Dienstag, 19. April 2016

Kann Stuttgart 21-Ideengeber Heimerl den Kombi-Hauptbahnhof noch verhindern?

Vor kurzem konnten wir erleben, dass selbst die glühendsten Stuttgart 21-Befürworter inzwischen bereit sind, von ihren Positionen ein wenig abzurücken. So schlug vor wenigen Tagen der SSB-Vorstand Arnold vor, zusätzlich zum Stuttgart 21-Durchgangsbahnhof einen unterirdischen Kopfbahnhof neben dem Durchgangsbahnhof zu bauen, in den die Metropolexpresszüge der Gäubahn über die Panoramastrecke sowie Züge der Zufahrt Zuffenhausen über zwei zusätzliche Gleise einfahren können. Das ist zwar noch lange nicht der für den Stuttgarter Bahnknoten erforderliche Kombibahnhof mit ausreichender Leistungsfähigkeit und Betriebsflexibilität. Aber immerhin: Ein erster Schritt ist gemacht (siehe auch den vorangegangenen Post in diesem Blog). 

Nun aber kommt das Kontrastprogramm. Die Zeitung Stuttgarter Nachrichten hat mit Datum vom 18.04.2016 ein Doppel-Gespräch mit dem Stuttgart 21-Ideengeber Heimerl und mit Klaus Amler (Stuttgart 21-Gegner und Mitglied der Grünen) veröffentlicht. Hier müssen wir erleben, wie der inzwischen 82jährige Heimerl stur und unverändert seit nunmehr fast dreißig Jahren seine Ideen und Thesen zum Besten gibt. Amler fasst in dem Doppelinterview Heimerl ganz höflich an. Das ehrt Amler. Bei der argumentativen Auseinandersetzung hätte man sich aber von Amler etwas mehr Härte gewünscht. Nun ist Amler ein Politiker. Und Politiker müssen - gerade jetzt in der heiklen Phase der Koalitionsverhandlungen in Baden-Württemberg - vorsichtig und diplomatisch sein. Hier in diesem Blog sieht das etwas anders aus. Hier haben wir nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, die Thesen Heimerls schonungslos zu analysieren und auseinanderzunehmen.

Zeitpunkt und Inhalt des Gesprächs scheinen nicht zufällig gewählt worden zu sein. Gerade jetzt, wo das Thema des Kombibahnhofs für Stuttgart an Fahrt gewinnt, scheinen bestimmte Kreise den Greis Gerhard Heimerl vorzuschicken, um noch einmal gegen den Kombibahnhof zu Felde zu ziehen und Stuttgart 21 zu retten. Kommen wir nun aber zu einzelnen Thesen Heimerls. 


1. Die Drohung mit der Vorbeifahrt des hochwertigen Fernverkehrs an Stuttgart
Heimerl nennt eine hauptsächliche Begründung für seine Beschäftigung mit Stuttgart 21. Diese Begründung wirkt gleichzeitig wie eine Drohung an die Bevölkerung. Der hochwertige Fernverkehr wäre früher oder später an Stuttgart oder zumindest am Stuttgarter Hauptbahnhof vorbeigeleitet worden, wenn man nicht Stuttgart 21 oder zumindest eine Durchmesserlinie für den Fernverkehr geplant hätte.

Dahinter steckt keinerlei Substanz. Eine solche Gefahr, dass der Fernverkehr am Stuttgarter Hauptbahnhof vorbeigeleitet wird, hat nie bestanden. Das wäre ja ein Verkehrsprojekt gewesen, das der Bund in den Bundesverkehrswegeplan hätte aufnehmen und dann auch bezahlen müssen. Dafür gab es niemals irgendwelche Anzeichen. Der Bund finanziert ja auch Stuttgart 21 nicht. Der Bund bezahlt lediglich den ganz kleinen Anteil, der erforderlich gewesen wäre, um die NBS Wendlingen-Ulm an das bestehende Netz des Bahnknotens Stuttgart anzuschließen. Darüber hinaus hättte die Bahn bestimmt nicht auf die Fahrgäste im Stuttgarter Hauptbahnhof verzichten wollen. Das wäre ja fast auf den Spruch hinausgelaufen "Der beste Betrieb ist immer noch der Betrieb ohne Fahrgäste". 

2. Zum wiederholten Mal greift Heimerl den früheren Bahnchef Ludewig an
Zum wiederholten Mal greift Heimerl dann den früheren Bahnchef Ludewig an. Auf Ludewig scheint er sich eingeschossen zu haben. Das ist aus der Sicht von Heimerl auch irgendwie nachvollziehbar. Denn Ludewig weigerte sich über viele Jahre hinweg standhaft, das Projekt Stuttgart 21 weiterzuentwickeln, geschweige denn, es in die Realisierung zu bringen.

