Dienstag, 2. April 2013

SPD-Vorschlag zum Flughafenbahnhof zeigt das Unbehagen mit Stuttgart 21

Im Streit um die Ausgestaltung des Flughafen- und Filderteils von Stuttgart 21 hat die SPD-Gemeinderatsfraktion (Stadträtin Blind) zusammen mit dem Kreisvorsitzenden Stuttgart der SPD, Dejan Perc, jetzt einen Vorschlag in die Diskussion gebracht, wonach die Gäubahn am Flughafenbahnhof Kopf machen soll. Damit soll vermieden werden, dass die Züge der Gäubahn über eine weit ausholende 180 Grad-Schleife zwischen dem Flughafenbahnhof und dem Fildertunnel wichtige Bereiche der Fildern einschließlich des Naherholungsgebiets Langwieser See beeinträchtigen.

Dem voraus gingen weitere Vorschläge der SPD. Bereits vor dem von der Landesregierung anberaumten sogenannten Filderdialog haben die SPD-Politiker Schmiedel und Drechsler einen Vorschlag für eine Führung der Gäubahn zwischen S-Rohr und dem Flughafen entlang der Autobahn und eine 180 Grad-Schleife zum Wenden der Gäubahn östlich des neu zu erstellenden Flughafenbahnhofs in den Ring geworfen. Und der Filderdialog selbst, den viele Menschen als eine Veräppelung empfanden, hatte seine Triebfeder ja auch aus der Erkenntnis heraus, dass die Flughafen- und Filderplanung von Stuttgart 21 Murks ist.

Wir wollen heute in diesem Blog nicht so sehr auf die genauen Details der neuen Vorschläge zum Flughafen- und Filderteil von Stuttgart 21 eingehen, auch wenn es einem hier teilweise den Magen herumdreht. Die immer wieder gemachten Vorschläge der Stuttgart 21-Befürworter sind aus einem allgemeinen Betrachtungswinkel heraus interessant. Diese Vorschläge zeigen nämlich, dass selbst die Befürworter von Stuttgart 21 mit diesem Projekt bzw. wenigstens wichtigen Teilen des Projekts nicht zufrieden sind und hektisch versuchen, immer wieder Änderungen vorzubringen.


Das mutet etwas merkwürdig an. Wurde Stuttgart 21 nicht immer als das bestgeplante Bahnprojekt dargestellt? Ist das Projekt nicht schon offiziell seit über drei Jahren im Bau? Bei anderen großen Verkehrsprojekten in Europa gibt es so etwas jedenfalls nicht, dass man von Befürworterseite an einem Projekt immer noch herumdoktort und eigentlich nicht mit dem Projekt zufrieden ist, obwohl das Projekt bereits eine jahrzehntelange Planungsphase und eine mehrjährige Bauphase hinter sich hat.

Wenn Stuttgart 21 schon als Ganzes auf europäischer Ebene etwas besonderes ist, einen besonders herausragenden Murks darstellt, dann gilt das für den Filderteil mit Flughafen von Stuttgart 21 erst recht. Das fängt ja schon damit an, dass die eigentlich zuständigen Institutionen, nämlich der Bund und die Bahn, den Flughafenbahnhof gar nicht wollten. Erst hunderte Millionen Euro schwere Zuzahlungen vom Land BW, von der Region Stuttgart und vom Flughafen selbst erweichten die Bahn schließlich, Planungen für einen Filderbahnhof aufzunehmen. 

Bahn und Bund wollten den Flughafenbahnhof nicht
Das ist aber in besonderem Maße problematisch. Wenn der eigentlich Zuständige eine Sache nicht bauen will, weil er sie für unnötig, unsinnig und zu teuer hält, dann baut dieser Zuständige diese Sache auch dann nur halbherzig, vielleicht sogar widerwillig, wenn Dritte ihm den Bau mit finanziellen Zuwendungen mehr als versüßen. Aber der Bau ist ja nur die halbe Miete. Genauso wichtig oder sogar noch wichtiger, wenn man die Lebensdauer der neuen Tunnelanlagen von mindestens hundert Jahren betrachtet, ist der spätere Betrieb. Wenn sich der Bau für die eigentlich Zuständigen nicht rechnet, dann rechnet sich auch der spätere Betrieb für sie nicht. Wer aber zahlt für den späteren, exorbitant teuren Betrieb?

