Mittwoch, 30. September 2020

Wann werden bei Stuttgarts Express-Buslinie X1 Nägel mit Köpfen gemacht?

Die Diskussion um Stuttgarts Express-Buslinie X1 geht weiter. Diese zwischen der Stuttgarter Innenstadt und dem Wilhelmsplatz in Bad Cannstatt verkehrende Linie soll eigentlich die Stadtbahn und die S-Bahn zwischen Bad Cannstatt und der Stuttgarter Innenstadt entlasten. Sie spielt auch eine Rolle im Luftreinhaltekonzept des Landes BW für Stuttgart.

Die nach wie vor verschwindend geringen Fahrgastzahlen bei der Linie X1 nähren jedoch Zweifel an der Erfüllung der mit der X1 verbundenen Ziele. Es gibt sogar Anzeichen dafür, dass der Einsatz der Buslinie X1 die ganze Verkehrsmisere in Stuttgart noch verschlimmert.

Die Zahl 2.500 hat keine Aussagekraft
Seit einiger Zeit steht die Zahl 2.500 im Raum. Das soll gemäß einer Mitteilung der SSB die Zahl der Fahrgäste sein, die den X1 regelmäßig pro Tag nutzen. Diese Zahl beinhaltet jedoch alle Fahrgäste, die an einem Tag irgendwo im Linienverlauf ein- und wieder aussteigen. Solche Zahlen sind de facto wertlos und nicht aussagekräftig. Maßgebend für den Erfolg eines Linienangebots und auch für dessen Dimensionierung ist ausschließlich die Zahl der Fahrgäste pro Bus am Querschnitt mit der stärksten Nachfrage.

Nehmen wir einmal an, dass der Abschnitt zwischen dem Stuttgarter Hauptbahnhof und dem Cannstatter Wilhelmsplatz der am stärksten nachgefragte Abschnitt im Verlauf der X1 ist. Über die Zahl der Fahrgäste in diesem Abschnitt liegen mir keine Infos vor.

Ich habe schon des öfteren bei der Haltestelle Hauptbahnhof die Linie X1 beobachtet. Zunächst mal bleibt festzuhalten, dass der 5 Minuten-Takt nur auf dem Papier steht. Im Berufsverkehr ist die Busfolge oft 7 und 3 Minuten oder gar 10 und 0 Minuten. Die Busse sind mit 4, 6, 8 und auch mal 10 Fahrgästen besetzt. 

Wenn man die Kapazität eines Gelenkbusse von ca. 45 + 60 = 105 Fahrgästen berücksichtigt, wirken diese Busse fast leer. Die Buslinie X1 ist vor diesem Hintergrund gescheitert. Das Landesverkehrsministerium täte gut daran, seine Politik zu überdenken. An wie vielen Orten im Land werden die Fahrgäste im Schülerverkehr und im Berufsverkehr wie Sardinen transportiert! Kann es sich Politik da leisten, in Stuttgart fast leere Busse durch die Gegend fahren zu lassen?

Die X1 entlastet die S-Bahn so gut wie nicht
Das Argument, wonach die Schnellbuslinie X1 die S-Bahn zwischen Bad Cannstatt und dem Hauptbahnhof entlaste, ist lächerlich. Die S-Bahn fährt ebenfalls alle 5 Minuten. Die S-Bahn fährt mit 210 Meter langen Zügen. Diese Züge haben eine Kapazität von 3 mal 192 plus 3 mal 352 = 576 + 1156 = 1732 Fahrgäste. Was sind dagegen vier bis zehn Fahrgäste in einem Gelenkbus?
 
Anstatt für die Linie X1 sollte man sich mehr für die Buslinie 42 einsetzen
Das gilt umso mehr, wenn man über den Tellerrand der Linie X1 mal hinaussieht. So verkehrt am Hauptbahnhof auch die Buslinie 42. Diese verspätungsanfällige Linie ist sehr stark nachgefragt und oft überfüllt. Bei dieser Linie ist auch oft die Paarbildung zu sehen, dass zwei Busse unmittelbar hintereinander fahren und dann wieder eine größere Zeitlücke eintritt.
 
