Das Ergebnis soll gleich vorweggenommen werden. Stuttgart 21 bewirkt unter dem Strich keine Verbesserungen für die Stuttgarter S-Bahn. Streckenabschnitten, bei denen als Folge von Stuttgart 21 Verbesserungen für die S-Bahn stattfinden, stehen andere Streckenabschnitte gegenüber, bei denen es zum Teil gravierende Verschlechterungen gibt.
Die folgenden bestehenden bzw. geplanten bzw. potenziellen Mischbetriebsstrecken sollen nachfolgend näher betrachtet werden:
- Waiblingen - Backnang
- Waiblingen - Schorndorf
- Stuttgart Hauptbahnhof - Bad Cannstatt
- Bad Cannstatt - Wendlingen
- (Rohr) - Böblingen - Herrenberg
- Rohr - Flughafen
- Weil der Stadt - Zuffenhausen
Betriebliche Auswirkungen gibt es potenziell bei allen Mischbetriebsstrecken insofern, dass sich Verspätungen eines S-Bahnzugs bzw. eines Regionalzugs auf die jeweils andere Zuggattung übertragen können.
Bei allen Mischbetriebsstrecken gibt es auch verkehrliche Auswirkungen insofern, dass der Freiheitsgrad der Fahrplangestaltung mit der Festlegung der Fahrtenlagen gravierend eingeengt wird. Im Einzelfall kann es weitere verkehrliche Auswirkungen geben. Das können konkret künstlich verlängerte Fahrzeiten für eine Zuggattung sein. Das kann auch der planmäßige Ausfall eines Taktzuges sein. Das kann zudem das Einlegen einer Wartezeit in einem Zwischenbahnhof wegen planmäßiger Zugüberholung sein.
Und nun zu den Strecken im Einzelnen:
Waiblingen - Backnang (Murrbahn)
An den Endpunkten dieses Streckenabschnitts halten sowohl die S-Bahn als auch die Regionalzüge. Die Regionalzüge halten im Streckenverlauf zudem in Winnenden. Die S-Bahn hält zwischen Waiblingen und Backnang an fünf Unterwegshaltepunkten an.
Die Fahrzeit der S-Bahn zwischen Waiblingen und Backnang beträgt 18 Minuten. Die Fahrzeit der Regionalzüge zwischen Waiblingen und Backnang beträgt 17 Minuten.
Das ist insofern überraschend, als es bei den Fahrzeiten zwischen der S-Bahn und den Regionalzügen nur einen ganz kleinen Unterschied gibt. Anscheinend kostet der Zwischenhalt in Winnenden den Regionalzug soviel Zeit, dass er kaum schneller ist als die S-Bahn.
Je kleiner der Fahrzeitunterschied und damit der Unterschied bei der Beförderungsgeschwindigkeit ist, desto leistungsfähiger ist eine Strecke und desto weniger verkehrliche Auswirkungen des Mischbetriebs gibt es. Für die Strecke Waiblingen - Backnang bleibt somit festzuhalten, dass es dort als Folge des Mischbetriebs keine besonderen verkehrlichen Auswirkungen gibt.
Stuttgart 21 ändert an dieser Strecke nichts.
Waiblingen - Schorndorf
An den Endpunkten dieses Streckenabschnitts halten sowohl die S-Bahn als auch die Regionalzüge. Den zweistündlich verkehrenden IC Stuttgart-Nürnberg blenden wir mal aus, damit die Sache nicht zu lang und kompliziert wird. Die Regionalzüge legen im Streckenverlauf keinen weiteren Halt ein. Die S-Bahn hält zwischen Waiblingen und Schorndorf an acht Unterwegshaltepunkten an.
Die Fahrzeit der S-Bahn zwischen Waiblingen und Schorndorf beträgt 20 Minuten. Die Fahrzeit der Regionalzüge zwischen Waiblingen und Schorndorf beträgt 11 Minuten.
Damit gibt es hier auf dieser Strecke einen relativ großen Fahrzeitunterschied zwischen der S-Bahn und den Regionalzügen von 9 Minuten. Berücksichtigt man zudem, dass zwischen zwei auf demselben Gleis fahrenden Zügen grundsätzlich ein zeitlicher Abstand von drei Minuten liegen sollte, erscheint die Sache hier auf Kante genäht. Denn die S-Bahn darf dann den Bahnhof Waiblingen frühestens drei Minuten nach der Abfahrt des Regionalzugs verlassen. Und der Regionalzug darf im Bahnhof Schorndorf erst frühestens drei Minuten nach der Einfahrt der vorausfahrenden S-Bahn einfahren. Damit ergibt sich ein Zeitbedarf des Regionalzugs von 9 + 3 + 3 = 15 Minuten, somit also genau die Taktfolge der S-Bahn.
