Die Landeshauptstadt Stuttgart ist bei verkehrlichen Dingen ein Außenseiter. Und das Projekt Stuttgart 21 setzt diesem Außenseitertum die Krönung auf.
Diese Thesen wollen wir heute in diesem Blog näher betrachten. Zunächst einmal sollen diese Thesen mit Inhalt gefüllt werden. Dann werden wir uns fragen, was denn die Ursache für diese Misere sein könnte. Schließlich wollen wir sehen, ob es Anzeichen für einen Ausweg aus dem Stuttgarter Außenseitertum schon gibt, bzw. was jetzt dringend zu tun ist, damit Stuttgart aus den negativen bundesweiten Schlagzeilen in Verkehrsfragen langsam verschwindet.
Worin zeigt sich das Stuttgarter Außenseitertum in Verkehrsfragen konkret?
Fangen wir mal beim Kraftfahrzeugverkehr an.
Stuttgart ist die einzige Großstadt ohne Straßenringe
Die Lage der Innenstadt sowie der Inneren Stadtbezirke Stuttgarts in einem engen Talkessel mit wenig Platz und nur schwachem Luftaustausch sollte eigentlich dazu führen, dass Stuttgart diejenige Stadt in Deutschland ist, die den Kfz-Verkehr am konsequentesten aus der Innenstadt heraushält und auf Straßenringen (Mittlerer Ring, Äußerer Ring) um die Stadt herumführt.
Leider ist genau das Gegenteil der Fall. Es gibt praktisch keinen Mittleren Ring. Ein Äußerer Ring ist nur zur Hälfte vorhanden (A8/A81). Statt dessen gibt es gut ausgebaute Bundesstraßen, die mitten in den Talkessel hineinführen, sowie einen überdimensionierten Inneren Ring, der die sowieso schon kleine Innenstadt von den angrenzenden Bezirken trennt, sowie riesige Kfz-Mengen, die sich in der Innenstadt stauen.
Es kommt von offizieller städtischer Seite immer wieder der Einwand, dass der größere Teil des Straßenverkehrs im Stuttgarter Talkessel Ziel- und Quellverkehr ist und nur ein kleiner Teil Durchgangsverkehr. Dieser Einwand greift zu kurz. Denn eine Herausnahme des Durchgangsverkehrs aus dem Talkessel ist die Voraussetzung dafür, überhaupt restriktive Maßnahmen für den Kfz-Verkehr im Stuttgarter Talkessel einführen zu können.
Der Schienenfern- und Regionalverkehr hat im Bahnknoten Stuttgart nur eine durchgehende Stammstrecke (eine Doppelspur)
Die Schienenkapazitäten für den Fern- und Regionalverkehr sind im Bahnknoten Stuttgart extrem begrenzt. Es gibt praktisch nur eine durchgehende Doppelspur (Stammstrecke). Sie verläuft von der Verzweigung Zuffenhausen über den Hauptbahnhof bis zur Verzweigung Bad Cannstatt. Die Zufahrt der Gäubahn zum Hauptbahnhof stellt eine halbe weitere, allerdings sehr untergeordnete Stammstecke dar.
Kein anderer Bahnknoten in Deutschland mit vergleichbarer Größe hat einen solchen Engpass bei den Stammstrecken für den Fern- und Regionalverkehr. Seit den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts hätte eigentlich der Bau zusätzlicher Gleise im Abschnitt Zuffenhausen-Hauptbahnhof-Bad Cannstatt an erster Stelle der Agenda für den Schienenverkehr stehen müssen. Es ist allerdings diesbezüglich nichts erfolgt.
Die Stuttgarter S-Bahn hat in Deutschland ebenfalls Außenseiterposition, weil sie die beiden Hauptzufahrten zum Hauptbahnhof nicht direkt miteinander verbindet
Es gibt im deutschsprachigen Raum recht viele S-Bahnnetze. Keines aber ist so verkorkst wie das Stuttgarter S-Bahnnetz. Denn die Stuttgarter S-Bahn verbindet die beiden Hauptzufahrten zum Stuttgarter Hauptbahnhof - die Zufahrten Bad Cannstatt und Zuffenhausen - nicht direkt miteinander.