Hier sollte sich die SSB mal selbst an der Nase fassen. Verantwortlich für diese unangenehme Paarbildung sind nicht allein externe Einflüsse, sondern auch betriebliche Einflüsse, die die SSB bestimmen kann. So gibt es beim Stuttgarter Hauptbahnhof oft einen Fahrerwechsel. Busse der Linie 42, die am Stuttgarter Hauptbahnhof einen Fahrerwechsel haben, stehen dort zwei bis vier Minuten länger als Busse, die dort keinen Fahrerwechsel haben. Damit bewirkt der Fahrerwechsel bereits bei einer Reihe von Bussen der Linie 42 eine Initialverspätung. Diese Busse erleiden im weiteren Linienverlauf dann Folgeverspätungen, weil an jeder weiteren  Haltestelle dann mehr Fahrgäste als üblich und durchschnittlich ein- und aussteigen wollen. Der Folgebus dagegen kommt schneller voran als durchschnittlich, weil dieser Folgebus dann an den Haltestellen auf weniger Fahrgäste als durchschnittlich trifft.
 
Die heute auf der Linie X1 eingesetzten Busse sollten also besser auf der Linie 42 oder auf anderen Linien eingesetzt werden. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Paarbildung und die Unpünktlichkeit bei der Buslinie 42 beseitigt wird, z.B. durch eine Verlegung des Fahrerwechsels zu den Endhaltestellen Schlossplatz und Erwin-Schoettle-Platz.
 
Die Buslinie X1 schadet dem Verkehrsablauf beim Wilhelmsplatz Bad Cannstatt
Der Wilhelmsplatz Bad Cannstatt ist ja bekanntlich kein Platz, sondern eine riesige Straßenkreuzung. In den letzten Jahren haben sich die Wartezeiten für die Fußgänger und für die Autofahrer dort weiter verlängert. Die Staus beim Kfz-Verkehr sind noch schlimmer geworden.
 
Ursache dafür sind in erster Linie die Stadtbahn und der Bus X1. Die neue Stadtbahnlinie U19 fährt jetzt zusätzlich zur U2 quer über den Platz und beansprucht Zeit beim Ablauf des Signalprogramms. Das Gleiche gilt für die neue Stadtbahnlinie U16, die zusätzlich zur U13 quer über den Platz fährt. Nicht zuletzt ist auch die neue Schnellbuslinie X1 beteiligt, die alle fünf Minuten vom Rand des Platzes aus quer über den Platz fährt und ihre Freigabezeit beansprucht.
 
Es gibt Hinweise darauf, dass die Buslinie X1 sowie die zusätzlichen Stadtbahnlinien am Wilhelmsplatz Bad Cannstatt dort mehr Schaden anrichten, als die Buslinie X1 insgesamt an Nutzen entfaltet.
 
Praktisch alle Probleme würden durch eine dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn gelöst werden
Eine dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn würde alle angesprochenen und noch weitere Probleme lösen. Eine dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn würde den 7,5 Minuten-Takt für fast alle Stadtbahnlinien an Stelle des heutigen 10 Minuten-Takts ermöglichen, weil sich die Stadtbahnlinien dann nicht mehr in nur zwei Stammstrecken zwängen müssten, sondern auf drei Stammstrecken verteilen können.
 
Der 7,5 Minuten-Takt bei fast allen Stadtbahnlinien hat Konsequenzen. Es könnte dann auf die Stadtbahnlinien U16 und U19 verzichtet werden. Selbstverständlich bräuchte man dann auch keine Schnellbuslinie X1 mehr. Der Wilhelmsplatz Bad Cannstatt könnte dann wieder aufatmen. Die Kapazität des ganzen Stuttgarter Stadtbahnsystems wäre erweitert bei gleichzeitig gesteigerter Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit. Auch die städtebaulich unverträglichen 80 Meter-Hochbahnsteige in S-Heslach als Folge der 80 Meter-Züge im Verlauf der U1 bräuchten dann nicht mehr gebaut zu werden.
 
Leider hat OB Fritz Kuhn in seiner achtjährigen Amtszeit keine Initiative gezeigt, wenn es um die dritte Stammstrecke der Stuttgarter Stadtbahn geht. Dabei wäre keine andere Institution besser geeignet, so etwas anzustoßen und dafür zu werben, als der OB. Ob seine potenziellen Nachfolgerinnen und Nachfolger hier anders ticken?


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