Montag, 9. Dezember 2013

Mit der Express-S-Bahn aus der Stuttgart 21-Sackgasse, Teil 7

Die Behauptung, dass das Projekt Stuttgart 21 alternativlos ist, entbehrt jeder Grundlage. Diese Behauptung legt vielmehr Zeugnis ab von der Faulheit vieler politischer Entscheidungsträger sowie eines Teils der Bevölkerung. Man stimmte einfach dem erstbesten Projekt zu, das im Namen eines Ausbaus des Bahnknotens Stuttgart dahergelaufen kam und mit einem gewollten Überraschungscoup präsentiert wurde.

Wir haben uns in diesem Blog für den schwierigeren Weg entschieden. Wir schauen zuerst, wie andere Bahnknoten in Europa ausgebaut werden, wie andere Regionen mehr Verkehr auf die Schiene bringen wollen, und ziehen daraus die Schlussfolgerungen für den erforderlichen Ausbau des Bahnknotens Stuttgart. Und dabei gab es bereits überraschende Erkenntnisse.

Die Bestandserfassung der Bahnausbauprojekte in Europa hatte zum Ergebnis, dass die Zürcher Durchmesserlinie, die in einer ersten Stufe im Jahr 2014 in Betrieb gehen wird, fast haargenau auf die Ausbaubedürfnisse des Bahnknotens Stuttgart in einem zweiten Ausbauabschnitt zwischen 2019 und 2030 passt.

In den ersten drei Posts der kleinen Reihe in diesem Blog zum etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart ging es um eine erste Ausbausstufe mit Zeithorizont 2019. Diese Ausbaustufe beinhaltete die Einführung des Produkts der Express-S-Bahn, die drastische Verbesserung der Anbindung des Flughafens an das Bahnnetz von BW, sowie eine erste Entlastung der S-Bahn-Stammstrecke, indem viele Fahrten und Umsteigepunkte von der Stammstrecke auf andere Strecken und Umsteigepunkte verlegt werden. Im vierten Post der Reihe ging es um die Anforderungen an eine zweite Ausbaustufe des Bahnknotens Stuttgart mit Zeithorizont 2030. Im fünften Post haben wir dann eine Ausbaulösung in der Form einer Durchmesserlinie nach dem Zürcher Vorbild vorgestellt. Im sechsten Post waren bauliche Themen im Zusammenhang mit der neuen Durchmesserlinie an der Reihe.  

Im heutigen Post in diesem Blog geht es um betriebliche Belange der zweiten Ausbaustufe des Bahnknotens Stuttgart. Im folgenden Post in diesem Blog wollen wir dann diese kleine Reihe zum etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart abschließen, indem wir verschiedene Varianten des Ausbaus des Bahnknotens Stuttgart (darunter selbstverständlich auch Stuttgart 21) auf ihre Tauglichkeit in Hinblick auf eine fundamentale Verbesserung der Betriebs- und Verkehrsverhältnisse beim Bahnknoten Stuttgart vergleichen.


Das in betrieblicher Hinsicht bedeutendste Merkmal der Durchmesserlinie ist, dass sie zwei Funktionen in sich vereinigt. Zum einen bietet sie den durchgebundenen Fernzügen eine rasche Fahrt durch den Bahnknoten Stuttgart ohne Fahrtrichtungswechsel. Zum anderen ist sie auch eine Art zweiter Stammstrecke für die Stuttgarter S-Bahn. Beide Funktionen sind für einen funktionierenden Bahnknoten Stuttgart der Zukunft enorm wichtig. Gleichzeitig deutet die Übernahme gleich zweier wichtiger Funktionen durch die Durchmesserlinie darauf hin, dass sich die Verkehrsinvestition der Durchmesserlinie rechnet.

