Damit aber ist die EU aufgerufen, die Förderung der Projekte Stuttgart 21 und NBS Wendlingen-Ulm zu überprüfen und ggf. rückgängig zu machen. In einem zweiten Schritt muss sich die EU mit Deutschland zusammensetzen, um eine Lösung für den Ausbau des Bahnknotens Stuttgart und des Bahnkorridors Stuttgart-Ulm zu erarbeiten, die im Einklang mit den EU-Zielen und den Zielen der transeuropäischen Verkehrsnetze (Magistralen) steht.
Wir wollen im heutigen Post in diesem Blog einmal etwas näher auf die Rolle eingehen, die die EU-Verwaltung bei europäischen Projekten konkret spielt bzw. nicht spielt. Es gibt ja diesbezüglich zwei Varianten. Entweder die EU kümmert sich darum, dass bei europäischen Projekten in allen Mitgliedsstaaten übereinstimmende und zueinander passende Lösungen umgesetzt werden. Oder die EU beschränkt sich darauf, den bloßen Verwalter zu spielen, indem sie die Vorschläge der Mitgliedsstaaten sammelt, archiviert und statistischen Verfahren unterzieht.
Man hat zuweilen den Eindruck, als ob sich die EU in ihrer Rolle bei europäischen Projekten auf die zweite Variante beschränkt. Bevor wir uns diesbezüglich S21 und die NBS weiter ansehen, wollen wir ganz kurz mal ein Beispiel aus dem Projekt des europäischen Schutzgebietsnetzwerks Natura 2000 (FFH-Gebiete und Vogelschutzgebiete) betrachten.
Ob Natura 2000 oder die europäischen Magistralen: die EU nimmt ihre Koordinierungsaufgabe nicht richtig wahr
In den Allgäuer Alpen hat Deutschland seinen Anteil an der großartigen Berglandschaft des Gottesackerplateaus mit dem Hohen Ifen als Bestandteil von Natura 2000 nach Brüssel gemeldet. Das österreichische Bundesland Vorarlberg hat dagegen seinen Anteil am Gottesackerplateau nicht als Natura 2000-Schutzgebiet gemeldet. Damit haben wir dort zur Zeit die paradoxe Situation, dass die Außengrenze des Natura 2000-Gebiets Hoher Ifen und Gottesackerplateau genau entlang der Staatsgrenze verläuft, obwohl auf der österreichischen Seite der Staatsgrenze genauso schützenswerte Natur vorhanden ist wie auf der deutschen Seite.
Erst die Eingaben eines Vorarlberger und eines gesamtösterreichischen Umweltverbands in Brüssel haben die EU nun bewogen, die Sache zu prüfen. Inzwischen hat die EU reagiert und von Österreich die Ausweisung weiterer ca. hundert Natura 2000-Schutzgebiete gefordert, darunter auch den österreichischen Teil des Gottesackerplateaus. Von selbst kommt die EU augenscheinlich nicht darauf zu prüfen, ob die Schutzgebietsmeldungen der einzelnen Staaten zu Natura 2000 an den Staatsgrenzen einigermaßen übereinstimmen.
Hat die EU die S21-Förderanträge weitgehend unbesehen durchgewunken?
Schlagen wir nun wieder den Bogen zu Stuttgart 21 und zur NBS Wendlingen-Ulm. Auch hier hat man den Eindruck, dass die EU die von Deutschland eingereichten Anträge für die EU-Förderung zu Stuttgart 21 und zur NBS Wendlingen-Ulm einschließlich der Begründungen nicht einer vertieften Prüfung unterzogen hat, sondern sie weitgehend unbesehen durchgewunken und mitsamt den Begründungen auf den einschägigen Internetseiten platziert hat.
Erst vor wenigen Wochen hat die EU diesbezüglich ja einen ersten heimlichen Rückzieher machen müssen, indem sie die Behauptung einer Verdoppelung der Kapazität bei Stuttgart 21 als eine der Hauptbegründungen für die Förderung dieses Projekts auf der einschlägigen Internetseite zu den transeuropäischen Projekten wieder gestrichen hat.
