Sonntag, 19. April 2015

Missachtet der Verband Region Stuttgart bei den S21-Beschlüssen die Haushaltsgrundsätze?

Das Regionalparlament des Verbands Region Stuttgart hat am 15.04.2015 mit großer Mehrheit beschlossen, dass der Verband Region Stuttgart zusätzlich zu den bereits bewilligten 100 Mio. Euro weitere 20 Millionen Euro für das Projekt Stuttgart 21 bereitstellt. Begründet wird dies mit dem Vorliegen einer neuen Variante zum Bau eines Flughafenbahnhofs, der sogenannten Variante Drittes Gleis.

Im heutigen Post in diesem Blog soll es noch einmal um die Variante Drittes Gleis gehen, insbesondere aus dem Blickwinkel der Gäubahn. 

Zunächst soll eine zweifache Plausibilitätsbetrachtung zur Fahrbarkeit der Variante Drittes Gleis für die Gäubahn durchgeführt werden. Die Plausibilitätsbetrachtung wird zum Ergebnis haben, dass die Variante Drittes Gleis nicht fahrbar ist. 

Dann soll das Verhalten der Politik in Bezug auf die Variante Drittes Gleis näher betrachtet werden, beispielhaft an drei Politikern:
  • Roland Klenk, OB von Leinfelden-Echterdingen  
  • Matthias Gastel, Bundestagsabgeordneter
  • Ingrid Grischtschenko, Abgeordnete im Regionalparlament

Schließlich soll die Frage angesprochen werden, ob der Verband Region Stuttgart mit der Bewilligung von 20 Mio. Euro für die Variante Drittes Gleis gegen die Haushaltsgrundsätze verstößt. Darauf aufbauend muss überlegt werden, ob juristische Mittel gegen den Verband Region Stuttgart bzw. gegen einzelne Funktionsträger möglich und angebracht sind. 


Kommen wir zur Plausibilitätsbetrachtung der Fahrbarkeit der Variante Drittes Gleis für die Züge der Gäubahn. Die Fahrbarkeit ist direkt abhängig von der Zahl der Engstellen im Streckenverlauf sowie von der Schwere der Behinderung, die die jeweilige Engstelle ausübt.

Zunächst gilt es, die Engstellen bei der Variante Drittes Gleis den Engstellen bei der ursprünglichen Ausbauvariante gegenüberzustellen.

