Donnerstag, 5. Mai 2016

Nach Stuttgart 21-Versagen: Was taugen die neuen Vorschläge der Stuttgarter CDU zum Straßenverkehr?

Die Stuttgarter Gemeinderatsfraktion der CDU unter ihrem Vorsitzenden Alexander Kotz hat vor wenigen Tagen neue Vorschläge für zukünftige Straßentunnel in der Landeshauptstadt vorgestellt. Es geht zunächst um zwei Tunnel. Ein ca. 7 Kilometer langer Tunnel (bzw. zwei nebeneinanderliegende Tunnelröhren) soll den Knoten B10/B14 beim Gaskessel mit der B27 bei Degerloch verbinden. Ein zweiter Tunnel (Ostheimer Tunnel) soll den Gaskessel mit der Stuttgarter Innenstadt beim Gebhard-Müller-Platz verbinden.

Ungeachtet der Sinnhaftigkeit dieser neuen Vorschläge ist es zunächst mal zu begrüßen, dass aus dem Gemeinderat überhaupt strategische Vorschläge zur verkehrlichen Zukunft Stuttgarts kommen. Das ist eigentlich viel zu wenig der Fall. Der Stuttgarter Gemeinderat ist viel zu oft nur ein Abnickgremium. Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass die CDU, wie auch die Fraktionen aller anderen Parteien, sich zukünftig mehr Gedanken über die verkehrliche Zukunft Stuttgarts machen und sich auch nicht scheuen, strategische Vorschläge und Anträge einzureichen.

Vor dem Hintergrund des Stuttgart 21-Desasters erscheinen jedoch die jetzt gemachten Vorschläge der CDU unter einem etwas merkwürdigen Licht. Das verkehrlich kaum wirksame, aber megateure Verkehrsprojekt Stuttgart 21 hat die Landeshauptstadt Stuttgart in verkehrlichen Dingen jetzt bereits um ca. 30 Jahre zurückgeworfen. Das gilt in Bezug auf die Anlage von Straßenringen (in erster Linie: Mittlerer Ring) ebenso wie für die dritte Stammstrecke der Stuttgarter Stadtbahn. Andere vergleichbare Städte haben all dies bereits. Den Rückstand kann Stuttgart nicht mehr aufholen.


Die Stuttgarter CDU ist für den Rückstand Stuttgarts in verkehrlichen Dingen mitverantwortlich
Die Stuttgarter CDU muss sich vorwerfen lassen, durch ihr bedingungsloses Festhalten am Projekt Stuttgart 21 für diesen verkehrlichen Rückstand Stuttgarts mit verantwortlich zu sein. Augenscheinlich will man jetzt auf Teufel komm raus versuchen, diesen Rückstand doch noch irgendwie aufzuholen. Hier ist allerdings Vorsicht angebracht, damit man aus dem Regen "Stuttgart 21" jetzt nicht in die Traufe "Straßenchaos" kommt und erneut folgenschwere Fehlentscheidungen trifft.

Die CDU muss in Sachen Stuttgart 21 etwas wiedergutmachen
Wenn wir noch ganz kurz bei Stuttgart 21 bleiben wollen, wäre zu wünschen, dass die Stuttgarter CDU ein wenig Wiedergutmachung leistet und ab sofort die Migration des ursprünglichen Stuttgart 21 hin zu einem hochleistungsfähigen und betriebsflexiblen Kombi-Hauptbahnhof unterstützt. In diesem Zusammenhang wären die besonders problematischen Bestandteile von Stuttgart 21 zu stornieren (z.B. Rohrer Kurve, Umrüstung der S-Bahnstrecke auf den Fildern, eingleisiger Flughafenbahnhof, modellbahnhafte, unterirdische Schleifen beim Langwieser See, Untertürkheimer Tunnel, Ingenhoven-Konzept mit den Lichtaugen). Statt dessen sollten neue leistungssteigernde Module umgesetzt werden (z.B. reduzierter Kopfbahnhof mit 10 Gleisen sowie Tiefbahnhof mit 6 Gleisen und breiten Bahnsteigen, zwei zusätzliche Gleise für die Zufahrt Zuffenhausen, Instandsetzung und Modernisierung der Panoramastrecke der Gäubahn als radiale Zulaufstrecke zum Kopfbahnhof, neue Haltepunkte in S-Vaihingen, S-West und S-Nord, Abzweigung vom Cannstatter Tunnel zum Kopfbahnhof).

Kommen wir jetzt aber zu den neuen Vorschlägen der Stuttgarter CDU. Von den beiden Vorschlägen für neue Straßentunnel ist einer ganz brauchbar. Der andere sollte möglichst bald im Papierkorb landen.

Der Tunnel zwischen Gaskessel und B27 ist Bestandteil eines Mittleren Rings 
Der vorgeschlagene Tunnel zwischen dem Gaskessel und der B27 bei Degerloch verläuft im Zuge eines zukünftigen Stuttgarter Mittleren Rings. Stuttgart benötigt dringend einen Mittleren Ring. Der zukünftige Stuttgarter Mittlere Ring besteht aus der Osttangente, aus der Südtangente, aus der Westtangente und aus der Nordtangente. Die B10 mit dem Tunnel Pragsattel-Löwentor und dem im Bau befindlichen Rosensteintunnel ist nichts anderes als die Osttangente eines zukünftigen Stuttgarter Mittleren Rings.

