Sonntag, 8. März 2015

Der Stuttgart 21-Flughafenmurks geht mit drittem Gleis in eine neue Runde

Die Pläne im Rahmen von Stuttgart 21 für eine Schienenanbindung des Stuttgarter Flughafens sind einmalig ein Europa - einmalig schlecht. Das wurde in diesem Blog bereits in vielen Artikeln ausführlich behandelt. 

Anstatt nun aber den Planungsfehler einzusehen und auf die einzig mögliche und vernünftige Alternative für eine Anbindung des Stuttgarter Flughafens an das Schienennetz - in Form der Hebung der bisher ungenutzten riesigen betrieblichen und verkehrlichen Potenziale des bestehenden Flughafenbahnhofs - umzuschwenken, wurde in den vergangenen Tagen (Einigung zwischen den Projektpartnern von Stuttgart 21 am 06.03.2015) eine neue Murksvariante für die Schienenanbindung des Stuttgarter Flughafens aus dem Hut gezaubert. Ihre Bezeichnung lautet: Variante Drittes Gleis.

Diese Variante sieht ein drittes Gleis parallel zum bestehenden Flughafenbahnhof der S-Bahn vor. Über dieses dritte Gleis soll der Regional- und Fernzugverkehr der Gäubahn eingleisig im Zweirichtungsbetrieb abgewickelt werden. Zusätzlich soll ein neuer Flughafenbahnhof in ca. 27 Metern Tiefe für die Regionalzüge und ICE von Stuttgart nach Tübingen sowie nach Ulm gebaut werden.

Um die neue Planungsvariante zu bewerben, werden von den Betreibern sofort positive Worthülsen in Richtung Öffentlichkeit geschleudert. "Ergänzung um ein drittes Gleis" sowie "bessere Lösung als die Antragstrasse" sind Beispiele, wie die neue Lösung verkauft werden soll.

Im heutigen Artikel in diesem Blog geht es darum nachzuweisen, dass die neue Variante zur Anbindung des Stuttgarter Flughafens an den Schienenverkehr nicht besser als die bisherigen Varianten ist und nach wie vor einen Preis für den schlechtesten Flughafenanschluss in Europa verdient. Dem soll die Alternative für eine gute Schienenanbindung des Stuttgarter Flughafens gegenübergestellt werden.


Die neue Variante Drittes Gleis weist eine Reihe von betrieblichen Engpässen auf. Dies sind im Einzelnen:
  • Mischbetrieb zwischen den S-Bahnzügen und den Fern- bzw. Regionalzügen zwischen der Rohrer Kurve und der Verzweigung westlich des Flughafenbahnhofs
  • Mitbenutzung einer nur für den S-Bahnverkehr gebauten Trasse durch Regional- und Fernzüge mittels zeitlich befristeter Sondergenehmigung 
  • Höhengleiche Gleiskreuzung westlich des Flughafenbahnhofs zwischen der S-Bahn vom Flughafenbahnhof und der Gäubahn Richtung Flughafenbahnhof (Drittes Gleis)
  • Eingleisiger Streckenabschnitt mit Zweirichtungsverkehr für die Gäubahn im Bereich des Flughafenbahnhofs (Besonders erschwerend ist hier, dass der eingleisige Abschnitt sich im Bereich eines Bahnhofs befindet.)
  • Einfädelung der Gäubahn in die Strecke von Ulm/Tübingen und Mitbenutzung der Gleise von/nach Ulm/Tübingen durch die Gäubahn.
Nun hat bereits ein einziger betrieblicher Engpass nicht zu vernachlässigende Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Bahnsystems, auf den Freiheitsgrad der Fahrplangestaltung und auf das Potenzial des Systems, Betriebsstörungen und Verspätungen aufzufangen.

Negative Auswirkungen auf den Bahnbetrieb steigen überproportional an
Wir haben es bei der Variante Drittes Gleis jedoch nicht nur mit einem betrieblichen Engpass zu tun, sondern gleich mit mehreren betrieblichen Engpässen. Die negativen Auswirkungen dieser betrieblichen Engpässe auf das Bahnsytems sind nicht nur vier- bis fünfmal so groß wie die Auswirkungen eines einzigen betrieblichen Engpasses. Vielmehr steigt der Wert der negativen Auswirkungen auf den Bahnbetrieb mit der Zunahme der Zahl der betrieblichen Engpässe überproportional an.

Bereits ein betrieblicher Engpass kann dazu führen, dass entweder der geplante Fahrplan nicht gefahren werden kann und/oder dass das System die ausreichende Leistungsfähigkeit nicht erreicht und/oder dass das System nicht in der Lage ist, bei Betriebsstörungen und Verspätungen adäquat zu reagieren. Sind nun - wie bei der Variante Drittes Gleis - gleich mehrere betriebliche Engpässe auf engem Raum vorhanden, muss man die Wahrscheinlichkeit bei über 90 Prozent einschätzen, dass das System nicht funktioniert.

