Kaum ein anderer Architekt hat Stuttgart im 20. Jahrhundert so geprägt wie Paul Bonatz. Dieser Architekt hat viel mehr in Stuttgart gebaut als "nur" den Hauptbahnhof. Und der berühmte Architekt Paul Bonatz, der in Deutschland und in anderen Ländern viele Bauwerke geplant und gebaut hat, hat in Stuttgart seine Hauptwirkungsstätte gehabt.
Eigentlich müsste es völlig außer Diskussion stehen, dass eine Ausstellung über Paul Bonatz und sein Werk in erster Linie in Stuttgart stattzufinden hat. Das ist aber, wie man in diesen Monaten erstaunt feststellen kann, nicht der Fall. Die Ausstellung "Paul Bonatz 1877-1956, Leben und Bauen zwischen Neckar und Bosporus" wurde in den vergangenen Monaten im Architekturmuseum in Frankfurt / Main gezeigt. Zur Zeit und noch bis zum 22. Mai 2011 ist die Ausstellung in der Kunsthalle in Tübingen zu sehen. Es ist nicht geplant, diese Ausstellung in Stuttgart zu zeigen.
Es wird gleich klar werden, warum die Ausstellung über Paul Bonatz nicht in Stuttgart zu sehen ist. Es gab im Sommer 2010 einen weiteren merkwürdigen Vorgang, man könnte auch sagen: einen Skandal, der die Sache vielleicht erhellen könnte. Der bundesweite Tag des offenen Denkmals stand am 12.09. 2010 unter dem Motto: "Kultur in Bewegung - Reisen, Handel und Verkehr". Was hätte damals näher gelegen, die Eröffnungsveranstaltung zum Tag des offenen Denkmals im Stuttgarter Hauptbahnhof abzuhalten? Denn welches denkmalgeschützte Bauwerk Baden-Württembergs symbolisiert dieses Motto besser als der Stuttgarter Hauptbahnhof? Die Eröffnungsveranstaltung zum Tag des offenen Denkmals in BW fand hingegen weit ab vom Schuss im Zeppelin-Museum in Friedrichshafen statt.
Es wird auch schnell klar, warum dies der Fall war. Wenige Tage vor dem Tag des offenen Denkmals wurde der Nordflügel des Stuttgarter Hauptbahnofs, der ein integraler Bestandteil des denkmalgeschützten Bahnhofs ist, unter größtem Protest der Bevölkerung für Vorbereitungsarbeiten zum Prestigeprojekt Stuttgart 21 abgerissen. Das wiederum war möglich geworden, weil einige Jahre zuvor der staatliche Denkmalschutz in BW umstrukturiert worden ist mit dem Ziel, ihn an die Kandare zu nehmen und jeglichen Widerstand von Seiten des Denkmalschutzes gegen den Teilabriss des Stuttgarter Hauptbahnhofs erst gar nicht mehr nach außen dringen zu lassen.
Nun stand man in Stuttgart vor einem Dilemma. Den Tag des offenen Denkmals unter dem Motto "Kultur in Bewegung" konnte man in der Landeshauptstadt nicht mehr feiern, ohne einen Volksaufstand auszulösen. Und eine Ausstellung über Paul Bonatz kann man in dieser Stadt, die sein wichtigstes Werk zerstört hat, auch nicht zulassen. Das wäre allzu peinlich.
Also müssen die Bürger von Stuttgart jetzt nach Tübingen fahren. Der Eintritt in die Paul Bonatz Ausstellung in der Kunsthalle ist 7 Euro. Zu sehen sind Bilder, Pläne und Modelle aus dem breiten Schaffensgebiet von Paul Bonatz. Das geht von Bahnhöfen über Brücken, Schleusen, Villen bis zu repräsentativen öffentlichen Bauten.
Die größte Überraschung in der Ausstellung für mich war, dass Paul Bonatz nach seiner Rückkehr aus der Türkei im Jahr 1954 sich sehr konstruktiv und verdienstvoll um den Wiederaufbau Stuttgarts nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg gekümmert hat. Es ist klar: beim Wiederaufbau Stuttgarts wurden viele, viele und schwere Fehler gemacht. Aber nach einem Besuch der Ausstellung wird klar, dass es ohne Paul Bonatz noch schlimmer gekommen wäre.
In den beiden folgenden Posts soll an verschiedenen Beispielen aus dem Stadtgebiet Stuttgart gezeigt werden, dass die Überlegungen von Paul Bonatz zum Wiederaufbau Stuttgarts nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg noch heute interessant sind. Nach wie vor wartet die Stadt auf die Umsetzung dieser Ideen. Möglicherweise muss es als Voraussetzung hierfür - wie auch als Voraussetzung für das endgültige Abschiednehmen vom Prestigeprojekt Stuttgart 21 - erst einmal personelle Änderungen an der Spitze der Stadtverwaltung geben.
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