Nun wollen wir uns hier nicht darum streiten, ob der Stuttgarter Kopfbahnhof 16 oder 17 Gleise hat. Es gibt zusätzlich zu den Gleisen 1 bis 16 ein Gleis 1a, das allerdings keinen adäquaten Bahnsteig hat (zur Zeit sind die Gleise 1 und 1a wegen Stuttgart 21 - Vorbereitungsarbeiten stillgelegt).
Das Projekt Stuttgart 21 sieht ja bekanntlich den Abriss des gesamten Kopfbahnhofs vor und dessen Ersatz durch einen achtgleisigen Tiefbahnhof. Nun gibt es von SMA und Heiner Geißler bereits ein Alternativkonzept für einen viergleisigen Durchgangsbahnhof und den Erhalt des Kopfbahnhofs mit 10 bzw. 12 Gleisen (K2.2). Angekündigt für nächste Woche ist ein weiteres Alternativkonzept von VIEREGG-RÖSSLER GmbH. Dieses Konzept sieht wahrscheinlich einen unterirdischen Durchgangsbahnhof vor, der parallel zu den Gleisen des Kopfbahnhofs verläuft sowie den Erhalt aller 17 Gleise des Kopfbahnhofs. (diese Variante wurde in diesem Blog bereits einmal thematisiert). Wir sind gespannt, was in der kommenden Woche präsentiert wird.
Unabhängig davon, welche Variante letztendlich zum Zuge kommt, ist klar: alle 17 Gleise des Kopfbahnhofs müssen erhalten werden. Der Vorschlag im SMA-Konzept, 4 oder 6 Gleise des Kopfbahnhofs stillzulegen, kann man nur als höfliches Schweizer Zugeständnis an die CDU-Befindlichkeiten werten. SMA wollte diesen Kreisen eben wenigstens ein wenig Fläche für eine weitere Bebauung von Gleisanlagen anbieten.
Dabei ist klar: für weitere Flächen für Bürogebäude besteht in Stuttgart nicht der geringste Bedarf. Auch das wurde in diesem Blog schon ausreichend thematisiert. Die Leerstände bei den Büroflächen sind enorm. Neue Projekte für Bürogebäude werden vielfach mangels Nachfrage nicht umgesetzt. Viele Baulücken und auf den Abbruch wartende Gebäude zeugen davon. Zudem haben wir Stuttgarterinnen und Stuttgarter nicht die geringste Lust, neben der bestehenden Städtebaukatastrophe auf dem A1-Gebiet neben dem Hauptbahnhof noch einmal einige nichtssagende Bürokomplexe hingestellt zu bekommen.
Aber die wichtigsten Gründe, die für den Erhalt aller 17 Gleise des bestehenden Kopfbahnhofs sprechen, sind bahnverkehrliche und bahnbetriebliche Gründe. Man stelle sich zum Beispiel vor, ein zu eng gewordener Flughafen wird durch einen vollständig neuen Flughafen ersetzt. Und dieser neue Flughafen hat gerade einmal dieselbe Kapazität wie der alte Flughafen oder meinetwegen eine um 30 Prozent höhere Kapazität. Was würde man da sagen? Man würde wohl von einer Planungskatastrophe sprechen. Als der Münchner Flughafen Riem durch den neuen Flughafen im Erdinger Moos ersetzt wurde, war es selbstverständlich, dass der neue Flughafen bereits zur Betriebsaufnahme mindestens die doppelte Kapazität aufweisen muss als der alte Flughafen. Und der Flughafen sollte in fernerer Zukunft weitere massive Kapazitätssteigerungen ermöglichen.