1. Züge der Gäubahn von Herrenberg zum Hauptbahnhof
1.1 Engstellen bei der ursprünglichen Ausbauvariante
  • Einfädelung in die Strecke mit Mischbetrieb in Herrenberg
  • Mischbetrieb S-Bahn/Regional-/Fernbahn von Herrenberg nach S-Rohr
  • Einfädelung in eine zweite Strecke mit Mischbetrieb bei S-Rohr
  • Mischbetrieb S-Bahn/Regional-/Fernbahn von S-Rohr bis vor Bahnhof Flughafen Terminal
  • Höhengleiche Gleiskreuzung Regional-/Fernbahn zu S-Bahn westlich des Bahnhofs Flughafen Terminal
  • Eingleisiger Streckenabschnitt im Bereich des Bahnhofs Flughafen Terminal
  • Einfädelung in eine dritte Strecke mit Mischbetrieb beim Flughafen/A8 
  • Mischbetrieb Gäubahn/ICE von Ulm von Flughafen/A8 bis Hauptbahnhof (der Mischbetrieb ist hier bedingt durch die extrem unterschiedlichen Geschwindigkeiten zwischen den von Ulm kommenden ICE und den vom Gleisbogen und vom Flughafenbahnhof kommenden Zügen der Gäubahn)
1.2 Engstellen bei der Variante Drittes Gleis
  • Einfädelung in die Strecke mit Mischbetrieb in Herrenberg
  • Mischbetrieb S-Bahn/Regional-/Fernbahn von Herrenberg nach S-Rohr
  • Einfädelung in eine zweite Strecke mit Mischbetrieb bei S-Rohr
  • Mischbetrieb S-Bahn/Regional-/Fernbahn von S-Rohr bis vor Bahnhof Flughafen Terminal
  • Höhengleiche Gleiskreuzung Regional-/Fernbahn zu S-Bahn westlich des Bahnhofs Flughafen Terminal
  • Eingleisiger Streckenabschnitt im Bereich des Bahnhofs Flughafen Terminal
  • Einfädelung in eine dritte Strecke mit Mischbetrieb beim Flughafen/A8 
  • Mischbetrieb Gäubahn/ICE aus Ri. Ulm von Flughafen/A8 bis Hauptbahnhof (der Mischbetrieb ist hier bedingt durch die extrem unterschiedlichen Geschwindigkeiten zwischen den von Ulm kommenden ICE und den vom Gleisbogen und vom Flughafenbahnhof kommenden Zügen der Gäubahn)
2. Züge der Gäubahn vom Hauptbahnhof nach Herrenberg
2.1 Engstellen bei der ursprünglichen Ausbauvariante
  • Einfädelung in die Strecke mit Mischbetrieb Ri. Flughafen beim Hauptbahnhof
  • Mischbetrieb Gäubahn/ICE Ri. Ulm vom Hauptbahnhof bis Verzweigung Flughafen
  • Eingleisiger Streckenabschnitt im Bereich des Bahnhofs Flughafen Terminal
  • Einfädelung in die Strecke mit Mischbetrieb S-Bahn/Fernbahn/Regionalbahn auf der Westseite des Bahnhofs Flughafen Terminal
  • Mischbetrieb S-Bahn/Fernbahn/Regionalbahn zwischen Flughafen und S-Rohr
  • Höhengleiche Gleiskreuzung Gäubahn Ri. Böblingen/S-Bahn Ri. Flughafen bei der Rohrer Kurve
  • Einfädelung in die Strecke mit Mischbetrieb westlich von S-Rohr
  • Mischbetrieb S-Bahn/Regional-/Fernbahn zwischen S-Rohr und Herrenberg
2.2 Engstellen bei der Variante drittes Gleis
  • Einfädelung in die Strecke mit Mischbetrieb Ri. Flughafen beim Hauptbahnhof
  • Mischbetrieb Gäubahn/ICE Ri. Ulm vom Hauptbahnhof bis Verzweigung Flughafen
  • Eingleisiger Streckenabschnitt im Bereich des Bahnhofs Flughafen Terminal
  • Einfädelung in die Strecke mit Mischbetrieb S-Bahn/Fernbahn/Regionalbahn auf der Westseite des Bahnhofs Flughafen Terminal
  • Mischbetrieb S-Bahn/Fernbahn/Regionalbahn zwischen Flughafen und S-Rohr
  • Einfädelung in die Strecke mit Mischbetrieb westlich von S-Rohr
  • Mischbetrieb S-Bahn/Regional-/Fernbahn zwischen S-Rohr und Herrenberg
Das Ergebnis dieser Gegenüberstellung ist eindeutig. Die neue Variante Drittes Gleis reduziert die Zahl und die Schwere der Engstellen für die Gäubahn zwischen Herrenberg und Hauptbahnhof und umgekehrt nur ganz minimal. Es ist deshalb in erster Näherung anzunehmen, dass die Variante Drittes Gleis genauso unfahrbar für die Züge der Gäubahn ist wie die ursprüngliche Ausbauvariante.

Bereits zwei von acht Engstellen schränken die Fahrtenlagen für die Gäubahn auf nur noch ein Drittel der ursprünglichen Möglichkeiten ein
Das Ergebnis der ersten Plausibilitätsbetrachtung soll durch eine zweite Plausibilitätsanalyse noch vertieft werden. Hierzu betrachten wir den bestehenden Abschnitt der Gäubahn zwischen Herrenberg und S-Rohr. Auf diesem Abschnitt gibt es zwei Engstellen, die bereits heute bestehen (es sind die ersten beiden Engstellen unter Auflistung 1.1 und 1.2 weiter oben). Es gilt jetzt herauszufinden, wie diese beiden Engstellen den Freiheitsgrad der Wahl der Fahrtenlagen für die Gäubahn bereits einschränken. 