Nun irrt Heimerl auch hier. Denn nicht nur Ludewig, sondern auch seine Nachfolger Mehdorn und Grube hätten das Projekt Stuttgart 21 niemals realisiert. Denn Stuttgart 21 rechnet sich nicht. Es ist zudem kein Fortschritt in dem Sinne, dass die Eisenbahn hierdurch verbessert wird und dass ihr Anteil am Gesamtverkehrsmarkt gesteigert wird. Mehdorn unterschrieb den Stuttgart 21-Vertrag nur deshalb, weil durch die zusätzlichen, exorbitant hohen und möglicherweise verfassungswidrigen Subventionen vom Land BW, vom Flughafen Stuttgart, von der Region Stuttgart und von der Landeshauptstadt Stuttgart sich das Projekt Stuttgart 21 plötzlich für die Bahn doch rechnete - wenigstens für einen kurzen Zeitraum. Dieses Zeitfenster endete bereits wieder kurz nachdem die Tinte unter dem Vertrag trocken war. Das Projekt wurde in der Folge erneut zu einem Negativposten für die Bahn, weshalb die Bahn wahrscheinlich gegen das Land BW klagen wird. 

3. Der Ausbau der Wendlinger Kurve als Teil einer Salamitaktik
Heimerl fordert in dem Gespräch den zweigleisigen und kreuzungsfreien Ausbau der Wendlinger Kurve. Wenn man das jetzt sofort baut, wäre es billiger als dies später zu machen. Das hört sich auf den ersten Blick gut an. Bei näherem Hinsehen tut sich ein Abgrund auf.

Es ist ja nicht so, dass Stuttgart 21 ein potenziell gutes Projekt ist, das nur durch solche zusätzlichen Maßnahmen wie den Ausbau der Wendlinger Kurve noch wachgeküsst werden muss. Engstellen wie diejenige bei der Wendlinger Kurve mit der eingleisigen Streckenführung und der höhengleichen Gleiskreuzung sind ein integraler und unabwendbarer Bestandteil von Stuttgart 21. 

Stuttgart 21 rechnet sich nicht. Deshalb ist es in jeder Hinsicht auf Kante genäht - bei der Dimensionierung der Zulaufstrecken, bei der Dimensionierung des Hauptbahnhofs und nicht zuletzt bei der Anbindung an das Bestandsnetz. Die Wendlinger Kurve ist ja bei weitem nicht der einzige Engpass bei der Anbindung an das Bestandsnetz. Auch in Plochingen gibt es eine neue höhengleiche Gleiskreuzung, ebenso zwischen Bad Cannstatt und Nürnberger Straße. Auch die immer noch nicht stornierte Planung der Führung der Gäubahn über den Flughafen ist ein vielfacher Engpass. Es ist kein Geld da, für die Gäubahn eine eigene Strecke zu bauen. Sie muss sich mit den S-Bahnen arrangieren und hat zudem zusätzliche höhengleiche Gleiskreuzungen und eingleisige Streckenabschnitte.

Richtig brenzlig wird es, wenn man den Zeitpunkt genauer unter die Lupe nimmt, zu dem Heimerl nun die Forderung nach einem Ausbau der Wendlinger Kurve erhebt. Wenn der Ausbau der Wendlinger Kurve für Stuttgart 21 wichtig oder gar essentiell ist, dann muss man auch die Kosten dieses Ausbaus zu Stuttgart 21 rechnen. Wo aber war Heimerl, als der Vorstand der Bahn dem Aufisichtsrat seine Kostenprognose präsentierte, wonach der Weiterbau von Stuttgart 21 immer noch ein ganz klein wenig preiswerter sei als der Abbruch des Projekts?

Es gibt also nur die eine Alternative. Heimerl hätte sich entweder rechtzeitig an den Aufsichtsrat der Bahn wenden müssen und dort darlegen müssen, dass Stuttgart 21 wegen der notwendigen Beseitigung von Engstellen noch viel teurer wird. Dann aber hätte der Aufsichtsrat Stuttgart 21 stoppen müssen. Oder Heimerl müsste auch jetzt im Nachhinein in Bezug auf die Engstellen von Stuttgart 21 schweigen. Heimerl hat vor dem Aufsichtsrat der Bahn geschwiegen und dann im Nachhinein in einer Art Salamitaktik die weiteren Stuttgart-21-Posten unter die Leute gebracht. Das geht gar nicht! Überhaupt nicht! 

