Der Technische Vorstand der Stuttgarter Straßenbahnen AG, Arnold, hat am 02.01.2014 in der Stuttgarter Zeitung ein Interview zur Zukunft des öffentlichen Schienenverkehrs in der Region Stuttgart gegeben. Wir wollen dieses Interview heute in diesem Blog analysieren, gerade auch im Hinblick auf Stuttgart 21.
Bevor wir uns einige der Fragen und Antworten ansehen, fallen erst mal zwei allgemeine Dinge bei diesem Inteview auf.
Stuttgart 21 wird gezielt verschwiegen
Stuttgart 21 wird in dem Arnold-Interview bis auf eine kleine beiläufige Ausnahme nicht erwähnt und ist doch überall präsent. Das fast vollständige Fehlen des Projekts Stuttgart 21 in diesem Interview ist in der Tat das Erste, was beim Durchlesen auffällt. Schließlich hat sich Arnold in den vergangenen Jahren und gar Jahrzehnten als der Chef-Propagandist für Stuttgart 21 betätigt. Da mag es auf den ersten Blick verwundern, dass Arnold das Interview in der Stuttgarter Zeitung jetzt nicht nutzt, um weiter für Stuttgart 21 die Werbetrommel zu rühren.
Im Umkehrschluss kann man allerdings mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass das Verschweigen des Stuttgart 21-Themas in diesem Interview kein Zufall ist. Erfahrungsgemäß sprechen Personen, die von Zeitungen interviewt werden, die Fragen vorher mit den Redakteuren ab. Zudem werden solche Interviews später noch einmal gegengelesen und autorisiert. Es ist somit anzunehmen, dass sich Arnold Fragen zum Thema Stuttgart 21 verbeten hat. Das lässt darauf schließen, dass Arnold bei Stuttgart 21 inzwischen in der Defensive ist. Trotzdem kommt das Thema Stuttgart 21 indirekt in fast jeder Frage und Antwort des Interviews dann doch vor. Gerade das macht eine Analyse dieses Inteviews so interessant.
Die Dominanz von Arnold und die Blässe der Verkehrsexperten in der Region Stuttgart sind zwei Seiten derselben Medaille
Ein ganz gravierender Punkt, der bei diesem Arnold-Interview auffällt, ist, dass es hier so gut wie gar nicht um die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) geht, dem eigentlichen Aufgabengebiet von Arnold. Von den elf Fragen des Inteviews behandeln zwei Fragen den Nahverkehr allgemein, eine Frage hat den Regionalzughalt Vaihingen zum Thema, sechs Fragen betreffen die S-Bahn und weitere zwei Fragen handeln vom Busverkehr innerhalb der Region Stuttgart.
Augenscheinlich wird Arnold von den Medien immer noch als der Verkehrsexperte in der Region Stuttgart schlechthin gesehen. Das ist alarmierend. Diese Stellung von Arnold ist nur möglich, weil anscheinend die Verkehrsexperten in den zahlreichen Institutionen, die in der Region Stuttgart für Belange des Nahverkehrs zuständig sind, blass geblieben sind. Dabei ist es für den Nahverkehr in der Region Stuttgart, somit für den Verkehr insgesamt, somit für die Zukunft der Region als Ganzes von entscheidender Bedeutung, dass das Meinungsmonopol von Arnold, das uns in letzter Konsequenz ja auch das Projekt Stuttgart 21 eingebrockt hat, endlich gebrochen wird.
Es ist an der Zeit, dass sich die Verkehrsexperten in den verschiedensten Institutionen (z.B. Regierungspräsidium Stuttgart, Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg, Verkehrsministerium Baden-Württemberg, Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart, Verband Region Stuttgart, Stadtplanungsamt Stuttgart, Deutsche Bahn AG, Bundesverkehrsministerium) von Arnold emanzipieren und eine eigenständige Meinung vertreten, diese in der Öffentlichkeit befördern und damit der Region Stuttgart die Chance geben, die inzwischen angesammelten 30 Jahre Rückstand gegenüber den Wettbewerberregionen langsam aufzuholen.