Die wichtigste betriebliche Frage bei der Durchmesserlinie ist die Vereinbarkeit von durchgebundenem Fernverkehr und S-Bahn (Express-S-Bahn)verkehr. Diese Vereinbarkeit ist sowohl in der zeitlichen Dimension (Fahrtenlagen) als auch in der räumlichen Dimension (Ausgestaltung des Durchmesserbahnhofs) zu erörtern. 

Vereinbarkeit von Fernverkehr und S-Bahnverkehr bei der Zürcher Durchmesserlinie
Gehen wir zunächst in Gedanken zur Zürcher Durchmesserlinie und zur zeitlichen Dimension der Vereinbarkeit von Fernzügen und S-Bahnzügen. Während der Rendezvous-Zeiten im Zürcher Hauptbahnhof (um die Minuten 00 und 30) wird die Durchmesserlinie von Fernzügen befahren. Im Durchmesserbahnhof halten um die Minuten 00 und 30 die Fernzüge zweier Fernverkehrslinien, die dort am Rendezvous innerhalb des integralen Taktfahrplans teilnehmen. In den Zeiten zwischen den Fernzügen (somit zwischen den Minuten 8 und 22 sowie 38 und 52) halten im Durchmesserbahnhof die Züge der S-Bahnlinien S2, S8 und S24.

In Bezug auf die räumliche Vereinbarkeit bestehen beim Bahnhof der Zürcher Durchmesserlinie einfachere Randbedingungen als bei einem zukünftigen Stuttgarter Durchmesserbahnhof. Denn die Fernzüge und die Züge der Zürcher S-Bahn halten an denselben Bahnsteigen und haben dieselbe Bahnsteighöhe.

Die zeitliche Dimension der Vereinbarkeit von Fernverkehr und S-Bahnverkehr bei der Stuttgarter Durchmesserlinie
Was die Fahrtenlagen der Fernzüge betrifft, werden wir bei der Stuttgarter Durchmesserlinie dieselben Verhältnisse haben wie bei der Zürcher Durchmesserlinie - mit dem unbedeutenden Unterschied, dass wir die Rendezvous-Zeiten in Stuttgart bereits bei der ersten Ausbaustufe des Bahnknotens Stuttgart um die Minuten 15 und 45 herum gelegt haben. Halbstündlich hält in Stuttgart ein Zug pro Richtung im Verlauf der wichtigsten Fernverkehrslinie (Frankfurt-München) im Durchmesserbahnhof. Stündlich abwechselnd hält zudem je Richtung ein Fernverkehrszug der Relation Nürnberg-Straßburg oder der Relation Salzburg-Heidelberg im Durchmesserbahnhof. Damit stehen während der Rendezvous-Zeiten vier Fernverkehrszüge gleichzeitig im Durchmesserbahnhof. Alle Gleise des Durchmesserbahnhofs sind dann von Fernzügen belegt. Pro Stunde werden in Stuttgart somit acht Fernverkehrszüge über den Durchmesserbahnhof durchgebunden. Die in Stuttgart beginnenden und endenden Fernverkehrszüge halten weiterhin im Kopfbahnhof. (Anmerkung: Die genannten Ziele der Fernverkehrslinien sind lediglich Platzhalter, die die Linie charakterisieren sollen). Die Zahl von acht durchgebundenen Fernverkehrszügen pro Stunde in Stuttgart entspricht dem für Stuttgart 21 vom Verkehrswissenschaftlichen Institut (VWI) ermittelten Betriebsprogramm (Anlagen 21 bis 24 der ergänzenden betrieblichen Untersuchungen).

