Dienstag, 19. Oktober 2010

Kennt Ivo Gönner den Schienenregionalverkehr im Großraum Ulm?

Der Obebürgermeister von Ulm, Ivo Gönner (SPD), gehört zu den eifrigsten Trommlern nicht nur für die Neubaustrecke Wendlingen - Ulm, sondern auch für Stuttgart 21. Es ist schon merkwürdig, wie sich hier der Oberbürgermeister einer Luftlinie 70 Kilometer entfernten Stadt in die Belange der Bürgerinnen und Bürger der Landeshauptstadt Stuttgart einmischt.

Handelt Herr Gönner wenigstens im Interesse der Ulmerinnen und Ulmer, wenn er die Realisierung von Prestigeprojekten wie Stuttgart 21 fordert? Daran muss ich Zweifel anmelden. Ich fahre hin und wieder mit der Bahn in den Großraum Ulm und benutze dort auch den regionalen Schienenverkehr. Leider ist beim Regionalverkehr im Großraum Ulm manches im Argen. 



Wäre es nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger des Großraums Ulm, wenn an Stelle der Realisierung von Prestigeprojekten wie Stuttgart 21 ein fahrgastfreundlicher Ausbau des Regionalverkehrs im Großraum Ulm erfolgte?

Wie sieht es im Schienenregionalverkehr des Großraums Ulm aus? Hierzu einige Beispiele:

Beispiel 1:
Die Regionalstrecke ins Luftlinie 15 Kilometer entfernte Blaubeuren ist zum größten Teil eingleisig und wird mit Dieselfahrzeugen betrieben. Die Abfahrtszeiten von Blaubeuren nach Ulm sind zum Beispiel wie folgt: 11:06, 11:34, 11:58, 12:29, 13:07, 13:34, 13:48, 14:29
Von einer genauen Taktung kann keine Rede sein, zwischen 13:48 und 14:29 fährt eine Dreiviertelstunde lang kein Zug. In Blaubeuren, wo sich die Züge begegnen, hält zuerst der Zug aus Richtung Ulm und fährt nach dem Fahrgastwechsel einige Meter vor. Erst dann können die Fahrgäste zum Zug nach Ulm den Bahnsteig betreten.


Beispiel 2:
Die Regionalstrecke nach Süden in Richtung Allgäu (Memmingen-Kempten) ist bis auf Ausweichgleise in den Bahnhöfen durchgehend eingleisig und damit hochgradig verspätungsanfällig. Zudem ist sie nicht elektrifiziert. Immer wieder müssen Züge in den Bahnhöfen auf verspätete Gegenzüge warten. Die Verspätungen übertragen sich von Zug zu Zug und von Richtung zu Gegenrichtung.
Vor einiger Zeit hatte ich die (wahrscheinlich nicht besonders gute) Idee, mit dem Zug von Stuttgart ins Allgäu zu fahren. Der IC von Stuttgart kam in Ulm mit 5 Minuten Verspätung an. Der Anschlusszug in Richtung Allgäu fährt fahrplanmäßig in derselben Minute ab, in der der verspätete IC aus Richtung Stuttgart ankam. Trotzdem wartete der Regionalzug ins Allgäu nicht. Anscheinend können die Züge wegen der eingleisigen Strecke nicht einmal eine Minute warten. In der Folge musste ich eine Stunde auf den nächsten Zug ins Allgäu warten.

Beispiel 3:
Ich fuhr im Interregio-Express Stuttgart-Lindau. Vor dem Bahnhof Ulm hielt der Zug an. Es kam eine Durchsage, dass wegen Gleisbelegung eine Einfahrt in den Bahnhof Ulm bis auf weiteres nicht möglich ist. Der Grund war, dass der Interregio-Express der Gegenrichtung sich noch im Bahnhof Ulm befand - auf demselben Gleis wie für den IRE Richtung Lindau geplant. Der IRE in Richtung Stuttgart hatte eine Verspätung von über 15 Minuten, weil wiederum ein ICE von München nach Stuttgart eine Verspätung von über 15 Minuten hatte. Zuerst musste also der ICE nach Stuttgart den Bahnhof Ulm verlassen, dann konnte im Blockabstand der IRE nach Stuttgart den Bahnhof verlassen und dann konnte endlich der IRE nach Lindau in den Bahnhof Ulm einfahren. Das ist Bahnbetrieb, wie er täglich vorkommt. Und außerdem ist dies eine Vorschau auf die Verhältnisse von Stuttgart 21, denn der Ulmer Bahnhof hat zu wenige Bahnsteige - wie dies auch bei Stuttgart 21 der Fall sein wird.

Beispiel 4:
Der Bahnhof der Nachbarstadt Neu-Ulm wurde vor wenigen Jahren neugebaut. Will man jedoch von Neu-Ulm nach Ulm mit dem Zug fahren, kann man so manche Überraschung erleben. Es fahren teilweise drei Züge pro Stunde. Jedoch fahren diese Züge nicht in gleichmäßigen Abständen, sondern zum Beispiel wie folgt: 14:13, 14:20, 14:31. Es gibt also eine Lücke von fast einer Dreiviertelstunde, in der man nicht mit dem Zug von Neu-Ulm nach Ulm fahren kann.

Beispiel 5:
Nach einem sehr schönen Tag in der historischen Altstadt von Ravensburg stand die Rückfahrt mit dem Zug nach Stuttgart an. Der Zug von Friedrichshafen fuhr in Ravensburg ein. Der Zug machte in der Folge keine Anstalten mehr, weiterzufahren. Irgendwann kam die Durchsage, dass es ein technisches Problem am Zug gebe. Alle Fahrgäste mussten aussteigen und auf den in einer Stunde kommenden nächsten Zug warten. Nach einer Stunde kam die Durchsage, dass dieser nächste Zug wegen eines Lokschadens ausfalle. Eine viertel Stunde später kam die Durchsage, dass der in Ravensburg havarierte Zug jetzt mit verminderter Geschwindigkeit doch nach Ulm fahre. Mit zwei Stunden Verspätung und in einem übervollen Zug kamen wir schließlich in Ulm an.

Fazit:
Die Regionalstrecken sowie der Bahnbetrieb im Großraum Ulm sind in einem ganz schlechten Zustand. Investitionen in den zweigleisigen Ausbau der Strecken, in deren Elektrifizierung, in den Ausbau der Bahnhöfe und in einen vertakteten Betrieb (integraler Taktfahrplan) sind dringend erforderlich. Leider können diese Investitionen unter anderem wegen Prestigeprojekten wie Stuttgart 21 nicht oder nicht im erforderlichen Umfang oder in der erforderlichen Zeit getätigt werden.

Wie weit haben sich Politiker wie Ivo Gönner inzwischen vom Volk entfernt, dass sie dermaßen falsche Prioritäten für Investitionen in die Bahn setzen?

Wir übergeben Herr Ivo Gönner hiermit die rote Karte für Stuttgart 21. Außerdem bitten wir Herr Gönner, sich einmal eine Tageskarte für den Regionalverkehr im Großraum Ulm zu kaufen und einen Tag lang dort Zug zu fahren.      
 

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