Die Stuttgarter S-Bahn ist das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs in der Region Stuttgart. Die Weiterentwicklung dieses Verkehrssystems in betrieblicher, verkehrlicher und baulicher Hinsicht gehört zu den interessantesten und vornehmsten Aufgaben, die die Politik und Verwaltung in der Region Stuttgart wahrzunehmen haben.
Leider tut sich diesbezüglich fast nichts. Im Gegenteil, wegen des Projekts Stuttgart 21 ist eine Weiterentwicklung der S-Bahn Stuttgart in weite Ferne gerückt. Die S-Bahn in der Region Stuttgart ist sogar in langsamem Rückschritt begriffen. Das sehen wir uns jetzt mal näher an.
S-Bahn von Bad Cannstatt über Esslingen nach Plochingen
Die Stuttgart 21-Protagonisten wissen sehr wohl um die fatalen Auswirkungen des Projekts auf die S-Bahn. Um davon etwas abzulenken, wird gerne auf die Strecke der Linie S1 von Bad Cannstatt über Esslingen nach Plochingen verwiesen. Im Verlauf dieser S-Bahnstrecke fahren heute auch die Regionalzüge Stuttgart-Tübingen.
Wenn Stuttgart 21 mal fertig ist - so die Propaganda - ist die S-Bahnstrecke von Bad Cannstatt über Esslingen nach Plochingen ausschließlich für die S-Bahnen reserviert. Denn die beiden neuen Gleise über die Fildern entlasten die Strecke im Neckartal.
Das Dumme ist nur, dass die Mitbenutzung der S-Bahngleise durch die Regionalzüge heute überhaupt niemand stört. Das stört weder die Fahrgäste, noch ist es in betrieblicher Sicht ein Hindernis. Eine betriebliche Situation, dass an einem Bahnsteig der S-Bahn andere Züge (Regionalzüge oder Express-S-Bahnen) ohne Halt vorbeifahren, gibt es überall auf der Welt. Und das gibt es auch in der Region Stuttgart an vielen anderen Strecken (Waiblingen-Schorndorf, Waiblingen-Backnang, Plochingen-Wendlingen, Vaihingen-Herrenberg).
Betrieblich ist die Mitbenutzung der S-Bahngleise auf der Strecke nach Plochingen durch Regionalzüge überhaupt kein Problem. Die S-Bahn fährt auf dieser Strecke alle 15 Minuten. Da ist durchaus Platz für Regionalzüge. Und der Hauptgrund, warum hier auch Regionalzüge Platz haben, ist, dass die Regionalzüge im Verlauf der Strecke ebenfalls einige Halte einlegen (Bad Cannstatt, Esslingen, Plochingen) und dass die Regionalzüge in diesen drei Bahnhöfen andere Gleise haben als die S-Bahnen. Zwischen Bad Cannstatt und Esslingen befinden sich gerade mal vier Haltepunkte, an denen der Regionalzug durchfährt. Zwischen Esslingen und Plochingen sind es drei Haltepunkte.
S-Bahn von Waiblingen nach Schorndorf
Im Verlauf dieser Bahnstrecke benutzen S-Bahnen, Regionalzüge, Fernzüge und Güterzüge dieselben Gleise. Hier gibt es heute Probleme. Um den genauen Fahrplantakt bei der S-Bahn, den Regionalzügen und den Fernzügen gewährleisten zu können, ist auf Abschnitten der Strecke ein drittes Gleis erforderlich. Das hat seinen Grund darin, dass zwischen den Überholbahnhöfen Waiblingen und Schorndorf nicht nur drei oder vier Haltepunkte liegen wie beim obigen Beispiel, sondern acht Haltepunkte, an denen die Regional- und Fernzüge ohne Halt durchfahren.
Der Bau eines dritten Gleises auf Abschnitten zwischen Waiblingen und Schorndorf ist jedoch wegen Stuttgart 21 auf unbestimmte Zeit verschoben. Dieser Ausbau ist nicht finanzierbar.