Die Folgen sind gravierend. Es gibt im Stuttgarter S-Bahnnetz nur eine einzige S-Bahnlinie, die S1, die vollumfänglich durchgebunden ist. Drei der sechs S-Bahnlinien enden in der Innenstadt. Hierfür musste eine teure, 1,5 Kilometer lange, vollständig unterirdisch verlaufende Wendeschleife gebaut werden. Weitere zwei S-Bahnlinien enden zumindest teilweise in Stuttgart-Vaihingen.
Diese Konstruktion des Stuttgarter S-Bahnnetzes ist im Vergleich zu anderen S-Bahnnetzen unwirtschaftlich. Sie führt zudem dazu, dass die Stuttgarter S-Bahn von weniger Fahrgästen genutzt wird als vergleichbare S-Bahnsysteme.
Die Stuttgarter Stadtbahn weist einen einmaligen Engpass auf mit nur zwei Stammstrecken
Als einziges unter den U-Bahn-, Stadtbahn- und Straßenbahnsystemen vergleichbarer Großstädte hat die Stuttgarter Stadtbahn nur zwei Stammstrecken (Stöckach-Staatsgalerie und Olgaeck-Stadtbibliothek). Das führt dazu, dass die Kapazität dieses städtischen Schienensytems im Vergleich zu den Systemen in anderen Großstädten sehr begrenzt ist. Wegen dieses Engpasses sind die Bestrebungen, in Stuttgart mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen, von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Als fast einzige Großstadt in Deutschland hat Stuttgart in der Innenstadt bzw. in den Inneren Stadtbezirken keinen Fernbusbahnhof
Als Folge der Stuttgart 21-Bauarbeiten musste der neben dem Hauptbahnhof liegende ZOB geschlossen werden. Die Fernbusse halten in Stuttgart inzwischen fast nur noch am neuen Busbahnhof am Flughafen - viele Kilometer von der Innenstadt entfernt. Einen weiteren kleinen Busbahnhof gibt es noch in der nördlichen Nachbarkommune Kornwestheim.
Fast keine andere deutsche Großstadt weist so ungünstige Verhältnisse für den Fernbusverkehr auf. Erst in diesen Tagen hat der Fernbus-Marktführer Flixbus die Stadt auf diesen Missstand noch einmal hingewiesen und einen Fernbusbahnhof am Pragsattel (am Rand der Inneren Stadt) gefordert. Die Firma Flixbus hat auch darauf hingewiesen, dass die Zuwächse bei der Fahrgastzahl im Fernbusverkehr in Stuttgart signifikant unter den Werten in anderen Großstädten liegen.
Stuttgart ist die Feinstaubhauptstadt
Stuttgart ist eine der Städte Europas mit der höchsten Feinstaubbelastung. Es drohen hohe Strafen seitens der EU. Zur Zeit laboriert man mit einem wetterabhängigen Feinstaubalarm und freiwilligem Verzicht auf das Auto herum. Der Erfolg ist bescheiden. Ab 2018 drohen Fahrverbote. Die hohe Feinstaubbelastung macht Stuttgart in ganz Europa negativ bekannt.
Stuttgart 21 als Krönung der Stuttgarter Außenseiterposition in Verkehrsfragen
Stuttgart 21 ist das einzige große Bahnprojekt in Europa, das keinen eigentlichen, richtigen Leistungszuwachs bringt. Alle anderen großen Bahnprojekte bringen einen ganz klaren, für jedermann auf den ersten Blick nachvollziehbaren Leistungszuwachs. Diese anderen Bahnprojekte bauen zum Beispiel eine zusätzliche Doppelspur (Stammstrecke) im jeweiligen Bahnnetz. Oder es werden die Bahnhofskapazitäten signifikant ausgebaut. Oder es werden Engstellen (z.B. eingleisige Streckenabschnitte, höhengleiche Gleiskreuzungen, Mischbetriebe) beseitigt.