Da werden sich die Zuständigen (also Bund und Bahn) schon etwas einfallen lassen. Entweder die Dritten (also Land, Region und Flughafen) zücken auch in den kommenden hundert Jahren regelmäßig den Geldbeutel. Oder es werden die erforderlichen Gelder über exorbitant hohe Fahrpreise und über exorbitant hohe Trassengebühren wieder hereingeholt. Als Reaktion darauf werden die Menschen noch mehr mit dem Auto fahren als heute und das Land kann noch weniger Regionalzüge bestellen als heute. Die Bahn selbst ist fein heraus. Sollte sie planen, am Stuttgart 21-Flughafenbahnhof den einen oder anderen ICE halten zu lassen, dann kann sie dies jederzeit stornieren, wenn es sich als nicht lohnend erweisen sollte.

Warum haben selbst Stuttgart 21-Befürworter ein Unbehagen mit dem Projekt?
Was aber sind die Details, weswegen selbst die Stuttgart 21-Befürworter ein Unbehagen mit dem Projekt im Allgemeinen und mit dem Filderteil im Besonderen haben? Ein Vergleich des Filder- und Flughafenteils von Stuttgart 21 mit der Flughafenanbindung praktisch aller anderen Flughäfen in Europa fördert in der Tat Merkwürdiges zu Tage. Je nach Variante soll bei Stuttgart 21:
  • der bestehende, zweigleisige, leistungsfähige und große Reserven und Potenziale aufweisende Flughafenbahnhof unter dem Terminal des Flughafens in zwei eingleisige Bahnhöfe zerlegt werden,
  • zusätzlich zum bestehenden, leistungsfähigen Flughafenbahnhof ein exorbitant teurer, in großer Tiefenlage sich befindender, mehr oder weniger weit vom bestehenden Bahnhof entfernter zweiter Bahnhof gebaut werden,
  • die Rohrer Kurve, eine Übereckverbindung bei S-Rohr, gebaut werden, die wertvollen Erholungswald zerstört und die bei einem Ausbau des bestehenden Bahnhofs S-Vahingen zum Umsteigebahnhof kropfunnötig ist,
  • der erst in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgte moderne, viergleisige Ausbau der Gäubahn zwischen S-Rohr und S-Dachswald wieder rückgebaut werden,
  • der Bahnhof Vaihingen, der potenziell wichtigste Bahnhof auf den Fildern und der potenziell wichtigste Umsteigeknoten im öffentlichen Verkehr auf den Fildern in seiner Bedeutung reduziert werden und dessen Potenziale nicht ausgeschöpft werden,
  • zwischen S-Rohr und dem Flughafen ein Mischverkehr zwischen der S-Bahn und den Fern- und Regionalzügen stattfinden - auf einer Strecke, die nur für den S-Bahnverkehr gebaut worden ist und bei der die Sicherheitsräume für den Fernverkehr zu schmal sind, weswegen der für Stuttgart 21 geplante Mischbetrieb erst einer fragwürdigen Sondererlaubnis des Verkehrsministers bedurfte,
  • mehrere höhengleiche Gleiskreuzungen beiderseits des bestehenden Flughafenbahnhofs geben, die die Leistungsfähigkeit des Bahnsystems markant reduzieren werden,
  • für die Gäubahn eine raumgreifende, kilometerlange 180 Grad-Kurve eingerichtet werden, nicht etwa, um die Fahrgäste möglichst schnell und auf kürzestmöglichem Wege von A nach B zu befördern, sondern nur mit dem Zweck, die Züge in die richtige Himmelsrichtung für die Weiterfahrt zu bringen,
  • ein weltweit einmaliges Gleisknäuel bei Flughäfen errichtet werden, indem zusätzlich zur 180 Grad-Kurve für die Gäubahn auch noch eine Ausschleifung für die Züge aus dem Fildertunnel und der Strecke Richtung Ulm in einen zweiten Flughafenbahnhof eingerichtet wird,
  • an einem denkbar ungünstigen Punkt, der weit weg von den Siedlungsflächen ist, ein Umsteigebahnhof errichtet werden, wobei beim Umsteigen lange Strecken und riesige Höhenunterschiede zurückzulegen sind,
  • ein Halt für den ICE-Verkehr am Flughafen eingerichtet werden, obwohl der ICE pro Großstadt eigentlich nur einmal halten sollte und obwohl es fraglich ist, ob das Fahrgastaufkommen beim Flughafen für einen ICE-Halt ausreichend groß ist und obwohl überhaupt  nicht klar ist, ob die Bahn wenigstens alle zwei Stunden einen ICE am Flughafen halten lassen wird.    