Die Magistrale Paris-Bratislava wurde bei den Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 immer wieder stark attakiert und teilweise ins Lächerliche gezogen. Bahnvorstand Kefer selbst hat während des Sach- und Faktenchecks zu Stuttgart 21 unter Heiner Geißler betont, dass die Magistrale für Stuttgart 21 keine Bedeutung habe und man sich dieser Argumentation nicht weiter bedienen wolle. Viele Gegner von Stuttgart 21 haben immer wieder die ironische Frage gestellt, wer denn eigentlich so dringend nach Bratislava wolle.
Was ist der Sinn der europäischen Magistralen?
Dabei ist die Idee der transeuropäischen Verkehrsnetze und der Magistralen eigentlich gar nicht so schlecht. Voraussetzung allerdings ist, dass man sich mal darauf verständigt, was eigentlich unter einer Magistrale zu verstehen ist. Der Hauptzweck der Festlegung einer europäischen Magistrale mit der verbundenen EU-Förderung ist doch sicher, dass im Verlauf ausgewählter Hauptlinien in Europa einheitliche betriebliche und technische Verhältnisse herrschen sollen, damit diese wichtigen Strecken für alle diskriminierungsfrei zugänglich sind und der Austausch von Waren und die Beförderung von Personen in Europa einfacher werden.
Wenn wir jetzt zu dem vom Europaabgeordneten Cramer angesprochenen Güterverkehr kommen, dann kann hierzu die wichtigste Vorgabe seitens der EU für die Magistralen doch nur lauten, dass diese wichtigen Verkehrsverbindungen durchgehend für den modernen Güterverkehr zugänglich sein müssen. Und das heißt konkret, dass dort 750 Meter lange Güterzüge fahren können müssen - ohne Leistungsbeschränkungen und ohne Kapazitätsengpässe.
Im Verlauf vieler Magistralen in Europa wird genau dies so angestrebt. Warum investiert denn die Schweiz viele Milliarden Franken in den Gotthard-Basistunnel, und daneben auch noch in den Lötschberg-Basistunnel und den Monte Ceneri-Basistunnel? Doch mit dem Hauptzweck, dass diese alpenquerenden Strecken zur Flachbahn werden und somit von 750 Meter langen Güterzügen befahren werden können.
Weder die NBS noch die Altstrecke mit der Geislinger Steige sind für den modernen Güterverkehr tauglich
Die NBS Wendlingen-Ulm ist mit einer Steigung von 31 Promille noch steiler als die sowieso schon steile Altstrecke mit der Geislinger Steige (22,5 Promille). Die Geislinger Steige verhindert im Moment, dass der Bahnkorridor Stuttgart-Ulm voll güterzugtauglich ist. 750 Meter lange Güterzüge können dort in keinster Weise verkehren. Anstatt nun dieses Defizit zu beseitigen, indem man in einer ersten Etappe einen Umfahrungstunnel für die Geislinger Steige mit 10 Promille Steigung baut und damit den Bahnkorridor Stuttgart-Ulm voll güterzugtauglich macht, soll eine Strecke gebaut werden, die noch steiler ist als die Geislinger Steige und die sich für das relativ kleine Personenfernverkehrsaufkommen kaum rechnet.
Was hätte die EU tun müssen?
Eigentlich hätte es so ablaufen müssen:
Nach dem Eingang der Förderanträge von Deutschland zu Stuttgart 21 und zur NBS Wendlingen-Ulm hätte die EU den Vertreter Deutschlands einbestellen müssen und zunächst einmal wichtige Fragen stellen müssen.
- Ist die NBS Wendlingen-Ulm voll güterzugtauglich für 750 Meter lange Züge?
- Können ggf. die 750 Meter langen Güterzüge wenigstens über die Altstrecke fahren?