Stuttgart 21 löst das Problem der nur einen vorhandenen Stammstrecke für den Fern- und Regionalverkehr am Bahnknoten Stuttgart nicht. Zu den beiden Gleisen der Zufahrt Zuffenhausen kommen bei Stuttgart 21 keine weiteren Gleise hinzu. Die beiden vorhandenen Gleise werden lediglich mit großem finanziellen Aufwand in den Tunnel verlegt. Dem gegenüber stehen bei Stuttgart 21 eine Verringerung bei der Bahnsteigkapazität im Hauptbahnhof sowie zahlreiche neue Engstellen (höhengleiche Gleiskreuzungen, eingleisige Abschnitte, Mischbetrieb) auf den Fildern, bei Wendlingen, bei Plochingen und in Bad Cannstatt.
Stuttgart 21 ist zudem das einzige große Bahnprojekt in Europa, das nicht von dem dafür eigentlich zuständigen Baulastträger gebaut wird. Das allein müsste stutzig machen.
Stuttgart 21 ist zudem ein Projekt, das mit einer merkwürdigen Zielsicherheit und zugleich Tragik die ganz genau falsche betriebliche Antwort auf die Anforderungen des Bahnknotens Stuttgart liefert. Der Bahnknoten Stuttgart ist durch einen extrem hohen Umsteigeranteil gekennzeichnet (Umsteiger nicht nur innerhalb des Bahnverkehrs, sondern auch vom Fern-/Regionalverkehr zur S-Bahn und zur Stadtbahn). Stuttgart 21 tut so, als wäre der Bahnknoten Stuttgart ein ganz anderer. Stuttgart 21 tut so, als würde im Bahnknoten Stuttgart die Mehrzahl der Fahrgäste durchfahren und gar nicht umsteigen.
Gibt es Gründe für die Stuttgarter Außenseiterposition in Verkehrsfragen?
Selbstverständlich gibt es Gründe. Sie alle zu erforschen, bedürfte es jedoch zahlreicher Menschen. Es ist auch nicht zielführend, das Stuttgarter Außenseitertum in Verkehrsfragen jetzt zu personalisieren.
Allerdings gibt es m.E. eine erste Antwort dergestalt, dass das Abweichen Stuttgarts in Verkehrsfragen von der europaweit ausgeübten guten Praxis unter dem früheren OB Manfred Rommel begann (OB ab 1974). Die Verkehrspolitik war nicht das Steckenpferd von Rommel. In Verkehrs- und Baufragen schwenkte Stuttgart seit der Ära Rommel in eine eher langsame, gemütliche Bahn ein. Es wurden keine neuen Ideen mehr präsentiert und umgesetzt. Es wurden nur noch diejenigen Dinge umgesetzt und langsam abgearbeitet, die in den entsprechenden Grundsatzgutachten und -beschlüssen schon in den Fünfziger und Sechziger Jahren dargestellt wurden.
Unter dem Nachfolger, OB Wolfang Schuster, änderte sich dies nicht wirklich. Schuster versuchte zwar, dass in Stuttgart wieder mehr gebaut wird. Es handelte sich hierbei jedoch zum größeren Teil um Investorenprojekte, die die Stadt weder verkehrspolitisch noch architektonisch voranbrachten.
Die Amtszeit des derzeitigen OB Fritz Kuhn ist eher durch Nichtstun in Verkehrsfragen gekennzeichnet. Nach wie vor gilt: Es gibt keine Entscheidungen, die die Stadt aus den Vorgaben der Fünfziger und Sechziger Jahre herausführen und das Stuttgarter Außenseitertum in Verkehrsfragen beenden.
Gibt es neueste Entwicklungen, die Hoffnung machen?
Der Antrag der Stuttgarter CDU, einen Straßentunnel zwischen dem Gaskessel und der Innenstadt zu prüfen, atmet noch den Geist der Sechziger Jahre. Dabei müsste doch eigentlich langsam klar werden, dass es im Stuttgarter Talkessel und innerhalb eines zukünftigen Stuttgarter Mittleren Rings keinen weiteren Straßenbau mehr geben darf.