Der von der CDU vorgeschlagene Tunnel zwischen dem Gaskessel und der B27 bei Degerloch ist Bestandteil der zukünftigen Südtangente des Stuttgarter Mittleren Rings. Die Südtangente wird die B14 (und auch die B27) vollständig aus dem Stuttgarter Talkessel herausnehmen. Die Südtangente verläuft vom Gaskessel über Degerloch und Möhringen nach Vaihingen, wo sie Anschluss an die A 831 findet. 

So gut der Vorschlag der CDU für die Südtangente eines Stuttgarter Mittleren Rings auch ist, so gibt es doch im Einzelnen noch Änderungsbedarf. Es ist zu prüfen, ob an Stelle eines langen Tunnels zwischen dem Gaskessel und der B27 nicht zwei kürzere Tunnel mit einem dazwischenliegenden offenen Straßenteilstück zu realisieren sind (an der Oberfläche etwa zwischen Geroksruhe und dem Fernsehturm). Nur so lassen sich die Zufahrten von Sillenbuch, von der Mittleren Filderstraße, von Degerloch über die Jahnstraße und von S-Ost im Bereich Geroksruhe bis Fernsehturm an den zukünftigen Mittleren Ring anbinden. Diese Anbindung ist erforderlich, um Stuttgart-Ost mit Gablenberg sowie Stuttgart-Degerloch vom Durchgangsverkehr zu entlasten.

Ein Tunnel zwischen dem Gaskessel und der Innenstadt darf nicht gebaut werden
Kommen wir jetzt zum zweiten Tunnelvorschlag der CDU. Ein Tunnel zwischen dem Gaskessel und der Stuttgarter Innenstadt darf nicht gebaut werden. Es gibt in Verkehrsplanungsdingen nämlich einen Zusammenhang zwischen dem (dringend notwendigen) Mittleren Ring und dem Straßenverkehr innerhalb des Mittleren Rings (in etwa gleichzusetzen mit dem Stuttgarter Talkessel). Nach Fertigstellung von verkehrswichtigen Teilen des Mittleren Rings darf es innerhalb des Mittleren Rings keinen Straßenausbau mehr geben. Im Gegenteil: Das Straßennetz innerhalb des Mittleren Rings ist zurückzubauen. 

Das findet so in allen Städten mit Ringstraßen statt, auch in München, das ja für Stuttgart immer wieder ein Vorbild ist. Der Münchner Mittlere Ring wird ständig ausgebaut. Ständig entstehen neue Tunnel. Der Straßenausbau innerhalb des Mittleren Rings ist jedoch in München ein absolutes No Go.

Die Stuttgarter CDU wird mit größter Wahrscheinlichkeit keinen Fachmann finden, der einen Tunnel innerhalb des Stuttgarter Mittleren Rings, mit dem die Autos förmlich in den Stuttgarter Talkessel hineinkatapultiert werden, gutheißt. Die CDU wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch niemals die politischen Mehrheiten für einen solchen Tunnel finden.

Also müsste man doch sagen: "Liebe CDU, gebt diesen Tunnel bitte sofort auf. Verschwendet nicht wertvolle Zeit und Energie für diesen Tunnel. Lasst die Verwaltung nicht wertvolle Resourcen für die Prüfung eines solchen Tunnels aufwenden. Konzentriert euch bitte auf die machbaren Verkehrsdinge".  Dasselbe gilt übrigens auch für die immer wieder aufkommenden Forderungen nach einer zweiten Röhre für den Heslacher Tunnel. Auch das ist ein No Go. Der Heslacher Tunnel liegt innerhalb des Stuttgarter Mittleren Rings. Eine zweite Röhre wird es niemals geben. 

Wer darf zukünftig im Stuttgarter Talkessel noch fahren?
Wie aber soll oder muss der Verkehr im Stuttgarter Talkessel zukünftig aussehen? Das Ziel muss sein, dass zukünftig nur noch die folgenden Straßenverkehre in den und im Stuttgarter Talkessel fahren dürfen:
  • Krankenwagen, Feuerwehr, Polizei, technische Hilfsdienste
  • Linienbusverkehr
  • Wirtschaftsverkehr
  • Anwohnerverkehr
Da sind jetzt drei bisher sehr wichtige Straßenverkehre nicht mehr darunter: 
  • Der Verkehr zu den Arbeitsplätzen im Stuttgarter Talkessel (einströmender Pendlerverkehr)
  • der Verkehr zum Einkaufen
  • und der Freizeitverkehr.
Nun hat aber erst vor kurzem die Vertretung des Stuttgarter Einzelhandels betont, wie wichtig die Zufahrtsmöglichkeit im Pkw für den Umsatz der Geschäfte ist. Wie also kann man dem Genüge tun?

