Samstag, 11. Dezember 2010

Stuttgarter Kreuzungsplätze


In den vergangenen beiden Posts ging es um die städtebauliche Misere des Nachkriegs-Stuttgart, die im Projekt Stuttgart 21 ihre Fortsetzung finden würde. Im heutigen Post bleiben wir am Thema dran und betrachten uns einmal einige Plätze in Stuttgart. 

Schlägt man den Stuttgarter Stadtplan auf, wundert man sich über die Vielzahl an Plätzen in der Innenstadt. "Das muss ja eine schöne und interessante Stadt sein", ist vielleicht der erste Gedanke eines Betrachters, der noch nie in Stuttgart gewesen ist. Ist man jedoch vor Ort, stellt man enttäuscht fest, dass viele dieser Plätze in Wirklichkeit nichts anderes sind als hässliche Straßenkreuzungen.

In der wikipedia wird ein Platz wie folgt definiert:
"Ein Platz im städtebaulichen Kontext ist eine von Gebäuden umbaute, freie Fläche in Städten. Plätze sind Brennpunkte des öffentlichen Lebens in der Stadt. Sie sind daher das zentrale Thema und Raumelement des Städtebaus. Sie sind die "gute Stube" der Stadt und repräsentieren die Stadtherren oder Bürgerschaft. Sie sind daher zumeist besonders aufwändig gestaltet. Oft liegen wichtige öffentliche Gebäude wie Rathäuser und Kirchen an zentralen Plätzen. Die umliegenden Bauwerke haben prächtige Schaufassaden. Der Platz selbst wird mit Monumenten und Brunnen dekoriert, der Bodenbelag besteht oft aus wertvollen Materialien."

Nimmt man diese Beschreibung als Maßstab für die Stuttgarter Plätze, so können der Schlossplatz und der Schillerplatz ohne Einschränkungen als Platz gelten. Beim Marktplatz ist es schon etwas schwieriger. Die hässlichen Fassaden der nach dem Zweiten Weltkrieg dort wiederaufgebauten Gebäude einschließlich des Rathauses machen den Marktplatz nur zu einem halben Platz.

Viele andere sogenannte Plätze in Stuttgart erfüllen kein einziges der für einen Platz erforderlichen Merkmale. Sie haben weder eine Platzfläche, noch haben sie umliegende Bauwerke, die man mit Fug und Recht als solche bezeichnen kann.

Beispiele gefällig?

Der Charlottenplatz am Rand der Stuttgarter Innenstadt: was ist hier Platz?
Der Österreichische Platz zwischen S-Mitte und S-Süd: es ist geradezu verwunderlich, dass die Republik Österreich die Verwendung ihres Namens für diese Chaosfläche noch nicht untersagt hat.
     
Die beiden Bilder zeigen den Gebhard-Müller-Platz vor dem Wagenburgtunnel am Rand der Innenstadt: gemäß der allgemein anerkannten Definition ist dies kein Platz, sondern eine Straßenkreuzung.
Der Arnulf-Klett-Platz zwischen dem Hauptbahnhof und dem Hindenburgbau (der Name Hindenburgbau wurde vor kurzem vom Gebäude abmontiert): eine Randbebauung ist zwar vorhanden, aber keine Platzfläche. Also ist dies kein Platz. Die Fußgänger sehen in der Mehrzahl diese Fläche gar nicht, denn sie müssen unter dem Platz durchgehen, um in die Innenstadt zu kommen.
Der Hegelplatz am Rand der Innenstadt: sieht hier jemand eine Platzfläche? sieht hier jemand umliegende Bauwerke mit vielleicht sogar prächtigen Fassaden?
Es gibt noch wesentlich mehr Beispiele für solche Nicht-Plätze in Stuttgart. Eigentlich müsste die Stadt, um sich langfristig nicht der Lächerlichkeit preiszugeben, alle diese Platznamen stornieren. Postalisch haben sie in der Mehrzahl der Fälle sowieso keine Bedeutung. Dann gilt es, einen Masterplan Plätze und Boulevards zu entwickeln, um endlich eine städtebaulich ansprechende Entwicklung der Hauptstraßen Stuttgarts in die Wege zu leiten.

Was aber hat all dies mit Stuttgart 21 zu tun? Nun, Stuttgart 21 ist ein Projekt des letzten Jahrhunderts, das die (Platz)Fehler der Vergangenheit nahtlos fortsetzt. Nach dem Abriss der Seitenflügel des Hauptbahnhofs, eines der wenigen noch vorhandenen denkmalgeschützten Gebäude Stuttgarts und nach der Zerstörung eines Teils des Mittleren Schlossgartens soll hinter dem Bahnhof der sogenannte Straßburger Platz entstehen. Dies wird ein städtebaulicher Nicht-Ort werden, eine Wüste mit vielen, meterhoch über den Platz ragenden Bullaugen, ein Dorado für Skateborder. Wer sich versehentlich dorthin verirrt, wird den Kragen hochziehen, den Kopf einziehen und so schnell wie möglich diesen Ort wieder verlassen.

Und das Projekt Stuttgart 21 wird für die Dauer von 15 bis 20 Jahren verhindern, dass die vielen städtebaulichen Fehler, die es in dieser Stadt bereits gibt, wenigstens ansatzweise behoben werden.

Aber noch haben wir alle Chancen, dass Stuttgart 21 nicht verwirklicht wird.

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