Freitag, 13. September 2024

§23 Allgemeines Eisenbahngesetz und Deutschlandtakt: Welche Auswirkungen gibt es auf Stuttgart 21?

Der verschärfte §23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes und der angestrebte Deutschlandtakt (Integraler Taktfahrplan) bei der Eisenbahn in Deutschland haben massive Auswirkungen auf das Projekt Stuttgart 21.

Nehmen wir das Ergebnis gleich vorweg: Zusätzlich zum achtgleisigen Tiefbahnhof müssen beim Stuttgarter Hauptbahnhof ein zehngleisiger Kopfbahnhof, eine neue Doppelspur im Nordzulauf (Heilbronn - Ludwigsburg - Stuttgart-Kopfbahnhof) und die Beibehaltung der Führung der Gäubahn über die Stuttgarter Panoramastrecke in den ergänzenden Kopfbahnhof vorgehalten werden.

Leiten wir jetzt dieses Ergebnis her.

Was bedeutet Deutschlandtakt?
Der Deutschlandtakt ist die Umsetzung des in der Schweiz erfundenen und praktizierten Integralen Taktfahrplans auf Deutschland. Der Deutschlandtakt umfasst den Halbstundentakt zwischen wichtigen Bahnknotenpunkten sowie auf den Zulaufstrecken. Der Deutschlandtakt beinhaltet auch, dass sich die Züge in bestimmten Knotenpunkten treffen, um das Umsteigen in alle Richtungen zu ermöglichen (Vollknoten und Teilknoten).
 
 
Der Deutschlandtakt erfordert eine ausreichende Zahl an Bahnsteiggleisen sowie an Zulaufgleisen zu den Bahnknoten. Des Weiteren muss die Fahrzeit zwischen zwei Taktknoten etwas kleiner sein als die Kantenzeit. Die Kantenzeit ist ein Vielfaches der Taktzeit. Hierzu müssen die Strecken zwischen den Knotenpunkten zielgerichtet ausgebaut werden.
 
Was deutet darauf hin, dass in Deutschland der Deutschlandtakt vorbereitet und umgesetzt wird?
Der Deutschlandtakt ist für das deutsche Bahnnetz gesetzt. Es gibt keinerlei gegensätzliche Äußerungen von Politikern. Auch die Bahn hat den Deutschlandtakt verinnerlicht. Praktisch alle Neubaustrecken, die zur Zeit in Planung sind, berücksichtigen die sich aus den Kantenzeiten ergebenden Fahrzeiten. Das ist zum Beispiel der Fall bei den Neubaustrecken Ulm - Augsburg, Mannheim - Frankfurt, Erfurt - Fulda usw.. Auch die schon längere Zeit in Betrieb befindliche Schnellfahrstrecke Mannheim - Stuttgart soll längerfristig in die Lage versetzt werden, dass die Fahrzeiten für die ICE von heute 37 Minuten auf einen Wert von ca. 28 Minuten, also unterhalb der Kantenzeit von 30 Minuten, sinken können.  
 
Warum ist der Stuttgarter Hauptbahnhof als Vollknoten im Rahmen des Deutschlandtakts gesetzt?
Man könnte nun sagen, dass der Deutschlandtakt ja recht  und gut ist, dass aber der Stuttgarter Hauptbahnhof nicht unbedingt ein Vollknoten im Rahmen des Deutschlandtakts werden muss.
 
Dagegen ist allerdings einzuwenden, dass keine andere Landeshauptstadt so zentral in ihrem Bundesland liegt wie Stuttgart. Zudem gibt es keinen anderen Bahnknoten in Deutschland neben dem Stuttgarter Hauptbahnhof, der so viele und vor allem auch so bedeutende und nachfragestarke Regionalstrecken aufweist wie das beim Stuttgarter Hauptbahnhof der Fall ist.
 
Zudem werden nach der Inbetriebnahme eines Nordzulauftunnels und anderer kleinerer Maßnahmen die Fahrzeiten zwischen Mannheim und Stuttgart unter der Kantenzeit von 30 Minuten liegen. Damit werden sich die Züge der ICE-Magistrale Frankfurt - Stuttgart - München aus Richtung und Gegenrichtung nicht nur im Mannheimer Hauptbahnhof sondern  auch im Stuttgarter Hauptbahnhof begegnen. Alle anderen Züge gruppieren sich im Stuttgarter Hauptbahnhof dann um die Magistralenzüge herum. Sie kommen früher an und fahren später ab. 
 
Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist also als Vollknoten im Rahmen des Integralen Taktfahrplans (Deutschlandtakt) gesetzt. Ansonsten könnte man den Deutschlandtakt gleich ganz abschaffen. 
 
