Donnerstag, 17. März 2016

Stuttgart 21, SSB und Stadtverwaltung verschärfen das Stuttgarter Feinstaubproblem

Die in einem Talkessel gelegene Kernstadt von Stuttgart hat das größte Feinstaubproblem unter allen deutschen und möglicherweise auch europäischen Städten. Das Projekt Stuttgart 21 verschärft dieses Problem weiter. Auch die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) und die Stuttgarter Stadtverwaltung schrauben durch falsche Weichenstellungen und ungeschicktes Agieren weiter an der Feinstaubproblematik.

Ein Beispiel unter vielen ist der ab Mai 2016 geltende neue Fahrplan bei der Stuttgarter Stadtbahn. Die SSB nennt diesen neuen Fahrplan, der als Folge der Stuttgart 21-Bauarbeiten massive Beeinträchtigungen im Stadtbahnverkehr der ersten Stammstrecke mit sich bringt, werbewirksam "Netz 2016". Zu diesem Thema kommen wir gleich noch.

Sehen wir uns zunächst jedoch mal den Stadtbahnverkehr im Verlauf der ersten Stadtbahn-Stammstrecke Stöckach-Staatsgalerie an. Seit jeher wird diese Stammstrecke von fünf Stadtbahnlinien befahren (U1, U2, U4, U9, U14), jeweils im 10 Minuten-Takt. Es fährt dort somit durchschnittlich alle zwei Minuten ein Zug pro Fahrtrichtung. Während der Berufsverkehrszeiten sind diese Züge ziemlich voll. Man könnte sogar sagen, dass kaum ein zusätzlicher Fahrgast aufgenommen werden kann.


Beim Netz 2016 ergibt sich eine 20prozentige Einschränkung der Kapazität im Verlauf der ersten Stadtbahn-Stammstrecke
Nun endet aber im sogenannten Netz 2016 ab Mai 2016 eine der fünf Linien der ersten Stammstrecke mitten in der ersten Stammstrecke bei der Haltestelle Neckartor (die Linie U4). Es gibt somit nur noch vier durchfahrende Linien. Die Fahrgäste der Linie U4 müssen somit auf die Züge der anderen vier Linien umsteigen. Diese Züge sind jedoch im Berufsverkehr bereits weitgehend ausgelastet. Es ist zwar geplant, zwischen dem Ostendplatz und dem Hauptbahnhof ein paar zusätzliche Busse der Linie 42 fahren zu lassen. Es wird aber hoffentlich niemand ernsthaft behaupten, dass diese Busse die 20prozentige Reduktion des Angebots im Verlauf der ersten Stadtbahn-Stammstrecke ausgleichen könnten. Die SSB schreibt zudem in ihrem Flyer zum Netz 2016, dass Stadtbahnlinien nicht durch Busse ersetzt werden. 

Wir haben es hier also mit einer Reduzierung des Angebots bei der Stadtbahn zu tun, obwohl doch wegen der besonderen Stuttgarter Feinstaubbelastung eher mehr Fahrgäste mit der Stadtbahn fahren sollten. Das Fahrtenangebot sowie Platzangebot im Verlauf der ersten Stammstrecke wird durch den Wegfall der durchfahrenden Linie U4 um 20 Prozent reduziert. Wie passt das eigentlich zu den Feinstaubalarmen, die einen Umstieg der Pendler vom Auto auf die Bahn zum Ziel haben? Wie passt das zur Ankündigung von Stuttgarts OB Fritz Kuhn, der dauerhaft 20 Prozent der Autofahrer zum Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel anhalten will? Nun sieht es so aus, als wollten die SSB und die Stadtverwaltung genau das Gegenteil erreichen. 20 Prozent der Stadtbahnfahrer sollen auf das Auto umsteigen.

Warum meint die SSB, die Einschränkungen bei der Stadtbahn bewerben zu müssen?
Kommen wir jetzt aber zum bereits oben angesprochenen Thema der Bewerbung der SSB von "Netz 2016". Mit dem Netz 2016 kommen auf die Fahrgäste im Verlauf der ersten Stadtbahn-Stammstrecke und ihrer Außenäste massive Verschlechterungen zu. Das umfasst z.B. längere Fahrzeiten (Beispiel: S-Heslach - Stöckach). Das umfasst auch den Zwang zum Umsteigen, wo man heute ohne Umsteigen vorankommt (Beispiel: S-Botnang bzw. S-West - Rotebühlplatz, Rathaus, Charlottenplatz). Das beinhaltet nicht zuletzt auch übervolle Züge durch den Wegfall einer der fünf durchgehenden Linien der ersten Stammstrecke. 

Eigentlich könnte und müsste es sich die SSB diesbezüglich ganz einfach machen. Die SSB als Institution kann ja für Stuttgart 21 und die baubedingten Einschränkungen für den Stadtbahnbetrieb nichts. Wozu also muss die SSB diese Sache beschönigen? Die SSB könnte zum Beispiel einfach sagen: "Wegen der Bauarbeiten im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 kommt es über einen Zeitraum von ca. 4 Jahren zu Änderungen beim Stadtbahnbetrieb. Hierfür bitten wir Sie um Verständnis".