Würde die S-Bahn zwischen Herrenberg und S-Rohr nicht verkehren, könnten die Züge der Gäubahn zu jeder Zeit dort fahren. Der 15 Min-Takt der S-Bahn schränkt jedoch die möglichen Fahrtenlagen der Gäubahn innerhalb eines jeden 15 Min-Intervalls auf einen Bereich von 5 Minuten ein. Damit schränken bereits die ersten beiden Engstellen die möglichen Fahrtenlagen für die Gäubahn von 100 Prozent auf nur noch 33 Prozent der gesamten Zeit ein. Nun gibt es aber für die Gäubahn zwischen Herrenberg und Hauptbahnhof bei der Variante Drittes Gleis insgesamt acht Engstellen (Auflistung 1.2). Zwei Engstellen kann man betrieblich noch meistern. Vielleicht ist auch noch eine dritte Engstelle beherrschbar. Bei vier und mehr Engstellen wird es jedoch brenzlig. Hier kommt man schnell zur Unfahrbarkeit. Es gibt dann ganz schnell keine einzige mögliche Fahrtenlage mehr.

Eine endgültige Bewertung der Fahrbarkeit der Variante Drittes Gleis kann jedoch nur mit Hilfe einer detaillierten Fahrplananalyse und Fahrbarkeitsstudie erfolgen, die die genauen Fahrtenlagen der Züge der Gäubahn zwischen Herrenberg und dem Hauptbahnhof sowie die Fahrtenlagen aller mit der Gäubahn in diesem Bereich betrieblich interagierenden Züge (S1 Herrenberg-Vaihingen, S2 und S3 Vaihingen-Flughafen, ICE und IRE Ulm-Stuttgart sowie RE Tübingen-Stuttgart) umfasst. Diese Fahrplananalyse liegt nicht vor.

Jetzt geschieht in der Region Stuttgart allerdings etwas Merkwürdiges. Weite Teile der Politik scheinen diesen Sachverhalt - dass nämlich eine Plausibilitätsbetrachtung die höchstwahrscheinliche Unfahrbarkeit der Variante drittes Gleis ergibt, sowie dass eine detallierte Fahrplananalyse für die Variante Drittes Gleis nicht vorliegt - schlichtweg auszublenden.

OB Roland Klenk scheint der Variante Drittes Gleis blind zu vertrauen
Da wäre zum Beispiel der Oberbürgermeister von Leinfelden-Echterdingen, Roland Klenk, zu nennen. Zwar hat Klenk sich gewisse Verdienste erworben, indem er einen neutralen Gutachter (Uni Dresden) mit einer detaillierten Fahrplananalyse für die ursprüngliche Filderbahnhof-Variante beauftragt hat. Das Ergebnis des Gutachtens war denn auch prompt die Unfahrbarkeit dieser Variante. Als jedoch der Gutachter vor wenigen Wochen ein um Fahrplandaten der Bahn ergänztes Gutachten vorgelegt hat, das weiterhin die Unfahrkeit der Planung zum Inhalt hatte, betonte Klenk, dass dieses Gutachten ja nun keine Bedeutung mehr habe. Denn es liege jetzt ja eine neue Variante Drittes Gleis vor.

Das ist doch eine merkwürdige Argumentation. Das Vorliegen einer neuen Variante für den Flughafenbahnhof bedeutet doch nicht zwangsläufig und automatisch, dass jetzt die Filderprobleme erledigt bzw. der Fildermurks von Stuttgart 21 hinfällig geworden sind. Die neue Variante muss doch genauso geprüft werden wie die alte Variante. Und bereits bei einer Plausibilitätsbetrachtung, die man im Übrigen auch von Politikern erwarten können sollte, gibt es starke Hinweise, dass auch die neue Variante nicht fahrbar ist.

Warum untersucht Matthias Gastel nur die Fahrtenlagenprobleme beim Albvorlandtunnel und nicht den Fildermurks von Stuttgart 21?
Der zweite Politiker, der hier genannt werden soll, ist der Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel. Auch Gastel hat sich durchaus Verdienste erworben. So hat er zum Beispiel erst vor wenigen Tagen die Planungsänderung der Bahn für den Albvorlandtunnel der NBS Wendlingen-Ulm kritisiert. Gemäß dieser Planungsänderung müssen jetzt die sogenannten Leichtgüterzüge, die von Plochingen und Wendlingen kommend auf die NBS Richtung Ulm auffahren, erst mal ca. 10 Kilometer auf dem Gegenverkehrsgleis im Albvorlandtunnel fahren, bevor sie auf das Richtungsgleis Ulm wechseln können. Das schränkt die Leistungsfähigkeit der NBS selbstredend stark ein.

