Die "Badenfrage" könnte - zusammen mit zahlreichen anderen Umständen - dazu führen, dass das Konversionsprojekt Stuttgart 21-Rosenstein nicht oder nur eingeschränkt umgesetzt werden kann.
Das sehen wir uns heute hier in diesem Blog näher an.
Zunächst mal: Was versteht man unter der Badenfrage? Die Deutsche Digitale Bibliothek definiert die Badenfrage wie folgt: "Baden-Württembergische Eifersüchteleien. Die Badener fühlen sich
benachteiligt und fürchten, daß die regionalen Entwicklungschancen durch
das Stuttgarter Übergewicht behindert werden".
Nach Ansicht von Ministerpräsident Kretschmann gibt es die Badenfrage heute nicht mehr. Vor einigen Monaten äußerte er sich sinngemäß so, dass es keine Württemberger und Württembergerinnen bzw. Badener und Badenerinnen, sondern nur Baden-Württemberger und Baden-Württembergerinnen gibt.
Kretschmann könnte sich hier stark irren. So gab es im Jahr 2022 aus Anlass des 70jährigen Jubiläums von Baden-Württemberg Streit, weil sich der badische Landesteil nicht ausreichend repräsentiert fühlte. Eine Schlichtung sollte danach die Streitereien ausräumen. Gemäß der Süddeutschen Zeitung fürchten viele Badener eine Schwäbisierung von Baden-Württemberg. Landtagspräsidentin Muhterem Aras (GRÜNE) musste einen weiteren Dialog in Aussicht stellen, idealerweise in Baden.
Oettinger hatte bei Stuttgart 21 auch die Badenfrage im Hinterkopf
Stuttgart 21 wurde ja zweimal geboren. Einmal war dies im Jahr 1994, als es überfallartig vorgestellt wurde. In den folgenden Jahren verlor die Bahn langsam das Interesse an Stuttgart 21. Der frühere Ministerpräsident Oettinger brauchte dann aber, nachdem er wegen einer verunglückten Rede bei der Trauerfeier für den Alt-Ministerpräsidenten Filbinger stark unter Druck stand, einen Erfolg. Das führte zur zweiten Geburt von Stuttgart 21.
Der frühere Ministerpräsident Oettinger hatte aber immer auch die Badenfrage im Kopf. So betonte er, dass Stuttgart 21 eigentlich Baden-Württemberg 21 heißen müsse, weil seiner Ansicht nach ganz Baden-Württemberg von dem Projekt profitieren wird. Das reichte für Baden aber noch nicht. Um die Unterstützung aus Baden für Stuttgart 21 zu erhalten, musste erst ein badisches Großprojekt - die Kombilösung in Karlsruhe - in trockene Tücher gelegt werden. Erst nachdem dies erfolgt war, konnte Oettinger der Bahn die zahlreichen Landesmillionen zuschießen, um aus Stuttgart 21 ein (zumindest nach damaliger Rechnung) eigenwirtschaftliches Projekt der Bahn zu machen.
Überraschung am Titisee
Bei einem Besuch am Tourismus-Schwerpunkt Titisee im Südschwarzwald im August 2023 traute ich meinen Augen kaum. Am Schiffsanleger flatterten die deutsche Fahne und die badische Fahne. Eine Baden-Württemberg-Fahne war nicht zu sehen. Am "Bähnle", das für Touristen eine einstündige Rundfahrt durch die sehenswerte Einzelbauernhof-Landschaft nördlich des Titisees veranstaltet, wehten badische Wimpel. Tausende und Abertausende Touristen aus aller Welt sehen also am Titisee die badische Fahne.
Wandern Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang von Stuttgart nach Baden?
Im August 2023 äußerte sich die "Landesvereinigung Baden in Europa" so, dass eine Tagung des Landeskabinetts an verschiedenen Orten - auch in Baden - sinnvoll wäre. Zudem sollten nicht alle obersten Landesbehörden in Stuttgart angesiedelt sein. Einige wenige Landesämter sind bereits in Baden angesiedelt.
Man könnte hier jetzt noch ein wenig weiterspekulieren in Bezug auf die Umsiedlung ganzer Ministerien von Stuttgart nach Baden (zur Zeit gibt es 12 Landesministerien, alle im Stuttgarter Talkessel) oder gar die Bildung eines eigenen Bundeslandes Baden. Das wollen wir hier in diesem Blog aber nicht tun, denn es gibt zu diesen Themen ja Gesetze einschließlich des Grundgesetzes und die Badenfrage sollte unter keinen Umständen so enden, wie das in Katalonien der Fall war. Dieses Thema ist also zu heikel für diesen Blog.
