Montag, 27. Oktober 2014

Heimerl und der Versuch der Legendenbildung um die NBS Wendlingen-Ulm

Immer wieder gibt der 81jährige Prof. em. Heimerl, der als Erfinder der NBS Wendlingen-Ulm und wesentlicher Ideengeber für Stuttgart 21 gilt, Interviews. Rastlos scheint er getrieben von dem Versuch, die NBS und auch Stuttgart 21 zu rechtfertigen. 

Als ein Argument für die NBS, das vor allem im Großraum Ulm zu verfangen scheint, gibt er immer wieder an, dass bei den ursprünglichen Planungen der Bahn für den Bahnkorridor Stuttgart-Ulm die Großstadt Ulm und ihr Umland vom ICE-Verkehr abgehängt worden wären. Denn die von der Bahn geplante neue Strecke wäre gemäß Heimerl nördlich an Ulm vorbei und direkt nach Günzburg geführt worden. In einem Interview, das Heimerl erst vor kurzem der Südwestpresse gegeben hat, kommt dieses Argument wieder zur Geltung. Auch Ulms OB Gönner bedient sich dieses Arguments. Beim Tunnelanstich des Albabstiegstunnels der NBS bei Ulm sparte Gönner nicht mit Lob an Heimerl. Ohne Heimerl wäre gemäß Gönner die Stadt Ulm vom Fernverkehr abgehängt worden.

Wir wollen im heutigen Post in diesem Blog dem Versuch der Legendenbildung um die NBS Wendlingen-Ulm und um das angebliche Abhängen der Stadt Ulm vom Fernverkehr bei den ursprünglichen Planungen der Bahn entgegentreten. 


Die NBS Wendlingen-Ulm ist ein Desaster. Diese Bahnstrecke erreicht nur mit Tricks den erforderlichen Nutzen-Kosten-Koeffizient von größer als eins. Drei wesentliche Tricks wurden hierzu angewandt:
  • Für die Nutzen-Kosten-Untersuchung wurde nicht allein die NBS Wendlingen-Ulm herangezogen, sondern die NBS Wendlingen-Ulm plus die ABS Ulm-Augsburg. Wegen des weitgehendes Fehlens von teuren Tunnels im Verlauf der ABS Ulm-Augsburg gelingt es so, die Gesamtstrecke Wendlingen-Augsburg und damit auch die unwirtschaftliche NBS Wendlingen-Ulm über die Wirtschaftlichkeitsschwelle zu heben.
  • Heimerl erfand die sogenannten Leichtgüterzüge, die über die äußerst steile NBS Wendlingen-Ulm fahren sollen. Diese Leichtgüterzüge heben den Nutzen der NBS Wendlingen-Ulm. Es gibt jedoch mehrere verschiedenartige Argumente dafür, dass es diese Leichtgüterzüge in Zukunft weder geben wird, noch dass sie jemals über die NBS Wendlingen-Ulm fahren werden.
  • Um die Wirtschaftlichkeit der NBS zu suggerieren, wird das Regionalisierungsgesetz missinterpretiert. Es sollen vom Land zu bestellende und zu bezahlende Regionalzüge über die NBS fahren, obwohl dort ein Bahnhofsabstand von ca. 70 Kilometern besteht und somit keine Regionalzugtauglichkeit vorliegt. Mit Hilfe dieses Tricks würden bei einem späteren Betrieb der NBS für alle Zeiten Regionalisierungsmittel des Landes für den teuren Unterhalt der Strecke zweckentfremdet, Regionalisierungsmittel, die eigentlich für ganz andere Zwecke bestimmt sind.
Als Folge der Heimerl-Idee hat sich der Ausbau des Bahnkorridors Stuttgart-Ulm bereits um ca. 30 Jahre verzögert
Die Heimerl`sche NBS zusammen mit Stuttgart 21 sind auch noch in vielfältiger anderer Hinsicht ein Desaster. Gegenüber den ursprünglichen Planungen der Bahn in den Achtziger Jahren hat sich mit der NBS und mit Stuttgart 21 der Ausbau des Bahnkorridors Stuttgart-Ulm und des Bahnknotens Stuttgart bereits um ca. drei Jahrzehnte verzögert - weitere Verzögerungen sind garantiert. Die Region Stuttgart ist also wegen der NBS und wegen Stuttgart 21 bereits um drei Jahrzehnte gegenüber anderen Regionen in Europa in verkehrlicher Hinsicht zurückgefallen.

