Gemäß dem Gesetz über die Errichtung des Verbands Region Stuttgart (GVRS) ist der Verband Region Stuttgart Aufgabenträger für die Stuttgarter S-Bahn. Es gehört somit zu den wichtigsten Aufgaben des Verbands Region Stuttgart, die Auswirkungen des Projekts Stuttgart 21 auf die Stuttgarter S-Bahn in allen Einzelheiten zu untersuchen und ständig zu hinterfragen.
Vor diesem Hintergrund ist es äußerst verwunderlich, dass nicht der Verband Region Stuttgart, sondern die Stadt Leinfelden-Echterdingen ein Gutachten zu den Auswirkungen des geplanten Flughafenbahnhofs von Stuttgart 21 sowie der Strecke Flughafen - Rohr und der Rohrer Kurve auf den S-Bahnbetrieb bei einem unabhängigen Gutachter in Auftrag gegeben hat. Die Stadt Leinfelden-Echterdingen hat somit Geld in die Hand genommen, um etwas untersuchen zu lassen, für das sie eigentlich gar nicht zuständig ist. Im Gegenteil: Die Stadt Leinfelden-Echterdingen zahlt ja wie alle anderen Kommunen in der Region Stuttgart regelmäßig Beiträge an den Verband Region Stuttgart mit dem einzigen Ziel, dass dieser Verband seine Aufgaben erfüllen kann.
Nun hat ja das Gutachten der Uni Dresden den Filderteil von Stuttgart 21 als so desaströs bewertet, dass selbst hartgesottene Stuttgart 21-Befürworter jetzt nach Änderungen beim Filderteil von Stuttgart 21 schreien. Hätte die Stadt Leinfelden-Echterdingen das Gutachten nicht in Auftrag gegeben, hätten wir diesen Sachverhalt möglicherweise nie schwarz auf weiß und gerichtsfest zu Verfügung gehabt. Denn auf den eigentlich zuständigen Verband Region Stuttgart hätte man diesbezüglich wohl lange warten können.
Die große Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 hat genau dieses Ergebnis für den Filderteil von Stuttgart 21 schon seit Jahren vorausgesagt. Und auch in diesem Blog "Der Stuttgart 21-Irrtum" gibt es gefühlte ein Dutzend Artikel, die dieses Thema zum Inhalt haben. Für Triumphgeheul ist allerdings kein Platz. Denn in der großen Bürgerbewegung gegen Stuttgart gibt es wohl - wenn ich das richtig überblicke - niemand, der in Sachen Bahnverkehr und Bahntechnik als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger vor Gericht anerkannt ist. Somit kann die große Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 in der Sache recht haben. Sie würde aber möglicherweise vor Gericht nicht Recht bekommen, weil sie als Gegengewicht zu den Stuttgart 21-Betreibern keinen derartigen Sachverständigen aufbieten kann.
Das Gutachten der Uni Dresden ist Gold wert
Vor diesem Hintergrund ist ein Gutachten wie jetzt das Gutachten der Uni Dresden Gold wert. Denn hier gibt es möglicherweise zum ersten Mal einen Experten als Unterstützer der großen Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21, der vor Gericht anerkannt ist. Umso schwerer wiegt der Umstand, dass es nicht der Verband Region Stuttgart war, der dieses Gutachten angefordert hat.
Betrachten wir mal den Verband Region Stuttgart etwas näher. Der Verband Region Stuttgart besteht aus der Legislative und der Exekutive. Die Legislative ist das Regionalparlament.
Die Legislative der Region Stuttgart sollte sich in besonderem Maße für die S-Bahn interessieren
93 Prozent des Haushalts der Region Stuttgart sind für den Verkehr und hier insbesondere für die Stuttgarter S-Bahn reserviert. Zweifelsohne kann man sagen, dass die S-Bahn das mit Abstand wichtigste Thema für den Verband Region Stuttgart ist. Von daher müsste man eigentlich fordern, dass die einzelnen Parteien für die Wahl des Regionalparlaments bevorzugt solche Kandidaten aufstellen, die einen bestimmten Bezug und/oder ein besonderes Interesse zur S-Bahn bzw. zum Bahnverkehr haben. Das müssen jetzt nicht zwangsläufig alles Bahnexperten oder Bahnmitarbeiter sein. Es ist bereits ausreichend, wenn ein bestimmter Kandidat regelmäßig S-Bahn fährt und die Probleme der S-Bahn somit aus erster Hand kennt. Zu begrüßen wären auch Kandidaten, die in Deutschland und in Europa vielleicht schon ein wenig herumgekommen sind, und die verschiedene S-Bahnnetze ein wenig kennengelernt haben.
