Freitag, 26. Januar 2024

"Vorhaltebauwerke" für die S-Bahn, U-Bahn, Stadtbahn und Eisenbahn - Chancen und Risiken

Ein Vorhaltebauwerk ist ein Verkehrsbauwerk, das wegen baulicher Zusammenhänge mit anderen Bauwerken früher als eigentlich erforderlich gebaut wird. Es wird dann für einen späteren Zeitraum vorgehalten. Die für das Vorhaltebauwerk erforderlichen Mittel müssen vorfinanziert werden. Andererseits erspart ein Vorhaltebauwerk einen späteren Abbruch und Wiederaufbau anderer Bauwerke.
 
Das Wort "Vorhaltebauwerk" ist bisher nicht im Duden zu finden. In der Wikipedia gibt es bisher keinen Artikel mit der Überschrift Vorhaltebauwerk. Wortschöpfend ist in diesem Fall die Stadt München, wo in jüngster Zeit der Bau von gleich zwei großen Vorhaltebauwerken beschlossen wurde.
 
Im heutigen Post in diesem Blog sehen wir uns einige Vorhaltebauwerke in Deutschland an. Vorhaltebauwerke beinhalten Chancen und Risiken.     
 
Vorhaltebauwerk U9 im Münchner Hauptbahnhof
Das vielleicht größte Vorhaltebauwerk Deutschlands entsteht in den kommenden Jahren unter dem  Münchner Hauptbahnhof. Dort wird für ca. 660 Mio. Euro ein viergleisiger U-Bahnhof für die neue U9 gebaut (Vierte Stammstrecke der Münchner U-Bahn).

Die Kosten für den U-Bahnhof werden von der Stadt München vorfinanziert. Vorhaltebauwerk nennt man diesen neuen U-Bahnhof deshalb, weil er eigentlich in den Zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts noch gar nicht gebaut werden müsste. Denn die U9 wird - wenn überhaupt - erst Ende der Dreißiger Jahre oder gar Anfang der Vierziger Jahre in Betrieb genommen.

Wegen anderer Großvorhaben (Zweite Stammstrecke der Münchner S-Bahn und Neubau des Münchner Hauptbahnhofs), die beide jetzt in den Zwanziger Jahren im Bau sind, muss der neue Bahnhof für die U9 aber gleich mitgebaut werden. Später könnte man ihn nicht mehr oder nur unter größten Schwierigkeiten errichten.

Da geht die Stadt München ein gewisses Risiko ein. Die U9 ist vom Bund noch nicht mal genehmigt. Ohne Zuschüsse des Bundes könnte München die U9 aber nicht finanzieren. Die Gesamtkosten für die U9 werden auf vier bis zehn Milliarden Euro geschätzt. Ohne die U9 ist aber nach Auffassung der Stadt München die Verkehrswende nicht zu schaffen. 

Das ist also eine Entscheidung, um die man den Münchner Stadtrat nicht beneiden kann. Da sind Abwägungen erforderlich. Die Wahrscheinlichkeit, auf lange Sicht eine falsche Entscheidung getroffen zu haben, ist immer präsent. 

Vorhaltebauwerk für Münchens U5 im neuen Stadtteiil Freiham
Für 100 Mio. Euro will München bis 2026 unter dem Zentrum des neuen Stadtteils Freiham einen Bahnhof für die U-Bahnlinie U5 errichten. Die U5 ist zur Zeit zwischen dem bisherigen Endbahnhof Laimer Platz und Pasing im Bau. Eine weitere Verlängerung in den neuen Stadtteil Freiham wird wohl erst Ende der Dreißiger -/Anfang der Vierziger Jahre in Betrieb genommen.
 
Trotzdem soll der neue U-Bahnhof in Freiham jetzt schon gebaut werden. Denn im Moment ist dort, wo der U-Bahnhof gebaut werden soll, noch eine "Grüne Wiese". Der U-Bahnhof kann insofern relativ einfach gebaut werden. Die Stadt München will vermeiden, dass die neue Infrastruktur im neuen Stadtteil Freiham später zum Teil wieder abgerissen werden muss, wenn die U-Bahn in den Stadtteil kommt.

