Freitag, 21. Dezember 2012

Wie die Stuttgart 21-Befürworter versuchen, das Projekt zu waschen

Man kann seinen Körper waschen. Man kann auch seine Wäsche waschen. Und auch Geld wird manchmal gewaschen. So bezeichnet man den Versuch, aus schmutzigem, also unredlich oder kriminell erworbenem Geld, sauberes Geld zu machen.

Neu ist, dass jetzt anscheinend auch Verkehrsprojekte gewaschen werden. Zumindest hat man dies in der Zeit vor dem Projekt Stuttgart 21 noch nicht in dieser Form gekannt. Und der Versuch, Stuttgart 21 zu waschen, läuft im Grunde ähnlich ab wie bei der Geldwäsche. Man versucht hier, aus einem aus unredlichem Antrieb entstandenen und in jeder Hinsicht eine Ausnahme darstellenden Projekt ein sauberes und normales Projekt zu machen.

Die Projektwäsche bei Stuttgart 21 erfolgt auf unterschiedliche Weise. Eine immer wieder praktizierte Variante ist, Stuttgart 21 mit anderen Verkehrsprojekten und Verkehrsbauten zu vergleichen und dabei den Eindruck zu erwecken, dass Stuttgart 21 doch auch nur eines dieser vielen normalen Projekte und Bauten ist, die es überall in Europa gibt. Eine andere Variante der Stuttgart 21-Projektwäsche besteht darin, Dinge für den bestehenden Bahnknoten Stuttgart und für den Stuttgarter Kopfbahnhof als Problem darzustellen, die überall anderswo jedoch in keinster Weise ein Problem sind.

Sehen wir uns nachfolgend einfach mal ein paar Beispiele aus dem großen Fundus der Stuttgart 21-Projektwäsche an.

"In Zürich kann man doch auch einen Durchgangsbahnhof bauen, ohne dass die Bürger protestieren"
Es wird bei dieser Argumentation verschwiegen, warum die Bürger in Zürich nicht gegen den Bau der Durchmesserlinie protestieren. Sie protestieren deshalb nicht, weil der bestehende Kopfbahnhof in Zürich keineswegs aufgegeben, sondern in voller Stärke weiterbetrieben wird. Sie protestieren nicht, weil die Zürcher Durchmesserlinie die Kapazität des Bahnknotens Zürich erweitert anstatt dass sie zurückgebaut wird. Sie protestieren nicht, weil der Bahnknoten Zürich seit vielen Jahren etappierbar mit vielen einzelnen Modulen ausgebaut wird und nicht ein Alles-oder-Nichts-Projekt ist wie Stuttgart 21. Sie protestieren nicht, weil in der Schweiz der Bahnverkehr mit der ehrlichen Absicht ausgebaut wird, noch mehr Menschen zur Fahrt mit der Bahn zu bewegen im Gegensatz zu Stuttgart 21, das diesbezüglich überhaupt keinen Ehrgeiz kennt.

Und die Bürger von Zürich protestieren nicht, weil sie im Vorfeld der Volksabstimmung zur Durchmesserlinie vollständig, ehrlich und faktengenau über die Vor- und Nachteile des Projekts informiert worden sind. 

"Wien bekommt doch auch einen Durchgangsbahnhof"
Dabei wird mit Absicht übersehen, dass der neue Wiener Durchgangsbahnhof nur zwei bisher schon bestehende unmittelbar aneinandergrenzende Kopfbahnhöfe ersetzt. Und es wird übersehen, dass es in Wien mit dem Westbahnhof auch zukünftig einen weiteren Kopfbahnhof geben wird. Es wird auch übersehen, dass der neue Wiener Durchgangsbahnhof zusammen mit den Ausbauten der Zulaufstrecken eine echte Steigerung der Leistungsfähigkeit des Wiener Bahnsystems darstellt und nicht einen Rückbau wie Stuttgart 21. Ebenfalls übersehen wird, dass der neue Wiener Hauptbahnhof zum größten Teil oberirdisch gebaut wird. Und in Bezug auf die Zahl der Gleise erfüllt der neue Wiener Hauptbahnhof das von Dr. Engelhardt neu entdeckte Grundprinzip von maximal 4 Zügen pro Stunde und Gleis bei großen Knotenbahnhöfen. 