Das sagt die SSB aber so nicht. Statt dessen werden Jubel-Sprechblasen an die Fahrgäste verteilt. Zunächst mal wird für diese Verschlechterungen beim Stadtbahnbetrieb ein griffiger Name gesucht und gefunden: "Netz 2016". Dann nennt die SSB die weiter oben aufgelisteten Einschränkungen beim Stadtbahnbetrieb nicht direkt. Statt dessen wird betont, dass alle bestehenden Stadtbahnhaltestellen in der Innenstadt bedient werden. Na prima! Es wird nicht von den zahlreichen Erschwernissen für die Fahrgäste gesprochen, sondern lediglich von neuen Linienführungen, ohne die Folgen für die Fahrgäste schnörkellos aufzuzeigen. Und das Projekt Stuttgart 21 als Verursacher wird kaum genannt, ja versteckt.

Das muss man sich wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen. Das Verkehrsunternehmen der Landeshauptstadt Stuttgart sagt seinen Fahrgästen und den Bürgern nicht einfach und klar das, was tatsächlich auf sie zukommen wird. Statt dessen wird in bester Werbemanier geschönigt und vereinfacht. Lediglich durch das genaue Studium des Netzplans können die Fahrgäste vielleicht die Einschränkungen beim Stadtbahnbetrieb verstehen, die auf sie zukommen. So wie die SSB hier auf ihre Fahrgäste zugeht, sprechen vielleicht Eltern mit ihren unmündigen Kindern. Möglicherweise wurde für das Netz 2016 sogar eine Werbeagentur beauftragt. Das können wir aber nicht nachweisen. Wäre es so, ergäbe sich die Anschlussfrage, wer dieses Werbegetue eigentlich bezahlt.

Was sagen eigentlich der Aufsichtsrat der SSB, insbesondere der Aufsichtsratsvorsitzende OB Fritz Kuhn, die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und die Gemeinderäte der Grünen und von SÖS-LINKE-PLuS zu dieser Posse?

Wann trifft OB Fritz Kuhn mal eine strategische Entscheidung?
Nach wie vor warten wir auch auf eine strategische Tat von OB Fritz Kuhn. Bisher hat sich Fritz Kuhn als bloßer Verwalter betätigt. Bliebe das bis zum Ende seiner Amtszeit so, wäre die Amtszeit von Fritz Kuhn eine einzige Enttäuschung, acht verlorene Jahre für Stuttgart.

In Bezug auf die Stuttgarter Stadtbahn sind strategische Entscheidungen überfällig. Die Stuttgarter Stadtbahn braucht dringend und längst eine dritte Stammstrecke - nicht zuletzt, um die von OB Fritz Kuhn gewünschten 20 Prozent Umsteiger vom Autoverkehr bewältigen zu können. Alle vergleichbaren Großstädte in Deutschland haben bei ihrem städtischen Schienenverkehrssystem drei oder mehr Stammstrecken. Hier einige Beispiele:

München hat drei Stammstrecken bei der U-Bahn und weitere Stammstrecken beim Tram.
Nürnberg hat zwei Stammstrecken bei der U-Bahn und weitere Stammstrecken bei der Straßenbahn.
Hamburg hat drei Stammstrecken bei der U-Bahn.
Düsseldorf hat drei Stammstrecken bei der Stadtbahn und weitere drei Stammstrecken bei der Straßenbahn.
Bochum hat drei Stammstrecken bei der Stadtbahn.
Dortmund hat drei Stammstrecken bei der Stadtbahn.
Hannover hat drei Stammstrecken bei der Stadtbahn und eine halbe weitere Stammstrecke bei der Straßenbahn. 

Hierzu könnte man noch einige weitere Großstädte nennen.  

Die Stuttgarter Stadtbahn mit ihren bloß zwei Stammstrecken steht in Deutschland ziemlich einsam da. Diesbezüglich haben sich in Stuttgart bei der Politik, bei der Verwaltung und auch bei der SSB in den vergangenen 50 Jahren ziemliche Verkrustungen eingestellt. OB Fritz Kuhn könnte und müsste diese Verkrustungen aufbrechen. Er müsste einen oder mehrere Gutachter - gern auch aus dem Ausland - beauftragen, das Stuttgarter Stadtbahnnetz zu analysieren und Vorschläge für die Zukunft des Netzes vorzulegen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würden die Gutachter eine Stärkung des Kerns des Stadtbahnnetzes vorschlagen - durch den Bau einer oder mehrerer zusätzlicher Stammstrecken. Interessant wird es dann bei der Frage, ob die dritte Stammstrecke ober- oder unterirdisch geführt werden soll.

Hätte die Stuttgarter Stadtbahn bereits heute drei Stammstrecken, wären auch die Beeinträchtigungen des Stadtbahnbetriebs durch die Stuttgart 21-Baustellen nicht so stark. Dann könnte die SSB vielleicht tatsächlich melden, dass sich durch die Stuttgart 21-Baustellen kaum Einschränkungen beim Stadtbahnverkehr ergeben. Das darf jetzt aber nicht so verstanden werden, dass dadurch das Projekt Stuttgart 21 weniger unsinnig würde.                       

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