In Verkehrsdingen hängt alles irgendwie miteinander zusammen. Zwischen dem Mittleren Ring, dem Straßenverkehr im Talkessel und der dritten Stammstrecke der Stuttgarter Stadtbahn bestehen Wechselwirkungen.

Die öffentlichen Verkehrsmittel müssen so einfach und attraktiv werden wie ein Aufzug
Warum kann man den Einkäufern nicht zumuten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln in den Stuttgarter Talkessel zu fahren? Augenscheinlich sind die öffentlichen Verkehrsmittel nach wie vor nicht attraktiv genug. Dabei hat überhaupt niemand etwas dagegen, wenn man im Kaufhaus oder im Einkaufszentrum mit dem Aufzug oder mit der Fahrtreppe fahren muss. Anderes Beispiel: Niemand würde ernsthaft fordern, dass man mit dem Auto auf das New Yorker Empire State Building fahren kann. Alle nehmen es als selbstverständlich hin, dass man in die oberen Stockwerke oder zur Aussichtsplattform mit dem Aufzug fährt. Hier muss man jetzt präzisieren: mit dem vertikalen Aufzug.

Darin steckt jetzt auch bereits der Schlüssel für die zukünftige Ausgestaltung des Verkehrs im Stuttgarter Talkessel. Die Einkäufer, die Touristen und Besucher sowie die Berufstätigen werden gerne und selbstverständlich auf ihr Auto verzichten, wenn die Stuttgarter Innenstadt für sie so einfach erreichbar ist wie mit dem Aufzug. Auch hier muss man präzisieren: Mit dem horizontalen Aufzug.

Eine fahrerlose, alle 60 Sekunden verkehrende U-Bahn, wie sie in immer mehr Städten der Welt im Einsatz ist, entspricht einem horizontalen Aufzug. Im Falle Stuttgarts wären somit an günstigen Punkten des Mittleren Rings Mega-Parkhäuser zu bauen (z.B. beim Gaskessel, beim Westbahnhof, beim Pragsattel, bei Degerloch). Von dort würde eine fahrerlose, alle 60 Sekunden fahrende U-Bahn ("Peoplemover") ohne Zwischenstopp in die Innenstadt fahren und dort eine Schleife mit ca. 10 Haltestellen durchfahren. Wegen der fehlenden Zwischenstopps kann man die Tunnel so trassieren, dass sie relativ wenig kosten und gut zu bauen sind.

Mehrere Varianten für die dritte Stammstrecke der Stuttgarter Stadtbahn
Jetzt sind wir wieder bei der fehlenden dritten Stammstrecke der Stuttgarter Stadtbahn. Hierfür gibt es mehrere Varianten. Man kann die dritte Stammstrecke im Rahmen des bestehenden Hochflur-Stadtbahnsystems betreiben. Die dritte Stammstrecke müsste dann aber im Tunnel verlaufen. Man kann die dritte Stammstrecke auch mit Niederflurstraßenbahnen betreiben. So gibt es die Möglichkeit der oberirdischen Führung der dritten Stammstrecke. Zudem können einige bestehende Außenäste der Stadtbahn (z.B. Hackstraße-Untertürkheim, Olgaeck-Eugensplatz, Hölderlinplatz) an die dritte Stammstrecke angeschlossen werden. Die heute bei diesen Außenästen vorhandenen, stadtunverträglichen Hochbahnsteige und großen Kurvenradien könnten dann rückgebaut werden.

Es gibt aber auch eine dritte Variante in Bezug auf die fehlende dritte Stammstrecke der Stuttgarter Stadtbahn. Das ist der oben skizzierte horizontale Aufzug zwischen den großen Parkhäusern am Mittleren Ring und der Innenstadt einschließlich einer Innenstadtschleife. Dieses Verkehrsmittel entlastet die Stadtbahn ebenfalls, so dass dann auf eine eigentliche dritte Stammstrecke verzichtet werden kann.

Fassen wir also zusammen:
Die Stuttgarter CDU hat in Sachen Verkehr nicht zuletzt wegen des Stuttgart 21-Desasters Einiges gutzumachen. Vorschläge der CDU für den zukünftigen Verkehr in Stuttgart sind willkommen. Diese Vorschläge müssen aber Hand und Fuß haben und dem entsprechen, was in den europäischen Städten als moderne Verkehrsplanung allgemein anerkannt ist.

Ein zukünftiger Mittlerer Ring für Stuttgart ist notwendig und macht Sinn. Ein Mittlerer Ring zieht jedoch den Rückbau des Straßennetzes innerhalb des Mittleren Rings nach sich. Für die zukünftige Gestaltung des Verkehrs im Stuttgarter Talkessel (innerhalb des Mittleren Rings) gibt es mehrere Varianten. Diese Varianten zu bewerten und planerisch weiterzuentwickeln sollte jetzt an erster Stelle der Verkehrsagenda stehen. Straßenneubauten innerhalb des Mittleren Rings sind jedenfalls ein No Go.        
                      

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