Pech gehabt: Vorhaltebauwerk für die nordmainische S-Bahn im Frankfurter Ostbahnhof
Zusammen mit dem Bau der Stadtbahnlinie U6 zum Ostbahnhof in Frankfurt im Jahr 1999 wurde dort als Vorhaltebauwerk ein Tunnelstück für die geplante nordmainische S-Bahnstrecke gebaut. Diese S-Bahnstrecke soll nach mehreren Terminverschiebungen jetzt endlich im Jahr 2024 in Bau gehen. Inzwischen hat sich allerdings herausgestellt, dass wegen geänderter Vorschriften das seinerzeit gebaute Vorhaltebauwerk für die S-Bahn nicht mehr weiterverwendet werden kann. Deshalb muss dieses Vorhaltebauerk jetzt abgerissen werden. Der Tunnelabschnitt für die S-Bahn beim Ostbahnhof muss neu gebaut werden. 

Werden im Tunnel unterhalb des Stuttgarter LBBW-Gebäudes jemals Stadtbahnzüge verkehren?
Auch im Streckennetz der Stuttgarter Stadtbahn gibt es zahlreiche Vorhaltebauwerke, wobei die meisten dieser Bauwerke eher kleine Dimensionen haben. Dazu gehören zum Beispiel Tunnelrampen, die für den Weiterbau des Tunnels vorbereitet sind, oder Aufweitungen von Tunneln, um eine mögliche spätere Streckenverzweigung zu ermöglichen.
 
Unter dem Gebäude der LBBW an der Fritz-Elsas-Straße (Bollwerk) hat man Tunnelröhren für die Stadtbahn gebaut, die eine spätere direktere Führung der Stadtbahn zwischen dem Rotebühlplatz und der Kreuzung Schloss-/Johannesstraße unter Umgehung der Kreuzung  Berliner Platz ermöglichen sollen. Es ist allerdings fraglich, ob diese Tunnel jemals in Betrieb genommen werden.
 
Hauptplanungsziel bei der Stuttgarter Stadtbahn für die nächsten 20 Jahre muss der Bau einer dritten Stammstrecke für die Stadtbahn sein. In diesem Zusammenhang sind dann auch weitere bestehende Defizite im Stadtbahnnetz zu heilen. Dazu gehören die städtebaulich verheerende Tunnelrampe in der Fritz-Elsas-Straße, die städtebaulich katastrophale Tunnelrampe in der Schlossstraße sowie die Gleiskreuzung Berliner Platz mit ihren Übereck-Beziehungen, die bald sogar regelmäßig von 80 Meter langen Zügen befahren werden und die auf Dauer so nicht beibehalten werden können.
 
Stuttgart 21 knausert bei den Vorhaltebauwerken
Von seinem Wesen her wird Stuttgart 21 als minimalistisches Projekt ausgeführt. Denn Stuttgart 21 ist ein eigenwirtschaftliches Projekt der Bahn und wird nicht im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans finanziert.
 
Deshalb ist zu erwarten, dass Stuttgart 21 auch bei den Vorhaltebauwerken minimalistisch vorgeht. Und tatsächlich: Es gibt kein Vorhaltebauwerk für den zukünftigen Nordzulauftunnel. Wenn dieser Tunnel später mal gebaut wird, muss der Feuerbacher Tunnel wegen der Umbauten für den Anschluss des Nordzulauftunnels wahrscheinlich mehrere Jahre gesperrt werden. Ausbaden müssen das die Fahrgäste und der Bund als Finanzier des Nordzulauftunnels. Nicht ganz so schlimm, aber ähnlich verhält es sich mit dem Cannstatter Tunnel, der wegen des Anschlusses der P-Option eine Zeitlang mit Einschränkungen leben muss.           

Stuttgart 21 bestätigt somit auch in Sachen Vorhaltebauwerke seinen Ruf als Verkehrs-Außenseiterprojekt in Europa. 

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