Beim Projekt Stuttgart 21 scheint diese Selbstverständlichkeit außer Kraft gesetzt worden zu sein. Da wird für 5 bis 10 Milliarden Euro ein neuer Bahnhof gebaut, der vielleicht gerade mal so viel leistet wie der bestehende Bahnhof und bei dem nur mit vielen Tricks, die Otto Normalverbraucher und Otto Normalpolitiker nicht durchschauen, eine dreißigprozentige Kapazitätssteigerung nachgewiesen werden kann. Und was bei einem Flughafen zu einem Aufschrei in Politik und Öffentlichkeit führen würde, wird bei Stuttgart 21 toleriert. Besser könnte man nicht demonstrieren, dass Stuttgart 21 ausschließlich ein Immobilien-Spekulationsobjekt ist. Wobei es m.E. gar nicht so sehr die Immobilienleute selbst sind, die dieses Projekt vorantreiben. Denn diese Leute wissen selbstverständlich, dass mit der Vermarktung der Bahnflächen kein Staat zu machen ist. Man führe sich nur vor Augen, dass die Stadt Stuttgart jetzt seit über 10 Jahren mit einem Stand bei den großen Immobilienmessen vertreten ist und sich bisher kaum ein konkretes Projekt entwickelt hat. Es sind gewisse Politiker mit Minderwertigkeitskomplex, die dieses Projekt wider alle Vernunft vorantreiben.
Aber kehren wir zurück zu den bahnbetrieblichen und bahnverkehrlichen Notwendigkeiten für den Erhalt des 17gleisigen Kopfbahnhofs auch für den Fall, dass zusätzlich ein Tiefbahnhof als Durchgangsbahnhof gebaut wird.
Zunächst einmal steht klar im Raum, dass auch bei der Bahn das Ziel sein muss, dass zukünftig wesentlich mehr Verkehr stattfindet als heute. Würde man etwa nur die Zugzahlen auf den wichtigen Regional- und Fernverkehrsstrecken gegenüber heute verdoppeln, wären alle 17 Gleise des Kopfbahnhofs zusätzlich zu den Tiefbahnhofgleisen bereits wieder überlastet.
Beim sogenannten Stresstest wurde überhaupt nicht berücksichtigt, dass zukünftig auch im Fernverkehr Wettbewerb herrschen sollte. Das bedeutet, dass es zukünftig im Fernverkehr zusätzlich zu den Zügen der Deutschen Bahn auch Züge von Wettbewerbern geben soll. Wo ist für diese Züge denn Platz? Bei Stuttgart 21 ist dafür garantiert kein Platz. Es gibt viele Fernstrecken, wo Konkurrenten der Bahn eigene Züge anbieten könnten. So findet zum Beispiel auf der Strecke Stuttgart-Heilbronn-Würzburg-Thüringer Wald-Erfurt-Berlin zur Zeit überhaupt kein Fernverkehr statt. Warum soll nicht ein Wettbewerber der Bahn auf die Idee kommen, auf dieser attraktiven Strecke Fernverkehr anzubieten? Und das ist nur ein Beispiel von vielen.
Und zur Kundenfreundlichkeit gehört es auch, dass die in Stuttgart beginnenden Züge der DB sowie ihrer zukünftigen Wettbewerber rechtzeitig am Bahnsteig bereitgestellt werden, so dass man auch eine Viertel Stunde vor Abfahrt des Zuges bereits seinen Sitzplatz aufsuchen kann. Ein Beispiel, das das frühzeitige Bereitstellen von Zügen besonders herausstellt, ist der Nachtzugverkehr in Großbritannien. Die Fahrzeit der Nachtzüge zwischen Londen und Glasgow bzw. Edinburgh beträgt ungefähr sechs Stunden. Das ist für eine erholsame Nachtruhe eigentlich ein bisschen wenig. Gar kein Problem für die brtische Bahn: Die Nachtzüge werden einfach zwei Stunden vor der Abfahrt bereits im Abfahrtsbahnhof bereitgestellt. Man kann bereits zwei Stunden vor der Abfahrt einsteigen und sich zur Ruhe begeben. Und bei der Ankunft hat man noch einmal Zeit bis zum Aussteigen.
Für diese Kundenfreundlichkeit braucht man jedoch Gleise und Bahnsteige. Und Stuttgart 21 bietet all das nicht. Auch der SMA-Vorschlag verzichtet ohne Not auf die Möglichkeiten, die 17 Gleise im Kopfbahnhof bieten können.
Die Devise lautet also: wir wollen nicht nur den Erhalt des Kopfbahnhofs. Wir wollen auch den Erhalt aller 17 Gleise des Kopfbahnhofs. Mindestens in diesem Punkt muss das SMA-Konzept korrigiert werden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.