Allerdings ist dieser Sachverhalt im Vergleich zu den Einschränkungen bzw. zur Unfahrbarkeit der Variante Drittes Gleis beim Flughafenbahnhof eher Peanuts. Zunächst mal ist es überhaupt nicht sicher, ob es die 20 bis 30 Leichtgüterzüge pro Tag auf der NBS überhaupt geben wird.  Es gibt starke Hinwiese darauf, dass diese Züge nur erfunden wurden, um die NBS über die Wirtschaftlichkeitsschwelle zu heben. Wenn es einige dieser Züge später doch mal geben wird, werden sie eher nachts fahren, wenn wenig oder keine ICE unterwegs sind bzw. sie werden die wesentlich billigere Filstaltrasse nutzen und gar nicht auf die NBS auffahren. Das Problem mit den Fahrtenlagen im Albvorlandtunnel ist also eher klein.

Warum aber schweigt Gastel zum ungleich größeren Problem des Fildermurks und zur neuen Variante Drittes Gleis beim Flughafen? Beim Albvorlandtunnel beschäftigte sich Gastel durchaus richtig mit den Themen der Fahrtenlagen, der Engstellen und der Streckenleistungsfähigkeit. Warum macht er dies dann nicht auch in Bezug zur Variante Drittes Gleis am Flughafen und für die Gäubahn? Nimmt er hier Rücksicht auf seinen Parteifreund, den Verkehrsminister Hermann, der die Variante Drittes Gleis mit auf den Schild gehoben hat?

Die merkwürdige Logik der Ingrid Grischtschenko
Die Dritte im Bunde der hier zu nennenden Politiker ist die Regionalrätin Ingrid Grischtschenko. Obwohl ursprünglich bei den Gegnern von Stuttgart 21 anzusiedeln, hat Grischtschenko der Bewilligung von zusätzlichen 20 Mio Euro für Stuttgart 21 seitens des Verbands Region Stuttgart zugestimmt. Begründet hat sie dieses Abstimmungsverhalten damit, dass die Variante Drittes Gleis die Stuttgarter S-Bahn weniger stark beeinträchtige als die ursprüngliche Variante für den Flughafenbahnhof.

Das ist ja zunächst mal eine ganz merkwürdige Argumentation. Es gibt zur Zeit zwei offizielle Varianten für den Flughafenbahnhof bei Stuttgart 21. Bei der einen Variante wird die Betriebsqualität der S-Bahn gegenüber dem heutigen Zustand stark verschlechtert. Bei der anderen Variante wird die Betriebsqualität nicht ganz so stark verschlechtert. Und für diese letztgenannte Variante gibt man dann 20 Mio Euro zusätzlich. Nach der Faktenlage dürfte der Verband Region Stuttgart eigentlich gar keine Mittel dafür geben, sondern müsste von der Bahn für die Verschlechterung der Betriebsqualität der S-Bahn auf den Fildern sogar noch Geld verlangen.

Nun ist das aber nicht mal das Hauptproblem beim Abstimmungsverhalten Grischtschenkos. Das Hauptproblem ist, dass dieses Abstimmungsverhalten die Haushaltsgrundsätze verletzt, insbesondere den Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit. §7 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung fordert für alle finanziellen Maßnahmen eine vorherige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, die sich auch auf die Risikoverteilung zu erstrecken hat.

Eine solche Wirtschaftlichkeitsuntersuchung liegt für die Variante Drittes Gleis nicht vor. Im Gegenteil: Bereits die Plausibilitätsbetrachtung liefert starke Hinweise darauf, dass die Variante nicht fahrbar ist. Ein detallierter Fahrbarkeitsnachweis mit einer detallierten Fahrplananlayse fehlt. Vor diesem Hintergrund darf der Verband Region Stuttgart niemals zusätzliche 20 Mio. Euro für diese Variante bewilligen.

Das weitere Vorgehen ist jetzt eine Sache der Juristen 
Alles Weitere ist jetzt eine juristische Fragestellung, die in diesem Blog nicht beantwortet werden kann. Kann man den Verband Region Stuttgart wegen der Bewilligung der zusätzlichen 20 Mio. Euro juristisch belangen? Kann man auch gegen einzelne Abgeordnete vorgehen, die für die Bewilligung der 20 Mio. Euro gestimmt haben? Oder kann man hierfür nur die Spitze des Verbands in Haftung nehmen? Hierauf sollten die Juristen jetzt eine Antwort geben.   
                     

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