Gäubahn
Zwischen Böblingen und Herrenberg benutzen S-Bahnen, Regionalzüge, Fernzüge und Güterzüge dasselbe Gleis. Auch hier gibt es Engpässe bzw. man muss bei der Taktfolge Kompromisse machen. Auf Abschnittten ist hier das dritte Gleis erforderlich. Das unterbleibt jedoch aus Geldmangel verursacht durch Stuttgart 21. Ebenfalls immer weiter verschoben wird der zweigleisige Ausbau der Gäubahn zwischen Horb und Tuttlingen.
S-Bahnhof Flughafen
Heute haben wir einen modernen, zweigleisigen S-Bahnhof am Flughafen unter dem Terminal, der noch große Leistungsreserven hat. Zum Beispiel ist heute noch Platz für eine dritte S-Bahnlinie (z.B. die Express-S-Bahn vom Hauptbahnhof über Vaihingen zum Flughafen). Mit Hilfe dieser dritten S-Bahnlinie könnte man endlich den 10-Minuten-Takt für die S-Bahn am Flughafen einrichten und damit eine Bedienungsqualität erreichen, wie es sie an anderen Flughäfen schon längst gibt. Wir reden hierbei ja noch gar nicht von Weltstädten wie Barcelona, wo ab 2014 die fahrerlose, vollautomatische U-Bahnlinie L9 die beiden großen Terminals des Flughafens alle 90 Sekunden an die Stadt anbinden wird.
Mit Stuttgart 21 ist auch dieser Strohhalm der Hoffnung auf eine bessere Anbindung des Stuttgarter Flughafens an die S-Bahn abgeknickt. Mit Stuttgart 21 soll die S-Bahn am Flughafen sogar im Bereich des Bahnhofs eingleisig betrieben werden. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Fahrplantakte und die Pünktlichkeit.
S-Bahn von Rohr zum Flughafen
Diese Strecke wird zur Zeit ausschließlich von der S-Bahn befahren. Beim Projekt Stuttgart 21 sollen auch Regional- und Fernzüge über diese Strecke fahren. Der Mischbetrieb als solcher ist zunächst einmal weniger problematisch. Es gibt zwischen dem Flughafen und S-Rohr drei S-Bahnhaltepunkte, an denen die Regional- und Fernzüge durchfahren würden. Das entspricht in etwa der Situation auf der S-Bahnstrecke zwischen Bad Cannstatt und Plochingen.
Äußerst problematisch wird der bei Stuttgart 21 auf der Strecke zum Flughafen geplante Mischbetrieb jedoch, weil im Gegensatz zur Strecke von Bad Cannstatt nach Plochingen weitere einschränkende Sachverhalte dazukommen. Dazu kommt eine höhengleiche Gleiskreuzung zwischen der S-Bahn und den Regional-/ Fernzügen bei S-Rohr (Rohrer Kurve). Dazu kommt auch die jeweils eingleisige Ausbildung der bisher zweigleisigen Station Flughafen für den S-Bahnverkehr und für den Regional-/Fernverkehr. Dazu kommt eine höhengleiche Gleiskreuzung auf der Westseite der Station Flughafen. Und dazu kommt ein bauliches Element. Denn die Strecke von Rohr zum Flughafen ist in ihren Abmessungen ausschließlich für die S-Bahn gebaut worden. Für den Einsatz von Regional- und Fernzügen war eine heftig umstrittene Ausnahmegenehmigung erforderlich, die zudem längstens bis 2035 gilt.
S-Bahnhaltepunkt Mittnachtstraße
Zwischen den bestehenden Haltepunkten Hauptbahnhof und Bad Cannstatt bzw. Nordbahnhof soll bei Stuttgart 21 ein weiterer Haltepunkt Mittnachtstraße dazukommen. Durch diesen zusätzlichen Haltepunkt verlängern sich die Fahrzeiten aller S-Bahnlinien um zwei Minuten pro Richtung. Das wiederum hat zur Folge, dass bei Stuttgart 21 nicht mehr die Linien S1, S2 und S3 nach Vaihingen fahren, sondern die Linien S4, S5 und S6. Nur durch diese Änderung der Linienführung kann erreicht werden, dass als Folge des Haltepunkts Mittnachtstraße nicht zusätzliche S-Bahnzüge erforderlich werden.