Die NBS bewirkt zudem, dass es in den kommenden 50 Jahren keine Lösung für die Güterverkehrsprobleme im Bahnkorridor Stuttgart-Ulm geben wird. Denn der dafür dringend erforderliche Umfahrungstunnel Geislinger Steige mit maximal 10 Promille Steigung wird in den kommenden 50 Jahren garantiert nicht mehr gebaut, wenn die NBS fertiggebaut wird.

Auch der Stuttgarter Flughafen erlebt mit dem Zwangsanschluss der NBS über Stuttgart 21 ein Desaster. Der finanzielle Aderlass des Flughafens durch den Zwangsbeitrag an die NBS mit Stuttgart 21 ist so groß, dass der Stuttgarter Flughafen gegenüber anderen Flughäfen zurückfällt - durch erhöhte Start- und Landegebühren sowie Passagiergebühren und durch fehlende Mittel für Investitionen. Zudem müssen sich Kommunen und das Land auf einen Ausfall der Steuerzahlungen des Flughafens über eine längere Zeitperiode einstellen. Damit bezahlen die Bürgerinnen und Bürger indirekt noch mehr für die Jahrhundertfehlplanung NBS und Stuttgart 21.

Das alles weiß Heimerl selbstverständlich. Um seine NBS zu retten, kommt ihm jetzt das Angstargument gerade recht, dass Ulm ohne diese NBS vom Fernverkehr abgehängt werden würde. Die Legendenbildung im Umfeld der NBS wird also mit aller Macht vorangetrieben. Im Großraum Ulm scheint dieses Argument auf fruchtbaren Boden zu fallen, wie die Äußerung des Ulmer Oberbürgermeisters Gönner zeigt. Nun entbehrt allerdings das Argument, dass Ulm mit den Planungen der Bahn in den Achtziger Jahren für den Ausbau des Bahnkorridors Stuttgart-Ulm in den Verkehrsschatten geraten wäre, jeder Grundlage. Sehen wir uns die Sache mal näher an.

Die besten Experten der Bahn planten in den Achtziger Jahren den etappierbaren Ausbau des Bahnkorridors Stuttgart-Ulm
In den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts planten hochangesehene Experten der Bahn - unter ihnen der bekannte Eisenbahningenieur Prof. Krittian - den Ausbau des Bahnkorridors Stuttgart-Ulm, der nach den damaligen Zeitplanungen möglichst umgehend nach der Eröffnung der Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart im Jahr 1991 beginnen sollte. Die wichtigsten Eckpunkte dieser Planung waren, dass der Bahnkorridor Stuttgart-Ulm etappierbar ausgebaut werden sollte. Zudem sollte der Bahnkorridor Stuttgart-Ulm für den Bahnfernverkehr ebenso ausgebaut werden wie für den Güterverkehr.

Ein Modul im Rahmen des etappierbaren Ausbaus des Bahnkorridors Stuttgart-Ulm war der Abschnitt von Süßen nach Westerstetten. Dieser Abschnitt beinhaltet auch den Umfahrungstunnel Geislinger Steige. In Süßen sowie in Westerstetten schließt dieser Ausbauabschnitt an die Bestandstrasse an. Nach Fertigstellung dieses Abschnitts wären somit alle Züge von Stuttgart weiterhin nach Ulm gefahren. Von einem Abhängen Ulms konnte keine Rede sein.

Ein weiteres Modul umfasste eine Strecke von Westerstetten nördlich an Ulm vorbei nach Günzburg. Hierzu muss man zunächst einmal feststellen, dass im Rahmen des etappierbaren Ausbaus einer Infrastruktur vor jedem neu zu beginnenden Ausbaumodul stets aufs Neue die Sinnfrage gestellt wird. Es wäre also keineswegs sicher gewesen, dass die Bahn dieses Modul später mal überhaupt gebaut hätte. Selbst wenn die Bahn dieses Modul gebaut hätte, wäre Ulm jedoch nicht vom Fernverkehr abgehängt worden.

