Der Gemeinderat von Ludwigsburg hat sich in seiner Sitzung am 25.02.2015 mit überwältigender Mehrheit für eine Niederflur-Stadtbahn in Ludwigsburg an Stelle der bisher geplanten Hochflur-Stadtbahn ausgesprochen. Diese Gemeinderatsentscheidung ist bemerkenswert und epochal. Denn der Ludwigsburger Gemeinderat stellt sich damit gegen die von interessierter Seite propagierte Hochflur-Stadtbahn für Ludwigsburg. Dieses Hochflur-Schienensystem ist nicht nur absolut nicht mehr zeitgemäß. Es beeinträchtigt das Stadtbild von Ludwigsburg auch über Gebühr und schöpft das Potenzial, das der innerstädtische Schienenverkehr in Ludwigsburg hat, nicht aus.
Die Hochflur-Stadtbahn in Ludwigsburg hat Gemeinsamkeiten mit dem Projekt Stuttgart 21. Das ist der Grund, weshalb das Thema der Ludwigsburger Stadtbahn hier in diesem Blog, der ja eigentlich monothematisch auf Stuttgart 21 ausgerichtet ist, heute einmal näher beleuchtet werden soll.
Genauso wie Stuttgart 21 beim Ausbau des Bahnknotens Stuttgart wurde bisher das Hochflur-System für die Ludwigsburger Stadtbahn als alternativlos dargestellt sowie mit angeblichen Zwangspunkten begründet. Bestrebungen für die Einrichtung einer Niederflur-Stadtbahn in Ludwigsburg wurden mit dem Einwand technischer und finanzieller Zwangspunkte abgebügelt. Im Wesentlichen geht es hier um die Schnittstellenproblematik zwischen der geplanten Ludwigsburger Stadtbahn und der benachbarten hochflurigen Stuttgarter Stadtbahn und deren Betreiber SSB.
Fangen wir mal mit den sachlichen Gründen an, die für ein Niederflur-Stadtbahnsystem in Ludwigsburg sprechen.
Seit dem Jahr 1990 gibt es in Europa kein neues städtisches Straßenbahn- bzw. Stadtbahnsystem mehr, das als Hochflur-System ausgeführt worden ist. Statt dessen gibt es über 30 Städte in Europa, in denen seit dem Jahr 1990 ein neues Schienensystem in Niederflurtechnik eingerichtet worden ist. Die Niederflurtechnik ist schon längst der Standard für Straßenbahnsysteme bzw. Stadtbahnsysteme in Europa. Es wäre allein schon aus diesem Grund ein Schildbürgerstreich, wenn die Stadt Ludwigsburg im Jahr 2015 beschlösse, ein Hochflur-System in ihrer Stadt einzurichten.
Das Niederflur-System hat gegenüber dem Hochflur-System auch ganz klar zu benennende Vorteile.
1. Bahnsteige
Ein Hochflur-System benötigt Hochbahnsteige. Diese Bahnsteige möblieren den Straßenraum. Noch schlimmer aber ist ihre Trennwirkung. Denn die Straße kann im Bereich der Hochbahnsteige einschließlich ihrer Zugangsrampen nicht mehr gequert werden. Hochbahnsteige können zudem nicht an jedem beliebigen Ort in einer Stadt gebaut werden. Es gibt viele Stellen, an denen zum Beispiel die Zufahrt in Nebenstraßen, zu Grundstücken und zu Parkplätzen durch Hochbahnsteige versperrt würde. Bei der Festlegung von Haltestellen müssen somit bei einem Hochflur-System wesentlich mehr Kompromisse eingegangen werden als bei einem Niederflur-System. Die Optik von Hochbahnsteigen ist zudem gerade in Städten, die noch architektonisch und städtebaulich reizvoll sind, verheerend.
2. Trassierung
Ein Niederflur-System kann kleinere Radien aufweisen als der beim Hochflur-System der Stuttgarter Stadtbahn gegebene Mindestradius von 50 Metern. Zudem sind die Fahrzeuge des Niederflur-Systems mit z.B. 2,20 Metern nicht so breit wie die Fahrzeuge des Hochflur-Systems der Stuttgarter Stadtbahn (2,65 Meter). Damit ergeben sich beim Niederflur-System für die Trassierung der Strecken wesentlich bessere Randbedingungen als beim Hochflur-System. Die Strecken können sich wesentlich besser in die gegebene Stadtstruktur einpassen.
