Gleich vorweg die Antwort: Stuttgart besitzt eine Stadtbahn und keine U-Bahn.
Trotzdem sprechen viele Fahrgäste in Stuttgart von einer U-Bahn. Selbst die Deutsche Bahn AG verwendet den Begriff U-Bahn auf Umleitungsschildern bei der Stuttgart 21-Baustelle. Der Grund für die falsche Bezeichnung ist in erster Linie darin begründet, dass bei der Stuttgarter Stadtbahn dem Liniennamen ein U vorangestellt ist, also z.B. U1, U2 usw.
Ich wollte über dieses Thema schon seit vielen Jahren hier in diesem Blog schreiben. Ich habe das Thema aber immer wieder verschoben, weil es vielleicht wichtigere Themen gab oder aber weil ich mich an das Thema nicht so richtig herantraute.
Jetzt bin ich aber in Zugzwang geraten. Denn in der Ausgabe 663 der Internetzeitung "KONTEXT-Wochenzeitung" vom 13.12.2023 hat eine Praktikantin aus Wien einen ausführlichen - absolut lesenswerten - Vergleich der Zustände im öffentlichen Verkehr in Wien und Stuttgart veröffentlicht. Stuttgart kommt nicht gut dabei weg. Und in diesem Bericht wird tatsächlich auch das Paradoxon der Stuttgarter U-Bahn, die ja gar keine ist, angesprochen.
Also: Versuchen wir mal der Sache auf den Grund zu gehen.
Im Jahr 1975 hat der Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart dem Begriff "Stadtbahn" für das städtische öffentliche Verkehrsmittel zugestimmt. Ende der Achtziger Jahre hat die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) den Buchstaben U vor der jeweiligen Liniennummer eingeführt.
Warum wurde der Buchstabe U bei der Stuttgarter Stadtbahn eingeführt?
Der Hauptgrund oder sogar einzige Grund für die Einführung des Buchstabens U vor der Liniennummer bei der Stuttgarter Stadbahn bestand darin, dass man Verwechslungen mit der S-Bahn vermeiden wollte. Es gibt in der Region Stuttgart ja die S-Bahnlinien S1, S2 usw. Und es gab die Stadtbahnlinien 1, 2 usw. Mit dem vorangestellten U (U1, U2) wollte man Verwechslungen mit den Linien der S-Bahn vermeiden.
Allerdings muss die Frage gestellt werden, ob eine solche Verwechslungsgefahr tatsächlich bestand und ein Problem war. Ich glaube, dass es eher kein großes Problem war.
Wie sieht es in Hannover aus?
Die Stadtbahn Hannover ist der Prototyp der Stadtbahnsysteme in Deutschland und bis heute der wohl beste Stadtbahnbetrieb Deutschlands. In Hannover gibt es das vorangestellte U bei der Liniennummer nicht, obwohl es auch im Großraum Hannover eine S-Bahn gibt. In Hannover ist der Begriff der Stadtbahn wesentlich weiter in der Bevölkerung verbreitet als in Stuttgart. Genauso verhält es sich bei den Stammstrecken der Stadtbahn in Hannover, der A-Strecke, der B-Strecke, der C-Strecke und der D-Strecke.
Gegenbeispiel Frankfurt am Main
Im Gegensatz zu Hannover ist in Frankurt am Main der Liniennummer ein U vorangestellt. Die Wikipedia spricht sogar von der U-Bahn Frankfurt und bezeichnet die U-Bahn Frankfurt als das Stadtbahnsystem von Frankfurt am Main. Hierzu wäre allenfalls anzumerken, dass es in Frankfurt am Main tatsächlich mindestens eine Stadtbahnlinie gibt, die auf voller Linienlänge unabhängig verkehrt und somit als U-Bahn bezeichnet werden kann.
Was ist eine U-Bahn?
Eine U-Bahn ist zunächst mal nicht so sehr eine unterirdisch verlaufende Bahn, sondern in erster Linie eine unabhängige Bahn. Als solche hat sie keinerlei Berührungspunkte mit anderen Verkehrsmittel oder Verkehrsarten. Auf einem anderen Blatt steht, dass die Unabhängigkeit der Bahn in Großstädten meist nur durch die Führung in einem Tunnel hergestellt werden kann.
Was sagt der Gesetzgeber?
Die BOStrab (Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung) bildet den gesetzlichen Rahmen für Straßenbahnen, Stadtbahnen und unabhängige Bahnen.
Die BOStrab unterscheidet hierbei zwischen straßenabhängigen Bahnen und unabhängigen Bahnen. Die letztgenannten Bahnen werden auch als U-Bahn bezeichnet. Zu den straßenabhängigen Bahnen gehören die Straßenbahn und die Stadtbahn.
Für die Fahrzeuge unabhängiger Bahnen gelten zum Teil andere Anforderungen als für die Fahrzeuge straßenabhängiger Bahnen. So gilt für Fahrzeuge straßenabhängiger Bahnen eine Höchstbreite von 2,65 Metern. Für unabhänige Bahnen gilt diese Restriktion nicht. Weiteres Beispiel: Fahrzeuge straßenabhängiger Bahnen müssen Sandstreueinrichtungen haben, die die Bremsen ergänzen. U-Bahnen haben keine Sandstreueinrichtungen. Und hierzu gibt es viele andere Beispiele mehr. Die Stuttgarter Stadtbahn besitzt alle Einrichtungen, die für straßenabhängige Bahnen vorgeschrieben sind.
Die Stuttgarter Stadtbahn ist von daher eindeutig keine unabhängige Bahn (U-Bahn).
Wie bekommt man die U-Bahn jetzt wieder weg?
Das Kind ist in Stuttgart jedoch bereits in den Brunnen gefallen. Große Teile der Bevölkerung sprechen von einer U-Bahn. Diese sprachliche Verdrehung ist auch im bundesweiten Kontext extrem schlecht. Eigentlich weiß die Bevölkerung in Europa, was eine U-Bahn ist. In Stuttgart fand quasi eine sprachliche Umerziehung statt. Und Ursache dafür ist das der Liniennummer vorangestellte U.
In München zum Beispiel weiß jedes Kind, dass es dort eine S-Bahn, eine U-Bahn und eine Tram gibt. In Stuttgart aber herrscht Unsicherheit und Verwirrung, wie denn nun das städtische Schienenverkehrsmittel heißt.
Es führt also kein Weg daran vorbei, dass die SSB das der Linienummer vorangestellte U wieder abschafft, vielleicht jeweils gleichzeitig mit einem Fahrplanwechsel oder im Rahmen mehrerer Fahrplanwechsel. Wegen seiner Bedeutung für die deutsche Sprache sowie für den Rechtsrahmen sollte dieses Thema auch den Verband Deutscher Verkehrsbetriebe sowie die einzelnen Aufsichtsbehörden für Straßenbahnen in Deutschland interessieren.
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