4. Die Gäubahn muss weiterhin über die Panoramastrecke zum Hauptbahnhof fahren
Die Spatzen pfeifen es von den Dächern. Die Führung der Gäubahn über Stuttgart-Vaihingen und die Panoramastrecke zum Stuttgarter Hauptbahnhof muss erhalten bleiben. Dafür gibt es gewichtige Gründe.

Nur so kann der Bahnhof Stuttgart-Vaihingen zum wichtigen Knotenpunktbahnhof und Bahnhof für über 100.000 Einwohner, zwei Universitäten und zahlreiche Industriebetriebe ausgebaut werden. Nur so kann die Stammstrecke der S-Bahn entlastet werden. Das geht nur mit einer Bahnstrecke, die sowohl den Stuttgarter Hauptbahnhof als auch den Bahnhof Vaihingen anfährt, somit also mit der Gäubahn über die Panoramstrecke.

Last but not least ist die bei Stuttgart 21 geplante Führung der Gäubahn über den Flughafen nicht fahrbar. Daran ändert auch der pseudogeniale Entwurf eines eingleisigen Flughafenbahnhofs von Landesverkehrsminister Hermann nichts. Die Gäubahn hätte bei einer Führung über den Flughafen zwischen Herrenberg und dem Hauptbahnhof so viele Engstellen, wie das bei keiner anderen Bahnstrecke in Deutschland der Fall ist. Zudem folgen diese Engstellen unmittelbar aufeinander, ohne dass es dazwischenliegende Abschnitte ohne Engstelle gibt.

Nun scheint sich auch Heimerl damit anzufreunden, dass die Panoramastrecke der Gäubahn erhalten bleibt. Es will sie aber allenfalls als tangentiale Bahnstrecke Vaihingen-Feuerbach (später auch Bad Cannstatt) erhalten und keineswegs an einen Kombi-Hauptbahnhof anbinden. Zwei bis drei (tangentiale) Zugpaare auf der Gäubahn reichen gemäß Heimerl zunächst einmal aus.

Da irrt sich Heimerl erneut fundamental. Kein Eigentümer dieser Strecke (der Eigentümer wird zukünftig erneut die Bahn AG sein, nachdem der Kaufvertrag mit der Landeshauptstadt Stuttgart rückabgewickelt worden ist) würde bei nur zwei oder drei Zugpaaren täglich diese Strecke instandhalten können oder wollen. Da wurden in Deutschland schon Strecken stillgelegt, über die wesentlich mehr Züge fuhren. Zudem stehen für die Panoramastrecke der Gäubahn Instandsetzungsinvestitionen an. So müssen voraussichtlich in den Dreißiger Jahren der Hasenbergtunnel und der Kriegsbergtunnel neu gebaut werden. 

(Wie so etwas abläuft kann man sehen, wenn man einen Ausflug nach Pforzheim unternimmt. Dort wird gerade der 903 Meter lange und über 150 Jahre alte Pforzheimer Tunnel neu gebaut. Direkt neben dem bestehenden Tunnel wird für ca. 88 Mio. Euro ein neuer Tunnel gebaut. Nach der Inbetriebnahme wird der bestehende Tunnel kraftschlüssig verfüllt.)

Die Panoramastrecke der Gäubahn kann nur dann weiterbetrieben werden, wenn über sie auch zukünftig alle Züge der Gäubahn als radiale Bahnlinie zum Hauptbahnhof fahren, wobei wegen der Metropolexpress-Züge zukünftig wesentlich mehr Züge über die Gäubahn fahren werden als heute. Das kann die Panoramastrecke der Gäubahn aber problemlos aufnehmen.

Heimerls tangentiale Phantasien entbehren jeder Grundlage. Auch der Verweis auf die zweite Stammstrecke in München läuft ins Leere. Es gab auch in München immer wieder Alternativvorschläge für eine tangentiale Führung der zweiten Stammstrecke, z.B. über den Südring. Sie erwiesen sich aber letztlich immer als nicht sinnvoll. So wird in München die zweite Stammstrecke nun als radiale Bahnstrecke über den Hauptbahnhof geplant und mit großer Wahrscheinlichkeit auch gebaut. 

5. Heimerls Rezepte für die überlastete Zufahrt Zuffenhausen sind wirkungslos
Die Zufahrt Zuffenhausen hat zur Zeit und auch bei Stuttgart 21 nur zwei Gleise für den Fern- und Regionalverkehr. Das ist einmalig für einen großen Bahnknoten in Deutschland. Bedingt durch die geographische Lage Stuttgarts in Deutschland werden über die Zufahrt Zuffenhausen (die Zufahrt von/nach Norden/Westen) mindestens 40 Prozent der Nachfrage zum/vom Bahnknoten Stuttgart abgedeckt. Eine im Mischbetrieb Fern-/Regionalzüge befahrene Zufahrt zu einem großen Bahnknoten kann aber maximal 12 bis 13 Züge pro Gleis und Stunde abwickeln. Das wird zur Spitzenstunde bereits heute erreicht.