Die Stuttgarter S-Bahn soll als Einzige nicht weiter wachsen
Zur Stuttgarter S-Bahn bemerkt Arnold: "Aus heutiger Sicht lautet die Frage, ob das S-Bahn-System noch Kapazitätserweiterungen braucht." Wachstum sieht er nur außerhalb des von der S-Bahn abgedeckten Bereichs. Diese Ansicht ist merkwürdig. In den mit der Region Stuttgart im Wettbewerb stehenden Regionen wird dies anscheinend ganz anders gesehen. So erwartet die Region Zürich auf der Basis des Jahres 2007 bis zum Jahr 2030 eine glatte Verdoppelung der Fahrgastzahlen bei der S-Bahn und will hierfür mit Milliardeninvestitionen in das S-Bahnnetz vorsorgen. München erwartet in den kommenden Jahrzehnten mindestens eine 50prozentige Steigerung der Fahrgastzahlen bei der S-Bahn und will hierfür eine zweite Stammstrecke für die S-Bahn bauen. An einer anderen Stelle des Inteviews widerspricht sich Arnold dann auch noch. Er verkündet, dass die Stadtbahn in Stuttgart wegen steigender Fahrgastzahlen weitere Fahrzeuge beschaffen muss.
Erklären kann man die Ansichten Arnolds stets dadurch, indem man sich den Stuttgart 21-Hintergrund von Arnold vor Augen hält. Stuttgart 21 würde die Stuttgarter S-Bahn nicht nur nicht weiterentwickeln. Stuttgart 21 würde der Stuttgarter S-Bahn massiv schaden, indem zum Beispiel der Überlaufbereich Kopfbahnhof wegfällt, indem im Filderbereich eingleisige Streckenführungen, höhengleiche Gleiskreuzungen und Mischbetrieb mit Regional- und Fernzügen dazukommen und indem wegen der zusätzlichen Haltestelle Mittnachtstraße sich die Fahrzeiten aller Linien verlängern und sogar Änderungen der Linienführung erforderlich werden. Da Arnold sein Projekt Stuttgart 21 nicht schlecht machen kann, bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als die Stuttgarter S-Bahn klein zu reden und ihr einfach die Zukunft abzusprechen.
Das Produkt der Express-S-Bahn ist Arnold anscheinend unbekannt
Erweiterungen des S-Bahnnetzes in der Region Stuttgart sieht Arnold skeptisch. Er befürchtet, dass die Reisezeiten dann nicht mehr akzeptabel sind. "Schon bei der S-Bahn-Verlängerung nach Kirchheim/Teck war zu prüfen, ob die spezifischen Systemvorteile überwiegen".
Anscheinend ist Arnold das Produkt der Express-S-Bahn unbekannt, einer S-Bahn, die im Außenbereich nur an ausgewählten Haltepunkten hält und die deshalb wesentlich schneller zwischen den Außenbereichen und dem Zentrum unterwegs ist. Den bereits genannten, mit der Region Stuttgart im Wettbewerb stehenden Regionen ist das Produkt der Express-S-Bahn hingegen sehr wohl bekannt. So soll in der Region Zürich im Zusammenhang mit der sogenannten S-Bahn 2G (2. Generation) die Express-S-Bahn eingeführt werden (siehe den Post vom 22.12.2013 in diesem Blog). Und in der Region München wird im Zusammenhang mit der zweiten Stammstrecke für die S-Bahn auf allen S-Bahnstrecken das Produkt der Express-S-Bahn zusätzlich eingerichtet.
Selbstverständlich ist die Express-S-Bahn gerade auch in der Region Stuttgart möglich, ja sogar unabdingbar. Denn die Express-S-Bahn hat in der Region Stuttgart auch die wichtige zusätzliche Aufgabe, das gegenüber den Wettbewerberregionen viel zu kleine S-Bahnnetz zu erweitern. Wir haben in diesem Blog den etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart einschließlich der Einführung der Express-S-Bahn in einer siebenteiligen Artikelreihe beschrieben ("Mit der Express-S-Bahn aus der Stuttgart 21-Sackgasse, Teil 1 bis Teil 7").