Leider ist diese Formulierung von Anforderungen an die Abgeordneten für das Regionalparlament ziemlich blauäugig und wirklichkeitsfremd. Denn die Aufstellung von Kandidaten für das Regionalparlament erfolgt ausschließlich gemäß parteiinternen Präferenzen. Schade. Es gilt also zur Kenntnis zu nehmen, dass man von den Abgeordneten im Regionalparlament - zumindest in der Anfangszeit, wenn sie gerade neugewählt sind - nicht viel an Ideen und Inititativen zur Stuttgarter S-Bahn erwarten darf.
Die Untersuchung der Beeinträchtigungen der Stuttgarter S-Bahn durch Stuttgart 21 ist eine der wichtigsten Aufgaben der Exekutive des Verbands Region Stuttgart
Kommen wir jetzt zur Exekutive. Genau dafür ist die Exekutive mit ihren Fachbeamten ja da, dass sie das Parlament berät und den Abgeordneten ein wenig auf die Sprünge hilft. Es ist somit ganz klar eine Aufgabe der Exekutive des Verbands Region Stuttgart, Vorlagen für das Parlament zu erarbeiten, die die Probleme der S-Bahn beschreiben und Lösungsvorschläge darlegen. Und selbstverständlich wäre es auch eine der Aufgaben der Exekutive, das Regionalparlament auf mögliche Beeinträchtigungen der Stuttgarter S-Bahn durch Stuttgart 21 hinzuweisen und sich vom Parlament die Mittel für vertiefte Untersuchungen genehmigen zu lassen.
Sehen wir uns die Exekutive des Verbands Region Stuttgart mal etwas genauer an. Der Leitende Direktor für Wirtschaft und Infrastruktur des Verbands Region Stuttgart ist Dr. Wurmthaler. Die Zuständigkeit für die S-Bahn fällt in seinen Bereich. Dr. Wurmthaler ist somit unmittelbar für all das verantwortlich, was der Verband Region Stuttgart in Sachen S-Bahn unternimmt oder eben auch nicht unternimmt.
Dr. Wurmthaler sollte sich jetzt erklären
Dr. Wurmthaler gilt als Befürworter von Stuttgart 21. Zudem ist er Mitglied des VWI-Kuratoriums (VWI = Verkehrswissenschaftliches Institut an der Universität Stuttgart e.V.). Das VWI gilt als Haupt-Promotionsstätte für Stuttgart 21. Wissenschaftlicher Beirat des VWI e.V. ist der emeritierte Professor Heimerl, der Vater der NBS Wendlingen-Ulm und wesentlicher Ideengeber für Stuttgart 21. Der Vorsitzende des VWI ist der Technische Vorstand der Stuttgarter Straßenbahnen AG, Arnold, der vor und hinter den Kulissen einer der Haupt-Antreiber für Stuttgart 21 war. Direktor des VWI ist Professor Martin, der ebenfalls vielfältig mit Stuttgart 21 zu tun hatte.
Es geht hier nicht darum, irgendwelche Verschwörungstheorien zu befördern. Es ist jedoch an der Zeit, dass sich Dr. Wurmthaler einmal zu der genannten Gemengelage erklärt.
Stuttgart 21 würde über 20 höhengleiche neue Betriebsabwicklungen bringen
Mit dem Filderteil von Stuttgart 21 sind die (negativen) Auswirkungen dieses Projekts auf die Stuttgarter S-Bahn jedoch noch längst nicht erschöpft. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir haben in diesem Blog in einer Artikelserie mit dem Titel "Stuttgart 21 - das Projekt mit den leistungsmindernden höhengleichen Gleiskreuzungen" gesehen, dass dieses Projekt über 20 neue höhengleiche Betriebsabwicklungen bringen wird, von denen auch die S-Bahn betroffen ist. Damit steht dieses Projekt europaweit einzigartig da. Anderswo in Europa werden zum Beispiel hunderte Millionen Euro in die Hand genommen, nur um eine einzige bestehende höhengleiche Gleiskreuzung zu beseitigen. Beim Bahnknoten Stuttgart sollen durch Stuttgart 21 handstreichartig über 20 höhengleiche Gleiskreuzungen hinzukommen.
Neue höhengleiche Betriebsabwicklungen beim Bahnhof Plochingen
Einer der Orte, wo durch Stuttgart 21 neue höhengleiche Gleiskreuzungen hinzukommen würden, ist der Bahnhof Plochingen. (siehe den Post vom 30.03.2014 in diesem Blog). Dort wird es mit Stuttgart 21 neue höhengleiche Betriebsabwicklungen zwischen den Regionalzügen aus Richtung Tübingen und den Fern-, Regional- und Güterzügen in Richtung Ulm geben. Ebenso wird es neue höhengleiche Betriebsabwicklungen zwischen den Regionalzügen in Richtung Tübingen und der S-Bahn von Kirchheim/Teck geben.
