Trotz der Investition von wahrscheinlich über 11 Milliarden Euro in das Projekt Stuttgart 21 und über zehnjähriger Bauzeit mit massiven Einschränkungen für die Fahrgäste kann die Gäubahn ab einer ersten Teilinbetriebnahme des Projekts nicht mehr wie gewohnt verkehren und muss betriebliche Erschwernisse bis zur streckenweisen Stilllegung in Kauf nehmen.
Wer trägt die Verantwortung für dieses Desaster?
Ist es das Verkehrsministerium Baden-Württemberg?
Es fällt auf, dass zur Thematik und Problematik der Gäubahn vom Landesverkehrsministerium wenig bis gar nichts kommt. In der Öffentlichkeit präsent ist vor allem eine sogenannte Interessengemeinschaft Gäubahn. Auch die Kommunen entlang der Gäubahn sind präsent, indem sie Meinungen verbreiten und Gutachten anfertigen lassen.
Normal wäre, dass das Landesverkehrsministerium die Federführung in Sachen Gäubahn übernimmt und in der Öffentlichkeit auch diesbezüglich wahrgenommen wird. Denn die Gäubahn ist in erster Linie Regionalverkehr, also Verkehr in der Zuständigkeit des Landes. Die heute im Verlauf der Gäubahn verkehrenden Fernzüge werden nur als Folge des Zuschusses des Landes Baden-Württemberg gefahren.
Das Land hätte also rechtzeitig, bevor sich das Gäubahndesaster abzeichnete, Maßnahmen ergreifen müssen. Das Land hätte den Ergänzungsbahnhof schon vor Jahren anstoßen müssen. Das Land hätte zusammen mit der Bahn rechtzeitig Vereinbarungen treffen müssen, um die Gleise, Weichen, Zugsicherungsanlagen, Bahnsteige, Bahnhöfe, Brücken und Tunnel für die dauerhafte Einführung der Gäubahn in einen Ergänzungsbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof zu gewährleisten.
Auf der Website des Landesverkehrsministeriums wird an prominenter Stelle auf das Ziel einer Verdoppelung der Fahrgastzahlen im ÖPNV bis 2030 hingewiesen. Zumindest für die Gäubahn und deren Umgebung wird dieses Ziel mit großer Wahrscheinlichkeit nicht einmal ansatzweise erreicht werden, wenn die Gäubahn nicht mehr zum Stuttgarter Hauptbahnhof fahren kann. Das Land sollte zugeben, dass die Verkehrsverlagerungsziele grandios gescheitert sind.
Nutzen sich Rücktrittsforderungen mit der Zeit ab?
Mir ist klar, dass sich Rücktrittsforderungen mit der Zeit abnutzen. Insofern kann ich es mir eigentlich sparen, noch einmal den Rücktritt von Landesverkehrsminister Hermann zu fordern. Fällig wäre der Rücktritt allerdings.
Hermann hat nicht nur den im Koalitionsvertrag verankerten Ergänzungsbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof wieder falllengelassen. Er hat dadurch auch den Koalitionspartner CDU düpiert. Die CDU hätte den Ergänzungsbahnhof mitgetragen. Die CDU wird sich in Zukunft zweimal überlegen, ob sie mit Hermann noch Vereinbarungen abschließen kann.
Und schon nimmt sich die CDU Hermann zum Vorbild und fühlt sich selbst nicht mehr an bestimmte Inhalte des Koalitionsvertrags gebunden. So kommt jetzt Landwirtschaftsminister Haug mit seiner Nationalpark-Phobie wieder an die Öffentlichkeit. Obwohl im Koalitionsvertrag vereinbart, wehrt sich Haug nun gegen die Erweiterung des Nationalparks. Dieser Mann hat augenscheinlich nie seinen Frieden mit dem Nationalpark oder dem Thema Wildnis geschlossen. Jetzt scheint es für Haug günstig zu sein, das Thema in seinem Sinne wiederaufzunehmen.
Ich hätte noch einen Tip für die CDU, obwohl die CDU bestimmt nicht auf meine Tips wartet. Die CDU sollte vor den Wahlen eine Koalition mit den GRÜNEN explizit ausschließen. Dadurch könnte die CDU fünf bis zehn Prozentpunkte mehr Stimmen erhalten. Viele Menschen wählen ja heutzutage deshalb nicht mehr die CDU, weil sie fürchten, dass im Falle einer Koalition mit den GRÜNEN die Programmpunkte der CDU wieder verwässert werden.
Ist die Bahn verantwortlich für das Gäubahndesaster?
Das hängt davon ab, welche Rolle die Bahn aus ihrer eigenen Sicht spielen will. Ist die Bahn in erster Linie ein Projektentwickler, der seinen Erfolg an der Zahl der durchgeschleusten Milliarden misst? Oder ist die Bahn doch eher ein Verkehrsdienstleister, dessen Aufgabe es ist, einen möglichst attraktiven Bahnverkehr für möglichst viele Fahrgäste zu betreiben?
Träfe das Letztere zu, hätte auch die Bahn - wie das Land BW - frühzeitig eine dauerhafte Führung der Gäubahn in den Stuttgarter Hauptbahnhof planen und abstimmen müssen. Sofern dies nicht erfolgt ist, wären auch bei der Bahn - wie beim Land BW - personelle Konsequenzen angebracht.
Trägt die Bevölkerung entlang der Gäubahn die Verantwortung?
Es geht hier um die Landkreise Konstanz, Tuttlingen, Rottweil und Freudenstadt. Das sind ländlich strukturierte Gebiete. Viele Menschen dort fahren nicht mit der Bahn. Bei der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 gab es in allen vier Landkreisen eine Mehrheit für ein Nein, also gegen einen Ausstieg des Landes BW aus dem Projekt. Das ist absolut zu respektieren. Es darf keine Wählerschelte geben.
Interessanter ist aber, dass die Nichtwähler die eigentliche Mehrheit bildeten. Es war der Mehrheit der Wahlberechtigten also egal, ob das Land seine Beteiligung an Stuttgart 21 stopppt und ca. eine Milliarde Euro spart. Nun muss man allerdings sehen, dass z.B. der Landeshaushalt von BW in den Jahren 2023/24 ein Volumen von 124 Milliarden Euro aufweist. Da relativiert sich die eine Milliarde für Stuttgart 21. Und es kann nicht zu jeder Milliarde im Landeshaushalt eine Volksabstimmung stattfinden.
Verantwortlich ist also nicht die Bevölkerung entlang der Gäubahn, sondern die Politik, die ein strittiges Sachthema der Bevölkerung vor die Haustür gekippt hat. Schlechte Politik - damals zur Zeit der Volksabstimmung und auch heute in Zeiten des Gäubahn-Desasters.
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