Arnolds Ablehnung bzw. Ignoranz gegenüber der Express-S-Bahn in der Region Stuttgart hat selbstverständlich ebenfalls einen Stuttgart 21-Hintergrund. Stuttgart 21 würde nicht nur eine Erweiterung und Verbesserung des S-Bahnnetzes in der Region Stuttgart auf Jahrzehnte hinaus verunmöglichen. Die Express-S-Bahn selbst ist eine riesige Gefahr für Stuttgart 21, zeigt sie doch, dass man mit weniger Geld sehr viel bessere Schienenverkehre für die Bevölkerung der Region Stuttgart erreichen kann, als dies mit Stuttgart 21 möglich ist.
Die zweite Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn verläuft garantiert nicht durch den Schlossgarten
Arnold äußert sich in dem Inteview auch verschiedentlich zur Überlastung des S-Bahnnetzes und insbesondere der S-Bahn-Stammstrecke. Laut Arnold entstanden in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts "Ideen für einen zweiten S-Bahn-Tunnel dort, wo jetzt Stuttgart 21 entsteht."
Nun habe ich den größeren Teil meines bisherigen Lebens in Stuttgart gewohnt. Von solchen Ideen habe ich jedoch praktisch nichts mitbekommen. Es handelt sich bei dieser Bemerkung von Arnold um einen weiteren Versuch, Stuttgart 21 zu waschen, indem er es mit einer anderen Sache, einer im Prinzip vernünftigen Sache, nämlich der zweiten Stammstrecke für die Stuttgarter S-Bahn, vergleicht.
Wir haben im übrigen in diesem Blog bereits ganz klar gesehen, dass eine zweite Stammstrecke für die Stuttgarter S-Bahn garantiert nicht quer zum Talkessel und durch den Schlossgarten verlaufen kann. Eine zweite Stammstrecke für die Stuttgarter S-Bahn muss hingegen nach dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie verlaufen. Das ergibt einen Verlauf wie folgt: von Bad Cannstatt kommend Tunnelrampe im Gleisvorfeld des Kopfbahnhofs, Durchmesserbahnhof unter dem Karoline-Kaula-Weg, Kriegsbergstraße, Hegelplatz, Hegelstraße, Straße Am Kräherwald, Feuerbacher Heide, Grüne Fuge, Killesberg, Tunnelrampe im Bereich des Feuerbacher Bahnhofs. Von diesem Tunnel gibt es Abzweigungen in Richtung Ditzingen und in Richtung Westbahnhof. (siehe in diesem Blog die Posts "Mit der Express-S-Bahn aus der Stuttgart 21-Sackgasse, Teil 4 bis Teil 7").
Nur bei diesem Verlauf ist eine zweite Stammstrecke wirkungsvoll, indem alle Zulaufstrecken der S-Bahn direkt an diese Stammstrecke angebunden werden können. Nur diese zweite Stammstrecke verbindet die beiden Hauptzufahrten zum Stuttgarter Hauptbahnhof, die Zufahrten Bad Cannstatt und Zuffenhausen, direkt miteinander und vermeidet damit den Kardinalfehler der ersten Stammstrecke.
Die bestehende erste Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn hat ja als einzige derartige Stammstrecke weltweit die Eigenschaft, dass sie die beiden Hauptzufahrten zum Hauptbahnhof nicht miteinander verbindet. Das führt dazu, dass die Hälfte aller S-Bahnzüge innerhalb der Stammstrecke endet und wenden muss. Das wiederum hat dazu geführt, dass die Stuttgarter S-Bahn als einzige auf der Welt beim Bahnhof Schwabstraße eine unterirdische, ca. 1,5 Kilometer lange Wendeschleife aufweist.
Der Regionalbahnhof Vaihingen - eine Gefahr für Stuttgart 21
Arnold wird in dem Interview auch zum Thema des Regionalbahnhalts in S-Vaihingen befragt. Inhaltlich antwortet er nicht, was ein weiteres Indiz für die Defensive ist, in der sich Arnold befindet. Hingegen äußert er seine Verwunderung darüber, dass die Diskussion um den Regionalbahnhof Vaihingen "jetzt geführt wird, obwohl seit der Inbetriebnahme der S-Bahn nach Böblingen im Jahr 1985 der heutige Zustand besteht".