Außer den Fernverkehrszügen verkehren im Verlauf der Durchmesserlinie auch die Express-S-Bahn-Linien S9, S11 und S12 (Sofern die Option der Gäubahnanbindung gezogen wird, verkehrt auch noch die S7/S70). Diese jeweils im Halbstundentakt verkehrenden Express-S-Bahnlinien fahren während derjenigen Zeitbereiche in den Durchmesserbahnhof ein, die außerhalb der Rendezvous-Zeiten liegen (Etwas anders verhält es sich bei der S7/S70, die asymmetrisch am Rendezvous teilnimmt). Es stellt sich jetzt die Frage, ob die Fahrtenlage der Express-S-Bahnlinien im Durchmesserbahnhof außerhalb der Rendezvous-Zeiten ein Zufall ist, ob dies nur mit großen fahrplantechnischen Anstrengungen erreicht werden kann oder ob sich dies sogar systembedingt genauso ergibt.

Tatsächlich verhält es sich gemäß der letztgenannten Variante. Der Schlüssel dazu liegt bereits in der ersten Ausbaustufe des Bahnknotens Stuttgart mit Zeithorizont 2019 offen (im ersten bis dritten Post der kleinen Reihe in diesem Blog). Dort wurde bereits die Express-S-Bahnlinie S9 von Plochingen zum Hauptbahnhof in einer Art Vorlaufbetrieb eingeführt. Diese Express-S-Bahnlinie hatte die Aufgabe, den Halbstundentakt des RE Tübingen-Stuttgart zu einem Viertelstundentakt zu verdichten. Da der RE am Rendezvous innerhalb des integralen Taktfahrplans im Hauptbahnhof teilnimmt, bedeutet dies zwangsläufig und automatisch, dass die S9 nicht am Rendezvous teilnimmt und damit in den Zeiten zwischen den Rendezvous am Hauptbahnhof ankommt.

Was für die S9 gilt, trifft auch auf die anderen Express-S-Bahnlnien zu, die die Durchmesserlinie benutzen (Ausnahme S7/S70, für die besondere Bedingungen gelten). Alle diese Express-S-Bahnlinien erreichen den Durchmesserbahnhof gerade während der Zeitbereiche, zu denen dort keine Fernverkehrszüge fahren. 

Die räumliche Dimension der Vereinbarkeit von Fernverkehr und S-Bahnverkehr bei der Stuttgarter Durchmesserlinie
Kommen wir nun zur räumlichen Vereinbarkeit von Fernverkehrszügen und Express-S-Bahnzügen im Durchmesserbahnhof. Hier haben wir in Stuttgart etwas schwierigere Verhältnisse als in Zürich. Die S-Bahnen benötigen für das barrierefreie Einsteigen und Aussteigen 960 mm hohe Bahnsteige. Der Fernverkehr benötigt dagegen 760 mm hohe Bahnsteige. Dieses Problem kann für die Stuttgarter Durchmesserlinie wie folgt gelöst werden, solange eine Vereinheitlichung der Bahnsteighöhen über alle Zuggattungen hinweg noch nicht erfolgt ist:

Jeweils einer der beiden Bahnsteige pro Fahrtrichtung wird auf der gesamten Länge von 400 Metern in einer Höhe von 760 mm gebaut. Dort halten die 400 Meter langen Fernzüge der Relation Frankfurt-München und zurück. Jeweils der andere der beiden Bahnsteige pro Fahrtrichtung wird hälftig unterteilt. 200 Meter dieses Bahnsteigs werden auf eine Höhe von 960 mm gebracht. Die anderen 200 Meter werden auf eine Höhe von 760 mm gebracht. An diesem Bahnsteig halten sowohl die bis zu 210 Meter langen Express-S-Bahnzüge als auch die bis zu 200 Meter langen Fernzüge der Relationen Nürnberg-Straßburg und Salzburg-Heidelberg und zurück.

Ausblick
Das wars erst einmal in der für einen Blog gebotenen Kürze zu den betrieblichen Belangen der Stuttgarter Durchmesserlinie. Im folgenden Post in diesem Blog führen wir einen Vergleich zwischen den verschiedenen Ausbauvarianten des Bahnknotens Stuttgart durch und fragen uns, welche der Varianten die Probleme des Bahnknotens Stuttgart am besten löst.                     

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.