"Brüssel hat mit dem Bahnhof Central doch auch einen Durchgangsbahnhof mit nur sechs Gleisen"
Bei diesem Vergleich wird geflissentlich übersehen, dass Brüssel auch noch andere Bahnhöfe hat. Zunächst einmal hat Brüssel den Nordbahnhof mit 12 Gleisen und den Südbahnhof mit 22 Gleisen. Diese beiden Hauptbahnhöfe Brüssels fungieren als Knotenbahnhöfe mit allen damit zusammenhängenden Funktionen wie Anschlüsse im Netz, Verspätungsausgleich, Wendemöglichkeiten und Zugbereitstellung. 

Zwischen den beiden Hauptbahnhöfen von Brüssel gibt es eine sechsgleisige Verbindungsbahn, in deren Verlauf sich der Bahnhof Central befindet. Dies ist de facto ein S-Bahnhof, an dem die Fernzüge durchfahren.    

"In China werden Bahnhöfe und Bahnstrecken viel schneller gebaut als in Deutschland und Stuttgart"
Nun mag dies ja tatsächlich stimmen und es soll jetzt hier auch nicht Thema sein, dass die politischen Systeme in Deutschland und in China unterschiedlich sind. Wesentlich ist jedoch auch bei diesem Vergleich, dass er nur zur Projektwäsche von Stuttgart 21 dient. 

Denn ein ähnlich dummes und bahnrückbauendes Projekt wie Stuttgart 21 lässt sich in China bei einer überschlägigen Durchsicht des Eisenbahnnetzes nicht finden. Hingegen lassen sich für das chinesische Eisenbahnnetz die folgenden Zahlen finden: von 1990 bis 2012 hat sich die Netzlänge von 53.400 Kilometer auf 110.000 Kilometer und die Länge der elektrifizierten Strecken von 6.900 Kilometer auf 55.000 Kilometer vergrößert.

Zudem findet sich in der wikipedia zum Bahnnetz in China der folgende interessante Satz: "Um den schnellen Ausbau der Bahn zu ermöglichen, wurden die bisherige überzogene Bürokratie und der Einfluss lokaler Parteiorganisationen auf den Bahnausbau, die oft übergeordnete Lösungen blockierten, reduziert." Das bedeutet, dass den chinesischen Oettingers wohl ein wenig auf die Finger gehauen worden ist.   


"Der bestehende Kopfbahnhof und das bestehende Gleisvorfeld sind ein Engpass"
Bahnchef Grube hat bei einer Stuttgart 21-Propagandaveranstaltung auf dem Stuttgarter Schlossplatz dieses Argument hinausposaunt. (Keine Angst, ich war nicht dabei. Aber im Fernsehen wurde am Abend dieser Auszug aus dem Redetext gesendet). Grube sagte, dass der Stuttgarter Kopfbahnhof ein richtiger Engpass, ein Bottleneck, sei (Anmerkung: anscheinend wollte er vom Publikum auch noch Applaus einheimsen dafür, dass er auch Englisch kann). 

Ironischerweise stellte sich später heraus, dass der Engpass nicht der Kopfbahnhof und dessen Gleisvorfeld ist, sondern vielmehr der Stuttgart 21-Tiefbahnhof. Der 17gleisige Kopfbahnhof mit seiner teilweise kreuzungsfreien Streckenführung im Gleisvorfeld gehört sogar zu den leistungsfähigsten Kopfbahnhöfen Europas und leistet jedenfalls mehr als der 8gleisige S21-Tiefbahnhof.

"Die Instandhaltung und Modernisierung des bestehenden Kopfbahnhofs und des Gleisvorfelds ist nur schwer durchführbar"
Das Dumme an dieser Behauptung ist, dass augenscheinlich bei allen Hunderten Bahnhöfen in Deutschland und bei allen Tausenden Bahnhöfen in Europa diese Instandhaltung und Modernisierung sehr wohl möglich ist, ohne dass der Betrieb zusammenbricht oder übergebührliche Beeinträchtigungen entstehen. Soll denn Stuttgart, das ja in vielerlei Hinsicht unter den Städten Europas ein Sonderling ist, auch diesbezüglich eine Ausnahme sein? Kann denn Stuttgart nicht einmal zur Ruhe kommen und einfach eine normale Stadt werden wie es viele andere Städte in Europa auch sind? 