Der Vollständigkeit halber muss man weitere betriebliche Engpässe hinzufügen, die bereits heute bestehen und die heute - ohne die neuen betrieblichen Engpässe der Variante Drittes Gleis - gerade noch fahrbar sind. Dazu gehört der Mischbetrieb zwischen S-Bahn und Fern-/Regionalzügen zwischen S-Rohr und Herrenberg. Dieser Mischbetrieb ist ein eigenständiger Engpass, der nicht an den weiter oben beschriebenen Engpass des Mischbetriebs zwischen der Rohrer Kurve und dem Flughafen angehängt werden kann. Denn wir haben es bei beiden Strecken mit unterschiedlichen S-Bahnlinien und unterschiedlichen Fahrtenlagen zu tun.

Die hindernisreiche Fahrt eines Zuges von Herrenberg zum Hauptbahnhof
Um die mit großer Wahrscheinlichkeit nahezu unmögliche Fahrplanung bei der Variante Drittes Gleis noch weiter zu veranschaulichen, sehen wir uns beispielhaft die Fahrt eines Regional- bzw. Fernzugs von Herrenberg zum Stuttgarter Hauptbahnhof über die Variante Drittes Gleis an. Bei diesem Zug gibt es zunächst mal eine Einschränkung der möglichen Fahrtenlagen durch den Mischbetrieb mit der S-Bahn (S1) zwischen Herrenberg und S-Rohr. Als Zweites gibt es eine weitere - gravierende - Einschränkung der Fahrtenlagen durch den zweiten Mischbetrieb mit der S-Bahn (S2, S3) zwischen der Rohrer Kurve und der Verzweigung Flughafen. 

Als Drittes gibt es eine weitere Einschränkung der möglichen Fahrtenlagen durch die höhengleiche Gleiskreuzung mit der vom Flughafen kommenden S-Bahn (S2,S3) westlich des Flughafenbahnhofs. Als Viertes gibt es eine weitere - gravierende - Einschränkung der möglichen Fahrtenlagen durch den eingleisigen Streckenabschnitt mit Zweirichtungsbetrieb beim Flughafen, der zu allem Überfluss auch noch innerhalb eines Bahnhofs liegt. Als Fünftes gibt es eine weitere Einschränkung der möglichen Fahrtenlagen durch die Einfädelung in die Strecke von Ulm/Tübingen und den Mischbetrieb mit den von Ulm/Tübingen kommenden ICE und Regionalzügen.

Das Ergebnis dieser ungeheuren Einschränkung von Fahrtenlagen für die Gäubahn dürfte feststehen: 
  • Dies ist nicht fahrbar.
  • Es gibt keine Fahrtenlage für die Gäubahn, die geeignet ist, allen betrieblichen Engpässen auszuweichen.
  • Es gibt keinen Flughafen in Europa, der bei seinem Schienenanschluss ein solches Feuerwerk an betrieblichen Engpässen aufweist, wie das bei Stuttgart 21 und dem Stuttgarter Flughafen der Fall ist.
  • Es gibt keinen Flughafen in Europa, der einen solch teuren Schienenanschluss mit gleichzeitig so hoher finanzieller Selbstbeteiligung des Flughafens und gleichzeitig einem solchen Gleisgewurstel aufweist, wie das bei Stuttgart 21 und dem Stuttgarter Flughafen der Fall ist.
Die genaue Fahrplanung für die Variante Drittes Gleis steht jetzt an erster Stelle der Agenda
Das Allererste, was jetzt auf der Agenda stehen muss, ist die genaue Fahrplanung für die Variante Drittes Gleis durch einen oder besser zwei neutrale Gutachter, wobei sich diese Fahrplanung von Herrenberg bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof, von Tübingen und Ulm bis zum Hauptbahnhof und über die gesamte Stuttgarter S-Bahn erstrecken muss. Sollte - was nach menschlichem Ermessen zu erwarten ist - die Unfahrbarkeit der Variante Drittes Gleis das Ergebnis der Untersuchungen sein, muss der gesamte Flughafenmurks von Stuttgart 21 storniert werden und das Alles-oder-Nichts-Projekt Stuttgart 21 insgesamt in einen etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart überführt werden.