Wie viele Bahnsteiggleise erfordert der Deutschlandtakt im Vollknoten Stuttgart-Hauptbahnhof?
Sehen wir dies mal ganz überschläglich an. Halbstündlich fahren im Deutschlandtakt:
ICE Frankfurt - Stuttgart - München
ICE München - Stuttgart - Frankfurt
weiterer Fernzug Paris/Saarbrücken/Offenburg/Heidelberg - Stuttgart - Nürnberg/Allgäu/Bodensee
weiterer Fernzug Nürnberg/Allgäu/Bodensee - Stuttgart - Paris/Saarbrücken/Offenburg/Heidelberg
schneller Regionalzug Ulm - Göppingen/Merklingen - Stuttgart
schneller Regionalzug Aalen/Schwäbisch Hall - Stuttgart
schneller Regionalzug Heilbronn - Stuttgart
schneller Regionalzug Karlsruhe - Stuttgart
schneller Regionalzug Zürich/Konstanz - Stuttgart
schneller Regionalzug Tübingen - Stuttgart
MEX Geislingen an der Steige - Stuttgart
MEX Aalen - Stuttgart
MEX Schwäbisch Hall - Stuttgart
MEX Heilbronn - Stuttgart
MEX Pforzheim - Stuttgart
MEX Calw - Stuttgart
MEX Horb/Nagold - Stuttgart
MEX Tübingen - Stuttgart
 
Dafür benötigt man zur vollen und zur halben Stunde 18 Gleise im Stuttgarter Hauptbahnhof. Der Stuttgart 21-Tiefbahnhof hat acht Gleise. Somit verbleiben für den ergänzenden Kopfbahnhof zehn Gleise.    
 
Welche zusätzlichen Zu- und Ablaufgleise sind im Stuttgarter Hauptbahnhof erforderlich?
Die zur Zeit bei Stuttgart 21 geplanten vier Gleispaare für den Zu-/Ablauf zum Stuttgarter Hauptbahnhof reichen für einen Vollknoten im Rahmen des Deutschlandtakts nicht aus. Das Rendez-Vous der Züge zur vollen und halben Stunde würde sich damit viel zu langsam aufbauen und wieder abbauen.

Deshalb ist mindestens eine zusätzliche Doppelspur im Nordzulauf (von Ludwigsburg zum ergänzenden Kopfbahnhof) erforderlich (Entlastung des Feuerbacher Tunnels). Weiter ist die Beibehaltung der Gäubahn-Führung über die Stuttgarter Panoramastrecke in den ergänzenden Kopfbahnhof erforderlich (Entlastung des Fildertunnels).
 
Warum kann der Gegenpol zum Deutschlandtakt - ein S-Bahn-ähnlicher Betrieb - im Stuttgarter Hauptbahnhof nicht umgesetzt werden?
Ein S-Bahn-ähnlicher Betrieb bei den Fern- und Regionalzügen ist im Stuttgart 21-Tiefbahnhof kaum möglich. Das würde ja bedeuten, dass sich ganz Deutschland in Bezug auf die Fahrlagen der Züge am Engpass Stuttgart 21 orientieren muss. Das wäre dann doch etwas zuviel verlangt. 
 
Deutschlandtakt versus S-Bahn-ähnlicher Betrieb: Da muss die Wahl auf den Deutschlandtakt fallen.
 
Die Gleise beim Stuttgarter Hauptbahnhof sind übrigens nicht nur um die volle und halbe Stunde herum frequentiert. Es gibt Fernzüge, die nicht am Deutschlandtakt teilnehmen, z.B. TGV oder Flix. Zudem ist auf einzelnen Metropolexpresslinien im Hinblick auf die angestrebte Verdoppelung der Fahrgastzahlen ein Viertelstundentakt in Sichtweite.    
 
Was folgt aus dem verschärften §23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes und dem Deutschlandtakt für die heutigen Bahnbetriebsflächen im und beim Stuttgarter Hauptbahnhof?
Gemäß §23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes muss bei Grundstücken die absehbare   Weiterentwicklung der Eisenbahninfrastruktur im Rahmen der kurz-, mittel- oder langfristig prognostizierbaren zweckentsprechenden Nutzung berücksichtigt werden.
 
Es gibt dafür kaum ein besseres Anschauungsbeispiel als der Deutschlandtakt. Die für den Deutschlandtakt erforderlichen Bahnsteiggleise und Zulaufgleise müssen bereits heute berücksichtigt werden. Das gilt auch für den Stuttgarter Hauptbahnhof und dessen Umfeld.
 
Spätestens mit Fertigstellung des Nordzulauftunnels wird der Stuttgarter Hauptbahnhof zum Vollknoten im Rahmen des Deutschlandtakts. Der hierfür erforderliche zehngleisige Kopfbahnhof, die neue Doppelspur im Nordzulauf zum Kopfbahnhof sowie die Beibehaltung der Führung der Gäubahn über die Stuttgarter Panoramastrecke zum Kopfbahnhof müssen ab sofort dauerhaft auch bei den Grundstücken berücksichtigt werden. 

 

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