Auch dieses Rückzugsargument von Arnold ist falsch. Der VVS hat auf seiner Internetseite eine Rubrik, in der Fragen behandelt werden, die von den Fahrgästen häufig gestellt werden. Die Frage, warum die Regionalzüge der Gäubahn nicht in Vaihingen halten, gehört dazu. Das zeigt, dass das Thema des fehlenden Regionalzughalts in S-Vaihingen seit jeher aktuell war. Wenn das Thema seit einigen Jahren verstärkt nachgefragt wird, dann hängt auch dies mit Stuttgart 21 zusammen. Die Menschen haben vor dem Auftreten des Projekts Stuttgart 21 in Grundzügen den Entscheidungen der Politiker und Verkehrsexperten vertraut. Das hat sich mit Stuttgart 21 geändert.
Im Post vom 18.05.2012 in diesem Blog haben wir im übrigen nachgewiesen, dass kein einziges der Argumente, die der VVS gegen den Regionalzughalt in S-Vaihingen anführt, stichhaltig ist. Im Gegenteil, einige der Argumente sind explizit falsch.
Dann merkt Arnold zum Regionalbahnhof Vaihingen noch an: "Die Frage eines Regionalbahnhofs wird ziemlich losgelöst davon behandelt, welche Fahrgastströme von diesem profitieren und um welche Zahlen es dabei geht." Damit will er durch die Blume sagen, dass all diejenigen, die den Regionalbahnhof Vaihingen fordern, Amateure sind, die hemdsärmelig planen und diese Sache nicht beurteilen können.
Damit erreicht die Argumentation Arnolds den Gipfel der Unverfrorenheit. Schließlich haben wir es ja gerade beim Projekt Stuttgart 21 mit einem solchen herrschaftlichen, hemdsärmeligen Projekt zu tun. Die Goldgrube der Grundstücksverwertung und die feldherrenhafte Planung standen am Anfang des Projekts Stuttgart 21. Alle verkehrstechnischen Begründungen wurden erst nachträglich angefertigt. All diese Gutachten standen unter einem enormen politischen Druck. Es ist kaum vorstellbar, was passiert wäre, wenn ein Gutachter es gewagt hätte, sich gegen den politischen Strom von Stuttgart 21 zu stellen. Nicht zu vermeidende kritische Gutachten zu Stuttgart 21, wie das erste Gutachten von SMA, wurden unter Verschluss gehalten.
Wir sagen hier - nicht hemdsärmelig und amateurhaft, aber durchaus mit klarem, einfachem Gedankengang - dass es für die Gäubahn nicht von Schaden ist, wenn sie am zweitwichtigsten Bahnhof in ihrem gesamten Streckenverlauf zwischen dem Stuttgarter Hauptbahnhof und Konstanz anhält. Denn darum handelt es sich beim Bahnhof von S-Vaihingen mit seinem Einzugsgebiet von über 100.000 Wohnbevölkerung, mit Zigtausenden Arbeitsplätzen und mit Tausenden von Studienplätzen.
Gesamtbewertung
Das Arnold-Interview zum Nahverkehr in der Region Stuttgart ist auffallend schwach und aussageleer. Zum großen Teil ist dies auf die Befangenheit von Arnold im Hinblick auf Stuttgart 21 zurückzuführen. Das jahrzehntelange Stuttgart 21-Engagement von Arnold engt ihn jetzt so sehr ein, dass er keine Perspektive für den öffentlichen Verkehr in der Region Stuttgart mehr entwerfen kann.
Der Unterschied zwischen der Aufbruchstimmung in den zur Region Stuttgart im Wettbewerb stehenden Regionen und der Destruktivität und Perspektivlosigkeit des Arnold-Interviews ist jedenfalls augenfällig. So langsam sollte es auch dem letzten Politiker und Beamten dämmern, dass hier in der Region Stuttgart irgend etwas nicht stimmt. Können wir bald auf die ersten Mutigen hoffen, die nach vorne treten und eine Perspektive aufzeigen, wie der Verkehrskarren der Region Stuttgart aus dem Dreck gezogen werden kann?
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