Das ist schon bemerkenswert: Die Linien S4, S5 und S6 werden nicht deshalb nach Vaihingen verlängert, weil dies für die Mehrzahl der Fahrgäste positiv ist oder weil dies das S-Bahnsystem nach vorne bringt. Die Verlängerung dieser Linien und gleichzeitig die Verkürzung der Linien S1, S2 und S3 erfolgt allein deswegen, weil dies zwangsweise wegen Stuttgart 21 und wegen des Haltepunkts Mittnachtstraße so erforderlich ist.
Der Haltepunkt Mittnachtstraße wird ansonsten für die Fahrgäste wenig Nutzen haben. Für die Mehrzahl der Fahrgäste wird es Reisezeitverlängerungen geben. Für die relativ wenigen Über-Eck-Umsteiger wird es gegenüber dem Umsteigen beim Haltepunkt Hauptbahnhof keine Zeitvorteile geben.
Streckennetz der S-Bahn
Das Streckennetz der Stuttgarter S-Bahn ist zur Zeit 215 Kilometer lang. Weitere Verlängerungen sind in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Das Netz der Münchner S-Bahn ist 442 Kilometer lang, das Netz der Zürcher S-Bahn ist 380 Kilometer lang. Das Netz der Berliner S-Bahn ist 332 Kilometer lang. Das Netz der Rhein-Ruhr-S-Bahn ist 676 Kilometer lang. Das Netz der Frankfurter S-Bahn ist 303 Kilometer lang.
In den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts und in den Nuller sowie Zehner Jahren dieses Jahrhunderts wäre es eigentlich angesagt gewesen, das Netz der Stuttgarter S-Bahn massiv zu erweitern und zu modernisieren, damit die Region Stuttgart im Vergleich zu anderen Regionen nicht immer weiter zurückfällt. Das unterblieb jedoch, weil alle wie das Kaninchen auf die Schlange auf das Projekt Stuttgart 21 starrten.
Störungsmanagement
Viel zu oft müssen heute die S-Bahnen bei Störungen und bei Überlastungen im Kopfbahnhof des Hauptbahnhofs wenden. Aber immerhin gibt es heute mit dem Kopfbahnhof eine Möglichkeit, den S-Bahnverkehr auch bei Störungen oder Überlastungen in der S-Bahn-Stammstrecke weiterzubetreiben. Bei Stuttgart 21 entfällt auch noch diese Rückfallebene.
Fazit
Das S-Bahnsystem der Region Stuttgart müsste dringend modernisiert und ausgebaut werden, damit die Region Stuttgart nicht den Anschluss an die Entwicklung in anderen Regionen in Europa verliert. Mit Stuttgart 21 würde jedoch das Gegenteil eintreten. Es ist fast schon eine Tragik, dass der für die S-Bahn von Gesetz wegen zuständige Verband Region Stuttgart selbst ganz tief in das Projekt Stuttgart 21 verstrickt ist. Von daher ist diese Institution nicht in der Lage, ihrer wichtigsten Aufgabe nachzukommen und die S-Bahn der Region Stuttgart voranzubringen.
Nicht erst bei einer Fertigstellung von Stuttgart 21, sondern bereits in den kommenden Jahren werden die Beschwerden über das veraltete, ungenügend ausgebaute und immer störanfälligere S-Bahnnetz in der Region Stuttgart zunehmen. Mangels Alternative werden immer mehr Menschen auf das Auto umsteigen. Relativ bald wird der Ruf nach einem forcierten Ausbau des Straßennetzes in der Region Stuttgart lauter werden. Die Region Stuttgart als Auto- und Schnellstraßenregion: Das ist wohl die Perspektive, falls Stuttgart 21 gebaut wird.
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