Ulm hätte mit den ursprünglichen Bahnplanungen eine Güterzugumfahrung erhalten
Zunächst einmal gilt es, an den Güterverkehr zu denken. Ein Ausbaumodul Westerstetten-Günzburg ist eine ideale Güterzugumfahrungstrasse von Ulm und Neu-Ulm. Man schaue nur mal auf eine Karte. Auf den ersten Blick sieht man dann den großen Umweg, den die Güterzüge Stuttgart-München im Verlauf der Schleife durch Ulm und Neu-Ulm hindurch machen müssen. Zudem belästigen diese Züge mit ihrem Lärm vor allem nachts den Großraum Ulm. Solche Güterzugumfahrungsstrecken werden heute zusehens modern. Gerade wird im österreichischen St. Pölten eine Güterzugumfahrungsstrecke gebaut. Städte wie Offenburg und Rastatt lösen ihr Güterzugproblem mit dem Bau von Tunneln.

Das Ausbaumodul Westerstetten-Günzburg hätte auch den Betrieb schneller ICE-Sprinterzüge ermöglicht, die auf kürzestem Weg ohne Halt zwischen Stuttgart und München verkehren. Aber auch dadurch wäre Ulm nicht vom Fernverkehr abgehängt worden. Mindestens jede Stunde hätte weiterhin ein ICE im Verlauf der Strecke Stuttgart-Ulm-Augsburg-München in Ulm angehalten.

Gerade in diesen Wochen ließ die Bahn verlauten, dass sie ab ca. 2017 ICE-Sprinterzüge plant, die ohne Halt zwischen Berlin und München mit einer Fahrzeit von unter vier Stunden verkehren. Diese Züge halten somit weder in Halle / Leipzig, noch in Erfurt, noch in Nürnberg. In keiner dieser Städte würde jedoch jemand auf die Idee kommen, davon zu reden, dass diese Städte vom Bahnfernverkehr abgehängt werden.

Ulm stand in den Achtziger Jahren sogar eine Aufwertung als Fernverkehrsknoten bevor
Dann gilt es noch auf die Splügenbahn zu verweisen. In den Achtziger Jahren war ja längst nicht entschieden, dass die alpenquerende Flachbahn in der Gotthardachse verlaufen soll. Es gab damals zwei gleichwertige Varianten. Neben dem Gotthard-Basistunnel mit Zuläufen war dies der Splügen-Basistunnel mit seinen Zuläufen. Die Zuläufe zum Splügen-Basistunnel auf deutscher Seite sollten von München über Memmingen und Lindau nach Bregenz und Chur sowie von Stuttgart über Ulm, Friedrichshafen, Lindau und Bregenz nach Chur führen. Baden-Württemberg und Bayern favorisierten damals die Splügen-Achse. Allerdings hatte das Land BW einen Regierungsvertreter sowohl im damaligen Splügen-Kommittee als auch im Gotthard-Kommittee sitzen. 

Die Bahnplaner mussten somit in den Achtziger Jahren damit rechnen, dass Ulm allein schon wegen der Splügen-Bahn in seiner Bedeutung für den Personen- und Güterfernverkehr aufzuwerten ist. Es musste damals damit gerechnet werden, dass Ulm zusätzlich zur bestehenden ICE-Linie Stuttgart-Ulm-Augsburg-München eine weitere ICE-Linie Stuttgart-Ulm-Friedrichshafen-Lindau-Bregenz-Chur-(Splügen-Basistunnel)-Mailand erhält. Allein aus diesem Grund gab es seitens der Bahn keine Pläne, Ulm vom Fernverkehr abzuhängen.

