrt Zuffenhausen, die in einen Kopfbahnhof münden.

Der Stuttgarter Hauptbahnhof als natürlicher Endpunkt für die Regionalverkehrsdienste
Als Argumentation für die Sinnhaftigkeit der Durchbindung der Regionalzugverkehre bei Stuttgart 21 im Stuttgarter Hauptbahnhof wird immer wieder die große Nachfrage nach solchen durchgebundenen Zugleistungen angeführt. Das trifft bei näherer Betrachtung aber nicht zu.

In fast allen großen Bahnknotenpunkten in Deutschland werden die Regionalverkehre nicht durchgebunden, auch wenn es sich hierbei um Durchgangsbahnhöfe handelt. Dafür muss es Gründe geben.

Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist ein Bahnknotenpunkt, bei dem die ganz große Mehrheit der Regionalzugreisenden nicht durchfährt, sondern aussteigt oder umsteigt. Die mit dem Regionalzug zum Stuttgarter Hauptbahnhof kommenden Reisenden steigen dort z.B. in die S-Bahn oder die Stadtbahn oder die Linienbusse oder in Taxis um. Ein weiterer Teil steigt in die Fernzüge um. Ein weiterer Teil steigt schlichtweg aus, um zu Fuß z.B. in die Stuttgarter Innenstadt weiterzugehen. Nur ein kleiner Teil steigt von einem Regionalzug in einen anderen Regionalzug um. Selbst für diesen kleinen Teil der Reisenden ist die Durchbindung der Regionalzüge nicht zwangsläufig sinnvoll. Denn die Durchbindung bringt ja nur dann etwas, wenn der Fahrtwunsch zufällig mit der durchgebundenen Strecke übereinstimmt. Alle anderen Reisenden müssen trotz Durchbindung im Stuttgarter Hauptbahnhof von einem Regionalzug in einen anderen umsteigen.

Es ist somit nicht sinnvoll, die Regionalzüge im Stuttgarter Hauptbahnhof durchzubinden. Im Gegenteil ist es sinnvoll, dass die Mehrzahl der Regionalzüge im Stuttgarter Hauptbahnhof endet, wendet und wieder zurückfährt. Das bringt darüber hinaus auch Vorteile für alle Fahrgäste. Denn die Fahrtenlagen der Züge lassen sich damit so festlegen, dass Anschlüsse von und zu anderen Zügen optimiert werden können. Zudem werden Verspätungen aus einem Streckenast nicht in den anderen Streckenast übertragen.

Um aber das Enden, Wenden und wieder Zurückfahren der Regionalzüge bestmöglich praktizieren zu können, ist beim Stuttgarter Hauptbahnhof ein ca. 10gleisiger Kopfbahnhof erforderlich.

Die Gäubahn braucht eine separate Zufahrt zum Stuttgarter Hauptbahnhof
Die Gäubahn weist beim Projekt Stuttgart 21 eine Vielzahl von unmittelbar aufeinanderfolgenden Engstellen auf. Das führt letztendlich zur Unfahrbarkeit.

Diese Engstellen sind unter anderem:
Mischbetrieb S-Bahn/Regionalzüge/Fernzüge zwischen Herrenberg und der Rohrer Kurve
Mischbetrieb S-Bahn/Regionalzüge/Fernzüge zwischen der Rohrer Kurve und dem Flughafen
Eingleisiger Flughafenbahnhof für die Gäubahn
Einfädelung in die Schnellfahrstrecke von Wendlingen
Mischbetrieb mit unterschiedlich hohen Geschwindigkeiten im Bereich des Fildertunnels
Höhengleiche Gleiskreuzung S-Bahn/Gäubahn beim Flughafen

Bereits eine einzige dieser Engstellen führt dazu, dass der Freiheitsgrad bei der Festlegung der Fahrtenlagen von 100 Prozent der Zeit auf einen wesentlich kleineren Wert sinkt. Mehrere hintereinanderliegende Engstellen führen zu einem negativen Wert bei der Wahl der möglichen Fahrtenlagen und damit zur Unfahrbarkeit.

Die Gäubahn benötigt somit eine separate Zufahrt zum Stuttgarter Hauptbahnhof. Das kann bis auf weiteres nur die bestehende Panoramastrecke und die Einführung in einen Kopfbahnhof sein.

Auch hier liefert das Rastatt-Desaster ein zusätzliches Argument für eine separate Führung der Gäubahn zum Hauptbahnhof (Kopfbahnhof).

Das Gleisgewurstel beim Stuttgarter Flughafen ist weltweit einmalig
Stuttgart 21 bringt beim Stuttgarter Flughafen zusätzlich zum bestehenden zweigleisigen Bahnhof der S-Bahn eine Schnellfahrstrecke entlang der nahen Autobahn A8, eine Ausschleifung aus dieser Schnellfahrstrecke mit einem zweigleisigen unterirdischen Flughafenbahnhof, einen eingleisigen Flughafenbahnhof für die Gäubahn sowie einen weiteren Tunnel für die Gäubahn, der eine 180 Grad-Kurve beschreibt.

Diese Konfiguration an Bahnanlagen gibt es weltweit bei keinem anderen Flughafen. Man wird hier an eine Modellbahnanlage erinnert. Dabei ist diese Konfiguration wegen der engen Kurven, der teilweisen Eingleisigkeit, des teilweisen Mischbetriebs und weiterer Engstellen keineswegs leistungsfähiger als die oft viel klarer und einfacher strukturierten Bahnanlagen an anderen Flughäfen.