Da ist also für den Regionalzug nicht einmal mehr eine Minute Spielraum bei der Fahrplangestaltung drin. Das ist aber noch nicht alles. Woher weiß man denn, dass die Fahrzeit des Regionalzugs von 11 Minuten genau diejenige Fahrzeit ist, die der Regionalzug fahren könnte? Sehen wir uns mal die Beförderungsgeschwindigkeit des Regionalzugs an. Die Strecke Waiblingen-Schorndorf ist 17,9 Kilometer lang. Damit ergibt sich eine Beförderungsgeschwindigkeit von 17,9 Kilometern geteilt durch 11 Minuten mal 60 Minuten pro Stunde = 97,6 km/h.
Das erscheint eine relativ kleine Beförderungsgeschwindigkeit zu sein, zumal die Strecke keine besonders engen Kurven aufweist. Man müsste im Verlauf dieser Strecke eigentlich schneller fahren können. Damit wird klar: Wir haben es hier mit einem Fall zu tun, dass die Regionalzüge wegen des Mischbetriebs mit der S-Bahn künstlich langsam fahren müssen. Ohne S-Bahn könnten die Regionalzüge schneller fahren. Damit hat der Mischbetrieb auf der Strecke Waiblingen-Schorndorf nicht nur betriebliche, sondern auch konkrete verkehrliche Auswirkungen.
Stuttgart 21 ändert an dieser Strecke nichts.
Stuttgart Hauptbahnhof - Bad Cannstatt
Auf einem kurzen Abschnitt fährt hier die alle fünf Minuten verkehrende S-Bahn auf demselben Gleis wie die halbstündlich verkehrenden Regionalzüge von/nach Tübingen und teilweise noch andere Züge. Auf den ersten Blick scheint dies ein ganz schwieriger Mischbetrieb zu sein.
Auf den zweiten Blick ist die Sache nicht ganz so schlimm. Denn der Abschnitt ist relativ kurz und alle Züge fahren mit derselben Beförderungsgeschwindigkeit. Zudem gibt es im Verlauf dieses Abschnitts keinen Zwischenhaltepunkt. Darüber hinaus halten S-Bahn und Regionalzüge sowohl im Stuttgarter Hauptbahnhof als auch in Bad Cannstatt an unterschiedlichen Bahnsteigen.
Bei Stuttgart 21 fällt dieser Mischbetrieb weg. Dies ist somit der größte Nutzen, den Stuttgart 21 auf das S-Bahnnetz hat. Allerdings muss deutlich gesagt werden, dass ohne Stuttgart 21 bereits in den Neunziger Jahren zunächst mal die Blockabschnitte im Verlauf dieser Strecke verkleinert worden wären und dann auch das fünfte und sechste Gleis zwischen Bad Cannstatt und dem Hauptbahnhof gebaut worden wäre. Ohne Stuttgart 21 wäre somit der Mischbetrieb ca. 20 bis 30 Jahre früher beendet worden.
Bad Cannstatt - Wendlingen
An den Endpunkten dieses Streckenabschnitts halten sowohl die S-Bahn als auch die Regionalzüge. Die Regionalzüge halten im Streckenverlauf zudem in Esslingen und Plochingen. Die S-Bahn hält zwischen Bad Cannstatt und Wendlingen an zehn Unterwegshaltepunkten an.
Die Fahrzeit der S-Bahn zwischen Bad Cannstatt und Wendlingen beträgt 32 Minuten. Die Fahrzeit der Regionalzüge zwischen Bad Cannstatt und Wendlingen beträgt 26 Minuten.
Der Unterschied bei den Fahrzeiten zwischen der S-Bahn und den Regionalzügen beträgt vergleichsweise kleine 6 Minuten. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Regionalzüge unterwegs sowohl in Esslingen als auch in Plochingen halten. Wie beim Abschnitt Waiblingen - Backnang bereits gesehen scheint ein Halt unterwegs einen Regionalzug besonders viel Zeit zu kosten.
Stuttgart 21 wirbt nun damit, dass hier der Mischbetrieb im Abschnitt zwischen Bad Cannstatt und Plochingen entfällt. Das trifft zu. Man fragt sich aber, ob dies ein so großer Gewinn ist. Denn der heutige Mischbetrieb scheint leidlich gut zu funktionieren. Zudem bleibt bei Stuttgart 21 der Mischbetrieb im Abschnitt Plochingen - Wendlingen bestehen.
Noch viel gravierender ist jedoch, dass bei Stuttgart 21 an Stelle des Mischbetriebs Bad Cannstatt - Plochingen zwei höhengleiche Gleiskreuzungen beim Bahnhof Plochingen dazukommen. Denn bei Stuttgart 21 müssen zukünftig die Regionalzüge von/nach Tübingen in Plochingen von den beiden Gleisen der Neckartalbahn höhengleich auf die beiden Gleise der Filstalbahn wechseln.
Unter dem Strich bringt Stuttgart 21 somit keine Verbesserung für die Strecke Bad Cannstatt - Wendlingen. Denn der (kleine) Vorteil des Wegfalls des Mischbetriebs Bad Cannstatt - Plochingen wird durch den Nachteil der beiden neuen höhengleichen Gleiskreuzungen beim Bahnhof Plochingen mehr als ausgeglichen.