Stuttgart wird in die Enge getrieben
Peter Koehler, der Vorsitzende der Landesvereinigung Baden in Europa, argumentierte, dass ein Umzug von Behörden von Stuttgart nach Baden auch das Stuttgarter Wohnungsproblem ein Stück weit lösen könnte. Das ist eine ganz geschickte Argumentation, durch die Stuttgart in die Enge getrieben wird. Denn es gibt im Großraum Stuttgart tatsächlich Wohnungsmangel. Warum nicht den Wohnungsmangel ein Stück weit beheben, indem Beamtenstellen von Stuttgart nach Baden verlagert werden? In Stuttgart werden nur wenige Wohnungen neu gebaut. Allerdings wird eine Verlagerung von Arbeitsplätzen nach Baden in Stuttgart wohl kaum begrüßt werden. Denn mit den Arbeitsplätzen wandert auch ein Stück Kaufkraft aus Stuttgart ab. Ist das allerdings in Zeiten des Fachkräftemangels so schlimm?
Halten wir aber mal fest
Stuttgart könnte mittelfristig zahlreiche Arbeitsplätze der Landesverwaltung Baden-Württemberg an Baden verlieren. Die Mehrzahl dieser Arbeitsplätze sind heute noch im Stuttgarter Talkessel angesiedelt. Die ablaufende und/oder drohende Arbeitsplatz-Erosion im Stuttgarter Talkessel war ja bereits mehrfach das Thema hier in diesem Blog.
Da gibt es bereits zahlreiche Firmen, die aus dem Stuttgarter Talkessel in die äußeren Stadtbezirke umziehen oder umziehen werden, z.B. die EnBW oder die Allianz.
Dann gibt es Firmen, die aus dem Stuttgarter Talkessel in das Umland ziehen, z.B. die Wüstenrot&Württembergische.
Dann gibt es Landesbehörden, die aus dem Stuttgarter Talkessel ins Umland ziehen, z.B. das Statistische Landesamt, das nach Fellbach zieht.
Mittelfristig kommt möglicherweise eine weitere Umzugswelle auf den Stuttgarter Talkessel zu, indem Landesbehörden aus dem Stuttgarter Talkessel nach Baden umziehen. Ein erster Fall könnte eine Kompensation für den Wegfall von 1.500 Arbeitsplätzen der Firma Klingel in Pforzheim sein, indem eine Behörde des Landes von Stuttgart nach Pforzheim verlegt wird.
Stuttgart 21-Rosenstein wird wohl bald nur noch als Last empfunden
Es brennt also ein Stück weit im Stuttgarter Talkessel. Da wäre ein sinnvolles Eingreifen der Stadt gefragt. Das bestünde aus zwei Säulen.
Die erste Säule beinhaltet die Konversion und Weiterentwicklung wichtiger Teile des Stuttgarter Talkessels (ohne die heutigen Gleisanlagen). Hierzu ist bereits die gesamte, bei der Stadt verfügbare Manpower erforderlich.
Die zweite Säule beinhaltet die Erreichbarkeit der Stadt auf der Schiene, die für die Attraktivität unabdingbar ist. Wir haben in diesem Blog schon gesehen, dass der Stuttgarter Hauptbahnhof das Potenzial hat, zum größten Regionalverkehrsknoten Deutschlands zu werden. Zudem wird der Stuttgarter Hauptbahnhof möglicherweise auch noch zu einem ICE-Knoten (neue ICE-Strecke Würzburg - Stuttgart - Zürich im Rahmen des European Green Deal). Hierfür ist allerdings ein Ergänzungsbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof unabdingbar.
Leider stellen wir fest, dass die Politik in Stuttgart im Moment nicht in diese Richtung geht. Der dringend notwendige Ergänzungsbahnhof wird abgelehnt. Und der Schwerpunkt der Konversionsplanung liegt nicht im Stuttgarter Talkessel, sondern bei Stuttgart 21-Rosenstein.
Noch gibt es Hoffnung, dass die Stadt sich in absehbarer Zeit in die richtige Richtung dreht und die Stuttgart 21-Gesichtswahrer nach und nach in den Ruhestand gehen.
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Deutschlandfahne (hinten) und Badische Fahne (vorne) beim Titisee
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Wimpel mit der Badischen Fahne beim "Bähnle" in Titisee
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