3. Streckennetz
Die Probleme der Hochflur-Stadtbahn mit ihren Hochbahnsteigen, mit ihren großen Mindestradien sowie mit ihrem breiten Bahnkörper als Folge der breiten Fahrzeuge führen dazu, dass in Ludwigsburg nicht alle neuen Schienenstrecken gebaut werden können, die eigentlich wünschenswert und notwendig sind. Als Folge müssen verschiedene Strecken weiterhin mit dem Bus betrieben werden. Ein möglicher O-Bus ist hier nur ein kleines Trostpflaster. Ein Niederflur-System ist dagegen in der Lage, für Ludwigsburg ein eigentliches Netz mit mehr Strecken als beim Hochflur-System zu ermöglichen.
Hoffentlich gibt der Ludwigsburger Gemeinderat dem Druck für ein Hochflur-Stadtbahnsystem nicht nach
Vor diesem Hintergrund wäre es befremdlich, wenn der Gemeinderat und die Stadtverwaltung von Ludwigsburg dem Druck zur Einrichtung eines Hochflur-Systems nachgeben würden. Wer für die Einrichtung eines Hochflur-Systems in Ludwigsburg plädiert, stellt die ganze Angelegenheit auf den Kopf. Nicht die Stadt Ludwigsburg muss sich mit ihrer Stadtplanung und Stadtgestaltung an das Hochflur-Stadtbahnsystem anpassen. Statt dessen muss sich die geplante Stadtbahn an die stadträumlichen und stadtgestalterischen Gegebenheiten und Planungen in Ludwigsburg anpassen. Es gilt also, die Thematik eines städtischen Schienenverkehrsmittels für Ludwigsburg vom Kopf auf die Fuße zu stellen. Diesbezüglich hat der Gemeinderat von Ludwigsburg jetzt die richtige Entscheidung getroffen. Hoffen wir, dass er sich nicht mehr umstimmen lässt.
Nun hat ja die Landeshauptstadt Stuttgart ein Hochflur-Stadtbahnsystem. Allerdings fiel die Entscheidung für dieses System bereits Ende der Siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts, als die Alternative der Niederflurfahrzeuge noch nicht verfügbar war. Zudem ist die Landeshauptstadt Stuttgart bekanntermaßen kein leuchtendes Beispiel für Stadtgestaltung, Stadtplanung, gute Architektur und Denkmalschutz. Über weite Bereiche weist Stuttgart als Folge des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg heute kein Flair mehr auf. Wenn in diesem Kontext zum Beispiel Hochbahnsteige für die Stadtbahn im Straßenraum in Stuttgart durchsetzbar waren, heißt dies noch lange nicht, dass das dann auch für andere Städte so gilt. Das gilt schon gar nicht für Ludwigsburg, eine Stadt, die es wesentlich besser als Stuttgart verstanden hat, ihr historisches Erbe zu bewahren und gute Stadtgestaltung zu betreiben.
Das Schnittstellenproblem zwischen der Ludwigsburger und der Stuttgarter Stadtbahn ist lösbar
Offen bleibt damit allerdings noch das Schnittstellenproblem zwischen der Ludwigsburger und der Stuttgarter Stadtbahn. Dieses Problem stellt sich, weil die zukünftigen Ludwigsburger Stadtbahnfahrzeuge in den bei der SSB bereits vorhandenen Einrichtungen betreut werden sollen. So können kostenaufwändige Doppelstrukturen vermieden werden.
Dieses Schnittstellenproblem ist bei näherer Betrachtung jedoch gar nicht vorhanden. Denn auch hier gilt es, die Sache vom Kopf auf die Füße zu stellen. Nicht Ludwigsburg muss sich mit den Hochflurfahrzeugen abfinden, weil diese Fahrzeuge nun mal in der Nachbarkommune im Einsatz sind. Es ist im Gegenteil so, dass sich auch Stuttgart mittel- bis langfristig mit dem Einsatz von Niederflurfahrzeugen zusätzlich zu dem heute vorhandenen Hochflursystem auseinandersetzen muss.
Das Fehlen einer dritten Stammstrecke gehört zu den Kardinalfehlern der Stuttgarter Stadtbahn
Die Kardinalfehler der Stuttgarter Stadtbahn haben wir ja hier in diesem Blog bereits in mehreren Artikeln genannt. Dazu gehört das Fehlen einer dritten Stammstrecke für die Stadtbahn. Alle vergleichbaren Städte in Deutschland haben drei oder mehr Stammstrecken für ihre U-Bahn, Stadtbahn oder Straßenbahn. Stuttgart hat nur zwei Stammstrecken. Diese beiden Stammstrecken sind ausgelastet bzw. überlastet. Unter diesen Umständen kann man zukünftig das Schienenverkehrsangebot nicht ausweiten. Die Flexibilität der Fahrplangestaltung wird durch diesen Engpass wesentlich eingeschränkt.