(Rohr) - Böblingen - Herrenberg
In Bezug auf die Mischbetriebsstrecke Rohr - Herrenberg soll nachfolgend nur der Teilabschnitt Böblingen - Herrenberg betrachtet werden. Denn die Regionalzüge halten (zur Zeit) weder in Rohr noch im benachbarten Vaihingen, so dass Fahrzeitvergleiche nur schwer möglich sind.
An den Endpunkten dieses Streckenabschnitts in Böblingen und in Herrenberg halten sowohl die S-Bahn als auch die Regionalzüge. Die S-Bahn hält zwischen Böblingen und Herrenberg an vier Unterwegshaltepunkten an.
Die Fahrzeit der S-Bahn zwischen Böblingen und Herrenberg beträgt 15 Minuten. Die Fahrzeit der Regionalzüge zwischen Böblingen und Herrenberg beträgt 9 Minuten. Nach den mit den vorher betrachteten Strecken gemachten Erfahrungen ist dieser Fahrzeitunterschied von 6 Minuten soweit verkraftbar. Es gibt dadurch keine weiteren verkehrlichen Einschränkungen.
Damit aber ist die Sache noch nicht gegessen. Es gibt sehr wohl spezifische verkehrliche Einschränkungen für die S-Bahn im Abschnitt Böblingen - Herrenberg. Sie haben ihre Ursache nicht bei den Regionalzügen, sondern bei den Fernzügen. Alle zwei Stunden fällt während des 15 Minuten-Takts ein Taktzug der S-Bahn aus, so dass es zu einer Taktlücke von 30 Minuten kommt. Diese ausgefallene S-Bahn würde sich nicht mit dem Fernzug vertragen.
Stuttgart 21 ändert an dieser Strecke nichts.
Rohr - Flughafen
Hier würde eine neue Mischbetriebsstrecke entstehen, wenn die Stuttgart 21-Pläne unverändert umgesetzt würden.
Fahrzeiten sind für diese Strecke noch nicht bekannt. Darauf kommt es jedoch im Moment auch nicht an. Denn das Alleinstellungsmerkmal des geplanten Mischbetriebs Rohr - Flughafen ist seine unmittelbare Verknüpfung mit zahlreichen weiteren Engstellen. Dies führt zur ziemlich wahrscheinlichen Unfahrbarkeit. In dieser Form ist dies bei keiner anderen Mischbetriebsstrecke der Stuttgarter S-Bahn und auch bei keiner anderen Strecke der Bahn in Deutschland vorhanden.
Die Unfahrbarkeit wäre auch bereits dann gegeben, wenn das Land die geplanten Metropolexpresszüge der Gäubahn nicht über den Flughafen zum Hauptbahnhof, sondern über Vaihingen nach Feuerbach führen müsste. Die Unfahrbarkeit wäre auch bereits dann gegeben, wenn Züge der Gäubahn oder S-Bahnzüge im Streckenverlauf längere Wartezeiten einlegen müssten, um z.B. auf den Gegenzug zu warten.
Das sind die Engstellen, die beim Mischbetrieb Rohr - Flughafen zusätzlich zu berücksichtigen sind:
Mischbetrieb Herrenberg - Rohr
Höhengleiche Gleiskreuzung beim Flughafenbahnhof
Eingleisiger Flughafenbahnhof für die Gäubahn
Einfädelung und Mischbetrieb im Fildertunnel
Weil der Stadt - Zuffenhausen
Im Rahmen des Metropolexpresskonzepts sollte auch die Hermann-Hesse-Bahn zum Metropolexpress weiterentwickelt werden und dann von Nagold über Calw und Weil der Stadt zum Stuttgarter Hauptbahnhof fahren. Damit ergibt sich eine neue Mischbetriebsstrecke zwischen Weil der Stadt und Zuffenhausen.
Der Metropolexpress würde in Weil der Stadt, Renningen, Leonberg, Ditzingen und Zuffenhausen halten. Die S-Bahn hält in Weil der Stadt, Malmsheim, Renningen, Rutesheim, Leonberg, Höfingen, Ditzingen, Weilimdorf, Korntal, Neuwirtshaus und Zuffenhausen. Nach den mit den anderen betrachteten Mischbetriebsstrecken gemachten Erfahrungen müsste eine solche Konstellation fahrbar sein.
Fazit
Stuttgart 21 bringt der S-Bahn relativ wenig. Verbesserungen auf einigen Strecken stehen Verschlechterungen bzw. sogar die Unfahrbarkeit auf anderen Strecken gegenüber.
Um wenigstens noch ein bisschen was für die S-Bahn herauszuholen, muss auf die Führung der Gäubahn über den Flughafen verzichtet werden. Die Gäubahn muss statt dessen weiterhin über die Panoramastrecke zu einem ca. 8gleisigen Kopfbahnhof beim Stuttgarter Hauptbahnhof fahren.
Der Metropolexpress aus Richtung Nagold - Calw fährt ebenfalls in diesen Kopfbahnhof. Hierzu verlässt er bei Zuffenhausen die Gleise der S-Bahn und fährt auf dem noch zu bauenden fünften und sechsten Gleis durch den bestehenden Pragtunnel zum Kopfbahnhof.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.