Wo ist denn der Auftrag des Verbands Region Stuttgart an einen unabhängigen Experten, diese neuen betrieblichen Behinderungen zu untersuchen und die Auswirkungen auf die S-Bahn darzustellen? Dabei ist im Falle Plochingen nicht einmal klar, in welchem der Planfeststellungsbereiche von Stuttgart 21 diese gravierende betriebliche Änderung überhaupt eingeordnet ist. Ist möglicherweise dieser Teil von Stuttgart 21 planungsrechtlich ganz unter den Tisch gefallen?
Neue höhengleiche Betriebsabwicklungen in Bad Cannstatt
Neue höhengleiche Betriebsabwicklungen gibt es bei Stuttgart 21 auch im Abschnitt zwischen Bad Cannstatt und dem Haltepunkt Nürnberger Straße (siehe den Post vom 06.04.2014 in diesem Blog). Die von Waiblingen kommenden und über den Untertürkheimer Tunnel zum Hauptbahnhof weiterfahrenden Fern- und Regionalzüge müssen dort zunächst einmal das Gleis der Fern- und Regionalzüge in Richtung Waiblingen höhengleich kreuzen. Gleich darauf müssen diese Züge auch noch das Gleis der S-Bahn in Richtung Waiblingen höhengleich kreuzen, wobei die S-Bahn dort im 5-/10-Minuten Stottertakt verkehrt. Zudem besteht auch noch ein eingleisiger Betrieb mit den Zügen der Gegenrichtung vom Hauptbahnhof über den Untertürkheim Tunnel nach Waiblingen.
Für mich ist für den Fall Nürnberger Straße wie auch für den Fall Plochingen genauso klar wie für den Fall Flughafen: Das Ganze wird nicht funktionieren.
Neue höhengleiche Betriebsabwicklungen durch die Wendlinger Kurve
Neue höhengleiche Gleiskreuzungen gibt es auch bei der Wendlinger Kurve (siehe den Post vom 13.04.2014 in diesem Blog). Die von Tübingen zum Flughafen fahrenden Regionalzüge haben dort zunächst einmal einen eingleisigen Streckenabschnitt zusammen mit den Regionalzügen der Gegenrichtung. Dann müssen diese Züge das Gleis Flughafen - Ulm der NBS höhengleich kreuzen und sich darauf auch noch in das Gleis Ulm - Flughafen der NBS einfädeln. Dies zusammengenommen wird ebenfalls nicht funktionieren. Denn es gibt beim Auftreten mehrerer höhengleicher Betriebsabwicklungen eine Gesetzmäßigkeit: Die Gesamtauswirkung mehrerer höhengleicher Betriebsabwicklungen auf den Bahnbetrieb ist größer als die Summe der Auswirkungen der einzelnen höhengleichen Betriebsabwicklungen. Zwar fährt bei der Wendlinger Kurve zur Zeit keine S-Bahn. Die Folgen werden jedoch auch für den S-Bahnverkehr spürbar sein.
Der Verband Region Stuttgart muss ein Gutachten zu den Gesamtauswirkungen von Stuttgart 21 auf den S-Bahnbetrieb beauftragen
Wenn wir schon bei der Summe der Auswirkungen von höhengleichen Betriebsabwicklungen sind, gilt es auch noch einmal die Zahl von über 20 höhengleichen neuen Betriebsabwicklungen durch Stuttgart 21 in Erinnerung zu rufen (Flughafen, Rohrer Kurve, Plochingen, Nürnberger Straße, Wendlinger Kurve und andere). Die Gesamtauswirkung dieser über 20 neuen höhengleichen Betriebsabwicklungen auf das S-Bahnnetz werden verheerend sein. Es steht somit an erster Stelle der Agenda, dass der Verband Region Stuttgart jetzt ein Gutachten bei einem unabhängigen Gutachter in Auftrag gibt, das die Gesamtauswirkung aller neuen höhengleichen Betriebsabwicklungen auf den S-Bahnbetrieb quantifiziert. Als Konsequenz aus dem erwartbaren Ergebnis des Gutachtens muss der Verband Region Stuttgart seine Unterstützung für Stuttgart 21 stornieren.
Und jetzt kommen wir wieder zur Legislative des Verbands Region Stuttgart. Nach dem Filder-Desaster können sich auch die neue gewählten Abgeordneten nicht mehr mit Einarbeitungsbedarf und Unwissenheit herausreden. Jetzt ist das Parlament gefragt, die Exekutive mit einer lückenlosen Untersuchung der Auswirkungen von Stuttgart 21 auf die Stuttgarter S-Bahn zu beauftragen.
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