Die Instandhaltung und Modernisierung ist ein integraler Bestandteil aller Verkehrswege. Je gewissenhafter und regelmäßiger sich der Baulastträger dieser Aufgabe widmet, desto weniger negativ wirkt sich die Instandhaltung und Modernisierung auf den Verkehrsbetrieb aus.

"Wegen der Unfälle und der Betriebsbeeinträchtigungen beim Kopfbahnhofumbau muss dringend Stuttgart 21 gebaut werden"
Anscheinend hat die CDU in den letzten Tagen wieder auf dieses aus dem letzten Stuttgart 21-Loch pfeifende Argument gesetzt.

Dabei ist klar, dass die Entgleisungsunfälle der letzten Monate nur deshalb passiert sind, weil das Gleisvorfeld des Kopfbahnhofs im Zuge der Stuttgart 21-Vorarbeiten zusammengestaucht worden ist. In der Folge gibt es zur Zeit enge Kurvenradien, ungünstige Wechselfolgen von geraden und kurvigen Abschnitten und merkwürdige Versätze in den Gleisen.

Als Folge der Unfälle ist nun Gleis 10 gesperrt und Gleis 8 nur reduziert nutzbar. Dadurch muss ein Teil der Fernzüge in der Zufahrt Bad Cannstatt auf die Gleise der S-Bahn ausweichen. Das wiederum führt zu massiven Verspätungen und Störungen im S-Bahn und Regionalverkehr.

Auch die Probleme mit dem Dach des Kopfbahnhofs sind ausschließlich auf die Stuttgart 21-Vorarbeiten zurückzuführen. Bei einer planmäßigen Sanierung und Modernisierung des Dachs entstehen diese Probleme nicht. 

Die Instandhaltung und Modernisierung des Kopfbahnhofs und seines Gleisvorfelds läuft vollkommen anders ab als die jetzt erfolgten Stuttgart 21-Vorarbeiten. Zahlreiche ähnliche Baumaßnahmen in vielen anderen großen Bahnhöfen beweisen das. 

Bei einer für die Zukunft erwünschten umfangreichen Modernisierung des Kopfbahnhofs wird jeweils ein Gleis gesperrt. Über gegebenenfalls einzurichtende zusätzliche Weichenverbindungen wird dafür gesorgt, dass während der Sperrung eines Gleises die betroffenen Züge auf alle erforderlichen Ersatzgleise geleitet werden können.

Während der Sperrung eines Gleises im Kopfbahnhof werden dort alle Modernisierungsarbeiten durchgeführt. Dazu gehören: das Auffüllen von heute bestehenden Hohlräumen unter dem Gleis, die Verbreiterung des Bahnsteigs, der Neubau des Dachs, der Neubau der Fußgängerunterführung in Bahnsteigmitte mit neuem Abgang und der Bau einer weiteren Fußgängerunterführung am Bahnsteigende.    

Fazit
Stuttgart 21 war von Anfang an ein unredliches Projekt. Es bedurfte deshalb von Anfang an einer umfangreichen begleitenden Arbeit, für die wir hier den neuen Namen Projektwäsche gewählt haben.

Die Projektwäsche von Stuttgart 21 bediente sich verschiedener Methoden. Einmal wurde versucht, Stuttgart 21 mit möglichst vielen anderen Verkehrsprojekten und Verkehrsbauten zu vergleichen, um daraus den Eindruck zu erwecken, dass Stuttgart 21 doch auch nur eines dieser vielen normalen Projekte und Bauten ist. Eine andere Variante war, das bestehende System in Stuttgart mit dem Kopfbahnhof und dem Gleisvorfeld schlechtzureden und Dinge abzustreiten, die an allen anderen vergleichbaren Orten problemlos durchführbar sind. Nicht zuletzt mussten dem Projekt Stuttgart 21, das zunächst einmal ausschließlich im Bestreben seine Triebfeder hatte, Grundstücke der Bahn zu versilbern, normale Nutzen nachträglich hinzugefügt werden. Denn nur so konnte man das Projekt bei der Bevölkerung richtig bewerben.

Im Laufe der langen Planungszeit von Stuttgart 21 ist nun ein Element der Projektwäsche nach dem anderen wieder in sich zusammengefallen. Damit steht Stuttgart 21 jetzt wieder da als das, was es von Anfang an war: Ein maßloses, überteuertes, feudale Anklänge aufweisendes Grundstücksspekulationsprojekt.            

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