Die Bahnreform von 1994/1996 ist ein raffiniertes Produkt. Auf den ersten Blick und für den oberflächlichen Betrachter wird der Eindruck erweckt, dass sich die Bahn seit der Bahnreform selbst trägt, keine Verluste mehr macht und dem Steuerzahler nicht mehr auf der Tasche liegt.
Auf den zweiten Blick wird die ganze Misere jedoch klar. Der gesamte Regional-, Nah- und S-Bahnverkehr wurde im Rahmen der Bahnreform aus dem eigenwirtschaftlichen Bereich ausgeklammert und weiterhin von der öffentlichen Hand finanziert. Und der Regional-, Nah- und S-Bahnverkehr macht ca. 90 Prozent aller Bahnverkehrsleistungen aus.
Bund holt sich Regionalisierungsmittel über die Trassenpreise wieder zurück
Die Finanzierung des Regionalverkehrs erfolgt über die sogenannten Regionalisierungsmittel. Diese Mittel stellt der Bund nach einem bestimmten Schlüssel den Ländern zur Verfügung, die damit Zugleistungen bestellen können. Über die sogenannten Trassenpreise, die die Bahn als Eigentümer des Netzes für jeden Zug erhebt, fließt ein beträchtlicher Teil der Regionalisierungsmittel jedoch gleich wieder über die Bahn an den Bund zurück. Und die Trassenpreise sind in den vergangenen Jahren markant gestiegen - wesentlich mehr als die Inflationsrate. Der Bund, der aus der Bahn Gewinn ziehen will, schöpft somit die Regionalisierungsmittel gleich wieder ab - Mittel, die eigentlich für einen möglichst guten Bahnverkehr verwendet werden sollen.
Ist dies eine Verschwörungstheorie? Nein, das steht so in einem Papier des baden-württembergischen Verkehrsministeriums, genannt "Finanzierungsprobleme im Personennahverkehr", vom 26.03.2012. Und zwischen den Zeilen gibt dieses Papier auch zu erkennen, dass mit den weiter steigenden Trassenpreisen in Zukunft weniger Bahnverkehr rollen wird.
Allein aus Kostengründen würden bei S21 weniger Züge rollen als heute
Und damit sind wir bei Stuttgart 21 und der NBS Wendlingen-Ulm. Diese beiden Projekte fügen sich nahtlos in die beschriebene Entwicklung ein. Denn diese im Bau und in der Instandhaltung exorbitant teuren Projekte werden die Trassenrpeise für den Regionalverkehr in die Höhe schnellen lassen. Da wäre es dann aus mit mehr Verkehr auf der Schiene. Da wäre dann - leider - auch die Diskussion über die Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 im Vergleich zum bestehenden Bahnhof hinfällig. Denn es werden bei Stuttgart 21 allein schon aus Kostengründen weniger Züge rollen als dies heute der Fall ist.
Fassen wir jetzt diese allgemeinen Feststellungen in Zahlen. Grundlage für die für jeden Zug zu entrichtenden Gebühren ist das sogenannten Trassenpreissystem TPS. Die Bahn hat jetzt die neuen Preise veröffentlicht, die ab dem 09.12.2012 gelten sollen.
Der Grundpreis für jeden gefahrenen Zugkilometer hängt von der Streckenkategorie ab. Es gibt für Fernstrecken sieben Kategorien. Dies geht zunächst von F1 (4,60 Euro pro Zugkilometer) bis zu F6 (2,71 Euro pro Zugkilometer). Die bestehende Strecke Stuttgart - Ulm ist in die Kategorie 3 eingeordnet (2,88 Euro pro Zugkilometer). Aber halt, da fehlt doch noch eine Kategorie!
NBS Wendlingen-Ulm und S21 sind in der Trassenpreiskategorie FP
Die siebte Kategorie nennt sich Fplus (FP). Sie gilt für besonders aufwändig zu bauende und zu unterhaltende Hochgeschwindigkeitsstrecken. Dazu zählen heute die Strecken Köln-Frankfurt und Nürnberg-Ingolstadt. Und es dürfte wohl kaum betritten werden, wenn wir hier annehmen, dass Stuttgart 21 und die NBS Wendlingen-Ulm auch in diese Kategorie eingeordnet würden. Der Preis für die Kategorie FP ist 9 Euro pro Zugkilometer, also ca. das Doppelte des höchsten Preises bei den normalen Fernstrecken und mehr als dreimal so viel wie bei der Bestandsstrecke Stuttgart-Ulm.