Die Stuttgart 21-Konfiguration der Bahnanlagen am Flughafen darf keinesfalls umgesetzt werden. Die Bahnanlagen am Flughafen müssen reduziert werden auf den bestehenden zweigleisigen S-Bahnhof sowie einen Bahnhof direkt an der Schnellfahrstrecke neben der Autobahn A8.

Die Varianten der Kombilösung für den Bahnknoten Stuttgart
Es gibt drei Varianten der Kombilösung für den Bahnknoten Stuttgart. Diese sind die Zwangs-Kombilösung, die geplante Kombilösung sowie die pragmatische Kombilösung, die sich am aktuellen Baufortschritt von Stuttgart 21 orientiert.

Die Zwangs-Kombilösung ist dann gegeben, wenn nach einer Fertigstellung von Stuttgart 21 der Kopfbahnhof sowie die oberirdischen Zulaufstrecken dorthin weiterhin zum Teil erhalten bleiben müssen. Dies ist die teuerste aller Kombilösungen. Diese Variante der Kombilösung kann eigentlich niemand ernsthaft wollen.

Die geplante Kombilösung entspricht dem, was vor dem Projekt Stuttgart 21 geplant war, bzw. dem, was die Verkehrsberatungsfirma SMA zusammen mit Heiner Geißler vorgeschlagen hat. Diese Variante der Kombilösung ist die beste aller Varianten. Gleichwohl kann diese Variante nicht mehr umgesetzt werden. Denn es sind im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 bereits einige Teile in Bau gegangen (z.B. Untertürkheimer Tunnel, Cannstatter Tunnel), die man für die geplante Kombilösung nicht benötigt.

Die pragmatische Kombilösung, die sich am aktuellen Baufortschritt von Stuttgart 21 orientiert, ist dadurch gekennzeichnet, dass diejenigen Teile von Stuttgart 21, die bereits in Bau gegangen sind, anerkannt werden. Auf diejenigen Teile von Stuttgart 21, die noch nicht in Bau gegangen sind, wird dagegen verzichtet. Das sind insbesondere:
die Rohrer Kurve
die Umrüstung der S-Bahnstrecke zum Flughafen für Mischbetrieb
der eingleisige Flughafenbahnhof für die Gäubahn
der Tunnel der Gäubahn mit 180 Grad Kurve um den Langwieser See
der Flughafenbahnhof für die Strecke Stuttgart-Ulm mit Ausschliefung aus der Schnellfahrstrecke.

Statt dessen erhält die Zufahrt Zuffenhausen zwei weitere Gleise. Ein ca. zehngleisiger Kopfbahnhof bleibt erhalten mit jeweils zweigleisigen Zulaufstrecken von der Gäubahn, von Zuffenhausen und von Bad Cannstatt. Der vom Land zu finanzierende Regionalbahnhof in S-Vaihingen ist eine gute Vorleistung für diese pragmatische Kombilösung. Für die Strecken Stuttgart-Ulm und Stuttgart-Tübingen gibt es einen Flughafenbahnhof direkt an der A8.

Welche Variante der Kombilösung kann jetzt noch realisitischerweise umgesetzt werden?
Realisitischerweise kann nur noch die pragmatische Kombilösung umgesetzt werden. Andererseits ist es für die Umsetzung der pragmatischen Kombilösung noch nicht zu spät. Mit der Umsetzung der pragmatischen Kombilösung kann noch das Schlimmste verhindert werden. Mit der pragmatischen Kombilösung wird der Bahnknoten Stuttgart zudem zukunftsfähig und ausreichend leistungsfähig.

Die Zwangs-Kombilösung muss verhindert werden. Lösungen, die die im Rahmen von Stuttgart 21 gerade im Bau befindlichen Tunnel grundweg ablehnen, sind jedoch ebenso unrealistisch. Hier läuft man Gefahr, am Ende mit leeren Händen dazustehen, alles zu wollen und am Ende nichts zu bekommen. 

Jetzt müssen alle an einem Strang ziehen 
Es gibt realisitische Chancen, die pragmatische Kombilösung noch umsetzen zu können. Hierzu ist es jedoch erforderlich, dass alle Akteure an einem Strang ziehen. Die gerade zu beobachtende Grüppchenbildung bei der Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 ist hier kontraproduktiv.

Zunächst mal müssten sich alle Beteiligten - somit also VCD, Pro Bahn, BUND, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, Schutzgemeinschaft Filder - auf eine gemeinsame Linie einigen. Realistischerweise und unter den gegebenen Umständen kann dies nur die pragmatische Kombilösung sein.

Andererseits gibt es gute Chancen, diese pragmatische Kombilösung dann auch bei den verschiedenen Parteien zu bewerben. Mir fällt im Moment keine Partei ein, die sich einer sachlichen Diskussion auf der Ebene der pragmatischen Kombilösung verweigern würde.

Vielleicht - hier irre ich mich aber möglicherweise - ist sogar die Bahn offen für die pragmatische Kombilösung. Denn der vorübergehende Baustopp von wichtigen Abschnitten im Filderraum könnte als ein Fingerzeig in diese Richtung einer pragmatischen Kombilösung gedeutet werden. 


 



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