- Sind die geplanten Steigungen der NBS für alle europäischen Anbieter von Bahnverkehren fahrbar?
- Ist die Leistungssteigerung für den Bahnknoten Stuttgart durch Stuttgart 21 nachgewiesen?
- Leidet durch die geplanten Investitionen in die Magistrale der Regionalverkehr in Stuttgart und in BW?
- Können die Bahnanlagen bei Stuttgart 21 von allen europäischen Anbietern von Bahnverkehren genutzt werden?
Die EU hätte daraufhin ihre Zuschüsse für die Projekte auf Eis legen müssen. Zudem hätte sie mit Deutschland zusammen eine Lösung für den Bahnknoten Stuttgart und den Bahnkorridor Stuttgart-Ulm erarbeiten müssen, die Magistralen-kompatibel ist. Und diese Lösung kann nur so aussehen, dass sowohl der Bahnknoten Stuttgart als auch der Bahnkorridor Stuttgart-Ulm in Etappen ausgebaut werden, dass der Bahnknoten Stuttgart wie auch der Bahnkorridor Stuttgart-Ulm für den europäischen Güter- wie Personenfernverkehr vollständig tauglich gemacht werden und dass mit den dringendsten Maßnahmen (Umfahrungstunnel Geislinger Steige, fünftes Gleis Bad Cannstatt-Hauptbahnhof) begonnen wird.
Genau das plante ja die Bahn bereits in den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Sie hat sich dabei aber nicht besonders geschickt angestellt. So sollte z.B. eine viergleisige Bahntrasse mitten durch die Ortschaften im Filstal (Reichenbach, Ebersbach usw.) gebaut werden, verbunden mit riesigen Lärmschutzwänden. Es ist verständlich, dass dies vor Ort keine Begeisterung hervorgerufen hat. Man hätte den Ausbau schon damals anders planen können, indem man jeweils eine kurze Ortsumfahrung mit Tunnel für das dritte und vierte Gleis vorgesehen hätte oder alternativ eine Neubaustrecke Plochingen-Göppingen etwas abseits der Ortschaften am Rand des Schurwalds.
Bei der damals herrschenden Ratlosigkeit nahm die Politik dann die sogenannte Heimerl-Trasse entlang der Autobahn interessiert auf. Schließlich wurde die Bahn gezwungen, diese Trasse weiterzuplanen. Dabei war die NBS Wendlingen-Ulm erst mal nur als studentische Übung an der Universität Stuttgart gedacht gewesen (siehe den Post vom 06.03.2013 in diesem Blog). Es bleibt bis heute nicht ganz nachvollziehbar, weshalb die Politik auf eine solch unfertige Trassenplanung mit so vielen Nachteilen und mit einer solchen Außenseiterrolle auf europäische Ebene angesprungen ist.
Fazit
Was soll man eigentlich von der EU halten? Ist die EU die supranationale Regierung und Behörde, die heute schon fast alle wichtigen Gesetzgebungsverfahren an sich zieht und die die nationalen Parlamente immer mehr entmachtet? Oder ist die EU ein bloßer Papiertiger an der kurzen Leine von Merkel und Co.?
Wenn man sich die Projekte Stuttgart 21 und NBS Wendlingen-Ulm ansieht, ist man geneigt, letzteres anzunehmen. Noch ist es allerdings nicht zu spät. Noch kann die EU die Notbremse ziehen und ihre Zuschüsse für Stuttgart 21 und die NBS stoppen. In einem zweiten Schritt müsste die EU von ihrer lediglich reaktiven Rolle in eine aktive Rolle finden und sich zusammen mit Deutschland auf eine Lösung für den Bahnknoten Stuttgart und den Bahnkorridor Stuttgart-Ulm verständigen, der mit den europäischen Vorgaben zu den transeuropäischen Verkehrsnetzen übereinstimmt und kongruent zu den Planungen in den Nachbarstaaten ist.
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