Diese Preise müssen jetzt allerdings noch mit einem Faktor, dem sogenannten Trassenprodukt beaufschlagt werden. Dieser Faktor beträgt 1,65 sowohl für Fernzüge als auch für Regionalzüge. Nur bei sogenannten Economy-Trassen ist dieser Faktor 1,0. Unter einer Economy-Trasse kann man sich in etwa einen Zug vorstellen, der genau dann fährt, wenn die Bahn auf der Strecke große Lücken zwischen den Zügen hat und der in vielen Unterwegsbahnhöfen lange hält, um andere Züge vorbeifahren zu lassen.
Baden-Württemberg zahlt Unsummen für den IRE Stuttgart-Ulm über die NBS
Nun will das Land BW einmal pro Stunde einen IRE zwischen Stuttgart und Ulm über die NBS rollen lassen. Wir haben ja im Post vom 24.04.2012 in diesem Blog bereits gesehen, dass sich die NBS Wendlingen-Ulm nur durch diesen vom Land zu finanzierenden IRE überhaupt näherungsweise rechnet. Ohne die vom Land an die Bahn für diesen IRE tagtäglich und alljährlich bis zum Abriss dieser NBS zu zahlenden Trassengebühren könnte man an einen Bau dieser NBS nicht näherungsweise denken.
Was kostet die Trasse für einen IRE zwischen Stuttgart und Ulm über die NBS? Die Strecke zwischen Stuttgart und Ulm ist bei S21 und der NBS 85 Kilometer lang. Ein IRE kostet somit 85 x 9 x 1,65 = 1.262 Euro.
Was kostet der IRE zwischen Stuttgart und Ulm pro Tag? Wir nehmen an, dass der vom Land zu bestellende IRE täglich von 6 Uhr morgens bis 22 Uhr abends fährt. Das sind also 17 Züge pro Tag und Richtung und 34 Züge pro Tag. Die Kosten pro Tag belaufen sich somit auf 42.908 Euro.
Was müsste das Land pro Jahr für den IRE Stuttgart - Ulm zahlen? Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass die Züge an allen 365 Tagen im Jahr wie oben beschrieben fahren. Damit ergeben sich Jahreskosten von 15.661.420 Euro.
Fazit: Allein für die Trassengebühren des IRE zwischen Stuttgart und Ulm hat das Land bei S21 und der NBS über 15 Millionen Euro pro Jahr zu berappen. Die Bahn braucht dieses Geld dringend als Anteil an den Instandhaltungskosten der exorbitant teueren Strecken. Aber mit den Trassengebühren allein fährt ja noch kein Zug. Da kommen die Kosten für das Zugmaterial, die Personalkosten und die Betriebskosten noch hinzu.
Reduzierung des Regionalverkehrs in der Fläche
Und was für den IRE Stuttgart-Ulm gilt, gilt in etwas vermindertem Maß auch für alle anderen Züge, die durch die Stuttgart 21-Tunnel fahren. Die zukünftige Konfliktlinie zeichnet sich hier schon ganz klar ab. Das Land würde auf die Dauer kein Geld haben, alle Züge zu finanzieren. Würde sich das Land jedoch von der NBS zurückziehen, dort also keinen Regionalverkehr mehr bestellen. wäre die NBS pleite. Denn mit den zwei ICE pro Stunde und Richtung und eventuell einer Handvoll dieser merkwürdigen Leichtgüterzüge rechnet sich die NBS nicht.
Die NBS wird also früher oder später wieder verfallen. Oder das Land wird die Bestellung von Regionalzügen in der Fläche massiv zurückfahren müssen. Wahrlich schockierende Aussichten für die Zukunft unter S21 und der NBS Wendlingen-Ulm!
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