Zählt man alle diese Punkte zusammen, erhält man tatsächlich den größten Eisenbahn- und Verkehrsmurks von allen Flughafenanbindungen in Europa und darüber hinaus im gesamten europäischen Bahnnetz. Als Stuttgarter und vielleicht als Fachmann kann man sich für dieses Desaster eigentlich nur fremdschämen.

Die naheliegendste Lösung für die Flughafenanbindung wird ignoriert
Der Blick vieler Beteiligter ist inzwischen so verbohrt und eingeschränkt, dass die naheliegendste und plausibelste, die wirtschaftlichste und die für die Fahrgäste und das System des öffentlichen Verkehrs sinnvollste Variante der Flughafenanbindung ignoriert wird.  Es geht gar nicht mehr darum, das Beste für die Fahrgäste, für die Region Stuttgart und für den öffentlichen Schienenverkehr herauszuholen. Es geht nur noch darum, das Projekt Stuttgart 21, das inzwischen ein götzenhafter Selbstläufer geworden ist, irgendwie am Leben zu erhalten. 

Dabei liegt die bessere Lösung für den Flughafen und die Fildern auf der Hand bzw. sie liegt direkt vor den Augen. Schließlich gibt es beim Flughafen direkt unter dem Terminal bereits einen Bahnhof. Dieser Bahnhof ist zur Zeit nicht ausgelastet. Der im Jahr 1993 eröffnete und nach wie vor sehr moderne und ansehnliche Bahnhof hat noch große bahnbetriebliche und bahnverkehrliche Potenziale. Die Zukunft für die Anbindung des Flughafens, der Messe und der umliegenden Kommunen an das Bahnnetz liegt somit in einem Ausbau des Express-S-Bahnnetzes. 

Der bestehende Flughafenbahnhof wird zur Zeit von zwei S-Bahnlinien im sogenannten Stottertakt (10/20-Minuten) angefahren. Da ist Platz für mindestens eine weitere S-Bahnlinie, die dann zusammen mit den beiden anderen Linien den reinen 10 Minuten-Takt beim Flughafen gewährleisten kann.

Diese dritte S-Bahnlinie ist die lang ersehnte Express-S-Bahn vom Kopfbahnhof über S-Vaihingen, den Flughafen und Wendlingen nach Plochingen. Diese S-Bahnlinie bindet den Flughafen auf schnellstmöglichem Weg gleich an vier Bahnknotenpunkte an (Kopfbahnhof, Vaihingen, Wendlingen, Plochingen). Die S-Bahnlinie fährt zwischen Vaihingen und Flughafen ohne Halt. Das ist ohne jegliche Probleme und ohne Sondergenehmigungen möglich - im Gegensatz zur Stuttgart 21-Betriebskonfiguration. Zwischen dem Flughafen und Wendlingen nutzt die S-Bahn die für Stuttgart 21 geplante Trasse parallel zur Autobahn, wobei bei Wendlingen die sogenannte Wendlinger Gegenkurve erforderlich ist.

Alle Fahrgäste kommen an ein und demselben Bahnhof unter dem Flughafenterminal an. Zwei Bahnhöfe mit ihrer Umständlichkeit beim Umsteigen und ihrem teuren Betrieb wie bei Stuttgart 21 sind nicht erforderlich. 

Aber auch das braucht nicht das Ende der Fahnenstange zu sein. Das Express-S-Bahnnetz ist ausbaufähig. Drei S-Bahnlinien kommen aus Richtung Vaihingen beim Flughafen an. Alle drei Linien könnte man weiterführen. Die bereits genannte dritte Express-S-Bahn fährt über Wendlingen nach Plochingen. Eine weitere der drei Linien kann über die für Stuttgart 21 geplante Wendlinger Kurve in Richtung Nürtingen und Metzingen fahren. Die dritte der drei Linien könnte später mal entlang der Autobahn geradeaus weiterfahren und dann mit einem ganz kurzen Zwischenstück den Bahnhof von Kirchheim/Teck erreichen. Von dort kann sie auf der stillgelegten Bahnstrecke nach Weilheim/Teck weitergeführt werden. Von dort kann man eine Neubaustrecke nach Bad Boll bauen. Von dort schließlich kann man auf der stillgelegten Strecke nach Göppingen fahren.

Fazit
Europäische Lachnummer oder sinnvolle und zukunftsorientierte Anbindung des Stuttgarter Flughafens, der Messe und des Umlands: Diese Alternative steht im Raum und hierzu sollten sich die verantwortlichen Politiker noch einmal Gedanken machen und eine richtige Entscheidung treffen. Es ist nie zu spät, Fehler einzugestehen und seine Meinung zu ändern.                 
                      

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