Ein Lichtblick und eine erste kleine Pfadspur in eine bessere Verkehrszukunft für Stuttgart stellt jedoch der erst vor kurzem ergangene Beschluss des Verbands Region Stuttgart dar, einen Tunnel von Gaisburg auf die Fildern sowie den Nordost-Ring voranzubringen. Bei ersterem handelt es sich um einen ganz wichtigen Bestandteil eines zukünftigen Stuttgarter Mittleren Rings. Bei zweiterem handelt es sich um ein wichtiges Element, dass Stuttgart irgendwann einmal einen vollständigen Außenring bekommt.
Der Beschluss des Verbands Region Stuttgart hat zunächst mal keine konkreten Auswirkungen. Denn der Verband Region Stuttgart ist für Bundesstraßen nicht zuständig. Es handelt sich allerdings um eine wichtige politische Willensbekundung.
Mir ist klar, dass viele Menschen aus der großen Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 diese Ringstraßen ebenso ablehnen wie das Projekt Stuttgart 21. Es ging allerdings in diesem Blog nie darum, den Bau von Verkehrswegen generell zu verteufeln. Es ging ausschließlich darum, die Außenseiterposition von Stuttgart, die sich auch und gerade bei Stuttgart 21 äußert, darzustellen.
Große Verkehrswege können heutzutage in den Ballungsräumen Europas fast nur noch im Tunnel gebaut werden. In diesem Sinne sind m.E. auch für den Nordost-Ring mehrere Tunnel beidseits des Neckartals vorzusehen.
In Sachen Stuttgart 21 gibt es zur Zeit noch keine Hoffnung. Die Mehrheit der Politik hält an den alten Konzepten fest. Dabei müsste jetzt die baldige Fertigstellung einer neuen Doppelspur für den Bahnknoten Stuttgart an erster Stelle der Verkehrsagenda stehen. Das kann erreicht werden durch die Umwandlung von Stuttgart 21 zur Kombilösung.
Was muss die Politik jetzt unternehmen?
Es gilt jetzt, die Weichen für eine Verkehrspolitik in den kommenden Jahrzehnten zu stellen, die Stuttgart aus seiner Außenseiterrolle in Verkehrsfragen herausführt. Hierzu müssen der Gemeinderat, der Verband Region Stuttgart und auch das Landesparlament jetzt Gutacher beauftragen. Hierbei muss es sich unbedingt um Gutachter handeln, die die Stuttgarter Problematik aus einer unbelasteten Perspektive betrachten und die Erfahrungen aus anderen Metropolregionen Europas mitbringen.
Gutachten müssen für die zukünftige Entwicklung der Stuttgarter Stadtbahn erstellt werden - unter besonderer Berücksichtigung der Beseitigung der schweren Engpässe im Zentrum des Stadtbahnnetzes (dritte Stammstrecke).
Gutachten müssen für die zukünftige Entwicklung der Stuttgarter S-Bahn erstellt werden - unter besonderer Berücksichtigung einer möglichen zweiten Stammstrecke bzw. einer Ergänzung der vorhandenen Stammstrecke, die bessere Durchbindungen Bad Cannstatt-Hauptbahnhof-Feuerbach ermöglicht.
Gutachten müssen für die zukünftige Entwicklung des Stuttgarter Straßennetzes erstellt werden - unter besonderer Berücksichtigung der Möglichkeiten zur Realisierung eines Mittleren Rings und eines Außenrings.
Gutachten müssen auch in Bezug auf den Fernbusverkehr erstellt werden.
Kein weiteres Grundsatzgutachten ist allerdings für Stuttgart 21 erforderlich. Dazu haben wir einfach nicht mehr die Zeit. Denn die neue Doppelspur für den Bahnknoten Stuttgart, die zum Beispiel durch die Kombilösung möglich wird, muss in fünf bis zehn Jahren zur Verfügung stehen. Bei den anderen genannten Verkehrsthemen geht es eher um Zeiträume von 20 bis 30 Jahren.
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