Eine dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn kann nach Lage der Dinge (Kosten, Technik) nur an der Oberfläche gebaut werden. Das zieht aber den Einsatz von Niederflurfahrzeugen im Verlauf der dritten Stammstrecke zwingend nach sich. Die dritte Stammstrecke soll die beiden vorhandenen Stammstrecken zunächst mal entlasten. Hierzu werden einige bestehende Außenäste der Stuttgarter Stadtbahn an die dritte Stammstrecke angebunden. Hierbei handelt es sich um diejenigen Außenäste, die straßenbahnähnlich ausgebaut sind (z.B. Eugensplatz, Hackstraße, Hölderlinplatz, Nordbahnhofstraße). Darüber hinaus gibt es bei der dritten Stammstrecke die Option, auch den einen oder anderen neuen Außenast zu bauen, der mit dem Hochflursystem bisher nicht möglich war (z.B. Rotebühlstraße-Westbahnhof, Cityring).
Wenn diese Entwicklungen in Stuttgart mal anerkannt sind, dürfte auch der Betreuung der zukünftigen Ludwigsburger Niederflurfahrzeuge in Stuttgart nichts mehr im Wege stehen. Denn diese neuen Niederflurfahrzeuge haben ja auch viele Gemeinsamkeiten mit den bestehenden Stuttgarter Hochflurfahrzeugen (z.B. Spurweite, Fahrstromversorgung, Zugsicherungstechnik). Es müsste somit möglich sein, die Ludwigsburger Niederflurfahrzeuge im SSB-Betriebshof Remseck unterzustellen und sie in der Hauptwerkstätte in S-Möhringen instandzuhalten.
OB Werner Spec und OB Fritz Kuhn sollten sich zusammensetzen
Wie kann die Kuh der Ludwigsburger Stadtbahn endgültig vom Eis geholt werden? Hier sind jetzt die Oberbürgermeister von Ludwigsburg und Stuttgart gefragt. Ludwigsburgs Oberbürgermeister Werner Spec sollte sich mal mit Stuttgarts OB Fritz Kuhn zusammensetzen und dieses klassische strategische Thema der Konfiguration der zukünftigen Ludwigsburger Stadtbahn besprechen.
Niemand wird von Fritz Kuhn erwarten, dass er jetzt sofort konkrete Planungen für eine dritte Stammstrecke der Stadtbahn in Stuttgart in die Wege leitet. Es reicht aus, dass sich Fritz Kuhn zur Option der Einführung der Niederflur-Stadtbahn in Stuttgart sowie zur Notwendigkeit einer zukünftigen dritten Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn bekennt. Damit könnte Fritz Kuhn auch mal ein strategisches Zeichen für Stuttgart setzen.
Und im Gegensatz zu Stuttgart 21, wo Fritz Kuhn sich mit Verweis auf Mehrheiten für Stuttgart 21 im Gemeinderat sowie auf unumkehrbare Entscheidungen seines Vorgängers im Amt zurückhält, sind die Niederflur-Stadtbahn und die dritte Stammstrecke für die Stuttgarter Stadtbahn neue Themen, bei denen Fritz Kuhn Zeichen setzen kann.
Ludwigsburgs OB Werner Spec sollte die aktuellen Unstimmigkeiten mit OB Fritz Kuhn in Sachen Bewerbung um den Titel der Kulturhauptstadt Europas nicht zum Anlass nehmen, jetzt die Gesprächsfäden mit OB Fritz Kuhn abzubrechen. Die Themen, die man als Spitzen-Führungskraft bearbeiten muss, kann man sich nicht immer aussuchen. Jetzt steht eben prioritär das Thema der zukünftigen Niederflurstadtbahn auf der Agenda. Es sei auch noch angemerkt, dass die Schwierigkeiten in Sachen Bewerbung um die Kulturhauptstadt Europas - wie vieles andere auch - direkt mit Stuttgart 21 zusammenhängen. Ohne Stuttgart 21 und mit einem normalen, etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart hätte es diese Schwierigkeiten nicht gegeben. Dann hätte Stuttgart seine Zukunft und seine Stadtplanung bereits angehen können und nicht bis mindestens 2025 (viel wahrscheinlicher aber bis mindestens 2030) warten müssen. Dann wäre eine Bewerbung um die Kulturhauptstadt Europas jederzeit möglich und erfolgversprechend gewesen.
Sobald die Abstimmung zwischen den OBs so erfolgt ist, dürfte der Einführung der Niederflur-Stadtbahn in Ludwigsburg sowie der Betreuung der Fahrzeuge durch die SSB in technischer und organisatorischer Hinsicht nichts mehr im Wege stehen. Und die Entscheidung für die Niederflurstadtbahn in Ludwigsburg könnte man später mal als erste wichtige Weichenstellung in der Nach-Stuttgart 21-Zeit werten.
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