Nun schließt auch Heimerl zwei zusätzliche Gleise für die Zufahrt Zuffenhausen nicht aus. Er nimmt jedoch an, dass ein solcher Bedarf erst für die fernere Zukunft besteht - ein Irrtum. Dann hat er als Rezept für die beiden zusätzlichen Gleise nichts anderes zu bieten als seine über 30 Jahre alte P-Option, wonach die beiden zusätzlichen Gleise in den Cannstatter Tunnel von Stuttgart 21 geführt werden sollen und in den - überlasteten - achtgleisigen Tiefbahnhof von Stuttgart 21 gebracht werden sollen.

So wichtig die beiden zusätzlichen Gleise für die Zufahrt Zuffenhausen auch sind, so macht das Ganze nur Sinn, wenn diese beiden Gleise eben gerade nicht in den Tiefbahnhof-Engpass geführt werden. Sinn macht das Ganz nur, wenn die beiden zusätzlichen Gleise in einen Kopfbahnhof im Rahmen eines Kombibahnhofs geführt werden. Nur so stehen den Zulaufgleisen auch ausreichend Bahnsteiggleise gegenüber. Und nur so bietet sich auch für die Zufahrt Zuffenhausen eine Alternative zum engen, schräggeneigten und brandschutzproblematischen Tiefbahnhof. 

6. Sind angebliche Städtebau-Gründe das letzte Argument gegen den Kombibahnhof?
Warum wehrt sich Heimerl so sehr gegen einen Kombibahnhof mit einem oberirdischen Kopfbahnhof und den jeweils zweigleisigen oberirdisch verlaufenden Zulaufstrecken von der Gäubahn, von Zuffenhausen und von Bad Cannstatt?

Als einziges Argument bringt Heimerl in dem Gespräch städtebauliche Gründe vor. Das sei in Stuttgart eben sehr wichtig. Diese Argumentation ist gleich in zweierlei Hinsicht merkwürdig. Zunächst mal ist Heimerl kein Städtebaufachmann. Zum Städtebau könnte er sich allenfalls als einfacher Bürger äußern. Heimerl wurde aber nicht in seiner Eigenschaft als einfacher Bürger zum Gespräch eingeladen, sondern als Bahn- und Verkehrsfachmann. Bahn- und verkehrsfachliche Gründe, die gegen einen Kombibahnhof sprechen, führt er hingegen nicht an.

Zum Zweiten bleibt die Kardinalfrage unbeantwortet, weshalb alle, ausnahmslos alle Großstädte in Europa ihre oberirdischen Bahnanlagen behalten und allenfalls zusätzliche Durchmesserlinien (Kombibahnhöfe) bauen. Dazu gehören auch alle Städte, die einen noch größeren Wohnungsmangel haben als Stuttgart. Dazu gehören auch alle Städte, die bei den Touristen und bei den Einwohnern wesentlich beliebter sind als Stuttgart. Warum gibt es in Stuttgart als einziger Großstadt in Europa die Notwendigkeit, alle Gleise ausnahmslos unter die Erde verschwinden zu lassen? Die Antwort kann Heimerl nicht geben.

Dabei sind die oberirdisch verlaufenden Gleisanlagen bei einem Kombibahnhof in Stuttgart mit dem heutigen Zustand überhaupt nicht zu vergleichen. Durch den Wegfall des Abstell- und Wartungsbahnhofs Rosenstein, durch die Reduzierung auf sechs Zulaufgleise, durch die Reduzierung von 16 auf ca. 10 Kopfbahnhofgleise sowie durch die Neutrassierung und tiefere Lage der Zulaufstrecken ohne Verlauf auf hohen Dämmen werden die Bahnanlagen zukünftig nur noch einen Bruchteil der heutigen Fläche belegen. Und sie werden auch nicht mehr die heutige optische Trennwirkung aufweisen. 

Heimerl als tragische Figur
Das sture Festhalten Heimerls an seinen jahrzehntealten Thesen sowie die fehlende Bereitschaft, Irrtümer einzugestehen und sich auch mal zu entschuldigen, machen Heimerl zur tragischen Figur. Eigentlich hat Heimerl doch nichts mehr zu verlieren. In seinem Alter will man doch eigentlich mit sich und mit seiner Umwelt ins Reine kommen. Noch kann man diesbezüglich nichts bei Heimerl erkennen.
   
   

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