Der Baubeginn für den Bahnkorridor Stuttgart-Ulm wäre Anfang der Neunziger Jahre gewesen
Somit waren die besten Planer der Bahn in den Achtziger Jahren damit beschäftigt, für den Bahnkorridor Stuttgart-Ulm eine Ausbaulösung mit Baubeginn Anfang der Neunziger Jahre zu entwickeln, die
  • den Bahnkorridor Stuttgart-Ulm etappierbar ausbaut,
  • den Bahnkorridor Stuttgart-Ulm durch die Umfahrung der Geislinger Steige vollumfänglich für den schweren Güterzugverkehr tauglich macht,
  • für den ICE-Verkehr bedeutende Fahrzeitgewinne bringt,
  • den lauten Güterzugverkehr Richtung Bayern vor allem nachts am Großraum Ulm vorbeileitet,
  • schnelle ICE-Sprinterzüge ohne Halt zwischen Stuttgart und München ermöglicht, die auf kürzestmöglicher Trasse zwischen den beiden Städten verkehren,
  • den Regionalverkehr ausschließlich auf der Bestandsstrecke abwickelt, so dass hierfür nur kleine Trassengebühren zu bezahlen sind und damit die zur Verfügung stehenden Regionalisierungsmittel optimal für möglichst viele Züge eingesetzt werden können,
  • für den späteren und weiteren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart alle Optionen offen lässt,
  • den Bahnknoten Ulm trotz Nordumfahrung weiter stärkt.
In diese Entwicklung krätschte nun Heimerl hinein. Er kam mit seiner Schnapsidee der NBS Wendlingen-Ulm (H-Trasse, Heimerl-Trasse). Heimerl hatte in den Achtziger Jahren gute Verbindungen zum Bundesverkehrsministerium. Es gelang ihm, die wichtigen Mitarbeiter dieses Ministeriums so zu bezirzen, dass das Ministerium schließlich entschied, dass die Bahn ihre Planungen für den Bahnkorridor Stuttgart-Ulm stoppen muss und von nun an die Heimerl-Trasse weiterzuverfolgen sei. Es ist durchaus möglich, dass die Bahnplaner damals die Faust in der Tasche ballten. Jedenfalls ist dieser Vorgang meines Wissens in der Geschichte der Eisenbahnplanung der Nachkriegszeit beispiellos.

Es ist vor diesem Hintergrund einfach geschmacklos, würdelos, traditionslos und ein Verrat an der Identität und Geschichte der Deutschen Bahn, wenn heute einige Mitarbeiter der Bahn die NBS Wendlingen-Ulm und Stuttgart 21 verteidigen und bewerben. Nun ist heute das Kartenhaus der NBS sowie von Stuttgart 21 im Begriff zusammenzufallen. Es ist somit damit zu rechnen, dass es von Heimerl und seinem Umfeld in der kommenden Zeit verstärkte Versuche geben wird, eine Legendenbildung um die NBS Wendlingen-Ulm in Gang zu bringen. 

Heimerl hält sich bei Stuttgart 21 einen Notausgang offen
Bei Stuttgart 21 hat sich Heimerl ja bereits einen Notausgang offen gehalten, indem er sich einerseits nicht als Erfinder dieses Projekts bezeichnet und indem er andererseits gerade in jüngerer Zeit Änderungen an diesem Projekt fordert sowie Gutachten mit negativer Wertung des Projekts anerkennt.

Nun rennt allerdings allen Beteiligten die Zeit davon. Es sei deshalb noch einmal gesagt, dass eine Kompromisslinie vorliegt, die es auch Heimerl ermöglicht, gesichtswahrend aus der ganzen Angelegenheit herauszukommen. Innerhalb dieser Kompromisslinie erkennen die Kritiker der NBS sowie von Stuttgart 21 zähneknirschend an, dass die NBS zwischen Ulm und dem Aichelberg zum Teil bereits im Bau ist und somit wohl fertiggestellt werden muss. Heimerl würde somit ca. 80 Prozent seiner Heimerl-Trasse bekommen. Im Gegenzug sollte Heimerl allerdings von Stuttgart 21 Abstand nehmen und Partei für den etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart ergreifen. 

Der etappierbare Ausbau des Bahnknotens Stuttgart erfordert es, dass die NBS von Aichelberg aus nicht nach Wendlingen, sondern direkt zum Bahnknoten Plochingen geführt wird. Nur so entstehen sinnvolle, eigenständige Ausbaumodule und nur so stehen alle möglichen späteren Ausbauoptionen für den Bahnknoten Stuttgart offen. Eine Trassierung der NBS von Aichelberg aus nach Wendlingen würde zu einem Dauertorso führen.

Der etappierbare Ausbau des Bahnknotens Stuttgart besteht aus einer Aneinanderreihung von eigenständigen Ausbaumodulen. Im Post vom 01.10.2014 in diesem Blog wurden bereits einige Module genannt. Selbstverständlich ist diese Aufzählung nicht einmal in Ansätzen vollständig. Auch die Reihenfolge der Umsetzung der Module ist variabel.

Trotz des Angebots dieser Kompromisslinie muss jedoch an Heimerl ein deutliches Zeichen gegeben werden, dass die kritische Zivilgesellschaft in Stuttgart und in BW Versuche einer Legendenbildung um die NBS Wendlingen-Ulm nicht zulässt.                                                               

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