Die Alternative zum Stuttgart 21-Flughafenmurks liegt auf der Hand
Kommen wir jetzt zum wiederholten Mal in diesem Blog zu der Alternative zum Stuttgart 21-Flughafenmurks. Diese Alternative liegt auf der Hand. Die Alternative gründet darauf, dass der bestehende zweigleisige Bahnhof für die S-Bahn unter dem Terminal des Flughafens heute bei weitem nicht ausgelastet ist und große betriebliche und verkehrliche Potenziale und Reserven aufweist. Diese Potenziale und Reserven gilt es zu heben, bevor man überhaupt einen Gedanken an einen weiteren Flughafenbahnhof verschwendet.

Die Alternative weist - im Gegensatz zur Stuttgart 21-Planung  -
  • keine höhengleichen Gleiskreuzungen auf,
  • keine eingleisigen Abschnitte auf,
  • keinen Mischverkehr zwischen S-Bahn und Fern-/Regionalzügen im Abschnitt von der Rohrer Kurve bis Flughafen auf,
  • keine Mitbenutzung einer nur für den S-Bahnverkehr gebauten Strecke durch Fern-/Regionalzüge auf.
Statt dessen weist die Alternative eine wesentlich höhere Leistungsfähigkeit als die Stuttgart 21-Flughafenanbindung auf, obwohl - und jetzt wird es fast paradox - die Kosten wesentlich geringer als bei der Stuttgart 21-Variante sind. Mit kleineren Ausbauten bei S-Rohr kann bei der Alternative später mal sogar ein durchschnittlicher 5-Minuten-Takt bei der S-Bahn von S-Rohr über den Flughafen bis Wendlingen gefahren werden.

Die Alternative ist wie folgt gekennzeichnet:
  • Die Rohrer Kurve ist nicht erforderlich.
  • Zwischen S-Rohr und dem Flughafen findet kein Mischbetrieb zwischen S-Bahnen und Fern-/Regionalzügen statt. Die nur für die S-Bahn erbaute Strecke wird weiterhin nur von der S-Bahn befahren.
  • Die Gäubahn fährt von Böblingen über S-Vaihingen und die Panoramastrecke zum Hauptbahnhof.
  • In S-Vaihingen wird ein vierter Bahnsteig gebaut und ein Regional- und Umsteigebahnhof eingerichtet.
  • Es wird eine neue Express-S-Bahnlinie eingerichtet, die vom Hauptbahnhof über die Panoramastrecke und einen Halt in S-Vaihingen zum Flughafen fährt.
  • Zwischen S-Vaihingen und dem Flughafen fahren drei S-Bahnlinien, wobei eine der drei S-Bahnlinien als Express-S-Bahn ohne Zwischenhalt verkehrt.
  • Am Flughafen sind kein zusätzlicher Bahnhof und auch kein drittes Gleis erforderlich.
  • Alle drei zum Flughafen fahrenden S-Bahnlinen werden dort in Richtung Wendlingen durchgebunden. Hierzu wird die Strecke entlang der A8 von S 21 übernommen und direkt an den bestehenden Flughafenbahnhof angeschlossen.
  • Eine der drei S-Bahnlinien fährt vom Flughafen entlang der A8 und über die Wendlinger Kurve nach Nürtingen und ggf. weiter nach Reutlingen.
  • Die zweite der drei S-Bahnlinien fährt vom Flughafen entlang der A8 und über die Wendlinger Gegenkurve nach Wendlingen und Plochingen mit Anschluss ins Filstal, nach Esslingen und nach Ulm.
  • Die dritte der drei S-Bahnlinien fährt vom Flughafen entlang der A8 bis auf Höhe Kirchheim/Teck und erreicht dann über eine kurze Querspange den Bahnhof Kirchheim/Teck. Von dort geht es ggf. weiter nach Weilheim/Teck-Bad Boll-Göppingen.
  • Es gibt ganz schnelle direkte Verbindungen vom Flughafen zu den Umsteigepunkten Wendlingen, Plochingen und Kirchheim/Teck - im Gegensatz zu S21, wo man vom Flughafen über den Hauptbahnhof fahren muss und ggf. sogar noch umsteigen muss, um zu diesen Knotenpunkten und Regionen zu kommen.
  • Die bestehende S-Bahnstrecke vom Flughafen nach Bernhausen wird von der Stuttgarter Stadtbahn übernommen. Die Stadtbahnlinie U6 verkehrt zukünftig vom Hauptbahnhof über S-Degerloch, S-Möhringen zum Flughafen und weiter nach Bernhausen, Sielmingen, Neuhausen a.d.F., Wolfschlugen, Harthausen, Bonlanden, Plattenhardt, Stetten, Echterdingen nach Leinfelden
Gute Perspektiven für die Panoramastrecke der Gäubahn
Betrachten wir nun als letzen Punkt die Panoramastrecke der Gäubahn zwischen S-Vaihingen und dem Hauptbahnhof. 

Die Bahn hat die Panoramastrecke der Gäubahn bereits an die Landeshauptstadt Stuttgart verkauft und plante bisher deren Stilllegung. Die vorgestellte Alternative zur Stuttgart 21-Flughafenanbindung erfordert jedoch den Erhalt der Panoramastrecke und deren Rückkauf durch die Bahn.

Welche Kosten fallen für die Bahn in näherer und fernerer Zukunft für die Panoramastrecke der Gäubahn an?

Zunächst mal fallen kurzfristige Investitionen an. Dazu gehören der vierte Bahnsteig in S-Vaihingen und der Neubau der Zugsicherung für die Strecke mit dem Ziel, dichtere Taktfolgen zu ermöglichen. Diese Investitionen werden jedoch im Rahmen des Projekts "Ausbau des Bahnknotens Stuttgart" finanziert und brauchen von der Bahn nicht oder nur zu einem kleinen Teil übernommen zu werden.

Die dritte kurzfristig anfallende Investition ist der zweigleisige Ausbau des heute noch vorhandenen kurzen eingleisigen Abschnitts in der Nähe des Nordbahnhofs. Damit aber keine Missverständnisse aufkommen, sei noch angefügt, dass die Auswirkungen dieses kurzen, auf der freien Strecke befindlichen eingleisigen Abschnitts auf den Betrieb weit geringer sind als die Auswirkungen des bei Stuttgart 21 geplanten eingleisigen Abschnitts im Bereich des Flughafenbahnhofs.

Im weiteren fallen kurz- bis mittelfristig Instandhaltungsinvestitionen an. Diese Investitionen müssen von der Bahn übernommen werden. Jedoch bieten sich für die Bahn in Bezug auf die Panoramastrecke zukünftig gute wirtschaftliche Perspektiven. Denn die Zahl der Züge auf der Panoramastrecke und damit die an die Bahn zu zahlenden Trassengebühren werden markant zunehmen. Sehen wir uns das mal kurz an. Zukünftig werden über die Panoramastrecke fahren:
  • Zwei Metropolexpress-Züge pro Stunde und Richtung Stuttgart-Horb
  • Zwei Express-S-Bahn-Züge pro Stunde und Richtung Stuttgart-Flughafen
  • Ein bzw. sogar zwei schnelle Züge pro Stunde und Richtung (IRE bzw. IC bzw. ICE) Stuttgart-Freudenstadt bzw. Stuttgart-Konstanz bzw. Stuttgart-Zürich bzw. Stuttgart-Villingen-Schwenningen
Das ergibt dann in der Summe fünf bis sechs Züge pro Stunde und Richtung und damit genügend Gebühren für die Bahn, um die Instandhaltung der Panoramastrecke zu gewährleisten.

Es gibt dann noch einen dritten Punkt in Bezug auf die Panoramastrecke. Der Hasenbergtunnel der Gäubahn sowie der Kriegsbergtunnel der Gäubahn müssen voraussichtlich in den Dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts neu gebaut werden. Eine bloße Sanierung ist nicht ausreichend, weil die Tunnel z.B. auch den heutigen Sicherheitsbestimmungen nicht mehr genügen und nicht genügend breit sind. Ein Neubau dieser Tunnel hat auch den Charme, dass im Zuge dieses Neubaus bestehende Kurven entschärft werden können und somit die Gäubahn beschleunigt werden kann. (Z.B. ist im Hasenbergtunnel heute eine Höchstgeschwindigkeit von nur 70 km/h zulässig. Durch einen Neubau des Hasenbergtunnels mit gestreckterer Linienführung kann die Geschwindigkeit auf 90 km/h erhöht werden.)

Diesen Neubau der beiden Tunnels muss die Bahn ebenfalls nicht (vollständig) aus eigener Tasche bezahlen. Der Neubau wird mit Investitionszuschüssen des Bundes finanziert, wie das auch bei vielen ähnlichen Tunnelneubauten zum Ersatz alter Tunnels in Deutschland der Fall ist.

Die Hinwendung zum etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart ist jetzt erforderlich
Zusammengefasst: Der Stuttgart 21-Flughafenmurks - zu dem auch und gerade die neue Variante Drittes Gleis gehört - ist einer von vielen Anlässen, dem Alles-oder-Nichts-Projekt Stuttgart 21 jetzt den Rücken zu kehren und sich dem etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart zuzuwenden.

Alle Politiker sind eingeladen, diesen Schritt zu tun. Alle Fachleute sind aufgefordert, endlich Tacheles zu reden und die Wahrheit über Stuttgart 21 und den S21-Flughafenmurks in die Öffentlichkeit zu tragen.          

   

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